Der »Fall Hohmann«

-- von Florian Sander

PDF der Druckfassung aus Sezession 116/ Oktober 2023

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Hört man sich unter soge­nann­ten 2015ern und all­ge­mein unter den­je­ni­gen um, die aus Ent­täu­schung über Mer­kel ihren Weg in rech­te Sphä­ren gefun­den haben, so steht dabei immer wie­der, mal direkt, mal impli­zit, die Behaup­tung im Raum, daß es die Kanz­ler­schaft Ange­la Mer­kels gewe­sen sei, die die CDU in den links­li­be­ra­len Abgrund geris­sen habe – ins­be­son­de­re mit der Grenz­öff­nung 2015 und dem, was folgte.

Wer wei­ter zurück­greift, sieht Mer­kels Bilanz auch schon mit der soge­nann­ten Euro­ret­tung ab etwa 2010 ins Nega­ti­ve kip­pen. Aber dies macht die grund­le­gen­de Fehl­ein­schät­zung nicht besser.

Im Okto­ber ist es näm­lich schon zwan­zig Jah­re her, daß Mer­kel im Rah­men einer poli­ti­schen »Affä­re« um den CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mar­tin Hoh­mann gegen ihn und für den Aus­bau der Macht der denun­zia­to­ri­schen Zivil­ge­sell­schaft Par­tei ergriff. Bereits die­se Affä­re mach­te deut­lich, daß die CDU auch zuvor kei­nes­wegs eine Par­tei gewe­sen war, in der kon­ser­va­ti­ve Posi­tio­nen mehr­heits­fä­hig waren oder auch nur tole­riert wur­den. Im Zuge der sich dar­aus erge­ben­den Ereig­nis­se wur­de die­se Aus­rich­tung sogar noch deutlicher.

Wovon ist die Rede? Der dama­li­ge CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Mar­tin Hoh­mann (von 2017 bis 2021 dann für die AfD an glei­cher Stel­le) hat­te am 3. Okto­ber 2003 in sei­nem Wahl­kreis einen Vor­trag gehal­ten, um auf die Lage der Nati­on am 13. Jah­res­tag der Wie­der­ver­ei­ni­gung hin­zu­wei­sen. Die­ser Vor­trag fand zunächst wenig Beach­tung. Noch konn­te man nicht ein­fach so mit einem Smart­phone mit­fil­men, noch blieb, was gespro­chen wur­de, im begrenz­ten Raum.

Skan­da­li­sie­run­gen lie­fen lang­sa­mer an und erreich­ten oft wegen man­geln­der Mit­schnit­te oder Sequen­zen kei­ne nen­nens­wer­te Reich­wei­te, zumal dann nicht, wenn aus vie­len Reden, die auf vie­len Fei­er­stun­den vie­ler CDU-Kreis­ver­bän­de gehal­ten wur­den, die eine her­aus­ge­fil­tert wer­den soll­te, an der man eine Exem­pel wür­de sta­tu­ie­ren können.

Im Fal­le Hoh­manns war es erst die Ver­öf­fent­li­chung einer Abschrift des Vor­trags, die auf CDU-Netz­sei­ten zu kur­sie­ren begann und für den Skan­dal sorg­te. In sei­ner Rede hat­te Hoh­mann die Argu­men­ta­ti­on ver­tre­ten, daß man, fol­ge man der Eti­ket­tie­rung der Deut­schen als »Täter­volk«, nach der glei­chen Logik dann auch das jüdi­sche Volk als Täter­volk bezeich­nen kön­ne, da sowohl in der Füh­rungs­ebe­ne als auch bei den Erschie­ßungs­kom­man­dos der Bol­sche­wis­ten Juden über­pro­por­tio­nal stark ver­tre­ten gewe­sen seien.

Hoh­mann berief sich zur Abstüt­zung sei­ner The­se auf das Buch »Jüdi­scher Bol­sche­wis­mus«. Mythos und Rea­li­tät des frü­he­ren Bie­le­fel­der Uni-Biblio­theks­di­rek­tors Johan­nes Rogal­la von Bie­ber­stein und schloß sei­ne Über­le­gun­gen mit dem Fazit, daß man letzt­lich weder die Juden noch die Deut­schen als Täter­volk bezeich­nen könne.

Das Buch, auf das Hoh­mann sich bezog, war im Herbst 2002 im noch jun­gen Ver­lag Antai­os erschie­nen und wur­de zunächst wis­sen­schaft­lich auf­ge­nom­men und bespro­chen. Denn immer­hin hat­te der His­to­ri­ker Ernst Nol­te ein zustim­men­des Vor­wort ver­faßt und bereits mit den ers­ten Sät­zen die Rezep­ti­ons­ge­fahr pro­gnos­ti­ziert: »Eine Unter­su­chung über den Mythos vom ›jüdi­schen Bol­sche­wis­mus‹ wür­de wohl auch in Deutsch­land als legi­ti­me wis­sen­schaft­li­che Fra­ge­stel­lung aner­kannt wer­den, sofern der Ver­fas­ser von Anfang an deut­lich mach­te, daß er unter ›Mythos‹ soviel wie ›Wahn­vor­stel­lung, Erfin­dung‹ oder ›Lüge‹ versteht.

Ganz anders sehen die Din­ge aus, wenn als Mythos der begeis­tern­de oder auch fana­ti­sie­ren­de Impuls ver­stan­den wird, der eine tat­säch­lich vor­han­de­ne Wirk­lich­keit zuspit­zend und ver­zer­rend über­formt, so daß eine neue, eine ideo­lo­gi­sche Rea­li­tät entsteht.«

Infol­ge der Skan­da­li­sie­rung über­bo­ten sich in den Wochen danach die Medi­en mit der Behaup­tung, Hoh­mann habe die Juden als »Täter­volk« bezeich­net. Die Tat­sa­che, daß er eben das gera­de nicht getan, son­dern am Ende sei­ner Rede dezi­diert aus­ge­drückt hat­te, man dür­fe weder die Juden noch die Deut­schen pau­schal so kri­mi­na­li­sie­ren, wur­de ent­we­der unter­schla­gen oder als unstatt­haf­ter Ver­gleich bezeich­net. Das Bild vom ver­meint­li­chen »Anti­se­mi­ten« ­Hoh­mann war in der Welt, und das Vor­wort Nol­tes, in dem die Refle­xe bereits skiz­ziert waren, hat­te dar­an nichts ändern können.

Die Denun­zie­rung Hoh­manns war nicht mehr auf­zu­hal­ten und ähnel­te in ihrer Dyna­mik der Kam­pa­gne gegen den FDP-Poli­ti­ker Jür­gen Möl­le­mann ein Jahr zuvor: Er hat­te Kri­tik an Isra­els Poli­tik in den besetz­ten Paläs­ti­nen­ser­ge­bie­ten geübt und sich auch spä­ter nicht von sei­nem har­ten ver­ba­len Gefecht distan­ziert, das er gegen den deutsch-jüdi­schen Jour­na­lis­ten Michel Fried­man geführt hat­te. Man warf ­Möl­le­mann damals vor, anti­se­mi­ti­sche und anti­jü­di­sche Argu­men­te zurück in die Debat­te geholt zu haben, und sah in Hoh­manns Rede eine Fol­ge die­ser erneut geöff­ne­ten Argumentationsräume.

Hoh­mann selbst kämpf­te gegen die Ver­leum­dung unter ande­rem auf juris­ti­scher Ebe­ne an. Einst­wei­li­ge Ver­fü­gun­gen konn­ten die Wei­ter­ver­brei­tung der Fehl­in­for­ma­ti­on, er habe sich anti­se­mi­tisch geäu­ßert, schließ­lich stop­pen: Der Stern, der WDR, die Frank­fur­ter Rund­schau, Spie­gel-­online, Bild, t‑online, ber­li­non­line und die Schwe­ri­ner Volks­zei­tung muß­ten sich ver­pflich­ten, die Behaup­tung zu unter­las­sen, er habe die Juden als Täter­volk bezeich­net. Doch jeder, der sich ein wenig mit media­len Dyna­mi­ken in der­lei Fäl­len aus­kennt, weiß: Gegen­dar­stel­lun­gen sind nichts gegen das, was die Skan­dal­mel­dung war.

Außer­dem mach­ten die Geg­ner Hoh­manns sub­ti­ler wei­ter. Wolf­gang Benz, dama­li­ger Lei­ter des Zen­trums für Anti­se­mi­tis­mus­for­schung und stets einer der ers­ten, die sich in der­lei Fäl­len mit ent­spre­chen­den Anwür­fen zu Wort mel­den, ver­stieg sich zu der For­mu­lie­rung, das sei »Goeb­bels pur«. Auch begrei­fe Hoh­mann die Juden als Volk anstatt als Reli­gi­ons­ge­mein­schaft, was selbst bereits nazis­tisch sei. Die Tat­sa­che, daß die For­mu­lie­rung vom »jüdi­schen Volk« unter Juden selbst gang und gäbe ist, fiel dabei eben­so hin­ten­über wie Hoh­manns Fazit – auch wenn bei­de Tat­sa­chen einem Mann wie Benz mit hun­dert­pro­zen­ti­ger Sicher­heit bekannt waren.

Die CDU – damals schon unter dem Vor­sitz Mer­kels, aber noch nicht Regie­rungs­par­tei – reagier­te so, wie man es auch heu­te von ihr kennt: die Rich­tung des media­len Stroms abwar­tend, dann mit­schwim­mend. Poli­ti­ker wie ­Hei­ner Geiß­ler und Jür­gen Rütt­gers über­bo­ten sich mit For­de­run­gen nach einem Aus­schluß Hoh­manns aus der Frak­ti­on und der Par­tei. Bei­des erfolg­te eini­ge Zeit spä­ter. In der Uni­on fan­den sich nur weni­ge Stim­men, die zu sei­ner Ver­tei­di­gung bereit waren – zu die­sen weni­gen zähl­ten Kon­ser­va­ti­ve wie der CSU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Nor­bert Geis, der frü­he­re Ber­li­ner CDU-Innen­se­na­tor Hein­rich Lum­mer und die dama­li­ge CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Vera Lengsfeld.

Weni­ge Wochen spä­ter schloß sich dem Vor­gang eine wei­te­re »Affä­re« an: Kein Gerin­ge­rer als der Kom­man­deur des Kom­man­dos Spe­zi­al­kräf­te (KSK), Bri­ga­de­ge­ne­ral Rein­hard Gün­zel, hat­te Hoh­mann in einem Brief Bei­fall gezollt, was nach Bekannt­wer­den den dama­li­gen SPD-Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Peter Struck dazu ver­an­laß­te, Gün­zel kurz dar­auf in den vor­zei­ti­gen Ruhe­stand zu ver­set­zen, mit Ver­weis auf einen angeb­li­chen Ver­stoß gegen das Neu­tra­li­täts­ge­bot. Gün­zel wie­der­um ver­öf­fent­lich­te einen Gesprächs­band über die­se plötz­li­che Poli­ti­sie­rung sei­ner Per­son. Er erschien eben­falls im Ver­lag Antai­os und wur­de zum Aus­gangs­punkt für eine Vor­trags­rei­se Gün­zels und eine Samm­lung von Unter­stüt­zern und Lesern, die wie­der­um den Kern der spä­te­ren, aus­grei­fen­den Pro­jek­te aus Schnell­ro­da bildeten.

Der gan­ze »Skan­dal« ist ein (aus heu­ti­ger Sicht) frü­hes Lehr­stück dar­über, daß der Blick auf ver­meint­lich »gute alte Zei­ten« der Bun­des­re­pu­blik min­des­tens trü­ge­risch ist. Das Sys­tem konn­te bereits frü­her so restrik­tiv wer­den, wie es das heu­te ist – mal auf dem direk­ten, staat­lich-repres­si­ven Wege, mal über sozia­len und beruf­li­chen Druck durch media­le und »zivil­ge­sell­schaft­li­che« Akteu­re. Auch in den angeb­lich so frei­en und »guten alten« 1980er Jah­ren stell­te sich die Situa­ti­on nicht maß­geb­lich anders dar: Im berühmt-berüch­tig­ten His­to­ri­ker­streit hat­te der BRD-Haus-und-Hof-Phi­lo­soph Jür­gen Haber­mas bereits damals sei­nen Kon­tra­hen­ten Ernst Nol­te inner­halb der intel­lek­tu­el­len und uni­ver­si­tä­ren Sze­ne der Bun­des­re­pu­blik fak­tisch zur Per­so­na non gra­ta gemacht.

Die CDU als Sys­tem­par­tei der West­bin­dung erweist sich also schon seit Jahr­zehn­ten nicht als Rück­zugs­raum für Poli­ti­ker und ande­re Per­so­nen, die von media­len, geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen und poli­ti­schen Geg­nern atta­ckiert wer­den. Nie hat sie sol­chen Hetz­stim­mun­gen etwas Sub­stan­ti­el­les entgegengesetzt.

Im Gegen­teil: Die Kohl-CDU schwamm im libe­ra­len Strom von West­bin­dung und BRD-Geschichts­schrei­bung, so wie es spä­ter die Mer­kel-CDU tat und so wie es heu­te die CDU des Brand­mau­er-Apo­lo­ge­ten und Ex-Black­Rock-Mana­gers Fried­rich Merz und des VS-Chefs Tho­mas Hal­den­wang tut. An die­ser struk­tu­rel­len Kon­ti­nui­tät ändern auch ein­zel­ne CDU-Rebel­len mit Rück­grat nichts.

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