Quinn Slobodian: Kapitalismus ohne Demokratie

von Bernard Udau --

Wäre dieses Buch etwas später erschienen, hätte Slobodian noch ein Kapitel über Argentiniens neuen Präsidenten Javier Milei einbauen können.

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Slo­bo­di­an argu­men­tiert, daß Markt­ra­di­ka­le – also Liber­tä­re und Anar­cho­ka­pi­ta­lis­ten – seit Jahr­zehn­ten ver­su­chen, Mög­lich­kei­ten zu fin­den, wie sie öko­no­mi­sche Fra­gen der demo­kra­ti­schen Wil­lens­bil­dung ent­zie­hen können.

Mileis Plan, einen natio­na­len Not­stand aus­zu­ru­fen, um sei­ne »Schock­the­ra­pie« durch­zu­set­zen und gel­ten­de Geset­ze aus­zu­he­beln, kann als wei­te­rer Ver­such in die­ser Rich­tung gel­ten. Im Not­stand könn­te Prä­si­dent Milei über Fra­gen ent­schei­den, die aktu­ell nur vom Par­la­ment gere­gelt wer­den dürfen.

Das The­ma des Buches ist also ohne Zwei­fel hoch­ak­tu­ell. Ist es tat­säch­lich unmög­lich gewor­den, frei­heit­li­che wirt­schaft­li­che Refor­men durch­zu­füh­ren, ohne die Demo­kra­tie ein­zu­schrän­ken? Oder kann ande­rer­seits der Kapi­ta­lis­mus nicht ohne Demo­kra­tie existieren?

Lei­der setzt sich Slo­bo­di­an allen­falls am Ran­de mit den theo­re­ti­schen Posi­tio­nen zum Zusam­men­hang zwi­schen Kapi­ta­lis­mus und Demo­kra­tie aus­ein­an­der. Der Unter­ti­tel der deut­schen Aus­ga­be des Buches täuscht die Leser in die­sem Punkt nicht. Es geht tat­säch­lich dar­um, »wie« Markt­ra­di­ka­le die Welt in Zonen zer­le­gen wol­len, kaum jedoch um das »War­um«.

Alle Kapi­tel sind Fall­stu­di­en und beschrei­ben zumeist einen his­to­ri­schen Ver­such, wie liber­tä­re Den­ker und Akti­vis­ten Zonen schaf­fen woll­ten oder wol­len, in denen die ansäs­si­gen Bür­ger nicht nach her­kömm­li­cher Art von einem Staat regiert wer­den, son­dern mög­lichst behan­delt wer­den wie Kun­den eines Unter­neh­mens. Nach der Vor­stel­lung der Markt­ra­di­ka­len sol­len die­se Zonen dann idea­ler­wei­se unter­ein­an­der kon­kur­rie­ren, wobei die poten­ti­el­len Bewoh­ner und Unter­neh­mer mit den Füßen dar­über abstim­men, wel­che Zonen die bes­ten Dienst­leis­tun­gen und die bes­ten juris­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen bieten.

Hin­ter den von Slo­bo­di­an beschrie­be­nen Pro­jek­ten steht der Gedan­ke, daß eine Kon­kur­renz der­ar­ti­ger Juris­dik­tio­nen eine dis­zi­pli­nie­ren­de Wir­kung auf die­se hät­te und inso­fern eine Alter­na­ti­ve zur klas­si­schen Demo­kra­tie dar­stel­len könn­te. Frei nach dem Mot­to: Wir brau­chen kein poli­ti­sches Mit­be­stim­mungs­recht, wenn wir uns die Bedin­gun­gen, unter denen wir leben, wie im Super­markt frei aus­su­chen kön­nen. Slo­bo­di­an wählt aller­dings nicht den Weg, sich mit die­sem Gedan­ken­gang theo­re­tisch aus­ein­an­der­zu­set­zen. Statt des­sen hat er sich dafür ent­schie­den, die betei­lig­ten Per­so­nen und Pro­jek­te in ein schlech­tes Licht zu rücken und damit zu diskreditieren.

Die liber­tä­ren Prot­ago­nis­ten wer­den in der Ein­lei­tung als eine »rech­te Gue­ril­la« vor­ge­stellt, die den Natio­nal­staat Zone für Zone zurück­er­obern und – auf­ge­paßt – »zer­set­zen« will. Nun mag das Ver­hält­nis zwi­schen einer rech­ten Gesin­nung und dem Natio­nal­staat im eng­lisch­spra­chi­gen Raum eine ande­re sein als in Mitteleu­ropa. An die­ser Stel­le hät­te eine bes­se­re Wort­wahl bei der Über­set­zung Abhil­fe schaf­fen kön­nen. Was jedoch sicher­lich woan­ders ähn­lich ist wie in Deutsch­land, ist die Tat­sa­che, daß man Men­schen unmög­lich macht, wenn man sie als rechts, sexis­tisch, ras­sis­tisch, aus­beu­te­risch und ähn­li­ches brandmarkt.

Regel­mä­ßig fin­den sich in Slo­bo­di­ans Aus­füh­run­gen Details, deren ein­zi­ger Zweck es ist, die von ihm so genann­ten Markt­ra­di­ka­len per­sön­lich bloß­zu­stel­len. ­Mur­ray Roth­bard, Lle­wel­lyn Rock­well Jr., Hans-Her­mann Hop­pe und ande­re mit dem Lud­wig von Mises Insti­tu­te (USA) ver­knüpf­te Per­so­nen stellt ­Slo­bo­di­an ein­sei­tig als Befür­wor­ter der Ras­sen­se­gre­ga­ti­on vor. Ihr »Skript des ras­si­fi­zier­ten Aus­stiegs«, ihre »Revol­te gegen die Gleich­heit der Men­schen«, ihre »Fixie­rung auf das The­ma Haut­far­be« und ihr Plä­doy­er für ein »Ras­sen­be­wußt­sein« müs­sen die­se Män­ner für jeden red­lich den­ken­den Men­schen zu Per­so­nis non gra­tis machen. So lau­tet offen­bar der Gedan­ken­gang Slo­bo­di­ans, der ange­sichts sei­ner Unter­stel­lun­gen auf eine inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung ver­zich­ten zu kön­nen glaubt.

Ähn­lich geht Slo­bo­di­an im Kapi­tel über Süd­afri­ka vor. Die dort zu Zei­ten der Apart­heid ein­ge­rich­te­ten Home­lands wer­den als »Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger« für Schwar­ze bezeich­net, wel­che als bil­li­ge Arbeits­kräf­te die­nen soll­ten. Daß in den acht­zi­ger Jah­ren libe­ra­le Öko­no­men dar­an­gin­gen, aus die­sen Home­lands Frei­han­dels­zo­nen oder Export­pro­duk­ti­ons­zo­nen zu machen, rech­net ihnen Slo­bo­di­an trotz­dem nicht hoch an. Im Gegen­teil, er unter­stellt ihnen, die bestehen­den Struk­tu­ren nut­zen zu wol­len, »ohne dabei all­zu ras­sis­tisch zu wir­ken«. Was hier wie in ande­ren Kapi­teln fehlt, ist eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Idee an sich. Was waren oder sind denn die Alter­na­ti­ven? Wohin hat denn der von Nel­son Man­de­la aus­ge­ru­fe­ne Weg zu Frie­den und Har­mo­nie zwi­schen den Ras­sen auf Grund­la­ge eines all­ge­mei­nen Wahl­rechts in einem demo­kra­ti­schen Süd­afri­ka geführt? Dazu hört man von Slo­bo­di­an nichts.

Wer sich für die Geschich­te von Son­der­wirt­schafts­zo­nen in Chi­na, Dubai, Süd­afri­ka oder Sin­ga­pur inter­es­siert, kann eini­ges in die­sem Buch erfah­ren. Wer ver­ste­hen will, was die Argu­men­te für oder gegen die Begren­zung von Demo­kra­tie in und durch Son­der­wirt­schafts­zo­nen sind, wird nicht viel lernen.

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Quinn Slo­bo­di­an: Kapi­ta­lis­mus ohne Demo­kra­tie. Wie Markt­ra­di­ka­le die Welt in Mikro­na­tio­nen, Pri­vat­städ­te und Steu­er­oa­sen zer­le­gen wol­len, Ber­lin: Suhr­kamp 2023. 423 S., 32 €

 

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