Weihnachtsempfehlungen 2024 – und nun Martin Lichtmesz

Hier sind meine drei Weihnachtsempfehlungen:

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

LESEN – Ich bin ein gro­ßer, nost­al­gi­scher Freund der acht­zi­ger Jah­re, auch wenn mei­ne eige­ne Teen­ager- und Jugend­zeit erst ein Jahr­zehnt spä­ter einsetzte.

Bes­te Vor­aus­set­zun­gen, um den offen­bar stark auto­bio­gra­phi­schen Roman von Ste­fan Wim­mer über den ers­ten eltern­lo­sen Urlaub einer Ban­de Zehnt­kläss­ler aus Mün­chen-Pasing in Ita­li­en wie eine eska­pis­ti­sche Dro­ge zu genießen.

Das Mit­tel­teil eines Tri­pty­chons rund um die wegen ihres New-Wave-Out­fits so benann­te “Kajal-Cli­que”, “immer auf der Suche nach Aben­teu­ern, Par­tys, und der gro­ßen Lie­be”, ist eine lau­ni­ge Zeit­rei­se, in der alles (soweit ich es ermes­sen kann) stim­mig und rea­lis­tisch gezeich­net ist: Die Men­schen, die Kla­mot­ten, die Fri­su­ren, die Fahr­zeu­ge, der Jugend­jar­gon, die Musik (im Anhang gibt es eine “Play­list”), die Sit­ten, die Art der Kom­mu­ni­ka­ti­on (ohne Inter­net und ohne Smart­phone) und die alters­ent­spre­chen­de Abendunterhaltung.

“Die Frei­heit, die damals herrsch­te, ist heu­te undenk­bar”, merkt der Autor gleich zu Beginn an, man konn­te die Som­mer noch genie­ßen, weil nicht wie heu­te “jedes Grad Cel­si­us mit dem Panik-Ther­mo­me­ter” abge­mes­sen wur­de. Spit­zen wie die­se gegen die Gegen­wart, die dem Autor im Ver­gleich zu damals ange­paßt und gleich­ge­schal­tet erscheint, blit­zen immer wie­der auf.

Die geschil­der­te “Frei­heit” ist dabei vor allem auch ero­ti­scher Natur, was einem Groß­teil der bur­les­ken Eska­pa­den der vier Haupt­fi­gu­ren das abend­fül­len­de The­ma gibt.

Das Roman ist ein biß­chen wie eine John-Hug­hes-Komö­die (The Break­fast Club, Fer­ris macht blau etc.) auf bay­risch, und wer der­glei­chen gou­tie­ren kann, dem sei die­se fröh­li­che Flucht aus der Zeit empfohlen.

Ste­fan Wim­mer: Lost in Trans­la­tio­ne, Blond Ver­lag Mün­chen, 288 Sei­ten, 18  € – hier bestel­len.

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LERNEN – Auch das zwei­te Buch, das ich emp­feh­le, eig­net sich her­vor­ra­gend zum Eska­pis­mus aus der schnö­den Gegenwart.

Obwohl es nicht sei­ne vor­dring­li­che Absicht ist, so kann man dar­aus eine Men­ge “ler­nen”, en pas­sant, und mit viel Freu­de, sofern man denn eine gewis­se Vor­bil­dung und Lie­be zum “Schatz­haus” des “alten Kon­ti­nents” mit­bringt, mit sei­nen Land­schaf­ten, sei­ner Geschich­te, sei­nen Bau­wer­ken, sei­nen Spra­chen, sei­ner Küche und sei­nen prä­gen­den Gestalten.

Ver­fas­ser die­ser Rei­se “durch Habs­burgs Lan­de” ist Ronald Fried­rich Schwar­zer, Juwe­len­groß­händ­ler, legen­dä­re Gestalt des “reak­tio­nä­ren” Wien, selbst­er­klär­ter “Wald­gän­ger und Par­ti­san der Schön­heit”, seit ein­ein­halb Jahr­zehn­ten “Impre­sa­rio und Mäzen von Barock­kon­zer­ten”, sowie Samm­ler “von Kunst und Tex­ti­li­en exo­ti­scher Provenienz”.

Ein­ge­lei­tet durch Betrach­tun­gen über die Öster­rei­chi­sche Kai­ser­kro­ne, führt das Buch quer durch Euro­pa an bekann­te und weni­ger bekann­te Orte, an denen die von Schwar­zer außer­or­dent­lich bei­fäl­lig gese­he­ne Herr­schaft des Hau­ses Habs­burg ihre zivi­li­sa­to­ri­schen und his­to­ri­schen Spu­ren hin­ter­las­sen hat – vom Escori­al nach Brünn, von Aus­see nach Fati­ma, vom Sem­me­ring zum Cas­tel del Mon­te, von Prag bis in die Zips, vom Elsaß bis in die Krain.

Auch die­ses Buch erfreut, wenn auch auf ganz ande­re Art, mit Spit­zen gegen die Gegen­wart, mit Humor, Weh­mut, Hei­ter­keit und Nost­al­gie, die in die­sem Fall ihre Impul­se aller­dings eher aus den 1780er als den 1980er Jah­ren  empfängt.

Ronald F. Schwar­zer: Durch Habs­burgs Lan­de, Karo­lin­ger Ver­lag Wien, 122 Sei­ten, 23,00 €hier bestel­len.

SCHAUEN – Und noch ein­mal Nost­al­gie. Es paßt für mich zur Jah­res­zeit, wenigs­tens zu Weih­nach­ten möch­te mir kei­ne Sor­gen machen.

Wenn es um Illus­tra­tio­nen mythi­scher, legen­den- und mär­chen­haf­ter Stof­fe geht, von Grimms, Ander­sens und Hauffs Mär­chen, von nor­di­scher und grie­chi­scher Mytho­lo­gie, deut­schen Hel­den­sa­gen, von den Erzäh­lun­gen aus 1001 Nacht, dann ist mei­ne bevor­zug­te Epo­che die Zeit etwa zwi­schen 1890–1930, in der Jugend­stil und Art Deco vorherrschten.

Uner­reicht sind, wenn man mich fragt, die zau­be­ri­schen Bil­der aus dem “gol­de­nen Zeit­al­ter der Illus­tra­ti­on” von John Bau­er, Wil­ly Pogá­ny, Arthur Rack­ham, Franz Stas­sen, Frank C. Papé, Edmund Dulac oder Max­field Par­rish, um nur die bekann­tes­ten zu nennen.

Ganz beson­ders mag ich die gra­zi­len, lang­ge­streck­ten Figu­ren, träu­me­ri­schen Sze­na­ri­en, zar­ten Far­ben, orna­men­ta­len Bild­kom­po­si­tio­nen des däni­schen Zeich­ners Kay Niel­sen (1886–1957), der in spä­te­ren Jah­ren unter ande­rem an dem Dis­ney-Klas­si­ker “Fan­ta­sia” (1940) mit­ge­ar­bei­tet hat.

Die erst­mals 1914 erschie­nen Zeich­nun­gen zu der nor­we­gi­schen Mär­chen­samm­lung Öst­lich der Son­ne und west­lich des Mon­des (auf­ge­zeich­net 1844 von Peter Chris­ten Asbjørn­sen und Jør­gen Moe) gehö­ren zu Niel­sens schöns­ten und bekann­tes­ten Arbeiten.

Der im Taschen-Ver­lag erschie­ne­ne Band ist nicht nur optisch eine Augen­wei­de, son­dern eig­net sich auch gut zum Vor­le­sen und als Geschenk für mär­chen­in­ter­es­sier­te Kinder.

Kay Niel­sen: Öst­lich der Son­ne und west­lich des Mon­des, Taschen Ver­lag Köln, 168 Sei­ten, 30,00 €  – hier bestel­len.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (8)

Franz Bettinger

6. Dezember 2024 20:47

Eskapismus? Aber gern! Mich hat die Auto-Biographie „Alles gut gegangen“ von Luis Trenker einst begeistert, besonders Trenkers Begegnungen mit Hitler im Berghof. (Heute gebraucht für 5 € zu haben.) Ein Innsbrucker Herzspezialist („trust the science" haha) hat Luis (19 J alt) wegen eines Herzgeräusches übrigens dringend den ärztlichen Rat erteilt, es im Leben nie mit Sport zu versuchen. Das würde ihn umbringen. So viel zur Kunst der Medizin - schon damals. Daraus kann man viel lernen. Es ist nicht besser geworden. R. Messner hatte ja, als er bei der Allein- & Erst- Begehung des Everest von der chin. Seite her in eine Gletscherspalte stürzte und dies für sein Ende hielt, ein ähnliches Erlebnis der himmelschreienden Art. Auch er hielt sich Gottseidank nicht an seinen Schwur. Messner-Bücher, klar! 

Franz Bettinger

6. Dezember 2024 21:23

Für alle (Jungs), die das Leben noch vor sich haben: das „Naval Survival Handbook“ von Bernard Robin, 1983. (6 € gebraucht). Der 1. Teil schildert alle interessanten Schiffbrüche von 1710 bis 1973. Der 2. Teil analysiert diese und fasst sie zu Überlebenstipps zusammen. Wahnsinnig erhellend & nicht selten üblichen Tipps widersprechend, z.B. dem, man solle im Durst kein Meerwasser trinken. Ich habe es probiert. Das Problem: Man kotzt es wieder raus. Aber: als Einlauf geht's. Ich mein ja nur, falls das einen zu Weihnachten interessiert ;-) 

Laurenz

6. Dezember 2024 22:18

@ML ... Auch wenn mich mein Freund Franz Bettinger jetzt über die Erwähnung des HIV-Virus auslachen mag, so war er zumindest in der Psyche der 80er gegenwärtig & schränkte die Freiheit der 70er ein. Ich wurde 1985 20 Jahre alt & hatte medial erlebt, wie Klaus Nomi als erster bekannter Künstler 1983 formal an HIV starb. Hier Klaus Nomi bei Thomas Gottschalk in 1981. https://youtu.be/wZceLGCWwWg

RMH

6. Dezember 2024 22:48

Die 3 Titel sprechen mich allesamt an. Zu Münchener Jugenderinnerungen aus den 80er Jahren gäbe es noch den Roman "Roxy" von Johann v. Bülow zu nennen. Kein Fun-Buch, aber eines, welches das Thema Freundschaft zwischen Normalo & Kind aus reichem Hause & ein bisschen "Sinn des Lebens" behandelt. Mit 80er/90er-Jahre-Colorit. PS: In den 80ern war ich jung, aber als Spätentwickler habe ich die "coole Musik" der Kajalstrich-Träger aus den frühen 80ern erst Ende der 80er & in den 90er Jahren gehört (da gabs schon das erste Revival). Anfang der 80er war ich musikalisch noch in den 60er/70ern unterwegs. Das einzig aktuelle auf meinem Plattenteller waren Bands, die man später mit der seltsamen Abkürzung NWOBHM umschrieben hat. Damit war ich als Gymnasiast ziemlich allein. War aber auch einer der wenigen aus dem "Arbeiterviertel", die überhaupt auf so eine Anstalt durften. Keine Panik, ich werde meine Jugenderinnerungen nicht in Romanform gießen, denn so unbeschwert, dass es kommerziell erfolgreich werden könnte, wie das genannte, wären sie nicht. Habe die 80er nicht unbedingt als nur frei & unbeschwert in Erinnerung. Denke, die meisten nostalgisieren ihre Jugend.

Carsten Lucke

7. Dezember 2024 01:20

@ Franz Bettinger
Bisher hatte ich Sie ernstgenommen und gelegentlich geschätzt ...

RMH

7. Dezember 2024 09:41

@Laurenz, mit der Erwähnung von HIV haben Sie recht. In den 70ern sah man das Scheitern des Hippie-Traums sehr deutlich, erste Drogenwellen durchzogen das Land (ein Problem auch in den 80ern), in UK scheiterte die Industrie, bei uns begannen auch die ersten "Strukturwandel", No-Future-Punk kam zu uns & die 80er waren thematisch mit viel Zukunftsangst belegt. Waldsterben, Angst vor dem Atomkrieg (massiv befördert durch die sog. "Friedensbewegung", die vom Osten unterwandert war), saurer Regen, mit Tschernobyl schien sich die Furcht vor Atomkraftwerken zu bestätigen, noch dazu gab es Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen. HIV kam als Spaßbremse dazu. In der Breite der Gesellschaft wurde ordentlich gesoffen & geraucht, die nächste mediale Totalverblödungsmaschinerie nach dem Rundfunk/Fernsehen hielt mit dem Aufkommen der Videorekorder (einschließlich Verleih) Einzug in die Haushalte. Klar, da erinnert man sich eben lieber an die paar eskapistischen Momente & gerade das Reisen war damals & in den 90er Jahren bis ungefähr Anfang der 00er Jahre deutlich freier & weniger vermasst, wie heute.

Franz Bettinger

7. Dezember 2024 09:48

@Lau: Ja, der HIV-Schwindel war (ab 1982) wohl der erste erfolgreiche Großversuch der Herrscher-Clique, die Menschheit mit Lügen und Angst zu steuern. HIV hat die Sexualität ganzer Generationen zerstört. Nudging auf globalem Niveau wird seitdem immer wieder probiert. Man gewöhnt sich an alles. Auch die Hühner hätten ja nie gedacht, dass ihr Leben mal aus der Legebatterie und nichts anderem bestehen würde. 
@CL: Es ist mal eine ganze Expeditionen verhungert (wer kennt die Geschichte; sie ist hitsorisch), weil der Führer einen Sack Zucker nicht für nahrhaft, sondern nur für ein Gewürz hielt. Erst lesen, dann urteilen. Und dankkbar sein, wenn Sie sich in einer Notlage eines der 'verrückten' Tipps erinnern & ihn austesten. Wozu auch gehört, in einem vertikalen Kehr-Wasser wie einem Wasserfall nicht zum Licht hin, sondern in die Dunkelheit wegzutauchen, also nach unten. (Das hat mir mal das Leben gerettet.)

RMH

7. Dezember 2024 10:45

In den 80er Jahren gab es unglaublich gute Musik und auch die ersten Videos haben die Popkultur verändert. Hier ein Beispiel, welches das Thema AIDS behandelt, leider war das damals absoluter Underground und nie breiter bekannt. Aber genau dieses Subkulturelle, das Abgründige, das "kennt nicht jeder", hat einen starken Reiz und große Faszination damals ausgelöst. Nach Sachen in speziellen Plattenläden zu suchen, an gewisses "Fanzines" überhaupt heranzukommen etc.
https://www.youtube.com/watch?v=xNzDC1hgdpw

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