Johannes Zeller: Meißen intern – die Geheimpolizei der SED

von Erik Lommatzsch --

Es erstaunt immer wieder, welche Unausgegoren­heiten als Buch gedruckt und dem Leser angeboten werden.

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Ein­lei­tend heißt es, Gegen­stand sei die Geschich­te der Kreis­dienst­stel­le Mei­ßen des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit (MfS). Obwohl Stu­di­en über die als Geheim­dienst und ‑poli­zei der DDR fun­gie­ren­de Behör­de zahl­reich sei­en, feh­le bis­lang eine ent­spre­chen­de (Beispiel-)Untersuchung auf der unters­ten orga­ni­sa­to­ri­schen Ebe­ne, der Kreisebene.

Sei­nen selbst­ge­stell­ten Anspruch löst der Autor Johan­nes Zel­ler nur sehr bedingt ein. Flo­cken­de Zusam­men­hang­lo­sig­keit und Kapi­tel, die weit vom The­ma des Buches ent­fernt sind, kenn­zeich­nen das Werk Mei­ßen intern. Eine Viel­zahl von den MfS-Akten ent­nom­me­nen Infor­ma­tio­nen wird anein­an­der­ge­reiht. Etwa die Hälf­te Buches besteht aus fak­si­mi­lier­ten Doku­men­ten, die weit­ge­hend unkom­men­tiert bleiben.

Zu den Kom­ple­xen, die aus schwer nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den in das Buch auf­ge­nom­men wur­den, gehört die Schil­de­rung der durch die SED initi­ier­ten Grün­dun­gen der Block­par­tei­en DBD und NDPD im Jahr 1948. Ein umfang­rei­ches Kapi­tel beschäf­tigt sich mit der Abset­zung und Ver­haf­tung des DDR-Minis­ters Karl Hamann im Dezem­ber 1952, der der LDPD ange­hör­te, und der Gefü­gig­ma­chung der Libe­ral­de­mo­kra­ten in der DDR. Über den für die Wirt­schaft nach­tei­li­gen Ein­fluß der SED-Funk­tio­nä­re wird referiert.

Daß Hans Mod­row im Dezem­ber 1989 noch eif­rig bemüht war, die SED zu »ret­ten« und unver­blümt den Staats­si­cher­heits­dienst – unter Scho­nung der Aus­lands­auf­klä­rung – als Sün­den­bock opfern woll­te, ist nicht neu. Im abschlie­ßen­den Teil sei­nes Buches wider­spricht Zel­ler bis­he­ri­gen Dar­stel­lun­gen zur Grün­dung der »Grup­pe der 20« in Dres­den am 8. Okto­ber 1989. Ins­be­son­de­re geht es ihm dar­um, daß die Rol­le des dama­li­gen Kaplans Frank Rich­ter bei der For­mie­rung der Ver­tre­ter der Oppo­si­ti­on weit gerin­ger war als spä­ter behaup­tet. Die­se The­se wäre ein rela­tiv unbe­kann­ter Aspekt – aller­dings auch der ein­zi­ge des gan­zen Buches.

Zel­ler betont zu Recht, daß »zwi­schen SED und MfS das Ver­hält­nis des Auf­trag­ge­bers zum Beauf­trag­ten bestand, in dem das MfS für die Par­tei tätig zu wer­den hat­te, und nicht umge­kehrt«. In den Pas­sa­gen, in denen er dann tat­säch­lich die Kreis­dienst­stel­le Mei­ßen des MfS in den Blick nimmt, behält der Leser den Ein­druck zurück, Zel­ler habe die ihm vor­lie­gen­den Akten­kon­vo­lu­te »abge­ar­bei­tet« und ihm bemer­kens­wert Erschei­nen­des auf­ge­lis­tet oder gleich im Ori­gi­nal über­nom­men, ohne wei­te­ren dar­stel­le­ri­schen, ver­mit­teln­den und ana­ly­ti­schen Anspruch. Eine Sys­te­ma­tik ist schwer auszumachen.

So fin­det sich etwa der Abdruck eines auch der Kreis­dienst­stel­le zuge­gan­ge­nen Leit­fa­dens mit dem Titel »Wer ist wer« aus dem Jahr 1975. Die MfS-Mit­ar­bei­ter wur­den hier minu­ti­ös instru­iert, wel­che Details über ein­zu­schät­zen­de Per­so­nen zu erfas­sen sei­en. Als gro­ße, immer wie­der­keh­ren­de Auf­ga­be für das MfS stell­te sich die »Zurück­drän­gung rechts­wid­ri­ger Ersu­chen auf Über­sied­lung nach der BRD bzw. Ber­lin-West« dar, spe­zi­ell auf die gut aus­ge­bil­de­ten Por­zel­lan­ma­ler der Meiß­ner Manu­fak­tur woll­te man nicht verzichten.

Das MfS kon­trol­lier­te auch, ob die »Zurück­wei­sungs­ge­sprä­che« der damit beauf­trag­ten Stel­len ord­nungs­ge­mäß geführt wur­den, etwa indem ein Inof­fi­zi­el­ler Mit­ar­bei­ter zum Schein die Aus­rei­se bean­trag­te. Eben­so war der Staats­si­cher­heits­dienst mit dem Pro­blem der »Wahl­vor­be­hal­te« befaßt – die DDR-Füh­rung leg­te Wert dar­auf, daß sich die Bevöl­ke­rung an der Wahl­far­ce betei­lig­te und so zumin­dest äußer­lich Zustim­mung signalisierte.

Über­ra­schend ist der­ar­ti­ges nicht, hat aber wohl sei­nen Platz in einer Geschich­te einer MfS-Kreis­dienst­stel­le, im Gegen­satz zu mehr­fach unver­mit­telt auf­tau­chen­den Anga­ben – wie etwa über die Haupt­amt­li­che Inof­fi­zi­el­le Mit­ar­bei­te­rin »Ursu­la«. Dienst­zeit, Gehalt, Kin­der, alles unspek­ta­ku­lär, wer­den auf­ge­zählt, ansons­ten spielt die Frau kei­ne Rol­le. Maxi­mal illus­tra­ti­ven Cha­rak­ter haben Doku­men­te wie die in Aus­zü­gen abge­druck­te »Chro­nik«, die durch die MfS-Kreis­dienst­stel­le selbst ange­fer­tigt wurde.

Sprach­lich unge­lenk wirkt Mei­ßen intern, eine feh­len­de Kor­rek­tur, Red­un­dan­zen, ent­behr­li­che Details wie Regis­trier­num­mern Inof­fi­zi­el­ler Mit­ar­bei­ter, aus­führ­li­che Typen­an­ga­ben zu Waf­fen oder die minu­tiö­se Auf­zäh­lung von Prä­mi­en erschwe­ren die Lesbarkeit.

Woll­te man par­tout ein posi­ti­ves Schluß­ur­teil fäl­len, so lie­ße sich for­mu­lie­ren: Schlag­licht­ar­ti­ge Ein­drü­cke zur DDR-Geschich­te im all­ge­mei­nen und zum Staats­si­cher­heits­dienst im beson­de­ren, mit Schwer­punkt auf dem Kreis Mei­ßen, sind dem Buch zu ent­neh­men, grund­sätz­li­che und nicht zu knap­pe Vor­kennt­nis­se über die zwei­te deut­sche Dik­ta­tur soll­ten aller­dings vor­han­den sein.

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Johan­nes Zel­ler: Mei­ßen intern – die Geheim­po­li­zei der SED, Ham­burg: Ver­lag Dr. Kovač 2023. 192 S., 48,50 €

 

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