Wer dies und anderes von ihm Verfaßtes kennt und schätzt, wird von den sechs Erzählungen, die nun unter dem Titel Die schöne Apothekerin vorliegen, enttäuscht sein. Wo ist der Biß? Der Sarkasmus? Das Hintergründige? Die Freude an einprägsam-kräftigen Wortschöpfungen, wie im letzten »Acta«-Band, wo er etwa schreibt, Rousseau sei ein »linker Charaktermülleimer par excellence« gewesen? Hier findet man davon allenfalls einen sanften Hauch.
Einleitend und entschuldigend verweist Klonovsky darauf, daß diese Geschichten »um das Jahr 2009« entstanden und dann »zwischenzeitlich buchstäblich vergessen« gewesen seien. Er will damit der Frage zuvorkommen, warum die Themen »gerade jetzt« aufs Tableau kämen. Aber die fehlende Aktualität ist nicht der Punkt. Beobachtungen und Anmerkungen (»aber was war in Zeiten totaler Formlosigkeit schon unpassend?«) sind oft banal. Pointen sind vorhersehbar, etwa die Antwort auf die Frage, warum die Auflage einer durchschnittlich blöden Frauenzeitschrift entgegen dem Trend laut Bilanz plötzlich einen immensen Sprung nach oben gemacht haben soll.
Mehr oder weniger explizit werden Frauenkörper beschrieben, mehr als weniger angealterte Herren interessieren sich für jüngere Frauen. Begehrlichkeiten werden ausgesprochen und abgewiesen, sei es mit einer Ohrfeige oder einer Geschichte, die die Vorfreuden in Ekel verwandelt. Von Vollzogenem ist allerdings auch die Rede, und zwar nicht zu knapp.
Anleihen wie der Titel »Faustina« und eine Rahmenhandlung als Wette zwischen Gott und Satan wirken ein wenig bemüht, origineller ist da schon die Begeisterung Gottes für das Werk von Charles Darwin. Bei der Geschichte »Unordnung und zu frühe Freud« wartet man darauf, Thomas Mann irgendwo im Hintergrund leise husten zu hören, sei es zufrieden oder bedrängt – vergeblich.
Zwei der Erzählungen unterscheiden sich im Tonfall deutlich von den anderen, hier lasten Ernst und Tragik. Zum einen ist es diejenige des älteren Mannes, der die Familienwerte gegen das Patchwork-Gejubel zweier Soziologinnen anhand der für ihn wenig erfreulichen Geschichten seiner Kinder verteidigt. Zum anderen die Erzählung des Verzweifelten, der Frau und Sohn verloren hat, mit dem Leben abschließt, aber dann – und hier sind wir nahe an amerikanischer Erbauungsliteratur – durch mehrere Begegnungen von seinem Vorhaben abgehalten wird, möglicherweise dauerhaft. Oder soll es sich hier um eine Karikatur handeln? Wohl eher nicht, auch wenn die Art der Begegnungen – bis hin zu einem Kind in Lebensgefahr – dick aufgetragen ist.
In einer anderen Erzählung verfolgt man das Gespräch einer gutsituierten Runde, die sich beim Abendessen erst schämt, weil sie einen der ihren, der mit noch nicht einmal fünfzig zum Pflegefall geworden ist, schnell vergessen hat, und sich dann, quasi als thematischen Fluchtpunkt, über Wünsche bezüglich des eigenen Sterbens austauscht. Einige dieser Wünsche gehen tatsächlich in Erfüllung, wenn auch nicht direkt.
Der Gewinn, den man aus der Lektüre ziehen kann: Im Zusammenhang mit dem deprimierten, in der Wissenschaft nicht wahrgenommenen Philosophen in dieser Geschichte verweist Klonovsky auf Philipp Mainländer. Dieser wird hier zwar nicht namentlich genannt, ist aber leicht zu ermitteln. Mainländers kurz vor seinem Suizid 1876 abgeschlossenes Werk Philosophie der Erlösung fristet ein zu Unrecht weitgehend unbeachtetes Dasein.
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Michael Klonovsky: Die schöne Apothekerin. Sechs Erzählungen, Lüdinghausen: Manuscriptum 2023. 194 S., 22 €
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