Parlamentswahl in Frankreich – Der siegreiche Verlierer

Große Ernüchterung innerhalb der französischen Rechten.

Daniel Fiß ist freier Publizist.

Nach den Wahl­er­fol­gen zur Euro­pa­wahl und einer mehr als soli­den ers­ten Run­de der Par­la­ments­wah­len hoff­te man beim Ras­sem­blem­ent Natio­nal (RN) auf ein poli­ti­sches Erd­be­ben, wel­ches Mari­ne Le Pen und ihren Front­mann Jor­dan Bar­del­la end­lich den Zugang zur Macht eröff­nen sollte.

Der RN geht am Ende mit dem höchs­ten abso­lu­ten (8 Mil­lio­nen und pro­zen­tua­len (32,1%) Stim­men­an­teil aller Par­tei­en den­noch nur als Dritt­plat­zier­ter vom Feld. Grund 1 dafür sind die Tücken des fran­zö­si­schen Mehr­heits­wahl­sys­tems, wel­ches einen Par­la­ments­sitz nur durch den Gewinn eines Wahl­krei­ses ermöglicht.

Grund 2 ist eine soge­nann­te „Repu­bli­ka­ni­sche Front“ von lin­ken Kom­mu­nis­ten bis hin zu Libe­ra­len die sich als „Anti-Le Pen Alli­anz“ for­mier­ten. Der RN konn­te zwar auch 54 Sit­ze in der Natio­nal­ver­samm­lung dazu­ge­win­nen, aber blieb den­noch weit unter den Erwar­tun­gen einer mög­li­chen abso­lu­ten Mehrheit.

Bereits im Vor­feld war für die meis­ten poli­ti­schen Beob­ach­ter unklar, ob sich zwi­schen Macrons Bünd­nis „Ensem­ble“ und dem lin­ken Par­tei­en­blu­men­strauß des Bünd­nis­ses der „Natio­na­len Volks­front“ nach dem ers­ten Wahl­gang über­haupt eine tak­ti­sche Wäh­ler­ko­ali­ti­on schmie­den ließe.

Zunächst muß­ten in einer Mehr­heit aller Wahl­krei­se die Dritt­plat­zier­ten des ers­ten Wahl­gangs zuguns­ten des Zweit­plat­zier­ten ihre Kan­di­da­tur zurück­zie­hen, um somit einen Durch­marsch des RN zu ver­hin­dern. In etwa der Hälf­te aller Wahl­krei­se gelan­gen der­ar­ti­ge Ver­ein­ba­run­gen und Absprachen.

Zwei­tens muß­ten sol­che Plan­spie­le auch für den Wäh­ler über­zeu­gend trans­por­tiert wer­den. In 215 Wahl­krei­sen kam es zu Rück­zü­gen des jeweils aus­sichts­rei­che­ren Ensem­ble- (Macron Bünd­nis) oder NFP- (lin­ke Volks­front) Kan­di­da­ten. Die repu­bli­ka­ni­sche Front erwies sich somit als außer­or­dent­lich effizient.

Die Wäh­ler­schaft von Macrons Par­tei, die mit ihrem wirt­schafts­li­be­ra­len Pro­fil als pro­gram­ma­ti­sches Pen­dant zur deut­schen FDP gese­hen wer­den kann, muß­te in zahl­rei­chen Wahl­krei­sen einen kom­mu­nis­ti­schen Kan­di­da­ten unter­stüt­zen, und umge­kehrt muß­ten in ande­ren Wahl­krei­sen lin­ke Wäh­ler das ihnen eigent­lich ver­haß­te Macron-Bünd­nis über die Ziel­li­nie tragen.

Seit ges­tern Abend wis­sen wir nun, dass die­ses Kal­kül für Macron und das Links­bünd­nis auf­ge­gan­gen ist.

Die zwei­fel­los gewach­se­ne Nor­ma­li­sie­rung des RN in der fran­zö­si­schen Par­tei­en­land­schaft und die damit ein­her­ge­hen­den erwei­ter­ten Mobi­li­sie­rungs­räu­me konn­ten den nach wie vor sta­bi­len „Cor­don- Sani­taire-Bun­ker“ nicht auf­bre­chen. 72% der Anhän­ger des lin­ken NFP-Bünd­nis­ses unter­stütz­ten im zwei­ten Durch­gang in ihren Wahl­krei­sen den Ensem­ble-Kan­di­da­ten. Ent­ge­gen­ge­setzt gaben immer­hin mehr als die Hälf­te der Ensem­ble-Wäh­ler einem Kan­di­da­ten aus dem Links­bünd­nis ihre Stim­me. Der Fak­tor der höchs­ten Wahl­be­tei­li­gung bei einer Par­la­ments­wahl seit mehr als 20 Jah­ren dürf­te die­se tak­ti­schen Spiel­zü­ge zusätz­lich begüns­tigt haben.

All dies zeigt, daß die Angst vor einer RN-Macht­über­nah­me nach wie vor groß ist und sie jeder­zeit akti­viert wer­den kann. LePen steht vor einer struk­tu­rel­len Bar­rie­re, die vor allem durch demo­gra­phi­sche und sozia­le Pro­zes­se wie der eth­ni­schen Wahl und der Urba­ni­sie­rung stets wei­ter gefes­tigt wird. Auch wenn die Wahl­kar­ten sich sowohl nach der Euro­pa­wahl und der ers­ten Par­la­ments­wahl­run­de in einem dunk­len blau ein­färb­ten, gilt die alte Regel: Land wählt nicht!

Am Wahl­abend hielt sich LePen mit State­ments weit­ge­hend zurück und über­ließ es ihrem Schütz­ling Jor­dan Bar­del­la, die­sen Rück­schlag zu erklä­ren. Sie will sich aus der Schuß­bahn neh­men, um die inner­par­tei­li­che Unter­stüt­zung für ihr Lebens­werk einer Prä­si­dent­schaft im Jahr 2027 nicht zu gefähr­den. Der Preis den die fran­zö­si­sche Rech­te für die­se Prä­si­dent­schaft zahlt, wur­de im Zuge die­ser Par­la­ments­wahl ein­mal mehr in die Höhe getrieben.

Der RN mag sich als par­tei­po­li­ti­scher Platz­hirsch der fran­zö­si­schen Rech­ten behaup­ten, doch er hat sich mit sei­nen poten­ti­el­len Bünd­nis­part­nern von Zemm­our bis zu den kon­ser­va­ti­ven Repu­bli­ka­nern verscherzt.

Sowohl die Repu­bli­ka­ner als auch Recon­quete kön­nen nach die­ser Par­la­ments­wahl nur noch einen poli­ti­schen Scher­ben­hau­fen zusam­men­fe­gen. Damit mag die inter­ne Kon­kur­renz LePens struk­tu­rell neu­tra­li­siert zu sein, doch dadurch wird es für die Rech­te auch schwie­ri­ger gewis­se urba­ne und bür­ger­lich-intel­lek­tu­el­le Milieus an sich zu bin­den, für die sowohl Zemm­our als auch die Repu­bli­ka­ner ein attrak­ti­ves Ange­bot gewe­sen ist.

Gewiß über­wie­gen für den RN jetzt die stra­te­gi­schen Chan­cen. Kaum jemand in der fran­zö­si­schen Poli­tik glaubt an die lang­fris­ti­ge Sta­bi­li­tät des lin­ken NFP-Bünd­nis­ses. Der gemein­sa­me Nen­ner war die RN-Ver­hin­de­rungs­tak­tik und die gleich­zei­ti­ge Schein­wah­rung einer Ableh­nung von Macron. Eine akti­ve poli­ti­sche Visi­on unter der sich alle Akteu­re ver­ei­nen könn­ten, kann die fran­zö­si­sche Lin­ke jedoch nicht vor­wei­sen. Neu­er­li­che Span­nun­gen und Spal­tun­gen sind vorprogrammiert.

Auch für die Libe­ra­len unter Macron ist die Situa­ti­on nicht ein­fa­cher gewor­den. Macron rech­ne­te wohl kaum damit, dass die Lin­ke inner­halb kür­zes­ter Zeit ein eige­nes Bünd­nis schmie­den wür­de und hoff­te auf eine Zer­streu­ung der lin­ken Kräf­te. Nun wird er auf fra­gi­le Mehr­hei­ten zwi­schen sei­ner Par­tei und eini­gen mode­ra­ten lin­ken Akteu­ren hof­fen, die über die kom­men­den Jah­re wahr­schein­lich immer wie­der zer­bre­chen und dann neu auf­ge­baut wer­den müs­sen. Poli­tisch sta­bi­le und lang­fris­ti­ge Alli­an­zen sind im fran­zö­si­schen Par­la­ment eher unwahr­schein­li­cher geworden.

Der RN kann in die­ser Lage vor allem sein Oppo­si­ti­ons­pro­fil stär­ken und die­ses noch stär­ker als Mobi­li­sie­rungs­res­sour­ce nut­zen. Le Pen und Co wer­den wei­ter­hin auf ent­täusch­te lin­ke Wäh­ler hof­fen, die die erwart­ba­ren Koope­ra­tio­nen mit Macron als Ver­rat anse­hen. Zugleich wird Ensem­ble mit Macron als prä­si­dia­les Zug­pferd 2027 wahr­schein­lich implo­die­ren. Auch dort fehlt es an Visi­on und Stra­te­gie für die Post-Macron-Ära.

Setzt man die Prä­mis­se von einem wach­sen­den RN und einer gleich­zei­tig frag­men­tier­ten Par­tei­en­land­schaft vor­aus, stellt sich nun die Fra­ge, ob Le Pen eher von der gesell­schaft­li­chen Pola­ri­sie­rung oder dem wei­te­ren Zuge­hen auf die poli­ti­sche Mit­te pro­fi­tie­ren wird.

Wie vie­le tak­ti­sche Opfer kann sich der RN noch leis­ten, um einer­seits nicht den inne­ren Par­tei­f­rie­den über­zu­stra­pa­zie­ren und zugleich auch inhalt­lich-pro­gram­ma­tisch als dezi­diert rech­tes und alter­na­ti­ves poli­ti­sches Pro­jekt wahr­ge­nom­men zu werden?

Hin­zu kommt die Fra­ge, was Le Pen an der Macht ange­kom­men dann der fran­zö­si­schen Rech­ten bie­ten möch­te. Denn wer sich für den Macht­ge­winn ent­dä­mo­ni­siert, wird die­se Ent­dä­mo­ni­sie­rung auch für den Macht­er­halt wei­ter­trei­ben. Das Para­de­bei­spiel dafür kön­nen wir bei Melo­ni in Ita­li­en beobachten.

Daniel Fiß ist freier Publizist.

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Kommentare (8)

RMH

8. Juli 2024 19:26

Ein deartiges Schicksal wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die AfD bei den Wahlen im Herbst in den neuen Ländern ereilen. Mit siegt nominell, aber am Ende bleibt es beim Katzentisch, der dann eben überbelegt ist. BSW als Kanal funktioniert offenbar. Einzig dem Bundesland Sachsen traue ich eine Überraschung zu. Und Macron ist das, was man in Bayern unter "ein Hund is er scho", bezeichnet. Unter dem Strich hat er sein Land leider nach links getrieben. Das die Franzosen nicht erst nach Ende der jetzt begonnen Wahlperiode wählen werden sondern vorher, liegt aber nahe.
PS: Ich kann das Herumhacken auf Meloni langsam nicht mehr ab. Die Frau erreicht mehr für ihr Land, als alle hier an ihr Herumnörgelnden sich für Deutschland nur träumen können - und wir bezahlen dennoch weiterhin für Italien (Volltreffer!). Das sie das Recht auf Abtreibung aus der G7 Schlusserklärung nehmen lies, kann man nicht oft genug hervorheben. Damit hat sie Macron und U. von der Leyen eine gewatscht.

das kapital

8. Juli 2024 19:40

Es ist doch wohl richtig, die Rechte zu entdämonisieren und den Krieg gegen Rechts einzudämmen. Bei uns gelingt das noch nicht, aber in Ungarn und Italien und den Niederlanden gelingt das und in Frankreich ist es in Reichweite.

Gracchus

8. Juli 2024 21:12

Ich denke, Le Pen hat es einfach nicht drauf. Sie wird nie Präsident.

Franz Bettinger

8. Juli 2024 21:18

In der Migrations- und Post-Corona-Ära ist die Stimmung überall in der Welt nach Rechts gekippt. Daran ändern verfahrenstechnische Tricksereien nichts. Im Gegenteil, sie belegen die Defekten Demokratien und Blei-schweren Unrechtsstaaten. Die Zeit ist reif. Sie werden fallen. 

Laurenz

8. Juli 2024 21:21

@RMH ... Sahra Wagenknecht gräbt sich aktuell selbst das Wasser ab. https://www.nordkurier.de/politik-wirtschaft/wegen-der-afd-koalition-zwischen-wagenknecht-und-den-gruenen-im-osten-2676120 Die Grünen müssen auch erstmal in die Landtage kommen. Bei der EU-Wahl hat auch die AfD Stimmen an das BSW verloren, aber das war überschaubar. Insofern bleibt das BSW ein 0-Summen-Spiel, kann dafür sorgen, daß mögliche Einheitsfront-Mitglieder draußen bleiben. Was Meloni angeht, so muß ich Ihnen ausnahmsweise Recht geben. Meloni ist die Königin des Machbaren, was nicht heißt, daß Sie unser Freund ist. Der Rausschmiß der G7-Abtreibungsnummer war wohl die Retourkutsche dafür, weil sich abzeichnete, daß kein Meloni-Mann einen der 3 EU-Top-Jobs erhält. Sie spricht Sich für den Krieg aus, liefert aber weder groß Waffen, noch Geld. Vielmehr baut Sie (Leonardo) jetzt mit Rheinmetal Panzer. Auch bei uns geschieht im Grunde bis vor kurzem Undenkbares. https://www.rheinmetall.com/de/media/news-watch/news/2024/02/2024-02-12-rheinmetall-baut-neue-munitionsfabrik-in-unterluess-spatenstich-mit-bundeskanzler-scholz

Gelddrucker

8. Juli 2024 21:24

Auch hier gilt was für alle europäischen Länder gilt:
 
Die Aufklärung über den Bevölkerungsaustausch und Frankreich als in Zukunft afrikanisch-muslimisches Land ist leider nicht das Hauptthema. Ich kenne mehrere in Deutschland lebendes Franzosen, denen ICH vorrechnen musste, wann die Lage demographisch kippt. Wie kann das sein?
Es braucht endlich eine westeuropäische Mega-Aufklärungskampagne über die demographische Lage und wann sie kippt. Und dann bitte nicht wie auf manchen Seiten praktiziert einfach alle Migrationshintergründler in einen Topf werfen. Bei vielen ist nämlich der Mihigru komplett egal (allermeistens Brudervölker).

dojon86

8. Juli 2024 21:44

@RMH Stimme zu. Meloni ist kein Wunderwuzzi aber ein Lichtblick. (Gott bewahre uns vor Wunderwuzzis, der letzte hat uns Deutsche ins Unglück geführt) Bei vielen Deutschen spielt bei Politikern aus dem romanischen Raum noch immer ein antilateinisches Ressentiment eine große Rolle. Seltsam, dabei möchte ich sagen, dass die Angelsachsen (wozu ich die USA, Kanada, Australien und Neuseeland zähle) den Deutschen zwar kulturell am nächsten sind, aber seit 1900 immer unsere gefährlichsten Gegner waren.

Speng

8. Juli 2024 22:15

RMH:
"Das sie das Recht auf Abtreibung aus der G7 Schlusserklärung nehmen lies, kann man nicht oft genug hervorheben."
Und das ist genau der gesellschaftspolitische Tand, den die Oberen solchen Rechtspopulisten überlassen, welche bei den wirklich wichtigen Themen auf Linie sind. Auch ein Klassiker: "Es gibt nur zwei Geschlechter"usw. usf.... PS: Ich bin auch generell gegen Abtreibungen, aber so ein Zirkus rettet nicht ein Kindchen noch Mutterseelchen.
Zur Wahl: Mehrheitswahlrecht ist hier, wie in GB auch, antidemokratischer Krebs. Schön fürs System.
Zum Wähler: Mit Blick auf die nächsten Jahre darf man sich ruhig etwas Häme und Schadenfreude erlauben. Wenn Liberale sich mit, teilw. gewalttätigen, Antifas absprechen, heißt es: geliefert wie bestellt.
Zu LePen: Ähnlich wie oben vermerkt, freut es einen, wenn's für die 30 Silberlinge nicht reicht. 2027 dann nochmals das gleiche Spiel.