Kubitschek sagte das beschreibend, nicht empfehlend, und das ist, denkt man den Satz weiter, ein tiefer Gedanke. Er erklärt, weshalb Deutschland auch bis auf Weiteres sehenden Auges in die Katastrophe rennt.
Im Land haben sich solch enorme Reichtümer angesammelt, Dinge also, die man verlieren könnte, daß die Sorge vor dem unmittelbaren Verlust die vor dem Gesamtniedergang bei weitem überragt. Ob Haus, Grundstück, Vermögen, Versicherungen, Rente, Auto, Beruf, Arzt, Urlaub oder die bürgerlichen Freiheiten, sie alle binden die Menschen an die Aktionslosigkeit.
Was in dieser Lage getan werden kann, ist politisch vorgegeben: man kann einer Partei beitreten, alle paar Jahre wählen gehen und scheinbare Merkzettel verteilen, man kann leicht aufmüpfige Feuilletonisten lesen, sich halbwitzige Satiriker anschauen und vielleicht auch mal beim Stammtisch mit der Faust auf den Tisch hauen und alles verfluchen.
Aber ändern kann man nichts. Die politische Ohnmacht findet kein Ventil; nicht, weil es nicht genügend Wut gäbe, und auch nicht nur, weil kaum öffentliche Ausbruchmöglichkeiten in wirklich relevanten Medienformaten angeboten werden, sondern vor allem, weil wir alle an unserem mehr oder weniger hart Erarbeiteten oder Ererbten hängen und nicht bereit sind, uns davon unabhängig zu machen. Massenmediale Indoktrinierung, sozialstaatliche Kissen – auch wenn sie allmählich härter werden – und gelegentliche Zurschaustellung der möglichen Repressionsmittel bei Ungehorsam leisten ein Übriges.
Widerstand ist bei einfachen, mittellosen, armen, entrechteten Menschen viel wahrscheinlicher als in saturierten Gesellschaften. Deshalb konnten die Ideen von Marx, Engels und Lenin im Großen gesehen – auf der Basis der Existenz eines unter unvorstellbaren Lebensbedingungen vegetierenden Industrieproletariats – „zur materiellen Gewalt“ werden und deshalb gehen just heute noch und im Mikroskopischen jene Iren in Dublin gegen die politisch verordnete Migrationsakzeptanz in ihren heruntergekommen Vierteln auf die Straße, deren Distanz zum Boden viel geringer ist als zum Himmel, und deshalb gibt es auch in jenen Stadtvierteln von Leeds Riots, wo der soziale Bodensatz aus Rumänien oder Bangladesch sich konzentriert.
Dabei ist es weniger der materielle Reichtum an sich und seine aktuellen Konsumptionen, der bindet, sondern die Sicherheit und zukünftige Planbarkeit des Lebens, die er verspricht. Man sagt ja auch, jemand sei finanziell abgesichert, und das heißt: in der Zeit, in der Ferne. Die eigentliche Währung des Reichtums sind nicht Mark, Euro, Dollar oder Bitcoin, sondern es ist die Aussicht auf überraschungsfreie, planbare Zukunft, es sind die Möglichkeiten und es ist die gesicherte kommende Zeit.
Es bräuchte schon die Weisheit und Gelassenheit eines Jesus, Buddha oder Seneca, um den Gedanken „Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat“ (Mt. 6,34) als Beruhigung empfinden zu können. Der moderne Mensch ist dadurch charakterisiert, daß er dieses Zutrauen in das Geschick verloren hat.
Moderne ist ein Verwöhnungsprozeß, „sie will Gegenwart ohne Tränen. Für sie ist Kultur der Zustand, wo sich die Frage nach der Herkunft des Wassers durch die Existenz von Wasserhähnen beantwortet“. (Sloterdijk)
Die bundesrepublikanische, ja, die gesamte westliche Gesellschaft geriet im Corona-Wirbel nicht primär aus Angst vor dem Virus oder aus dem vermeintlichen Verlust der bürgerlichen Freiheiten in einen Schock, sondern weil man plötzlich begriff – und zwar in allen Gesellschaftskreisen, insbesondere in den bessersituierten –, daß das Leben per se noch immer ein unplanbares Etwas ist. Ob Natur, ob Markt (2008), ob Migrationschaos (2015) oder ob Krieg …, derartige Ereignisse machen in immer schnellerer Abfolge den Illusionscharakter von Planbarkeit und Sicherheit offenkundig.
Alles kann von heute auf morgen verschwinden, der Traum vom guten Auskommen bis ans Lebensende und über Generationen hinweg zerplatzen. Mehr noch, diese Fast-Katastrophen bringen uns in Erinnerung, daß der Abbruch von Lebenskontinuitäten in der gesamten Geschichte der Menschheit der Normalfall war und daß unsere acht Jahrzehnte Frieden und Prosperität ein historisches Freak-Ereignis darstellen.
Das führt sukzessive zu neuen Handlungstendenzen. Erst wenn Menschen die Zukunft nicht mehr vorausplanen können, wenn ihnen die eigene und die Sicherheit der ihren abhanden gekommen ist, geraten sie in Hektik, neigen zu abrupten Entscheidungen, lassen sie sich von Katastrophenstimmungen übermannen, werden bereit, das gesicherte Gewesene einem unsicheren Kommenden – gemeinhin als Hoffnung, Rache oder Revolution bezeichnet – zu opfern. Sie sind dann bereit, aus Desastern oder drohenden Katastrophen zu lernen und in diesem Lernprozeß auch persönliche Risiken einzugehen.
Es bedarf dazu aber einer hinreichend großen Katastrophe, die andererseits aber auch nicht zu groß, nicht allesvernichtend, nicht resignativ sein darf. Peter Sloterdijk stellte sich in seiner früher Arbeit „Eurotaoismus“, im Abschnitt „Wieviel Katastrophe braucht der Mensch?“ die Frage:
Welche Größenordnung müßte eine Katastrophe haben, ehe von ihr der erwartete allgemeine Erkenntnisblitz ausstrahlt? Von welchem Punkt an wären Katastrophen Evidenzgründe für radikale mentalitätsverwandelnde Einsichten?,
um freilich zu dem Schluß zu kommen, daß
es offenbar kein quantitatives Maß gibt, das als ‚didaktisch‘ zureichende Größe des Unglücks angenommen werden könnte.
Das „Corona-Debakel“ hielt Sloterdijk an anderer Stelle für das „richtige Format“, um als „Warnkatastrophe“ (C. F. v. Weizsäcker) wirken zu können – schon drei Jahre später können wir konstatieren, daß dies zu optimistisch gedacht war.
Die Gattung betreffend, sieht Sloterdijk jedenfalls keine edukative Möglichkeit, denn
die Menschheit ist a priori lernbehindert, weil sie kein Subjekt ist, sondern ein Aggregat.
Das dürfte in Sloterdijks Lesart auch für Groß-Entitäten wie Völker gelten.
Vorausgesetzt, diese Überlegungen treffen die Realität, dann dürfte Kubitscheks Idee des „Kältebades“ für ein Volk oder eine Nation, sofern man es als Kneippkur, als Abhärtung, als Erweckung aus dem Schlummer in den weichen, warmen Badetüchern versteht, ebenso zu den Dampffiguren gehören, die mit Öffnung der Tür, mit dem Anwerfen des Ventilators zerstäuben.
Die kommende Kälte oder Katastrophe, wenn sie geschichtswirksam werden soll, wird zuerst zur Vereinzelung führen, zum Rette-sich-wer-kann und was-er-kann und erst, wenn die heruntergekommenen Partikel sich erneut als sich Ähnliche versammeln, entsteht wieder ein geschichtsrevolutionierendes Potential. Das Leid, die Kälte muß individuell und existentiell erfahren werden, es muß von vorn, von ganz unten, vom Nullpunkt angefangen werden, denn ein bißchen mehr Kälte ist immer noch zu warm, ist noch immer verteidigungs- und lohnenswert.
das kapital
Deutschland nervt. 1984 war ich hier froh und glücklich und habe es geliebt. Das Deutschland, das ich finde, liebe ich nicht mehr. Das Deutschland, dass ich liebte, finde ich nicht mehr. Also ist es Zeit, Land zu gewinnen. Möglichst ein anderes. Das Maß an systematischer Fremd- wie Selbst- und Zukunftszerstörung wird zunehmend unerträglich. Der Krieg gegen Rechts macht das soziale Leben zunehmend unerträglich und führt zu Umgangsformen, denen ich mich vor 40 Jahren nicht aussetzen musste. Wenn das jetzt kollektiv so wird, dann gibt es bestimmt Länder, in denen der Umgang unter "Normalen" besser funktioniert. Ich möchte einfach nicht mehr in einem Land leben, das jeden perversen Scheißdreck zur Staatsräson erklärt und vom normalen Leben nicht mehr genug übrig lässt. Wenn ich mit afghanischen Messerstechern hätte leben wollen, dann wäre ich längst nach Afghanistan gezogen. Wenn Baerbock da 5.000 mit gefälschten Papieren einfliegt und 10.000 weitere einfliegen will, dann ist das nicht mehr mein Land. Es zeichnet sich bei den vorhandenen Strukturen, hirnverbrannten Parteien und Regierungen und Verbänden und Konzernen, die den ganzen Dreck seit 1998 mitmachen einfach keine Zukunftsperspektive ab. Blackrock hat sich Merz schon als potentiellen Kanzler von 2025 bis 2029 eingekauft. Was sollte sich dann mit Agora Graichen und Habeck noch zum Besseren wenden ?