Die Idee des Verbindenden durch die Zeiten, die Vorstellung von weit über die Jahrhunderte bestehenden Zusammenhängen, die sich nicht einfach kappen lassen und – quasi natürlich – ihr Recht auf Fortbestehen reklamieren, zieht sich durch den ganzen Roman. Dieser erscheint lange als große Dystopie. Seine Hoffnungsvision, den etwas blauäugigen, aber schönsten Teil seines Werkes, hat Jörg Bernig erst kurz vor Schluß plaziert.
Ansatz‑, Ausgangs- und Ruhepunkt des Buches ist immer wieder das Eschenhaus. An der walisischen Küste steht es, am Ende der Welt. Der Name findet sich in deutscher Sprache über dem Eingang. Anna, 1975 in Leipzig geboren und lange in Berlin lebend, hat es von einem ihr Unbekannten geerbt. Durch den Fund von tagebuchartigen Aufzeichnungen erfährt sie von der Beziehung, in der der Hausbesitzer einst zu ihren Eltern stand, DDR-Akademiker, die dann aus politischen Gründen aus ihren Berufen verdrängt wurden und auch nach der Wiedervereinigung nicht wieder adäquat Fuß fassen konnten.
Die Geschichte, die ein Stück Lebenswelt und ‑gefühl »Kleindeutschlands« – Bernig vermeidet die Bezeichnung DDR – zum Ende der 1970er Jahre einfängt, hätte auch separat erzählt werden können, zumal sie einen eigenen Spannungsbogen mit überraschender Entwicklung enthält.
Bernig hat sie allerdings eingebettet in seinen Eschenhaus-Roman, der in einer nicht näher bezeichneten, aber offensichtlich nicht fernen Zukunft angesiedelt ist. Ein wesentlicher Grund für Annas Übersiedlung ist die Auflösung ihrer Heimat. Deutschland, das nur noch Bundesrepublik heißt, erfährt gerade eine Re-Territorialisierung. Die Föderation wird zur Konföderation. Einige Gebiete werden von der »Einzig wahren Religion« übernommen, »Otrelia« (the Only true Religion), Englisch ist Verkehrs- und zweite Amtssprache.
Vieles, was Bernig hier erfindet, ist im Bereich dessen, was man sich durchaus als Nachrichtenmeldung unserer Tage vorstellen könnte. Etwa, daß die Bundesländer statt ihrer Namen Nummern erhalten, damit sich auch die Einwohner repräsentiert fühlen, die ursprünglich nicht von dort stammen. Oder daß die baltischen Staaten sich unter den Schutz Rußlands begeben, widerstrebend zwar, aber in der Hoffnung, auf diese Weise »nicht mehr in jenen großen Wandel zur neuen Ordnung hineingezogen zu werden, der den Kontinent erfaßt hatte oder der über ihn gelegt wurde«. Es wird betont, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit sich die Veränderungen vollziehen.
Das Aufgelöste, so Bernigs positiver Ausblick, findet sich in alten, für überlebt gehaltenen Formen, in historischen Landschaften wieder zusammen und behauptet schließlich doch das Überlieferte. Man würde gern daran glauben, daß es diese Kräfte gibt.
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Jörg Bernig: Eschenhaus. Roman, Dresden: edition buchhaus loschwitz 2023. 400 S., 28 €
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