Kommunalwahlen in Thüringen – Verankerungen und Dynamiken

„Rückschlag für AfD bei Kommunalwahl in Thüringen“. So titelte es die BILD-Zeitung am vergangenen Wahlsonntag, zu den Kommunalwahlen in Thüringen. Um das Verliererframing rund zu machen, wurde die Überschrift mit „Pleite für Höcke-Vize“ (Stefan Möller) noch ergänzt.

Daniel Fiß

Daniel Fiß ist freier Publizist.

Die BILD-Zei­tung und ande­re Medi­en ver­su­chen nun neben den orches­trier­ten Skan­dal-Kam­pa­gnen gegen die AfD auch ein demo­sko­pi­sches Unter­gangs­bild zu zeich­nen. Es wäre sicher­lich selbst­be­trü­ge­risch, wenn man die aktu­el­le Lage in den Umfra­gen zu sehr beschö­ni­gen wür­de. Vor nicht mal einem hal­ben Jahr stand die AfD im Bund schließ­lich noch bei soli­den 22%.

Den­noch ist man bun­des­weit und in den meis­ten Län­dern im Ver­gleich zu ver­gan­ge­nen Wah­len weit über dem Soll. Der Ver­gleichs­be­zug zu vor­an­ge­gan­ge­nen Wah­len ist am Ende immer eine sau­be­re Ana­ly­se­ba­sis als die Erwar­tungs­grö­ßen, die sich aus dem Umfra­gen­markt ergeben.

 

Die AfD in Thü­rin­gen konn­te bei den Kom­mu­nal­wah­len 25,8% der Stim­men ein­fah­ren und lan­det damit nur knapp hin­ter dem kom­mu­na­len Platz­hir­schen CDU, die in nahe­zu allen ost­deut­schen Bun­des­län­dern schon immer eine star­ke kom­mu­nal­po­li­ti­sche Basis hat­te. Abso­lut konn­te die AfD knapp 250.000 Stim­men im Ver­gleich dazu­ge­win­nen. Pro­zen­tu­al um 8,1% zule­gen. In 9 von 22 Kreis­ta­gen und Stadt­rä­ten zieht die AfD als stärks­te Frak­ti­on ein. In wei­te­ren 10 Kom­mu­nal­par­la­men­ten wird sie die zweit­stärks­te Frak­ti­on stel­len. 9 Bewer­ber gehen in die Stich­wahl um die Land­rats­äm­ter. Damit wird sich die Par­tei auf der kom­mu­na­len Ebe­ne wei­ter ver­an­kern kön­nen und zeigt damit, dass sie als poli­ti­scher Fak­tor im Frei­staat nicht mehr weg­zu­den­ken ist.

Noch deut­li­cher als die AfD-Zuge­win­ne dürf­te jedoch der Absturz des lin­ken Blocks in Thü­rin­gen sein. Sofern in der Bun­des­zen­tra­le der Links­par­tei noch irgend­ei­ne Hoff­nung bestand, dass sich die Links­par­tei in Thü­rin­gen noch eine letz­te regio­na­le Bas­ti­on bewah­ren könn­te, bleibt jetzt nur noch die Ernüch­te­rung und das sehr wahr­schein­li­che Ende der lin­ken Min­der­heits­ko­ali­ti­on aus SPD, Lin­ke und Grü­ne. Nur noch die SPD kommt auf ein knap­pes zwei­stel­li­ges Ergeb­nis von 11,6%. Ansons­ten spielt der lin­ke Par­tei­en­block in Thü­rin­gen kei­ne Rol­le mehr. Ledig­lich in den Groß- und Uni­ver­si­täts­städ­ten des Lan­des (Jena und Erfurt) kann man sich noch auf eine gewis­se Grund­ba­sis ver­las­sen. Auch die deut­li­chen Zuge­win­ne der „Sons­ti­gen“ Par­tei­en (+4,1% und jeweils stär­ker als Lin­ke, SPD, Grü­ne, FDP) unter­strei­chen den Absturz der eta­blier­ten Par­tei­po­li­tik in Thüringen.

Die Wahl­kreis­kar­ten zei­gen, dass die AfD vor allem dort star­ke Zuge­win­ne ein­fah­ren konn­te, wo sie 2019 noch recht durch­schnitt­lich abschnitt. Ins­be­son­de­re der Nord­os­ten des Lan­des kann als neu hin­zu­ge­won­ne­ne geo­gra­phi­sche Hoch­burg für die Par­tei betrach­tet wer­den. Die Regres­si­ons­mo­del­le zei­gen dabei fol­gen­de Zusammenhänge:

  1. Die AfD bleibt eine Par­tei des länd­li­chen Rau­mes und der Kleinstädte
  2. In Regio­nen wo es schon 2019 zu einem signi­fi­kan­ten Zuwachs der Wahl­be­tei­li­gung kam, kann die Par­tei noch­mals zule­gen, was für eine star­ke erwei­ter­te Wäh­ler­re­ser­ve und zugleich einer fes­ten Stamm­wäh­ler­schaft spricht.
  3. Katho­lisch gepräg­te Wahl­krei­se wie das Eichsfeld blei­ben uner­reich­te Fes­tun­gen in CDU-Hand.
  4. Sozio­öko­no­mi­sche Fak­to­ren spie­len nur eine gering­fü­gi­ge Rol­le. Weder das ver­füg­ba­re pro-Kopf Ein­kom­men oder die Arbeits­lo­sen­quo­te in einem Kreis haben signi­fi­kan­ten Ein­fluss auf den AfD-Stim­men­an­teil. All­ge­mei­ne Unzu­frie­den­heit, Abstiegs­sor­gen und die klas­si­schen iden­ti­täts­po­li­ti­schen The­men haben deut­lich mehr Gewicht.
  5. Die AfD wird vor allem in Wahl­krei­sen mit einem hohen Anteil von Ü65-Jäh­ri­gen gewählt. Das heißt nicht, dass die Älte­ren auch die Par­tei dort zu grö­ße­ren Antei­len wäh­len. Eher sind es die Jün­ge­ren in die­sen Krei­sen, die durch die Ver­grei­sung ihrer Hei­mat immer weni­ger Ange­bo­te für Kin­der und jun­ge Fami­li­en haben. Der milieu­ge­trie­be­ne Kon­flikt­vek­tor Alt vs. Jung bestimmt im Osten immer stär­ker den poli­ti­schen Mobilisierungswettbewerb.

In den letz­ten Umfra­gen zu den Land­tags­wah­len in Thü­rin­gen kann die AfD bis­wei­len einen kom­for­ta­blen 10% Abstand zur CDU als Zweit­plat­zier­ten hal­ten. Daß die CDU bei den Kom­mu­nal­wah­len vor der AfD lan­det ist schließ­lich auch auf die spe­zi­fi­schen Wahl­be­din­gun­gen wie das spe­zi­fi­sche Wahl­sys­tem, loka­ler Ver­an­ke­rung, Kan­di­da­ten­zen­trie­rung und auch die Ver­füg­bar­keit von aus­rei­chend Bewer­bern für die Par­la­ments­sit­ze zurück­zu­füh­ren. Dies mögen für die Uni­on auf kom­mu­na­ler Ebe­ne gewis­se Sta­bi­li­täts­fak­to­ren sein.

Eine Land­tags­wahl die aber wesent­lich stär­ker von Stim­mungs­bil­dern und einem Bedürf­nis nach poli­ti­schem Wan­del geprägt sein kann, dürf­te eher auf das Kon­to der AfD ein­zah­len. Hier zeigt die Kom­mu­nal­wahl, daß das Momen­tum einer poli­ti­schen Dyna­mik ganz klar auf Sei­ten der AfD liegt. Der BSW-Fak­tor kann bei die­ser Wahl bis­her noch nicht beur­teilt wer­den, da das Bünd­nis nur in 4 Wahl­krei­sen ange­tre­ten ist, dort aber immer­hin schon zwei­stel­li­ge Ergeb­nis­se ein­fah­ren konnte.

Ein Über­sichts­ar­ti­kel zum Stand des BSW schie­be ich in der kom­men­den Woche nach.

Daniel Fiß

Daniel Fiß ist freier Publizist.

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Kommentare (12)

Valjean72

3. Juni 2024 09:43

"Absolut konnte die AfD knapp 250.000 Stimmen im Vergleich dazugewinnen. Prozentual um 8,1% zulegen."
---
Nur ein kleiner Hinweis: der Anstieg von 17,7% (2019) auf 25,8% (2024) enstspricht einem Zuwachs von 8,1 Prozentpunkten. Prozentual hat die AFD 46% hinzugewonnen.
 
 

Joachim Datko

3. Juni 2024 10:12

Die verantwortungsbewusste, konservative Partei AfD ist mittlerweile nach der CDU/CSU bei den Wählern die beliebteste Partei. Sie hatte in letzter Zeit sehr gute Wahlergebnisse:
26.05.24 AfD 25,8 % +8,1 % Kommunalwahl Thüringen12.02.24 AfD 12,6 % +5,6 % Bez. m. Wahlwiederhol. Berlin27.10.23 AfD 18,4 % +5,3 % Landtagswahl Hessen08.10.23 AfD 14,6 % +4,4 % Landtagswahl Bayern
Ich wünsche mir konservative Regierungskoalitionen im Bund und in Bundesländern mit der AfD.
Die AfD würde sich für die Festung Europa einsetzen. Die jetzigen Sozialleistungen wirken wie ein Magnet zur Einwanderung in das deutsche Sozialsystem.

Mitleser2

3. Juni 2024 10:21

Mit 30% kann man natürlich nicht regieren, außer mit der CDU. Aber wenn die CDU bei 20% verbleibt, muss sie schon eine "sehr große" Koalition schmieden. Es bleibt spannend.

Volksdeutscher

3. Juni 2024 11:04

"Sonstige" mit 19,9 % ist ein ziemlich hoher Wert. Welche Parteien stehen dahinter und mit wievielen Prozenten?

Le Chasseur

3. Juni 2024 14:19

@Volksdeutscher
"Sonstige" mit 19,9 % ist ein ziemlich hoher Wert. Welche Parteien stehen dahinter und mit wievielen Prozenten?"
Wählergruppen und Bündnisse haben sehr gut abgeschnitten. Das birgt selbstverständlich "Gefahren": https://www.mdr.de/video/mdr-videos/a/video-828244.html

Valjean72

3. Juni 2024 14:52

@Volksdeutscher:
Laut dem betreffenden Wikipedia-Artikel entfielen 10% der Wählerstimmen der Thüringer Kommunalwahl 2024 auf parteiunabhängige Wählervereinigungen ("parteiunab. WV")
 
Wenn man allerdings diese 10% mit den folgenden Prozentwerten (Quelle: Wikipedia) addiert:
 
BSW: 2,38%, Heimat: 0,37%, Piraten: 0,28%, Volt: 0,25%
Basis: 0,15%, WU: 0,12%, Partei: 0,08%, ÖDP: 0,05%
 
... dann kommt lediglich man auf 13,7% für "Sonstige". Zählt man noch die Prozentpunkte von FDP und Grünen hinzu (beider unter 5%), dann erhält man in Summe: 20,4%.
 

tearjerker

3. Juni 2024 18:03

In der Fläche dominieren Wählergemeinschaften, die in deutlich mehr als der Hälfte der Gemeinderäte die Mehrheit stellen, gefolgt von der Union. Zusammen stellen diese in bummelig 85%+ aller Gemeinden die Mehrheit. Auf dieser Ebene spielt die Alternative ähnlich wie die Sozis kaum eine Rolle. Bei 2,1 Millionen Einwohner in Thüringen kommt Schwarz auf 8000 Mitglieder, Rot auf 3500, Grüne, Blaue, Gelbe auf jeweils um die 1300 und die BSW-Clowns auf weniger als 50. Die grösseren Parteien sind reine Landtags- und Bundestagswahlvereine, die personell auf ganz dünnen Beinchen stehen und nichts zu melden haben. Das Land wird von namenlosen Technokraten und Verwaltungsprofis regiert. Die umzusetzenden Agenden werden inzwischen komplett von NGOs und deren Anwaltskanzleien gestellt. Allein Amnesty und Greenpeace zählen mit 750000 Fördermitgliedern in Deutschland fast soviele Köpfe wie alle Parteien zusammen. Die Kirchen und ihre von Diakonie und Caritas gegründeten Unternehmen beschäftigen mit über 1,5 Millionen Angestellten mehr als jeder andere Sektor ausser dem Staat selbst. Gemeindewahlen sind in diesem Kontext ein Gradmesser für fast nichts.

Laurenz

3. Juni 2024 18:48

@Joachim Datko ... auch Ihnen ein SiNnfrohes Helau. Die von Ihnen befürwortete konservative Regierungskoalition mit der AfD fänden die meisten Leser & Teilnehmer der SiN-Debatten gut. Aber dann stellt sich die Frage, wer denn der konservative Koalitionspartner sein soll? Ich kenne außer der AfD keine konservative Partei in Deutschland. Die Ampel hat in 2,5 Jahren nur die Politik der Union fortgesetzt. Die Merkelianer Günther & Wüst setzen sich für Koalitionen mit der Linken ein. Maaßen kriegt mutmaßlich am nächsten Sonntag keinen Fuß auf den Boden.

RMH

3. Juni 2024 21:41

"Maaßen kriegt mutmaßlich am nächsten Sonntag keinen Fuß auf den Boden."
Nicht nur mutmaßlich, sondern sicher, denn seine WU tritt am Sonntag zur EU Wahl gar nicht an. Von Interesse ist aus rechter Sicht, ob BÜNDNIS DEUTSCHLAND erstmals einen Sitz holen kann oder die HEIMAT nach der Pause der letzten Periode wieder einen.

Volksdeutscher

3. Juni 2024 22:07

@Chasseur und @Valjean72, ich danke Ihnen beiden.

Adler und Drache

3. Juni 2024 23:01

@tearjerker
Gemeindewahlen sind in diesem Kontext ein Gradmesser für fast nichts.
Quantitativ fast nichts - aber eben auch nicht gar nichts. In meinem Umfeld stelle ich fest, dass Leute, die kommunalpolitisch etwas machen wollen, keinen Bock mehr auf die großen ideologischen Auseinandersetzungen haben, sondern sich jenseits davon in freien Wählergemeinschaften organisieren - und es sind keine schlechten Leute. 
Ist das nicht sogar ein gutes Zeichen? 

Laurenz

3. Juni 2024 23:51

@Adler & Drache @Tearjerker ... Parteilose in der Kommunalpolitik sind schon länger in Deutschland die Normalität. https://de.wikipedia.org/wiki/Parteiloser Es gibt dazu recht viele Artikel im Netz.
Die Kreisstadt meines Landkreises ist Bad Homburg v. d. Höhe. Aus Usingen, Wehrheim & Neu-Anspach gibt es nur wenige Straßen (also 3) Richtung Süden nach Frankfurt. Die wichtigste Route läuft über die Saalburg, eine Nebenstraße über Schmitten an den Hochtaunus-Gipfeln vorbei & eine durch das Köpperner Tal zur A5. Egal, wer in Bad Homburg dran ist, jeder Bad Homburger Kommunal-Politiker spricht sich gegen den Ausbau der oben genannten, im Berufsverkehr überlasteten Routen aus. Damit schützt man die Interessen des eigenen lokalen Gewerbes, Firmen, Handwerker, die in Bad Homburg natürlich mit höheren Kosten konfrontiert sind, als die Mitbewerber über dem Berg. Man gleicht die höheren Kosten quasi mit Zeit raubender Anfahrt für die Mitbewerber weiter im Norden aus. Da spielen Parteizugehörigkeiten keine Geige mehr.
@RHM .. ob Maaßen irgendwo antritt oder nicht, spielt eben keine Rolle. Die Nummer ist gelaufen.