Damit wurde der Osten der BRD überwiegend von den Fluten, verursacht durch Starkregen im Gefolge eines gewaltigen Sturmtiefs, verschont.
Die Berliner Zeitung bringt die Ironie auf den Punkt:
Die Dammbrüche in Polen retten Brandenburg vor der Katastrophe.
Doch in Schlesien ist die Katastrophe noch nicht ausgestanden; noch immer arbeiten über 25.000 polnische Soldaten an den Rettungsarbeiten. Nach Schätzungen der Regierung in Warschau starben 24 Menschen und mehr als 18.000 Gebäude wurden zerstört.
Auch deutsche Einsatzkräfte kamen zur Hilfe, was Polens Ministerpräsident Donald Tusk zum »Scherz« verleitete, falls Polen in den Woiwodschaften Niederschlesien, Oppeln (sozusagen das westliche Oberschlesien) und Schlesien (östliches Oberschlesien) deutsche Truppen sähen, sollten sie nicht in Panik verfallen – sie seien als Unterstützung angereist.
Betroffen von der Naturkatastrophe sind dabei insbesondere die Siedlungsgebiete der deutschen Minderheit in Polen, was die Gelegenheit gibt, auf ihre Existenz hinzuweisen, die nicht nur in deutschen Qualitätsmedien in aller Regel verschwiegen wird, sondern ausgerechnet auch im AfD-Kontext immer wieder geleugnet oder relativiert wird.
Besonders traf es die Region um das niederschlesische Glatz (Kłodzko). Die örtliche Deutsche Sozial-Kulturelle Gesellschaft um ihren Sprecher Horst Ulbrich teilte mit, daß viele Landsleute betroffen seien. Spenden werden gesammelt über ein bundesdeutsches Konto.
Ulbrich gegenüber dem Wochenblatt, der wichtigsten zweisprachigen Zeitung der Deutschen in Polen:
Ich bitte inständig um Spenden auf unser Konto Schlesienhilfe DE 02 4945 0120 1112 5511 79.
Daneben sammelt auch der Deutsche Freundschaftskreis (DFK) in Schlesien Spenden, der insbesondere in Oberschlesien aktiv ist, wo mit Ratibor (Racibórz) einer der Schwerpunkte des Hochwassers liegt.
Martin Lippe, Vorsitzender des Bezirksvorstandes des DFK Schlesien, bittet um Hilfe:
Wenn jemand wiederum die Opfer finanziell unterstützen möchte, können Überweisungen mit dem Vermerk „dla powodzian“ auf das Konto unserer Gesellschaft geschickt werden. Die Daten sind auf unserer Website dfkschlesien.pl unter „Kontakt“ zu finden.
Hier geht es direkt zu den Kontodaten – es gibt IBAN-Angaben für Zloty- und Euro-Zahlungsverkehr.
Wer sich angesichts der aktuellen Fokussierung auf die Flut in Polen nun die Frage stellen möge, wieviele Deutsche es überhaupt noch in Schlesien gibt, dem wird vom polnischen Staat geholfen. In der letzten Volkszählung (2021; Auswertung 2023) gaben auf die Frage »Welche Sprache sprechen Sie normalerweise zu Hause?« fast 200.000 Personen Deutsch an. Das entspricht einem Anstieg von 107 Prozent im Vergleich zur Volkszählung von 2011.
Woran es liegt? Der organisierten deutschen Minderheit ist es im Vorfeld der Zählung mit einer eigenen Kampagne gelungen, Deutschstämmige zu mobilisieren. Der Autor dieser Zeilen war selbst verblüfft, als er damals bei einem O.S.-Aufenthalt in einer größeren Stadt zahlreiche Plakate mit der Aufschrift „Du zählst!“ erblickte. Ein weiterer Grund für die steigende deutsche Präsenz: 2021 fand die Volkszählung elektronisch statt, ohne verschlungene bürokratische Wege.
Der Anstieg deutscher Muttersprachler in Polen kann hingegen explizit nicht am Zuzug von Bundesdeutschen, von Auswanderern also, gelegen haben. Denn um an der Zählung teilnehmen zu können, mußte man den polnischen Paß besitzen. Dies gilt es ohnehin zu verstehen: Die deutsche Minderheit in Polen ist eine organische autochthone Minderheit, also seit Jahrhunderten dort in bestimmten Siedlungsräumen ansässig. Sie ist damit nicht gleichzusetzen mit polnischen Migranten in Deutschland oder auch mit bundesdeutschen Migranten in Polen, die es mittlerweile z.B. auch in Kolberg oder in Krakau gibt.
Interessant überdies noch folgender Punkt: 200.000 polnische Staatsbürger sind deutsche Muttersprachler, aber nur 144.000 gaben als Nationalität »Deutsch« an. Das heißt, daß viele deutschsprachige Schlesier weiterhin eher angeben, »Schlesier« zu sein als »Deutsche«. Schlesier gibt es gemäß Volkszählung mittlerweile 596.000, Tendenz: steigend, Wohnorte: überwiegend in Ostoberschlesien, fast 0 Prozent in Niederschlesien. Insbesondere im Industriegebiet zwischen Beuthen (Bytom), Ruda O.S. (Ruda Śląska) und Kattowitz (Katowice) existiert zudem eine darauf aufbauende schlesisch-regionalistische Autonomiebewegung, die derzeit einen Kampf um Anerkennung des »Schlesischen« (Schlonzakisch/»Wasserpolnisch«) als eigenständiger Minderheitensprache führt.
Silesia News konkretisiert die Volkszählungszahlen für »Schlesier« wie folgt:
Von den fast 600.000 Menschen, die 2021 ihre Nationalität als „schlesisch“ bezeichneten, halten sie über 236.000 Bürger für ihre erste und mehr als 359.000 für ihre zweite Volkszugehörigkeit (meist zusammen mit der polnischen oder der deutschen).
Weiter heißt es erläuternd:
Das Phänomen der oberschlesischen Identität ist nicht neu. Schon seit der Entstehung moderner Nationen im 19. Jahrhundert definiert ein Teil der slawischsprachigen Bevölkerung in der Region seine ethnische Zugehörigkeit als „schlesisch“ bzw. „oberschlesisch“, wobei es nicht immer bedeutet, dass man sich damit sowohl vom deutschen als auch vom polnischen Volk distanziert. Manchmal wird damit vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass man in beiden Kulturen beheimatet ist und sich mit beiden Völkern identifiziert.
Der polnische Staat erkennt die schlesische Nationalität nicht an. Somit sind die (Ober)Schlesier die größte, aber offiziell nichtexistierende Minderheit des Landes. Zwar werden sie in offiziellen Statistiken berücksichtigt, doch in den Genuss der Rechte, die anerkannten nicht-polnischen Volksgruppen zustehen, kommen sie dennoch nicht.
Einer der prominentesten Streiter für diese oberschlesische Sache ist übrigens Szczepan Twardoch. Dem Schriftsteller aus der Nähe von Gleiwitz (Gliwice) wurde bereits in der 109. Sezession (August 2022) ein Autorenportrait gewidmet. Man kann es hier einsehen – und danach einige Euro an die Organisationen der deutschen Minderheit spenden, um die Folgen des Hochwassers wenigstens etwas abzufedern:
- Schlesienhilfe: DE02494501201112551179
- DFK Schlesien: PL82105013281000000401509484
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Laurenz
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