Läßt sich “das Vorfeld” von der AfD “aussuchen”?

Björn Höcke ist am Montag vom Landgericht Halle/Saale für dieselbe Sache als Wiederholungstäter zu einer weiteren Geldstrafe verurteilt worden und wäre, sollte die Revision mißlingen, zum zweiten Mal vorbestraft. Höcke war vor zwei Wochen bereits für den Satzanteil "alles für Deutschland", der sich an "Alles für Sachsen-Anhalt" undsoweiter anschloß, verurteilt worden. Nun warf man ihm vor, er habe den verbalen Steigerungslauf durch ein dankbares Geraer Publikum vollenden lassen, habe die Aussage also erneut propagiert.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Die Par­tei­füh­rung (Ali­ce Wei­del und Tino Chrup­al­la) hat Höcke an kei­nem der mitt­ler­wei­le sechs Pro­zeß­ta­ge in Hal­le auf­ge­sucht, um ihm, wie es im Film “Der Pate” so schön heißt, “in die­ser schwe­ren Stun­de bei­zu­ste­hen”. War­um eigent­lich nicht? Höcke hat immer­hin eine der drei ent­schei­den­den Land­tags­wah­len im Sep­tem­ber zu bestehen, als am längs­ten die­nen­der Lan­des- und Frak­ti­ons­chef eines AfD-Lan­des­ver­ban­des überhaupt.

In Thü­rin­gen wird eben­so wie in Sach­sen und Bran­den­burg im Sep­tem­ber ein Exem­pel sta­tu­iert wer­den. Die aus dem Sys­tem gebo­re­ne Alter­na­ti­ve zur Alter­na­ti­ve, das BSW, wird gegen die eigent­li­che Alter­na­ti­ve auf­ge­baut, Koali­tio­nen wer­den “unter Umstän­den” erwo­gen wer­den, und die Umstän­de wer­den so sein: Der über­ra­gen­de Wahl­sie­ger AfD wird in allen drei Bun­des­län­dern nicht an der Regie­rung betei­ligt wer­den, hin­ge­gen das längst im Estab­lish­ment eta­blier­te BSW-Per­so­nal schon.

Es wer­den erneut ver­lo­re­ne Jah­re sein, bis zur nächs­ten Wahl. Wie­der wer­den “die Men­schen in die­sem Land” älter, ernüch­ter­ter, zyni­scher und hoff­nungs­lo­ser sein als zuvor.

Die Pro­zes­se gegen Höcke? Das sind poli­ti­sche Pro­zes­se, die Ver­tei­di­gung ist Teil der Show – war­um betei­ligt sich die Füh­rung, die den Show­cha­rak­ter der Demo­kra­tie ken­nen­ge­lernt haben muß, nicht daran?

Ali­ce Wei­del hat in ihrer Auf­takt­re­de zum Bun­des­par­tei­tag vom ver­gan­ge­nen Wochen­en­de ein Bild bemüht, das sie einem Spek­ta­kel ent­nom­men hat­te – dem EM-Spek­ta­kel näm­lich, das mit aller Kraft zu einem zwei­ten Som­mer­mär­chen auf­ge­pumpt wer­den soll. Wei­del beschrieb sich und ihren “gelieb­ten Tino” (auf des­sen “Antrag ich gewar­tet hat­te”) als Trai­ner­ge­spann, das für die Mann­schafts­auf­stel­lung ver­ant­wort­lich sei.

Wei­del beschrieb sich und ihren Kol­le­gen mit die­ser Meta­pher als pas­si­ve Figu­ren in einem Bild. Sie zumin­dest steht näm­lich am Ran­de, wie Trai­ner eben am Ran­de ste­hen. Sie ist nicht an der Basis, sie wirkt abgeschottet.

Das Spiel der Trai­ner geht nicht auf, aber Ideen haben sie kei­ne. Wei­del sprach in ihrer Rede davon, man müs­se als Trai­ner­ge­spann auch mal jeman­den aus­wech­seln, jeman­den, der sich ver­drib­belt habe und eine Ein-Mann-Show abzie­he, die nicht zu einem Mann­schafts­sport wie Fuß­ball pas­se. Also wechs­le man aus, weil man das als Trai­ner kön­ne und dür­fe, und dann die lei­se Dro­hung: Wer auf der Ersatz­bank sit­ze, sei noch im Kader (aber auch das kann in Fra­ge gestellt werden).

Fra­gen über Fra­gen: Hat man mit den Ein­wechs­lun­gen denn etwas geris­sen? Hat man Leu­te in der Reser­ve gehabt, die wenigs­tens ein Unent­schie­den her­aus­hol­ten? Stand es über­haupt so schlecht, wie vom Spiel­feld­rand aus ver­mu­tet? Von außen wirk­te es so, als habe man dem Geg­ner mit der “Aus­wechs­lung” des Top­stür­mers Maxi­mi­li­an Krah das Ange­bot eines Nicht-Angriffs­pakts unter­brei­tet. So etwas liebt das Publi­kum, wahr­lich, wahr­lich, Quer­paß-Mut­lo­sig­keit, Angst vor Kör­per­kon­takt und dre­cki­gem Trikot.

Ich will das anma­ßen­de Bild vom Trai­ner­ge­spann nicht stra­pa­zie­ren, aber die Vor­la­ge ist aben­teu­er­lich: Wei­del und ihr Co-Trai­ner waren auf das Umschalt­spiel des Geg­ners, des gan­zen Sys­tems von Abwehr auf Angriff nicht vor­be­rei­tet. Sie waren und sind auf das Wahl­jahr 2024 nicht vor­be­rei­tet. Sie wer­den nicht grim­mig, wenn der Geg­ner zur Blut­grät­sche ansetzt, sie halt nicht gegen, sie peit­schen nicht vor­an, sie hol­zen nicht zurück, sie sind Trai­ner ohne Trai­nings­be­trieb, ohne akri­bi­sche Vor­be­rei­tung, sie schie­len zu sehr nach der Pres­se­tri­bü­ne, sie wech­seln lie­ber aus – und wäl­zen auch dann noch die Ver­ant­wor­tung für gefühl­te Nie­der­la­gen auf ihren Kader ab.

Schluß mit dem Bild. Die Lage ist klar, alles ist hun­dert­mal gesagt. Jedes sozia­le Gebil­de mün­det in Olig­ar­chien, in Vet­te­rei, Ver­sor­gungs­netz­wer­ke, in Ver­tei­ler­lei­tun­gen und Zapf­häh­ne. Par­tei­en kris­tal­li­sie­ren aus, sind von Anfang an das sowie­so gefrie­ren­de Was­ser, aus­ge­här­tet nach Frist, nicht mehr beweg­lich, in die Form ein­ge­paßt, in die es floß und flie­ßen durfte.

Natür­lich kann man mit die­sem Bun­des­vor­stand leben – “und doch, indem ich die­ses niederschreibe/ schon warnt mich was, daß ich dabei nicht blei­be” (aus dem Kopf, nach­schla­gen bit­te): Denn was soll es hei­ßen, man “kön­ne” damit leben? Eher “muß” man, oder? Aber: Muß man wirklich?

Als Par­tei­mann ja, als Teil des­sen, was “das Vor­feld” genannt wird: nein.

Ich mag den Begriff “Vor­feld” nicht. Bene­dikt Kai­ser, der das aus lin­ken Lek­tü­ren über­nom­men Bild einer “Mosa­ik­rech­ten” ein­führ­te, unter­teil­te die­ses Mosa­ik grob in die Par­tei und ihr Vor­feld und schrieb dar­über ein Bänd­chen für die Rei­he Kapla­ken, in der über­haupt vie­le pro­gram­ma­ti­sche und stra­te­gi­sche Tex­te erschie­nen sind.

Kai­ser wird mir mei­ne Abnei­gung gegen das Wort “Vor­feld” nach­se­hen. Ich weiß, was er meint und sehe, daß der Begriff sitzt. Aber er mani­fes­tiert ein Gefäl­le, ein Ver­hält­nis, das “dem Vor­feld” nicht gut­tut. Es nimmt dem Milieu aus Ver­la­gen, Pro­jek­ten, Initia­ti­ven, Künst­lern, Influen­cern, Musi­kern, Bünd­nis­sen, Ver­ei­nen die Eigen­stän­dig­keit. Es redu­ziert sie auf eine Zuträ­ger­tä­tig­keit, es beschreibt sie als ein wel­li­ges Vor­ge­biet vor den Höhen und Tür­men der Man­da­te und der Macht­be­tei­li­gung, des Gel­des und der Bedeu­tung. Es beschreibt “das Vor­feld” in sei­ner Aus­rich­tung auf “die Par­tei”, in sei­ner Hoff­nung, von die­ser Par­tei zu pro­fi­tie­ren und unter ihren Fit­ti­chen sat­ter zu wer­den als ohne sie.

So ähn­lich in Gefäl­len denkt auch Kay Gott­schalk, der nun neu im Bun­des­vor­stand sitzt und in sei­ner Par­tei­tags­re­de davon sprach, daß es sei­ne Par­tei sei, die sich ihr Vor­feld aus­su­che, und daß es nicht das Vor­feld sei, das dies für die Par­tei defi­nie­re. Gott­schalk erhielt Applaus dafür.

Das ist Par­la­ments­pa­trio­tis­mus, das ist man­geln­de Sou­ve­rä­ni­tät, das ist Unlust am Krea­ti­ven, am Stich, an der Kon­sens­stö­rung. Es ist die For­de­rung nach geis­ti­ger Par­tei­dis­zi­plin, also: eine Ver­ken­nung der selb­stän­di­gen, muti­gen, unab­ge­si­cher­ten Arbeits­wei­se derer, die Man­da­te nicht unter‑, vor allem aber nicht überschätzen.

Die rech­te Sze­ne, die es schon gab, als es die AfD noch nicht gab, ist ein Kos­mos, ein Durch­ein­an­der, ein Expe­ri­men­tier­feld. Es ist im Gegen­satz zu einer Par­tei nicht schi­zo­phren, muß in sich nicht den bekämp­fen, der um das­sel­be Man­dat kon­kur­riert, obwohl er doch ein Freund ist, ein guter Freund…

Ein Milieu ist inter­es­san­ter als eine Par­tei, weil es von Selb­stän­di­gen lebt, weil in ihm wirk­lich etwas gekonnt wer­den muß, wenn man erfolg­reich sein will – und weil Erfolg nicht heißt, zwei Drit­tel sei­ner Zeit damit zu ver­brin­gen, den Erfolg ande­rer zu verhindern.

Der Satz, es sei unse­re Auf­ga­be unter ande­rem, das soge­nann­te Vor­feld vor der Par­tei zu ret­ten, brach­te mir den Vor­wurf stra­te­gi­scher Dis­zi­plin­lo­sig­keit ein. Ich wie­der­ho­le ihn hier­mit. Ich will gar kei­ne Soli-Abos und Soli-Käu­fe von Man­dats­trä­gern, die nicht lesen wol­len, was ihnen “das Vor­feld” anbie­tet. Ich will kei­ne Almo­sen und Absi­che­run­gen für unse­re Sze­ne. Ich will von Leu­ten umge­ben sein, die früh auf­ste­hen und spät ins Bett gehen und bes­ser sind und unter mehr Span­nung leben als das sat­te Milieu der Gegner.

Weni­ger Vor­feld, mehr Sze­ne, weni­ger Par­tei­nä­he, mehr Radi­ka­li­tät in Kön­nen, Anspruch, Wort und Gespür. Laßt Euch nicht “aus­su­chen”, Leute.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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