Filme über Propaganda und über Propagandafilme könnte man als Unterabteilung des Dokumentarfilms bezeichnen. Aber auch Dokumentarfilme sind nicht »objektiv«, sondern haben einen Standpunkt, und so gibt es etliche Fälle, in denen die Kritik einer bestimmten Art von Propaganda einer anderen Art von Propaganda dient. Um sich der Wahrheit zu nähern, sollte man möglichst viele unterschiedliche Blickwinkel kennenlernen. Hier ist eine kleine Auswahl von Filmen, von denen man einiges über das Wesen dieses Sujets lernen kann.
- Die Macht der Bilder – Deutschland 1993, Regie: Ray Müller
Leni Riefenstahl (1902 – 2003) war die am meisten gefeierte und zugleich verfemteste Propagandafilmerin des 20. Jahrhunderts. Letzteres hatte vor allem mit der schlichten Tatsache zu tun, daß sie auf der »falschen« Seite der Geschichte gelandet war. Den großen Regisseuren der frühen Sowjetunion, Eisenstein, Wertow, Dowschenko und so weiter, hat man weitgehend den Vorwurf erspart, den Stalinismus künstlerisch unterstützt zu haben, obwohl sie das taten, nachdem sie längst von den Verbrechen der Bolschewisten erfahren hatten.
Riefenstahl wurde vor allem ein Film zum lebenslangen Verhängnis: Triumph des Willens, der den Reichsparteitag der NSDAP im Jahr 1934 zum Thema hat. Hinzu kommen die kleineren Arbeiten Sieg des Glaubens (1933) und Tag der Freiheit (1935) sowie der monumentale Zweiteiler Olympia (1936 – 1938), der zumindest einige propagandistische Elemente und Beispiele »faschistischer« Ästhetik enthält.
Ray Müllers dreistündiger Dokumentarfilm über Leben und Werk der damals neunzigjährigen Filmemacherin ist relativ fair ausgefallen, wobei er sich artig bemüht hat, die in der Tat nicht immer ganz ehrliche alte Dame mit »unbequemen« Fragen zu löchern. Im Film beteuert Riefenstahl allen Ernstes, daß Triumph des Willens weder ein Dokumentar- noch ein Propagandafilm sei, mit der Begründung, daß es darin keinen Kommentator gebe, der den Sinn und Wert »dieser Veranstaltung« erkläre. Außerdem habe sie die Inszenierung von Nürnberg ja nicht erfunden, sondern sie lediglich mit Hilfe von Bild und Ton, Kamera und Schnitt filmisch möglichst »interessant« dargestellt.
Die suggestive Kraft dieses Films entfaltet sich jedoch hauptsächlich auf der optischen Ebene. Demonstrationen von Macht und Stärke, die monumentale Ästhetisierung ornamental angeordneter Massen, die Gegenüberstellung von gottgleichem Führer und hingerissenem oder stumm in Bereitschaft stehendem Volk: Riefenstahl machte den Parteitag und seinen Geist zur dynamischen Erfahrung auch für jene, die ihn nicht vor Ort erlebt hatten.
Wenn Müller zeigt, wie sie mit glänzenden Augen am Schneidetisch die cleveren filmischen Effekte erklärt, die sie an dieser oder jener Stelle eingesetzt hat, dann glaubt man ihr, daß sie tatsächlich nicht vom Inhalt der nationalsozialistischen Idee so begeistert war, sondern vielmehr von ihrem eigenen genialen Gestaltungswillen, der sich ebensogut ein anderes Sujet hätte suchen können (wie etwa nackte afrikanische Krieger oder bunte Tiefseefische). Trotz allem wurde Triumph des Willens nach dem Krieg international als Kunstwerk und manchmal auch als »bester Propagandafilm aller Zeiten« anerkannt und bewundert; seine Bilder, verwurstet in zahllosen Dokumentationen, Videoclips und antifaschistischen Gegenpropagandafilmen, prägen bis heute unsere Vorstellung vom Dritten Reich.
- Im Strahl der Sonne (Inside Nordkorea) – Rußland / Deutschland / Tschechien / Lettland / Nordkorea 2015, Regie: Witali Manski
Manski, geboren 1963 in Lemberg, wollte mit dieser filmischen Expedition nach Nordkorea Erkenntnisse über die totalitäre Vergangenheit seiner eigenen ehemaligen Heimat Sowjetunion gewinnen. Nach den Dreharbeiten hatte er den Eindruck, es mit einem weitaus unmenschlicheren System zu tun zu haben, in dem der einzelne nicht einmal mehr ein Privatleben hat, sondern voll und ganz dem Staat gehört. Manski bekam zwar die Genehmigung, einen Film über das Alltagsleben eines achtjährigen Mädchens in Pjöngjang zu drehen, jedoch nur unter der Bedingung, sich an ein von den staatlichen Autoritäten vorgeschriebenes Drehbuch zu halten.
Während der Dreharbeiten sorgten Aufpasser dafür, daß der Regisseur nicht vom Skript abwich, und übernahmen an seiner Stelle die Inszenierung Sin Mis und ihrer Eltern. Jeden Abend mußte Manskis kleines Team, zu dem auch eine Tonassistentin gehörte, die undeklarierterweise des Koreanischen mächtig war, die Speicherkarte zur Kontrolle abgeben. Es gelang ihm und seiner Kamerafrau jedoch, etliche Aufnahmen zu verstecken und aus dem Land zu schmuggeln.
Der fertige Film ist eine Art »Making of« eines Propagandafilms, wie ihn sich der nordkoreanische Staat vorstellt. Immer wieder werden die Aufpasser hinter den Kulissen sichtbar, wie sie in die Szenerie eingreifen: Die zu filmende Familie wird angewiesen, worüber sie bei einem ostentativ reichgedeckten Tisch wortwörtlich zu sprechen hat, Fabrikarbeiterinnen müssen in mehreren Takes ihre »Freude« über den Sozialismus zur Schau stellen, ein mit Medaillen zugepflasterter, perfekt dressierter Veteran des amerikanisch-koreanischen Krieges wird von einem Mann hinter einem Vorhang angewiesen, die märchenhafte Schilderung seiner Heldentaten nicht noch einmal zum besten zu geben, sondern statt dessen den Schulkindern zu gratulieren, daß sie in den staatlichen Jugendverband aufgenommen wurden. Sin Mis Vater wird für die Dauer der Dreharbeiten als Ingenieur einer Vorzeigetextilfabrik ausgegeben, wo er auswendig gelernte, hölzerne Dialoge führen muß.
»Ich wollte einen Film über das echte Leben in Nordkorea drehen«, sagte Manski in einem Interview. »Aber es gibt dort kein echtes Leben, wie wir es kennen. Es gibt lediglich eine bestimmte Vorstellung vom ›richtigen‹ Leben. Unser Film zeigt in Wirklichkeit eine große Täuschung.« Das Bild, das er zeichnet, wirkt aber auch wie die ethnographische Studie einer abgeschotteten Welt.
Die Kontrollmittel des Staates und sein religionsartiges Sinnstiftungssystem wirken merkwürdig altmodisch, ja geradezu naiv: Öffentliche Lautsprecher, die die »Genossen« zu kollektiven Turnübungen auffordern, allgegenwärtige Porträts von fröhlich grinsenden Führern, denen ein bizarr hyperbolischer Personenkult gewidmet ist, der militärische Drill, die Spruchbänder und kitschigen, gemalten Riesenplakate und so weiter – all dies macht beinahe den Eindruck einer surrealen Parodie einer totalitären Gesellschaft im »klassischen« Sinne. Die kaum minder krassen Absurditäten, die wir hierzulande in der »Corona«-Zeit erlebt haben, relativieren diesen Eindruck allerdings erheblich.
- The Century of the Self – Großbritannien 2002, Regie: Adam Curtis
Adam Curtis’ Filme sind meditative, mäandernde Umkreisungen von Themenkomplexen der jüngeren Weltgeschichte, dargeboten anhand von eigenwillig montiertem Archivmaterial aus den Beständen der BBC, das der Regisseur selbst aus dem Off kommentiert. Einige dieser Filme haben eine Laufzeit von sieben bis acht Stunden, aufgeteilt in mehrere Episoden. Die Probleme der Massenmanipulation, der fixen ideologischen Ideen und der Virtualisierung, Technologisierung und Überwachung des sozialen Lebens sind in fast allen Filmen von Curtis präsent.
Seine Bilderströme aus einer kritisch interpretierten Vergangenheit münden regelmäßig in eine lähmende, techno-bürokratische Massenkonsumgegenwart, in der verschiedene Regime auf der ganzen Welt bemüht sind, ihre geistige Stagnation und Perspektivlosigkeit im Hinblick auf die Zukunft zu verschleiern und als trüben Dauerzustand einzurichten.
Curtis übernahm von einem sowjetischen Dissidenten den Begriff der »Hypernormalisierung«: Obwohl jedermann, wie einst in der Sowjetunion, das Gefühl hat, daß die Dinge »seltsam und irreal« geworden sind, obwohl jeder weiß, daß die herrschenden Eliten korrupt und inkompetent sind, akzeptiert man aus Mangel an Alternativen ihr Fake-System, spielt das Theater weiter mit. Dabei habe gerade der Individualismus dazu geführt, daß die Menschen, zurückgeworfen auf ihre subjektiven Gefühle, unsicherer als je zuvor seien, und somit anfälliger gegenüber Ideen, die ihnen von außen in die Köpfe gepflanzt werden. Angesichts einer chaotischen Welt, in der auch die Mächtigen keine wirkliche Kontrolle zu haben scheinen, breitet sich ein Gefühl tiefer Ohnmacht aus.
Wenn seine Analysen am Ende stets ein wenig unbefriedigend ausfallen, dann hat das wohl damit zu tun, daß Curtis ein zwar unorthodoxer, aber eben doch zumindest teilweise betriebsblinder Linker ist, dessen Brötchengeber Teil der Matrix ist, nämlich eine inzwischen mehr oder weniger woke öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Er zeigte sich irritiert von der Tatsache, daß heute die einzigen Impulse, die Erstarrung der Dinge aufzulösen, von »rechts« kommen, allerdings in Form einer, wie er es in einem Interview mit Russell Brand nannte, »merkwürdigen Mischung aus Nationalismus und Rassismus«.
Auch über die »Hypernormalisierung« des Absurden im Zuge der Corona-Maßnahmen hatte er nichts zu sagen, obwohl einige seiner Lieblingsthesen gerade hier reichlich Anschauungsmaterial gefunden hätten. Dennoch kommt man an Curtis’ Werk nicht vorbei, wenn man nach filmischen Erkundungen der Organisation der Macht in der modernen Welt sucht.
Besonders aufschlußreich ist seine fesselnde, vierteilige Serie The Century of the Self aus dem Jahr 2002, die davon handelt, »wie die Mächtigen Freuds Theorien dazu verwendet haben, die gefährliche Volksmenge im Zeitalter der Massendemokratie zu testen und zu kontrollieren.« Es geht hier um Theorie und Praxis der Erzeugung von Massenkonsens und das dahinterliegende Menschenbild, wobei Curtis besonderes Augenmerk auf die Aktivitäten von Edward Bernays legt, jenem PR-Meisterdenker und Neffen Freuds, der Erkenntnisse der Psychoanalyse für Konzerne und Regierungen fruchtbar zu machen suchte.
- Overgames – Deutschland 2015, Regie: Lutz Dammbeck
Der Film beginnt mit einer Behauptung Joachim Fuchsbergers, die aus den USA importierten Spielshow-Konzepte, die in den frühen 1960er Jahren im westdeutschen Fernsehen zu sehen waren, stammten ursprünglich aus der amerikanischen Psychiatrie, wo sie zu Therapiezwecken eingesetzt worden seien. Das damalige Publikum vor den Bildschirmen sei eine »psychisch gestörte Nation« gewesen. Davon ausgehend versucht Lutz Dammbeck einen Bezug zum »Re-education«-Programm der Nachkriegszeit herzustellen, das die besiegten, nationalsozialistisch infizierten Deutschen zu braven Demokraten im amerikanischen Sinne erziehen und therapieren wollte.
Das Ganze packt Dammbeck in einen breiten ideengeschichtlichen Rahmen, der seinem Film eine beinahe sieferleske Dimension verleiht: Die Umerziehung der Deutschen sei demnach eine Station der »permanenten Revolution« gewesen, eines Projekts, das der französisch-englischen Aufklärung entstamme und danach trachte, einen »neuen«, aus althergebrachten Bindungen »befreiten«, rationalen, demokratischen Menschen mitsamt einer entsprechenden Gesellschaft zu schaffen.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts seien die Vereinigten Staaten Fackelträger dieser Bewegung geworden: »Der Wohlfahrtsausschuß der Revolution sitzt nun in Hollywood, in Werbeagenturen, in Banken und im Weißen Haus«. Die verlorene Ur-Einheit der in Völker, Rassen und Nationen zersplitterten Menschheit soll durch »Massenmedien und Handel« wiederhergestellt, der Planet in einen »melting pot« voller Wohlstand und Glück für alle verwandelt werden, mit dem Endziel einer einheitlichen Menschheit, eines einheitlichen Weltmarktes, einer einheitlichen Weltregierung, kurz einer »neuen Weltordnung«.
Auf der Suche nach den ideologischen Zutaten des Umerziehungsplans wird Dammbeck in der anthropologischen Schule von Franz Boas und in der tiefenpsychologischen Schule Freuds fündig. Deren Adepten waren mitverantwortlich für ein Programm, das »Rassismus« und »Vorurteile« mit wissenschaftlichen Methoden für immer aus der Welt schaffen wollte und das vor allem die Deutschen als »Gruppe mit abweichendem Verhalten« markierte, die sich dem »Fluß der permanenten Revolution« widersetzt hatte. Die Umerzieher betrachteten Deutschland als Paranoia-Patienten, dessen krankhafter Nationalstolz und Überlegenheitswahn »geheilt« werden müssen. Dabei schienen die Leichenberge des Nationalsozialismus ihre Diagnose zu bestätigen. Nach dem Krieg stellten sie jedoch fest, daß nicht nur die Deutschen von reaktionären Pathologien betroffen waren.
Dammbeck faßt es so zusammen: »Der Westen Deutschlands wird nach 1945 das Großlabor, wo öffentlich und für alle Welt sichtbar die Fähigkeiten und Techniken zur Um- und Neuformung dieser Welt geprobt und vorgeführt werden. Einer Welt als kybernetischem System, einem mit Sozialstrukturen zusammenhängenden Rechenkomplex, wo Markt und Demokratie, Aufklärung und rationales Denken im Universalismus der permanenten Revolution ineinander aufgehen und sich die Werte und Verfahren ausformen, die künftig für alle gelten.«
Thematisch an Das Netz (2003) anschließend, ist Overgames Dammbecks bis dato komplexestes und mit zweieinhalb Stunden längstes Werk. Mit kontemplativer Geduld und Sachlichkeit sichtet und ordnet er sein Recherchematerial, das erheblichen geistigen Sprengstoff in sich birgt. Obwohl Dammbeck selbst im Film keine Stellung bezieht, so ist doch seine Skepsis gegenüber der »schönen neuen Welt« der Massenkybernetik und Menschheitserziehung deutlich spürbar. Am Schluß stellt er schließlich die entscheidende Frage, was denn nun die »wirkliche Welt jenseits der theoretischen Konstrukte, Postulate und Simulationen« war und ist.
- Fahrenheit 9/11 – USA 2004, Regie: Michael Moore; Fahrenhype 9/11 – USA 2004, Regie: Alan Peterson; Manufacturing Dissent – Kanada 2007, Regie: Rich Caine, Debbie Melnyk
Michael Moores Erfolgsrezept war eine Mischung aus linkspopulistischer Agitation, satirischem »Infotainment« und geschickter Selbstinszenierung. Den Höhepunkt seiner Popularität erreichte er in den frühen 2000er Jahren als Gallionsfigur der amerikanischen Anti-Bush- und Antikriegsbewegung. Fahrenheit 9/11 (2004) ist ein sarkastisches Pamphlet im Gewand eines Dokumentarfilms, mit dem Moore die erneute Wahl von George W. Bush zum Präsidenten der USA verhindern wollte.
Der auf Ray Bradbury anspielende Titel verweist auf die Einschränkung von Bürgerrechten durch Notstandsmaßnahmen im Zuge von »9/11«. Der Film attackiert die herrschende Regierungspropaganda, die den »Krieg gegen den Terror« verkündete und somit die Invasion Afghanistans und des Iraks rechtfertigte. Das Ergebnis ist ein mitreißendes Stück Agitprop, dessen Kernthese, daß das Volk der USA von Politik und Medien in einen unnötigen, fatalen Krieg hineingelogen wurde, zweifellos zutrifft.
Die Mittel, derer sich Moore bediente, um seiner Botschaft Aufmerksamkeit zu verschaffen, waren allerdings, wie in seinen früheren Filmen auch, äußerst fragwürdig: Fahrenheit 9/11 ist voll mit Falschinformationen, Übertreibungen, schwach untermauerten Spekulationen und anderen groben bis dreisten Manipulationen des Zuschauers. Der Anwalt Dave Kopel, ein libertärer Demokrat, zählte sechsundfünfzig Irreführungen in Moores Film, der in Anspruch nahm, sich strikt an den Fakten zu orientieren.
Kopels Recherchen bildeten die Basis für den Gegenfilm Fahrenhype 9/11, der Bushs Propaganda gegen Moores Propaganda in Schutz nimmt. Er begnügt sich nämlich nicht damit, den beleibten Kreuzzügler mit der Baseballmütze faktisch zu widerlegen, sondern liefert zusätzlich dick aufgetragene neokonservative Pro-Kriegs-Rhetorik, serviert unter anderem von Ann Coulter, Ron Silver, Ed Koch und dem »Islamkritiker« Frank Gaffney.
Kritik von links folgte drei Jahre später mit dem kanadischen Film Manufacturing Dissent (dt. Titel: Der Unruhestifter – Die seltsamen Methoden des Michael Moore) von Rich Caine und Debbie Melnyk, der die »Kultfigur« Moore vom hohen Sockel zu holen trachtete. Es entsteht das Bild eines heuchlerischen Egozentrikers, der es mit der Wahrheit nicht sehr genau nimmt und zu feige ist, sich selbst kritischen Fragen zu stellen. Wie der CEO von General Motors in seinem Debütfilm Roger & Me (1989) weicht Moore hartnäckig den unbequemen Interviewanfragen der Filmemacher aus und versucht, hinterrücks ihre Arbeit zu boykottieren.
- Loose Change – USA 2005–2009, Regie: Dylan Avery
Fahrenheit 9/11 demonstrierte, daß es nicht unbedingt notwendig war, das »offizielle Narrativ« der Anschläge anzuzweifeln, um ihre politische »Instrumentalisierung« zu kritisieren. Wer im Rahmen des »seriösen« Diskurses verbleiben wollte, war gut beraten, sich vor dem Gedanken zu hüten, es könnte sich hier in Wahrheit um ein gigantisches »False Flag«-Manöver gehandelt haben.
Die Fragen, für die sich Moore oder Noam Chomsky zu fein waren, wurden schließlich von Amateurfilmern aufgeworfen, die von den damals neuartigen digitalen Technologien profitierten: Ab Mitte der 2000er Jahre konnten Filme schnell und billig gedreht, auf DVDs gebrannt und weltweit im Netz verbreitet werden.
Dieser »Demokratisierungsschub« ermöglichte es nun jedermann, die veröffentlichten Bilder und Narrative in Frage zu stellen, allerdings auch, selbst Falschinformationen und Verzerrungen, seit 2016 »Fake News« genannt, in Umlauf zu bringen. Auf diese Weise entstanden etliche Filme, die auch jenseits des Mainstreams erheblichen Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung hatten.
Eines der bekanntesten Beispiele ist Loose Change von Dylan Avery, der ein Millionenpublikum fand und von Regisseuren wie David Lynch und Kevin Smith (u. a. Clerks) rezipiert und gelobt wurde. Er wurde zwischen 2005 und 2009 mehrfach überarbeitet: Neues Material wurde hinzugefügt, unhaltbare Thesen wurden fallengelassen, Vermutungen über Motive und Drahtzieher angestellt, Optik und Schnitt professionell verbessert.
Die Loose Change-Serie wirft die Frage auf, ob wir auch wirklich gesehen haben, was wir glauben, gesehen zu haben – und warum man es uns gezeigt hat. Ihre »forensische« Diagnose lautet: 1. Die Zwillingstürme sowie das WTC 7 sind durch kontrollierte Sprengungen eingestürzt, nicht durch Brände infolge eingeschlagener Flugzeuge. 2. Es gibt keinerlei Beweise, daß ein Flugzeug das Pentagon getroffen hat; die veröffentlichten Bilder lassen eher Rückschlüsse auf einen Raketeneinschlag zu.
Auf dieser Basis ist seither ein wahrer Dschungel an Theorien und Gegentheorien, offenen Fragen und ungelösten Rätseln gewuchert, der vermutlich niemals ganz gelichtet werden kann. Wie auch immer man dazu stehen mag: Mit »9/11« beginnt eine massive öffentliche Erosion des Vertrauens in Politik und Medien, ja in den Wahrheitsgehalt der medial präsentierten »Wirklichkeit« überhaupt. Weitere einflußreiche Filme ähnlicher Machart waren In Plane Site (William Lewis, 2004), Painful Deceptions (Eric Hufschmid, 2005), 9/11 Missing Links (Mike Delaney, 2008), The Great American Psy-Opera (Alexander »Ace« Baker, 2012) und Zeitgeist (Peter Joseph, 2007), der allerdings einen stark »esoterischen« Einschlag hat.