Europäische Notizen (4): Flut in Schlesien

Mitte September wurden Teile Nieder- und Oberschlesiens, die an der Oder bzw. an Oder-Zuflüssen liegen, von einem Hochwasser heimgesucht, das in Teilen 1997er Dimensionen erreichte und somit verheerend wirkte. Dämme wie jener in Seitenberg (Stronie Śląskie), gelegen zwischen Bielengebirge und Schneegebirge, brachen, das Wasser ergoß sich über die schlesische Landschaft.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Damit wur­de der Osten der BRD über­wie­gend von den Flu­ten, ver­ur­sacht durch Stark­re­gen im Gefol­ge eines gewal­ti­gen Sturm­tiefs,  verschont.

Die Ber­li­ner Zei­tung bringt die Iro­nie auf den Punkt:

Die Damm­brü­che in Polen ret­ten Bran­den­burg vor der Katastrophe.

Doch in Schle­si­en ist die Kata­stro­phe noch nicht aus­ge­stan­den; noch immer arbei­ten über 25.000 pol­ni­sche Sol­da­ten an den Ret­tungs­ar­bei­ten. Nach Schät­zun­gen der Regie­rung in War­schau star­ben 24 Men­schen und mehr als 18.000 Gebäu­de wur­den zerstört.

Auch deut­sche Ein­satz­kräf­te kamen zur Hil­fe, was Polens Minis­ter­prä­si­dent Donald Tusk zum »Scherz« ver­lei­te­te, falls Polen in den Woi­wod­schaf­ten Nie­der­schle­si­en, Oppeln (sozu­sa­gen das west­li­che Ober­schle­si­en) und Schle­si­en (öst­li­ches Ober­schle­si­en) deut­sche Trup­pen sähen, soll­ten sie nicht in Panik ver­fal­len – sie sei­en als Unter­stüt­zung angereist.

Betrof­fen von der Natur­ka­ta­stro­phe sind dabei ins­be­son­de­re die Sied­lungs­ge­bie­te der deut­schen Min­der­heit in Polen, was die Gele­gen­heit gibt, auf ihre Exis­tenz hin­zu­wei­sen, die nicht nur in deut­schen Qua­li­täts­me­di­en in aller Regel ver­schwie­gen wird, son­dern aus­ge­rech­net auch im AfD-Kon­text immer wie­der geleug­net oder rela­ti­viert wird.

Beson­ders traf es die Regi­on um das nie­der­schle­si­sche Glatz (Kłodz­ko). Die ört­li­che Deut­sche Sozi­al-Kul­tu­rel­le Gesell­schaft um ihren Spre­cher Horst Ulb­rich teil­te mit, daß vie­le Lands­leu­te betrof­fen sei­en. Spen­den wer­den gesam­melt über ein bun­des­deut­sches Konto.

Ulb­rich gegen­über dem Wochen­blatt, der wich­tigs­ten zwei­spra­chi­gen Zei­tung der Deut­schen in Polen:

Ich bit­te instän­dig um Spen­den auf unser Kon­to Schle­si­en­hil­fe DE 02 4945 0120 1112 5511 79.

Dane­ben sam­melt auch der Deut­sche Freund­schafts­kreis (DFK) in Schle­si­en Spen­den, der ins­be­son­de­re in Ober­schle­si­en aktiv ist, wo mit Rati­bor (Raci­bórz) einer der Schwer­punk­te des Hoch­was­sers liegt.

Mar­tin Lip­pe, Vor­sit­zen­der des Bezirks­vor­stan­des des DFK Schle­si­en, bit­tet um Hil­fe:

Wenn jemand wie­der­um die Opfer finan­zi­ell unter­stüt­zen möch­te, kön­nen Über­wei­sun­gen mit dem Ver­merk „dla powod­zi­an“ auf das Kon­to unse­rer Gesell­schaft geschickt wer­den. Die Daten sind auf unse­rer Web­site dfkschlesien.pl unter „Kon­takt“ zu fin­den.

Hier geht es direkt zu den Kon­to­da­ten – es gibt IBAN-Anga­ben für Zlo­ty- und Euro-Zahlungsverkehr.

Wer sich ange­sichts der aktu­el­len Fokus­sie­rung auf die Flut in Polen nun die Fra­ge stel­len möge, wie­vie­le Deut­sche es über­haupt noch in Schle­si­en gibt, dem wird vom pol­ni­schen Staat gehol­fen. In der letz­ten Volks­zäh­lung (2021; Aus­wer­tung 2023) gaben auf die Fra­ge »Wel­che Spra­che spre­chen Sie nor­ma­ler­wei­se zu Hau­se?« fast 200.000 Per­so­nen Deutsch an. Das ent­spricht einem Anstieg von 107 Pro­zent im Ver­gleich zur Volks­zäh­lung von 2011.

Wor­an es liegt? Der orga­ni­sier­ten deut­schen Min­der­heit ist es im Vor­feld der Zäh­lung mit einer eige­nen Kam­pa­gne gelun­gen, Deutsch­stäm­mi­ge zu mobi­li­sie­ren. Der Autor die­ser Zei­len war selbst ver­blüfft, als er damals bei einem O.S.-Aufenthalt in einer grö­ße­ren Stadt zahl­rei­che Pla­ka­te mit der Auf­schrift „Du zählst!“ erblick­te. Ein wei­te­rer Grund für die stei­gen­de deut­sche Prä­senz: 2021 fand die Volks­zäh­lung elek­tro­nisch statt, ohne ver­schlun­ge­ne büro­kra­ti­sche Wege.

Der Anstieg deut­scher Mut­ter­sprach­ler in Polen kann hin­ge­gen expli­zit nicht am Zuzug von Bun­des­deut­schen, von Aus­wan­de­rern also, gele­gen haben. Denn um an der Zäh­lung teil­neh­men zu kön­nen, muß­te man den pol­ni­schen Paß besit­zen. Dies gilt es ohne­hin zu ver­ste­hen: Die deut­sche Min­der­heit in Polen ist eine orga­ni­sche auto­chtho­ne Min­der­heit, also seit Jahr­hun­der­ten dort in bestimm­ten Sied­lungs­räu­men ansäs­sig. Sie ist damit nicht gleich­zu­set­zen mit pol­ni­schen Migran­ten in Deutsch­land oder auch mit bun­des­deut­schen Migran­ten in Polen, die es mitt­ler­wei­le z.B. auch in Kol­berg oder in Kra­kau gibt.

Inter­es­sant über­dies noch fol­gen­der Punkt: 200.000 pol­ni­sche Staats­bür­ger sind deut­sche Mut­ter­sprach­ler, aber nur 144.000 gaben als Natio­na­li­tät »Deutsch« an. Das heißt, daß vie­le deutsch­spra­chi­ge Schle­si­er wei­ter­hin eher ange­ben, »Schle­si­er« zu sein als »Deut­sche«. Schle­si­er gibt es gemäß Volks­zäh­lung mitt­ler­wei­le 596.000, Ten­denz: stei­gend, Wohn­or­te: über­wie­gend in Ost­ober­schle­si­en, fast 0 Pro­zent in Nie­der­schle­si­en. Ins­be­son­de­re im Indus­trie­ge­biet zwi­schen Beu­then (Bytom), Ruda O.S. (Ruda Śląs­ka) und Kat­to­witz (Katow­ice) exis­tiert zudem eine dar­auf auf­bau­en­de schle­sisch-regio­na­lis­ti­sche Auto­no­mie­be­we­gung, die der­zeit einen Kampf um Aner­ken­nung des »Schle­si­schen« (Schlonzakisch/»Wasserpolnisch«) als eigen­stän­di­ger Min­der­hei­ten­spra­che führt.

Sile­sia News kon­kre­ti­siert die Volks­zäh­lungs­zah­len für »Schle­si­er« wie folgt:

Von den fast 600.000 Men­schen, die 2021 ihre Natio­na­li­tät als „schle­sisch“ bezeich­ne­ten, hal­ten sie über 236.000 Bür­ger für ihre ers­te und mehr als 359.000 für ihre zwei­te Volks­zu­ge­hö­rig­keit (meist zusam­men mit der pol­ni­schen oder der deutschen).

Wei­ter heißt es erläuternd:

Das Phä­no­men der ober­schle­si­schen Iden­ti­tät ist nicht neu. Schon seit der Ent­ste­hung moder­ner Natio­nen im 19. Jahr­hun­dert defi­niert ein Teil der sla­wisch­spra­chi­gen Bevöl­ke­rung in der Regi­on sei­ne eth­ni­sche Zuge­hö­rig­keit als „schle­sisch“ bzw. „ober­schle­sisch“, wobei es nicht immer bedeu­tet, dass man sich damit sowohl vom deut­schen als auch vom pol­ni­schen Volk distan­ziert. Manch­mal wird damit viel­mehr zum Aus­druck gebracht, dass man in bei­den Kul­tu­ren behei­ma­tet ist und sich mit bei­den Völ­kern identifiziert.

Der pol­ni­sche Staat erkennt die schle­si­sche Natio­na­li­tät nicht an. Somit sind die (Ober)Schlesier die größ­te, aber offi­zi­ell nicht­exis­tie­ren­de Min­der­heit des Lan­des. Zwar wer­den sie in offi­zi­el­len Sta­tis­ti­ken berück­sich­tigt, doch in den Genuss der Rech­te, die aner­kann­ten nicht-pol­ni­schen Volks­grup­pen zuste­hen, kom­men sie den­noch nicht.

Einer der pro­mi­nen­tes­ten Strei­ter für die­se ober­schle­si­sche Sache ist übri­gens Szc­ze­pan Twar­doch. Dem Schrift­stel­ler aus der Nähe von Glei­witz (Gli­wice) wur­de bereits in der 109. Sezes­si­on (August 2022) ein Autoren­por­trait gewid­met. Man kann es hier ein­se­hen – und danach eini­ge Euro an die Orga­ni­sa­tio­nen der deut­schen Min­der­heit spen­den, um die Fol­gen des Hoch­was­sers wenigs­tens etwas abzufedern:

  1. Schle­si­en­hil­fe: DE02494501201112551179
  2. DFK Schle­si­en: PL82105013281000000401509484
  3. Wer dau­er­haft die Inter­es­sen der Deut­schen in Polen stär­ken und sich aus ers­ter Hand infor­mie­ren möch­te, kann dies auch über ein preis­wer­tes Abon­ne­ment des Wochen­blatts tun (E‑Paper und/oder Print): hier entlang. 
Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (4)

Laurenz

25. September 2024 21:38

Sind Fahrradwege in Peru, U-Bahnen in Indien oder Museen in Nigeria nicht wichtiger?

Blue Angel

25. September 2024 23:09

Nein, sind sie nicht, Laurenz.
Danke für die Informationen, Herr Kaiser!

RMH

26. September 2024 10:12

Nachdem das offizielle Polen immer noch gerne die antideutsche Karte spielt und auch die neue Regierung weiterhin das Thema Reparationen auf der Agenda hat, sind die genannten privaten Initiativen der einzige Weg, wie man unterstützen kann, ohne dabei als deutscher Patriot unglaubwürdig zu werden. Da das Ausgraben des alten Schreckgespenstes von den deutschen Revanchisten und Junkern, die ihr Land zurückhaben wollen, immer noch beliebtes Mittel von polnischen Parteien aller Lager ist, um in Kernpolen zu punkten, ist es auch nachvollziehbar, dass die Schlesier sich auf die "Wasch mich, aber mach mich nicht nass" Position "Wir sind Schlesier" zurückziehen, statt bspw. zu sagen, wir sprechen deutsch, also sind wir nicht nur Schlesier sondern auch Deutsche. Insgesamt liegt in einer Graswurzel-Arbeit zur Verständigung zwischen Polen und Deutschen hohes politisches Potential. Seit langem wandern sehr viele Arbeitsplätze von Deutschland weg nach Polen, das sollte dann keine Einbahnstraße werden.

Laurenz

26. September 2024 14:02

@RMH ... Angesichts der Haltung des Westens im Ukraine-Konflikt, wie auch die Haltung der NATO zu Kohls Verweigerung zur Rückgabe Russisch-Ostpreußens, sehe ich die Rückgabe der Deutschen Ostgebiete, gerne auch mit polnischer Bevölkerung durchaus als angemessen an, inkl. einer Pachtsumme für 80 Jahre. Dasselbe gilt für die Tschechei, beide schon immer ein Teil des I. Reichs. Im Falle der Tschechei auch gerne ohne Tschechen. Die hatten uns die Hunnen dagelassen.