Ja, vor nicht allzu langen Zeiten laborierten junge Leute an “Schulstreß”. Es sagt mir durchaus was. Mir selbst ist die eigene Schulzeit in so lebendiger Erinnerung, daß ich mindestens wöchentlich davon träume – mit drei Jahrzehnten Abstand! Immer wieder muß ich das Abi (oder das Staatsexamen, meist ist es eins) nachholen. Ich bin traumerfahren, weil mich das Phänomen Traum seit Jugendzeiten fasziniert. Sprich, ich kann längst „luzide“, d.h. steuernd träumen – aber der nächtliche Prüfungsstreß bleibt. Immer wieder stehe ich leer, mit Lücken, vor Lehrern.
Hans Giebenrath hatte mindestens zwei eminent (über-) fordernde Lehrer. Hesse schrieb seinen Roman lange, bevor es das Phänomen der „Snowflakes“ gab: junge Leute, die vor geringsten Herausforderungen zusammenbrechen.
Unsere Schneeflöckchen von heute kollabieren, wenn ein falsches Pronomen benutzt wurde oder wenn harte Tatsachen ohne „Triggerwarnung“ ausgesprochen werden. Zu Hesses Zeiten, vor 120 Jahren, herrschte ein ganz anderer Drill!
Ich wuchs wohl in einer Dazwischenzeit auf. Mit Hot Pants oder “Spaghettiträgern” (wie das wohl heute heißt?) wurde man nach Hause geschickt, zum Umziehen. Geschlagen wurde längst nicht mehr, gebrandmarkt aber durchaus. Und im Klassenbuch (ich war Klassenbuchbeauftragte) standen beide Elternteile mit Beruf. Ich fand´s höllisch interessant.
Ob es eine prägende Lehrergestalt gab? Nein, nicht „eine“, sondern mindestens drei, eher vier oder fünf! Natürlich die wenigen, die noch (und stets mit leidenschaftlichem pädagogischen Eros) Frontalunterricht praktizierten und niemals “Gruppenarbeit”.
Von den schrecklichen Lehrern, den unbeholfenen, den Miesmachern träume ich nie. Sie sind wie abgehakt. Die Pädagogen aber (etliche davon weiblich – und übrigens Nonnen), die damals Wegbereiter für mich waren, sind mir dauerpräsent.
Der Deutschlehrer ab Klasse 7 war so einer. Ich saß treu wie andererseits rebellierend zu seinen Füßen. Er lehrte mich (gegen heftige Widerstände) gute von schlechter Literatur zu scheiden. Wie ich mit 13 Jahren als Pubertier alles „Klassische“ haßte! Wie bin ich ihm ewig dankbar, daß er mich mit Geduld über Jahre hinführte zum Wahren, Schönen, Guten!
Dankbar auch gegenüber Schwester Monika, Schwester Gertrudis, Mater Agnes und Mater Bonifatia. Sie lehrten mich Menschenkunde und was „Gnade“ bedeutet. Als Jugendliche war ich habituell äußerst anstrengend. Sie brachten mir Mores bei, und wie man die Laster bekämpft. Mit enormer Langmut!
Ich fragte nun die eigenen Kinder, wie sehr sie sich „unterm Rad“ wähnten zu ihrer Schulzeit – und ob es denn gültige Wegweiser gegeben habe.
All meine Kinder sind oder waren Internatsschüler. Keines wurde dazu gezwungen oder gedrängt. Wir hatten es angeboten, weil wir selbst bereits zu Jugendzeiten (bevor wir uns kannten) von dieser Schule schwärmten.
Sechs Kinder (die siebte ist noch am Anfang) sagen im Nachgang unisono, daß sie sich sehr gefordert gefühlt hätten, daß es anstrengend gewesen sei, “total anders als das normale Gymnasium. Also: total”. Aber keines will diese Zeit missen. Sie fühlten sich „emporgezogen“, auch, weil sie sich an gewisse, bedeutsame Lehrer erinnern, die ihnen „etwas mitgegeben“ haben.
Während ich dies schreibe, es ist wahr, mitten im Text! (der sonst etwas anders ausgegangen wäre) klingelt es an der Tür, und dort steht, ein unglaublicher Zufall, eine ehemalige (Internats-) Lehrerin fast aller unserer Kinder.
Sie wollte „mal vorbeischauen“. Zufall, aber kein Wunder – es gibt wohl wenige Leute, die so vielseitig und ernsthaft interessiert und gebildet sind wie diese mittlerweile alte Frau, die nun am Stock geht.
Sie ist ganz definitiv nicht rechts, aber eben gedanklich agil, und sie begleitete unsere Kinder etwa 15 Jahre lang als Lehrerin. Ihr Ansehen in der Schule war und ist himmelhoch. Klausuren korrigierte sie knallhart. Sie hatte keine guten Noten zu verschenken. Im Internat kursierte eine Art Witz: „Nenne drei Universalgelehrte – Goethe, Lessing und Frau XY!”
Frau XY ist ein typisches DDR-Gewächs. Sie absolvierte zunächst einen handfesten Lehrberuf. Dann Abschluß und Doktorarbeit Biologie, später Theologie, ebenfalls mit Promotion.
Ich weiß (von meinen Töchtern), wie sie im Unterricht und ihren philosophischen AGs ethische Fragen durch- und durchkaute. Wie sie Einwände durch punktgenaue Verweise auf mittelalterliche/frühneuzeitliche/zeitgenössische Denker einordnen und parieren konnte. Sie hatte immer recht. Daß es sowas noch gibt!
Nun – Szenenwechsel – hatte ich gerade zuvor mit meinem Vater (84) und meiner jüngsten Tochter ein paar Stunden „Olympia“ geschaut. (Ja, so ist es. Man trifft sich alle paar Wochen mit dem Papa, es ist immer schön, aber es geht nunmal nicht ohne TV. Die Glotze ist, zumal abends, wie angewachsen. Daß mittlerweile selbst bei diesen sehr Alten zusätzlich der kleine Bildschirm vulgo Smartphone den Alltag prägt – Frau XY übrigens ausgenommen! –, ist noch mal ein anderes Thema.)
Wir sahen, wie in der „Vieiseitigkeit“ Pferde durch (aus meiner Sicht und der meines Kindes) höllische Parcours gescheucht wurden, steil bergauf, steil bergab, mit Sporen durch Schreckmomente getrieben. (Wir reiten selbst gern aus und pflegen rücksichtsvoll abzubremsen, wenn bloß unversehens ein Ast im Weg liegt.)
Ob diese harten Geländeritte nicht furchtbar und „eigentlich unvertretbar“ seien, wenn man die Pferdenatur berücksichtige, wollte die Tochter (sie hatte natürlich entsprechende, aktuell hochangesagte Youtube-Formate gegen “das Reiten” angeschaut – es scheint gerade eine harte, generelle “Anti-Reit-Stimmung” zu herrschen) von der „Universalgelehrten“ wissen, die seit Jahrzehnten selbst Pferde hält und liebt.
Was wäre ein guter, kluger Lehrer, der keine Überraschungsmomente bereithielte, etwas zum Nachdenken?
Frau XY beschied also, daß das Military-Reiten natürlich hochriskant sei – für Pferd und Reiter gleichermaßen. Kein Alltag, sondern eben Elite. Hohes Risiko, ja. Man müsse aber die Empfindlichkeitskultur der jüngeren Zeit beachten. Was über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende für normal gegolten habe (man denke nur an die Schlachtrösser in all den Kriegen, man denke auch, weg vom Pferd, an den Stierkampf), werde heute problematisiert.
Und dann: Man solle den traditionellen Pferdesport mal bitte ins Verhältnis setzen mit dem heute alltäglichen Massentierhaltungsbetrieb. Hunderttausende, Millionen Schweine und Rinder, die nie ein Fleckchen Grün sehen, deren Dasein reines Elend zum Zwecke der Verwertung sei. Was, bitte, sei dagegen ein gehegtes & gepflegtes Hochleistungspferd? Es gäbe nun mal Natur und andererseits Kultur.
Ich fand’s gut, wie die Tochter die Augen niederschlug. Das war eine Lektion! Danach ging es um dies & das. Es wurden Bücher ausgetauscht und über JRR Tolkien gefachsimpelt.
Beim Abschied sagte Frau Dr. Dr. XY lachend: „Nur für die sogenannte Transparenz: Ich war in der DDR Military-Meisterin.“ Und sie schwenkte ihren Stock zum Gruß.
Ja, es gab solche Lehrer “mit Bedeutung”– sie werden heute dringend gesucht. “Gerädert” würde sich ein zeitgenössischer Hans G. übrigens weniger durch fiese Lehrer noch durch eine starre Schulstruktur fühlen. Längst ist der „gestrenge Lehrer“ ein Mythos und ein Buhmann. Heutige Kinder kranken an ganz anderen Dingen. Womöglich hätte Giebenrath anno 2024 einfach sein Smartphone in die Salzach gefeuert. Und das wäre wohl ein guter “Move” gewesen.
wolfdieter
Wenn ich in meiner Schulzeit krame gibts einen Haufen Lehrer, die nicht so hoch im Ruf standen, denen ich aber aus heutiger – erwachsener – Sicht bescheinige, dass sie mich voran gebracht haben. Unterm Strich.
Ich war kein guter Schüler. Ich war aber ein interessierter Schüler. In erster Linie war ich ein schwieriger Schüler. Rückblickend bin ich dankbar für die Zeit in Schule und Gymnasium.