Das “E‑Girl” Ashton Birdie ist seit 2016 aktiv. Ich traf sie einmal im Zuge einer „Rally“, an der ich mit meiner zukünftigen Frau in Berkeley teilnahm. Sie trug ein “Captain America Cosplay” und ordnete sich dem “Trump Movement” zu. Später wurde sie die Freundin des rechten Livestreamers und Rappers “Baked Alaska“. Der war bis zu ihrem großen Zerwürfnis nach einem Gefängnisaufenthalt wegen des 6. Januars ein enger Freund von Nick Fuentes.
Eine Zeit lang lebte Ashton mit Baked in einer bizarren WG, die im BigBrother-Stil einen guten Teil ihres Alltags im Netz übertrug. In einem Hip-Hop-Musikvideo unterstützte sie mit ihrem Partner den Demokraktischen Kandidaten Andrew Yang. Wenig später kam es zu einem dramatischen Selbstmordversuch und ihrem Ausscheiden aus der AltRight. Jetzt ist sie ein linksliberaler Kritiker und fokussiert sich nur noch auf Cosplay. Und sie betreibt ein Onlyfans-Konto…
Ein Beispiel mit einer positiveren Wendung ist der Aktivist, Anwalt und Politiker Augustus Sol Invictus. Er heißt tatsächlich so, seitdem er in einem nietzscheanischen Moment seinen bürgerlichen Namen „Austin Mitchell Gillespie“ abgelegt hatte.
Augustus tauchte als Autor und Streamer am Rande der Alt-Right-Bewegung auf und vertrat ein vehement neuheidnisches, vitalistisches und faschistisches Prinzip. Er trat erst als Kandidat für die libertäre Partei an und wurde später zum Sprecher der berühmten Kundgebung in Charlotsville. Rasch driftete er in die Sexualmagie Crowleys ab. Nach eigenen Angaben opferte er nachts im Wald Tiere und trank nicht nur deren, sondern auch Menschenblut. Wegen häuslicher Gewalt kam es zu zahlreichen Anzeigen und einer Verhaftung. Invictus fand im Jahr 2022 zum Katholizismus, und betreibt nun neben seiner Anwaltskanzlei einen YouTube-Kanal, indem er auch auf seine Vergangenheit eingeht. Augustus hat 4 Kinder.
Das sind nur zwei kleine Beispiele aus dem cinematischen Universum der amerikanischen Online-Rechten. Auch zum erwähnten „Baked Alaska“ könnte man einen ganzen Roman verfassen. Ganz zu schweigen von Ethan Ralph, Nick Fuentes, Richard Spencer, Milo Yiannopoulos und den vielen, vielen anderen Personen, denen das Internet eine Karriere ermöglichte. Die Verstrickungen dieser Persönlichkeiten in die digitalen Sphären der Männerrechts- und Fitnessbewegung, die Wirkung und Bedeutung von großen Namen wie Tate, Sneako, SolBrah, Bronze Age Pervert und Raw-egg Nationalist, bishin zu Influencern wie Mark Brahmin, Vice City Beaurocrat, Catgirl Kulak, um nur einige Namen zu nennen, sind ebenfalls ein eigenes Kapitel. Im Spannungsfeld zwischen der Rollercoaster-Rechten und mit ihr verzahnter digitaler Subkulturen bewegen sich rechte Denker, die eine Brandbreite von Keith Woods über Jared Taylor bis zu Academic Agent, Whatifaist, Vox Day und Sargon of Akkad abdecken. Dazu kommt ein Strauß an politischen Organisationen, die von Fuentes „America First“ über die Reste der Proud Boys und Boogaloos bis zu Active Clubs, der Patriot Front und dem Blood Tribe reichen (an dessen Existenz ich noch immer nicht so recht glauben möchte). Willkommen in Amerika!
Das Merkmal der “Rollercoaster-Rechten” ist die Jagd nach Aufmerksamkeit und Relevanz, die zugleich die Sucht nach Dopamin und Drama ihrer Zuseher bedient. Im digitalen Medium, dem Nährboden und Äther dieses Phänomens, führt das notwendig zu Verbalradikalismus und den extremsten Bildern. Wer schockiert, hat recht, daher ist Hitler eine Art Trumpfkarte im Aufmerksamkeitsmonopoly.
Einige schafften den Ausstieg aus der digitalen Szeneachterbahn und konnten einen stabilen und produktiven Platz in der Anglo-Rechten finden. Andere klammern sich weiter an ihren Platz im “Rollercoaster”, bis sie eines Tages aus dem Sitz geschleudert werden. Was hat das nun alles mit Deutschland zu tun? Bisher nichts und morgen vielleicht alles. Die meisten Leser von SIN sind an dieser Stelle wohl froh, von den meisten Genannten noch nichts gehört zu haben.
Eine ganze Generation junger deutscher Rechter ist jedoch genau in diesem digitalen Milieu politisiert und wurde in unterschiedlichen Härtegraden von ihm geprägt. Still und leise wurden sie von entsprechenden Vorbildern inspiriert. Mit einer Inkubationszeit von 5 bis 10 Jahren werden die ersten Abziehbilder bald hierzulande auftauchen. Bereits “Reconquista Germanica” war ein erster Vorgeschmack der Germanisierung amerikanischer Internetsubkultur. Macht euch bereit für rechte Männrerechtsislamisten, Femboyphilosophen, Tradkathbodybuilder und Bitcoinpaganisten.
Zentral für diese politisierte Subkultur sind die Fragen nach der Geschlechts- und Gruppenidentität. Es ist nicht die Schuld der Zoomergeneration, daß bei vielen von ihnen die 2. (Sexualität) und 3. Stufe (Großgruppe) der Identitätsbildung nicht oder nur teilweise vollzogen wurde. Sie sind die Produkte dieser Zeit, dieser Gesellschaft und ihrer (oft abwesenden) Eltern. Ihre Suche nach Männlichkeit, Weiblichkeit und einer Bande, der sie sich anschließen können, prägt notwendig auch ihre Politik. Daß das, was für unsere Generationen noch weitgehend selbstverständlich war und keiner Erwähnung bedurfte (was man aß, wie man sein Zimmer aufräumt oder eine Frau anspricht), wird für diese Generation zur zentralen Problemstellung. Martin Lichtmesz und ich sprachen der vorletzten Folge von “Auf eine Melange” über das Incelthema, das auch in diesem Kaplaken behandelt wird.
Diese seelischen und psychologischen Probleme vermischen sich wild mit politischen Fragestellungen. Das Netz ermöglicht es heute, mit radikalen und verstiegenen Ansichten ein digitales Gefolge und Ansehen zu gewinnen. Früher existierten die Vertreter solcher Ideen isoliert und einsam vor sich hin. Heute bietet das Internet eine Möglichkeit zur anonymen und (auf den ersten Blick) gefahrlosen Vernetzung. Das Netz ist ein technischer „Booster“ für Radikalisierung, Fragmentierung und das daraus erwachsende Drama. Auch hier ist die Technik Urheber. Das macht die kommende Welle der Rollercoaster-Rechten in Deutschland unvermeidlich. Am Horizont der deutschen Rechten bildet sich bereits ein Schwall aus Ideologiefragmenten, religiösem Fanatismus, Trashphilosophie, Testosteron, Todessehnsucht, Größenwahn und Proteinshakes, der bald über uns hereinbrechen wird. Bereits jetzt könnte ich zu fast jedem der oben genannten Namen ein deutsches Äquivalent in statu nascendi auflisten.
Dieser politsubkulturelle Cocktail hat auch schon einen Roman inspiriert. Während “Europa, Power, Brutal”, als gegenkulturelles Brennglas der rechten Millenialgeneration fungierte, könnte Sebastian Schwaerzels Debutroman – “Schizoid Man”, den Zeitgeist der Zoomer zusammenfassen. („Könnte”, da ich erst heute beginne zu lesen und mir daher noch kein Urteil bilden kann.)
Soweit meine Analyse. Was also tun? Anstatt über die kommende Chaoswelle zu lamentieren, müssen wir sie verstehen, antizipieren und nutzen. Wir müssen rechtzeitig auch die positiven Aspekte dieser unausweichlichen Entwicklung in den Blick fassen. (Erneut ist zu betonen, daß sie unweigerlich ist, weil sie die direkte soziale Auswirkungen des Fortschritts in der Kommunikationstechnologie darstellt.) Das kommende Chaos wird unangenehm, aber es birgt auch neue Kraft. Wenn es gelingt, diese Welle zu reiten und die guten von den schlechten Strömungen zu scheiden, könnte sie für die deutsche Rechte einen belebenden Schock darstellen. Vor allem die verkümmerte neurechte Gegenkultur könnte davon profitieren.
Dabei gilt es vor allem, ein nietzscheanisches Mütchen da zu kühlen, wo es die eiserne, demografische Realität verleugnet. Mit einem alten und schrumpfenden Volk, dessen größte Generation bald in Rente geht, wird man kein zweites Fiume organisieren können. Ob man will oder nicht: Die pensionierten Boomer werden als Leser, Wähler, Finanziers und Demoteilnehmer maßgeblich für die deutsche Politik der nächsten 10–20 Jahre bleiben. In allen angesprochenen Bereichen übertreffen sie die Millennials und Zoomer zahlenmäßig. Diese sind in ihrer Altersgruppe bereits vielerorts in der Minderheit.
Immer wieder habe ich den Zusammenhang zwischen der Schwäche rechter Gegenkultur und dem Mangel an jungen Männern analysiert. In den 90er-Jahren gab es noch in jedem größeren Ort rechte und linke politische Punkbands. Heute dominiert der arabische Gangster-Rap alle urbanen Zentren und wird von Linken wie Rechten kulturell appropriiert.
Doch möglich bleibt gerade im digitalen Zeitalter die Sammlung, Organisation, Veredelung und Aktivierung der neuen deutschen Jugend. Sie ist zwar nicht mehr in der Mehrheit, aber gerade aufgrund ihrer sozialen Lage wie keine Generation zuvor offen für radikal neue Ideen. Anders als die Boomer ist die neue Generation stilsicher, digital affin und weltanschaulich illusionslos. Ihr Übermaß an Zynismus, die überreizten Nerven und partiell sozialen Mängel werden in günstigen Fällen durch Effizienz wettgemacht. Im besten Fall kommt es zu einer historischen Allianz zwischen der Quantität an pensionierten, populistischen Boomern und einer der Qualität jugendlicher Aktivisten. Erstere amplifizieren, wählen und finanzieren, während die “metapolitische Eliteeinheit“ zuspitzt, agitiert und umsetzt. Der Schlüssel dazu lautet „Bildung“. Neben der Weltanschauung und konkreten Fertigkeiten ist aufgrund der beschriebenen Faktoren auch die Charakterbildung wichtig wie nie zuvor.
Wenn uns die Chaoswelle mit voller Wucht erreicht, braucht es daher klare Struktur, eiserne Hierarchien und scharfe Bewährungsproben. Die volatile, sprunghafte “Rollercoaster-Rechte” nach amerikanischer Prägung ist ein hochenergetisches, aber instabiles Element. Sie besteht aus einer Masse an anonymen Konsumenten und Multiplikatoren, die um digitale Ein-Mann-Unternehmen kreisen. Da diese ebenfalls meist keine Organisation, Parteien und Bewegungen vertreten, haben auch sie nichts zu verlieren. Oft fehlt daher ein langfristiger und umfassender strategische Blick. Daraus folgt das erwähnte Chaos – ebenso wie die große Schaffenskraft.
“Nur wer Chaos in sich trägt, kann einen tanzenden Stern gebären”, sagt uns mit Nietzsche der Säulenheilige dieser Strömung. Doch dieses zeugende Chaos kann einer langfristigen Strategie und der an Heidegger und Schmitt geschulten tiefen Rechten nur dann zuträglich sein, wenn sie selektiv und exklusiv vorgeht. Die dionysisch-digitalen Strömungen in den USA nehmen nicht selten den Ausdruck eines “Geistertanzes” und Krisenkults an. Gerade untergehende Völkern steigern sich in größenwahnsinnige Renaissance und Rachefantasien hinein. Dazu neigen jugendliche Genies, das lehrte uns schon die Deutsche Romantik, oft zum vorzeitigen Verglühen – mit schweren Folgeschäden für alle Nahe- und Umstehenden.
Daher muß die deutsche Rechte gerade bei den rauschartigen Höhenflügen und Trends, die uns eine deutsche „Rollercoaster-Rechte“ in den kommenden Jahren bescheren wird, beherrscht und distanziert bleiben. Sie muß klar unterscheiden können und verlockende Reigentänze meiden.
Denn diese Stürme spielen sich, wie gezeigt, im “demographischen Wasserglas” ab. Eine Generation, die aufgrund des Versagens ihrer Eltern bereits Minderheit im eigenen Land geworden ist, wird es schwer haben. Auch eine noch so mitreißende und radikale Ideologie kann unter diesen Bedingungen keine einheimische Massenbewegung in urbanen Räumen auslösen. Ein digitales Fiume besetzt nun mal keine Stadt, sondern dominiert einige Tage die Hashtags. Das ist nicht nichts, aber es ergibt nur in einer umfassenden metapolitschen Strategie Sinn.
Keinesfalls sollte man sich aufgrund der genannten Risiken vor dieser unweigerlichen Entwicklung abschotten. Das Interview von Bronze Age Pervert in der Sezession war ebenso ein richtiger Schritt wie die Einladung des deutsche Sol-Brahs Marcel Schaar in den Krautzone-Podcast. Ich schließe mich an. Marcel ist samt seinem Sonnenfitnesskult hiermit herzlich zur Sommerdemo für Remigration eingeladen. Vielleicht können sie dort sogar einen eigenen Bodybuilderblock bilden.
brueckenbauer
Als älterer Mensch lese ich vorwiegend die amerikanischen Blogs, die ja auch von der älteren Generation gemacht werden. Und da spürt man halt die Sehnsucht, nun auch in der jüngeren Generation Nachfolger zu finden - eine Sehnsucht, die zeitweilig in Enthusiasmus umschlägt (etwa bei Fuentes) und dann wieder in Enttäuschung und Missachtung. Zwischen diesen Gefühlsschwankungen gilt es einen klaren Kurs zu halten. Man kann Leute, die sich noch in Gärung befinden, mögen, sollte sie aber nicht überschätzen.