Der Leser sollte allerdings nicht auf den Etikettenschwindel »Roman« reinfallen. Eher handelt es sich um eine Anekdotensammlung über das wilde Leben des Rock ’n’ Rollers unter den deutschen Journalisten und darüber, wie die Karriere des Ex-Kulturchefs beim Spiegel ein jähes Ende fand.
Protagonist und Autor sind nicht voneinander zu unterscheiden, so wie fast alle Personen in diesem Buch unter ihrem Klarnamen vorgestellt werden und mit sich selbst identisch sind. Das vorgegeben Romanhafte dient als Feigenblatt, um die Freude des Autors an exhibitionistischer Selbstdarstellung zu kaschieren. Lediglich das dürre Handlungsgerüst ist fiktional: Rico Hausmann, 69 Jahre alt, hat sich vom Medienrummel zurückgezogen und lebt beschaulich in einem Dorf an der Ostsee.
Von dort berichtet er über die verheerenden Zustände des Landes, nun durch das alternative Sprachrohr »Kontrafunk«. Die Ruhe und die Abgeschiedenheit, die er gesucht hat, findet er jedoch nicht. Er wird aufgestöbert von »Putzer«, einem Antifa-Helden und Krawallmacher der G20-Proteste, der ihn als »Scheiß Fascho« identifiziert und den finsteren Plan gefaßt hat, ihn aus der Welt zu schaffen.
Am Karfreitag ist es soweit: Auf einem Friedhof lauert Putzer ihm auf, legt sein Scharfschützengewehr an und zielt. Das Schicksal indes zeigt sich gnädig mit Hausmann, er kommt mit einer Fleischwunde davon. Der an den Haaren herbeigezogene Plot folgt keiner erkennbaren Dramaturgie, ein Spannungsbogen wird nicht aufgebaut, von einer Entwicklung der Hauptfigur ganz zu schweigen. Statt dessen bekommen wir einen wütenden Rundumschlag präsentiert gegen alles, was in der rot-grünen Politik falsch läuft – alles richtig, und doch so erwartbar wie längst bekannt.
Eine säbelrasselnde Abrechnung mit dem Wahnsinn unserer Zeit, ohne Tiefenauslotung und ohne analytischen Mehrwert. Ob Corona‑, Migrations‑, Klima- oder Ukraine-Krise, ob Gender- oder die transhumanistische Agenda: alles wird schlagwortartig angetippt und phrasenhaft abgehandelt. So rutscht unter der Sturzflut von Schimpftiraden das wahre Ausmaß der aktuellen Bedrohungslage aus dem Blickfeld.
Epizentrum der Erregung ist die Party, die Matussek anläßlich seines 65. Geburtstages steigen ließ. Eingeladen waren neben prominenten Kollegen auch Akteure der Neuen Rechten. Ja: sogar ein »junger Identitärer« fand sich auf der Gästeliste. Die Medien bekamen Wind davon, der Skandal war da, die Empörungselite hyperventilierte. Freunde wandten sich von »Hausmann« ab, sein ohnehin angeknackster Ruf war endgültig dahin. Die erlittene Kränkung, nicht mehr »Star-Journalist«, ein Platzhirsch unter den ganz Großen (»Zwölfender«) zu sein, hat der Ich-Erzähler trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht verwunden.
Ebensowenig den Verlust der damit verbundenen Annehmlichkeiten. In welchem Luxus er früher gewohnt hat! In Hamburg war es ein Quartier in Alsternähe, »250 Quadratmeter mit Dachterrasse«, in Manhattan ein »Duplex mit Dachgarten am Central Park«, in Rio »eine toskanische Villa mit Säulen und portugiesischen Azulejo-Kacheln und Köchin und Chauffeur und Wachdienst«. Nun ist auch das alles hin.
Der Polterer Matussek ist dafür bekannt, daß er für seine Polemiken kein feines Besteck verwendet, aber muß es so hemdsärmelig sein? Sein Eindreschen auf die allgemeine »Dummheit« und die »totale Verblödung« und die »Scheißrepublik« gerät allzu grob geschnitzt. Das falsche Spiel im Medienbetrieb hingegen, das Denunziantentum mit all seinen Mitläufern und Opportunisten, die sich in der Arena der Eitelkeiten gegenseitig die Hölle heiß machen – das ist durchaus fesselnd beschrieben. Doch wäre es überzeugender, wenn der Verfasser sich nicht als der Eitelste von allen hervortäte. Zumal er sich von der gleichen apokalyptischen Stimmung hinreißen läßt wie seine erklärten Gegner, die Klima-Terroristen und radikalen Weltverbesserer: Für »Hausmann« steht die Welt am Abgrund, für Putzer ist »die Welt im Arsch«. Frappierend, wie beide Kontrahenten sich ähneln!
Rico Hausmann alias Matussek ist der auf dem Buchcover abgebildete rasende Mönch in der Kutte, der mit erhobenem Kruzifix gegen die »Kultur des Todes« und den »Verlust der christlichen Werte« ankämpft. Es ist bitter, mit anzusehen, wie es ihm gelingt, sich selbst zur Karikatur des zornigen alten Mannes zu machen. Er verschenkt jede Menge Potential an substantieller Systemkritik. Als Wutberserker bietet er beste Angriffsfläche für seine politischen Feinde.
Überdies will man ihm die Besorgnis über die Folgen der beschriebenen Fehlentwicklungen nicht recht abnehmen. Vielmehr beschleicht einen das Gefühl, daß er es genießt, seinen Lebensabend damit zu krönen, ein bekämpfter Dissident, ein »Paria« zu sein – was für ein Abenteuer! (»Man kann sagen, daß sich Rico in diesen Tagen in einer delikaten und durchaus stimulierenden journalistischen Dauererregung eingerichtet hatte«.)
Dem Autor sei empfohlen, lieber bei Reportagen und scharfzüngiger Essayistik zu bleiben, denn da gelingen ihm wunderbare Passagen von Tiefe und großem Einfühlungsvermögen. Zum Schluß sei angemerkt: Nicht an allem, was man sich an persönlicher Kritik einhandelt, ist zwangsläufig die politische Position schuld.
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Matthias Matussek: Armageddon. Roman, München: Europa 2023. 288 S., 22 €
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