Den Verfassern der drei neuen kaplaken-Bändchen gelingt es, wie vielen ihrer Vorläufer, ebenso über zentrale Gebiete aktueller Debatten Aufschluß zu geben, wie wider den Stachel des Zeitgeistes zu löcken.
Mit Dimitrios Kisoudis, Frank Lisson und Claus Wolfschlag behandeln bewährte Autoren unterschiedliche Problembereiche, über die zuletzt ausgiebig diskutiert wurde.
Kisoudis, Mitarbeiter im Büro des AfD-Vorsitzenden Chrupalla, erörtert das facettenreiche Thema Mitteleuropa und Multipolarität. Die andere Akzentsetzung im Vergleich zu vielen Traktaten, die in den letzten Jahren zur gegenwärtigen wie zur Gestaltung einer künftigen Weltordnung erschienen sind, ist offensichtlich. So hat der ehemalige FAZ-Redakteur Christian Hiller von Gaertringen unlängst eine Studie über die »Neuordnung der Welt« vorgelegt.
In dieser Publikation wird besonders der steigende Einfluß von Schwellenländern wie der Türkei und einigen afrikanischen Staaten in den Kontext der aktuellen Neusortierung der Welt eingeordnet. Europa und insbesondere Deutschland spielen in den Überlegungen des Journalisten eher eine marginale Rolle.
Mit einer echten multipolaren Ordnung, unabhängig vom Ausgang des Krieges in der Ukraine, ist nur zu rechnen, wenn verschiedene Großräume entstehen, deren dominante Völker nicht nur das »Interventionsverbot für raumfremde Mächte« (Carl Schmitt) durchsetzen können, sondern ebenso ökonomisch autark sind.
Kisoudis nimmt nicht die amorph-technokratische wie oft handlungsunfähige Europäische Union in den Blick; vielmehr versucht er, einer alten Idee neue Konturen zu geben: der Vorstellung von Mitteleuropa. Sie bedarf schon deshalb ausführlicherer Überlegungen, weil man sie auf keiner Landkarte findet. Dennoch ist sie gerade für die aktuellen Kontroversen wesentlich, weil es ohne Deutschland keine Multipolaritätsdebatten der Vergangenheit gegeben hätte.
Die Brücke zwischen den westlichen Ländern (USA und Großbritannien) und dem Osten, die nicht nur Bismarck vorzüglich gebaut hat und gegangen ist, ist ein bleibender Faktor im Geschichtsgedächtnis nicht nur der deutschen Nation. Diese Erinnerung war gerade in den letzten Jahren so wichtig wie selten zuvor.
Das Gebilde Mitteleuropa ist auf Gedeih und Verderb dem Verlauf der deutschen Geschichte ausgesetzt. Insofern kommt der Autor nicht um eine ausführliche Betrachtung der historischen Genese herum. Die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches, sein Untergang, aber auch die Entstehung und der Verlauf des »unruhigen Reiches« von 1870 / 71 haben Deutschland, Mitteleuropa wie Europa insbesondere als eng verbunden herausgestellt. Diese Zusammenhänge sind besonders dann zu betrachten, wenn die omnipräsent-aggressive Agitation des Wertewestens (LGBTQ-Propaganda, rassistische Antirassismus-Kampagnen, »StandWithUkraine«-Fahnen und so fort) wie in den letzten Jahren immer mehr Übergewicht gewinnt.
Kisoudis rekapituliert verschiedene Vorstellungen von Mitteleuropa. Dabei spielen die Autoren Friedrich Naumann, Karl Haushofer und Giselher Wirsing eine wichtige Rolle. Um 1990 kam es, wenn auch kurzzeitig, zu neuen Debatten über diesen Raum. Zuletzt sorgte das Intermarium-Projekt in Osteuropa, das ältere Wurzeln besitzt, für Aufsehen. Kisoudis’ engagierter Einwurf, der mit Blick auf die unmittelbare Gegenwart gerade Deutschlands geschrieben ist, schließt mit den Worten: »Erobert eure Geschichte zurück!« Man darf hoffen, daß dieser Wunsch in Erfüllung geht.
Andere Räume als Kisoudis hat hingegen der Kunsthistoriker Claus Wolfschlag im Blick. Erst kürzlich hat er mit seiner Schrift »Und altes Leben blüht aus den Ruinen«. Rekonstruktion in Architektur und Kunst seit 1990 (Graz 2022) einen wichtigen Beitrag zur Architekturdebatte der unmittelbaren Gegenwart geleistet. Das alte Thema der »Unwirtlichkeit unserer Städte« (Alexander Mitscherlich) ist heute vielleicht dringlicher denn je. Wolfschlags Engagement läßt auch eine praktische Seite erkennen. Als Fraktionsmitarbeiter der kommunalpolitischen Gruppierung »Bürger für Frankfurt« machte er sich für eine historische Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt stark.
Dieses Konzept setzte sich schließlich durch, sehr zum Leidwesen linker Architekturbrigaden, zu denen an vorderster Front der Hochschullehrer Stephan Trüby zählt. Dessen Diffamierungsfeldzeug (mit Hilfe der bewährten Rechtsextremismus-Keule) verfing aber nicht. Selbst die FAZ wies solchen Alarmismus zurück und vermerkte, daß der Rekonstruktionsgedanke weder links noch rechts zu verorten sei.
Wolfschlags jüngste Schrift (Linke Räume. Bau und Politik, Schnellroda 2023) greift die Kontroverse nochmals auf und stellt sie in größere Zusammenhänge. In Zeiten, in denen Denkmäler von historischen Säulenheiligen nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande geschleift werden, kann man nur sagen: zur rechten Zeit! Mit dem Dauerstreit um das Rekonstruktionsprojekt Berliner Schloß, der weit über Kuppelkreuz und Kuppelspruch hinausgeht, ist schon vor Jahren im wörtlichen Sinn die nächste Baustelle errichtet worden, über die sich linke Ikonoklasten ereifern.
Die wichtigste Frage im architekturtheoretischen Kontext lautet: Gibt es linke Architektur, gibt es (als Pendant dazu) rechte? Der Autor antwortet nachvollziehbar: Es existieren bestenfalls ungefähre Zuordnungen. Immerhin kann man sagen, linke Bauvorlieben liebäugelten mit Gleichheit, Gleichförmigkeit, etwa der Massenproduktion, und optierten für globalistische Austauschbarkeit der Orte und Produkte. Den historischen Kontext am besten präsentiert hat immer noch der früh verstorbene Architekturhistoriker Norbert Borrmann in seiner Abhandlung »Kulturbolschewismus« oder »Ewige Ordnung« (Graz 2009), die die Verbindung von Architektur und Ideologie im 20. Jahrhundert so kenntnisreich wie möglich analysiert. Mit Wolfschlag hat er nun einen jüngeren und fähigen Erben gefunden.
Am Ende gibt der Autor seiner Hoffnung Ausdruck, daß die »Maschinerie des Modernismus« früher oder später ins Straucheln gerate und zunehmende Übersättigung deren Konjunktur stoppen werde.
Wiederum andere Räume nimmt der Publizist Frank Lisson in seinen sezierenden Blick: Sein Essay Im Tal der scheuen Wölfe (Schnellroda 2023) führt durch Ebenen, auf Berge und in Täler. Es handelt sich um jene weiten Gegenden, die der Mensch durchwandern kann. Der an Nietzsche und Spengler geschulte Historiker kann an frühere Publikationen anknüpfen. An Schärfe läßt seine Kulturkritik auch diesmal nichts zu wünschen übrig. Es ist das Wissen um die relative Kürze des Lebens, das die meisten Menschen dazu animiert, das Dasein im Sinne von Mitnahmemöglichkeiten zu verstehen oder mißzuverstehen.
Da die entsprechenden Gelegenheiten für viele Menschen, zumindest der westlichen Welt, immer noch so gut wie selten zuvor sind, ergeben sich aus dieser verbreiteten Haltung ökologische Probleme. Lissons Schlüssel zur Hebung, wenigstens zur Milderung weithin bekannter Schwierigkeiten, ist die Forderung nach Verzicht und Askese – ein altes Postulat vor allem in ökologischen und bestimmten religiös motivierten Kreisen, das vor allem unter verhältnismäßigen Wohlstandsbedingungen einige Resonanz hervorruft.
Solche allgemeinen Hinweise auf die Raubtiernatur des Menschen sind noch einigermaßen konsensfähig. Dies läßt sich von seinen Anmerkungen über das aktuelle Stadium des Verfalls der Demokratie und über die Indoktrination der Kartellmedien nicht behaupten. Sie werden (wie bei diesem Autor gewohnt) mit Verve vorgetragen. Er ruft in Erinnerung, daß das demokratische System, nun als freiheitlich apostrophiert, in der westlichen Welt erst seit dem Ende der totalitären Erfahrung als konkurrenz- und alternativlos gilt.
Kein Geringerer als der Emigrant Bertolt Brecht hatte auf die Gefahren einer faschistischen Machtergreifung in den hochkapitalistisch (und damit für ihn undemokratisch) organisierten USA aufmerksam gemacht. Nicht zufällig hatte »Demokratie« bei herausragenden Politiktheoretikern von links bis rechts (von Theodor W. Adorno bis Carl Schmitt) keine gute Reputation.
Es übersteigt die Möglichkeiten des Rezensenten, auf alle Anspielungen des ausgezeichneten Essayisten hinzuweisen, über dessen existentielle Betroffenheit vom Stoff seiner Erörterungen kein Zweifel besteht. Er betont die Notwendigkeit für den einzelnen, sein Leben vor dem Dasein zu rechtfertigen. Besonders gilt dieser Auftrag für den Literaten. Er solle das schreiben, wozu nur er in der Lage sei. Als eines seiner Vorbilder in der Dichtung benennt Lisson Georg Büchners Lenz.
Der Ausblick des Autors über die zivilisatorischen Bedingungen der Gegenwart ist düster: Das große Sterben habe längst begonnen. Wahrscheinlich wird er demnächst eine Abhandlung mit dem Thema »Nach der Demokratie« verfassen. Lissons nicht unbeträchtliche Leserschaft wartet darauf.