Haug,Wahl: Ukraine-Krieg – Weltordnungskrieg

Der Krieg in der Ukraine seit Februar 2022 stellt die bundesdeutsche politische Linke vor neue Herausforderungen.

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Ins­be­son­de­re die Mehr­heit inner­halb der Links­par­tei bekennt sich unein­ge­schränkt zum ange­grif­fe­nen Land als Vor­pos­ten eines neu­er­dings affir­mier­ten »frei­en Wes­tens«. Das­sel­be kann für einen nen­nens­wer­ten Teil der publi­zis­ti­schen lin­ken Land­schaft gel­ten: Von pro­non­ciert »anti­deut­schen« Peri­odi­ka (Jungle World, Baha­mas) bis zum ton­an­ge­ben­den Blatt des grü­nen Links­li­be­ra­lis­mus (taz) reicht die Soli­da­ri­täts­ka­ra­wa­ne mit Kiew, die dadurch einen gewis­sen Gleich­klang in der Bericht­erstat­tung erzeugt. Die trans­at­lan­ti­sche Wen­de der BRD-Mehr­heits­lin­ken sorgt dabei für eine bemer­kens­wer­te Anschluß­fä­hig­keit an das hege­mo­nia­le »Nar­ra­tiv« des Main­streams von ARD bis CDU.

Rarer gesät sind jene lin­ken Pro­jek­te, die sich die­ser For­mie­rung ver­wei­gern. Par­tei­po­li­tisch mate­ria­li­siert sich die klas­si­sche »Frie­dens­po­li­tik« im Bünd­nis Sahra Wagen­knecht (BSW) und in ihrem schrump­fen­den alt­lin­ken Vor­feld. Medi­en­po­li­tisch wäre der­weil bei­spiel­haft die Tages­zei­tung jun­ge Welt zu nen­nen, die sich nicht gestat­tet, als tra­di­ti­ons­mar­xis­ti­sches Blatt etwas grund­le­gend Fal­sches in Mos­kau­er Ent­schei­dun­gen zu erblicken.

Aber auch eines der intel­lek­tu­el­len Flagg­schif­fe der Lin­ken, Das Argu­ment, ver­wei­gert sich einer Ein­ge­mein­dung in die Ein­heits­front der bedin­gungs­lo­sen Ukrain­ever­tei­di­ger. Die Zeit­schrift für Phi­lo­so­phie und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, die seit 1959 exis­tiert, posi­tio­niert sich daher mit einem 300 Sei­ten star­ken Son­der­band ihres Peri­odi­kums zur Lage, der zugleich als Num­mer 340 und als eigen­stän­di­ges Buch erscheint. Ver­sam­melt wird dar­in das Who’s who jener lin­ken und sozia­lis­ti­schen Rest­intelligenz, die sich Bewe­gungs­frei­heit auch im geo­po­li­ti­schen Seg­ment bewah­ren möchte.

Ent­hal­ten sind sehr per­sön­li­che Bei­trä­ge, wie der von Grü­nen-Urge­stein Ant­je Voll­mer, die in ihrem Gast­auf­tritt die Vor­ge­schich­te des Ukrai­ne­krie­ges nach­zeich­net und ihrer Par­tei die Levi­ten liest. Ins­be­son­de­re Außen­mi­nis­te­rin ­Anna­le­na Baer­bock bekommt ihr Fett weg, da sie für »argu­men­ta­ti­ve Schlicht­heit« ste­he und sich als »schrills­te Trom­pe­te der neu­en ant­ago­nis­ti­schen NATO-Stra­te­gie« ver­din­ge. Deut­lich ratio­na­ler argu­men­tie­ren Argu­ment-Stamm­au­toren wie Chris­toph Tür­cke, Peter Wahl und Wolf­gang Stre­eck, der zuletzt durch ein Inter­view mit der rechts­öko­lo­gi­schen Zeit­schrift Die Keh­re in ­inner­lin­ke Kri­tik geriet.

Auch der hier vor­lie­gen­de Essay über »Deutsch­land nach dem Krieg«, in dem der Grand­sei­gneur der Sozi­al­wis­sen­schaf­ten über die Zukunft der BRD nach dem Ukrai­ne­kon­flikt nach­denkt, wird sei­ne Geg­ner erzür­nen. Das liegt dar­an, daß Stre­eck natio­nal­staat­lich-inter­es­sen­po­li­tisch argu­men­tiert und die Gefahr for­mu­liert, daß Deutsch­land nicht in der Lage sei, »in dem mul­ti­po­la­ren Unter­bau des Groß­mäch­te-Duo­pols USA und Chi­na einen Ort zu fin­den, in dem es so etwas wie Äqui­di­stanz zu den Macht­zen­tren« auf­bau­en kön­ne. Als sub­al­ter­ner Part­ner der west­li­chen Hege­mo­ni­al­mäch­te feh­le schlicht­weg die erfor­der­li­che »Bewe­gungs­frei­heit«.

Vor jed­we­der Par­tei­nah­me warnt der­weil ­Erhard Cro­me. Der Pots­da­mer Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, der kürz­lich sei­ne seit 1990 andau­ern­de gestal­ten­de Mit­ar­beit an der Zeit­schrift Ber­li­ner Debat­te Initi­al auf­grund inter­ner Zer­würf­nis­se been­de­te, inter­pre­tiert unter Zuhil­fe­nah­me sozia­lis­ti­scher Klas­si­ker den neu­en Ukrai­ne­krieg als »Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen dem west­li­chen Kapi­tal – der EU und der USA – und den post­so­wje­ti­schen Kapi­tal­eig­nern, die das ers­te­re nicht als gleich­ran­gig und gleich­be­rech­tigt akzep­tie­ren will«.

Die Ana­ly­se krankt jedoch ein­mal mehr dar­an, daß zwar die öko­no­mi­sche Ebe­ne ins Visier genom­men wird, ihr iden­ti­tä­res Gegen­stück indes ver­nach­läs­sigt wird. Eine rein mate­ria­lis­ti­sche Dia­gno­se der Kriegs­ur­sa­chen greift zu kurz; die Krim­los­lö­sung und die Don­bas­ses­ka­la­ti­on sind unmit­tel­ba­re Fol­gen jah­re­lang schwe­len­der natio­nal­kul­tu­rel­ler Diver­gen­zen. Aber der­lei Zugän­ge waren noch nie eine Stär­ke des Argu­ments, das als über­al­ter­tes Medi­um einer unge­wis­sen Zukunft entgegensieht.

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Wolf­gang Fritz Haug, Peter Wahl (Hrsg.): Ukrai­ne-Krieg – Welt­ord­nungs­krieg. Fron­ten, Fol­gen, For­men – Eine Zwi­schen­bi­lanz, Ham­burg: Argu­ment Ver­lag mit Ari­ad­ne 2023. 310 S., 30 €

 

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