1. Am vergangenen Wochenende durfte ich erneut beim Freiheitlichen Bildungsinstitut (FBi) referieren. Das ist die parteinahe Stiftung der FPÖ. Neben österreichischen Leitfiguren wie FBi-Präsident Professor Axel Kassegger und Bundesdeutschen wie Matthias Helferich (MdB) sowie der jungen Aktivistin Reinhild Boßdorf ging es diesmal im Metapolitik-Seminar um den Gebrauchswert von Metapolitik, also: um deren Anwendbarkeit und Nutzen, um konkrete Projekte und um mögliche Reibungspunkte mit der Schwester der Metapolitik, der Realpolitik.
Die Schulung- und Bildungssarbeit ist seit der Ära Kickl in der FPÖ und seit der korrelierenden Ära Kassegger beim FBi ungemein verbessert worden; unterschiedliche Themenfelder – Metapolitik ist nur eines davon – werden in mehrgliedrigen Modulen von Nachwuchskräften gemeistert. Mitdenken und Mitarbeiten ist geboten; am Ende des erfolgreich absolvierten Moduls erhält der Teilnehmer eine Urkunde.
Klar ist: Hier wollen Nachwuchskräfte lernen. Manche tun dies aus Eigenantrieb, etwa aus einem gesunden Willen zur Leistung heraus. Andere tun dies, weil sie hoffen, daß ihnen das etwas bringt, also Vorteile verschafft im politischen Wettbewerb. Beides ist legitim, beides sucht man indes in der AfD im Bildungsbereich noch überwiegend vergebens.
Von der FPÖ lernen hieße hier ganz plastisch, sich die FBi-Arbeit anzusehen und zu prüfen, was für bundesdeutsche Verhältnisse machbar ist. Die Antwort fällt beschämend für die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES), die parteinahe Stiftung der AfD, aus: Eigentlich wäre die Arbeit des FBi eins zu eins für die bundesdeutsche Lage übertragbar, aber man leistet diese Pflicht einfach nicht.
Die Stiftung, fest in der Hand gesinnungschristdemokratischer Seilschaften ohne solides volksverbundenes Fundament, ist eine Art Honoratioren-Anti-AfD in parteinaher Verkleidung: Die angebotenen Seminare richten sich nicht an ein dynamisches nachrückendes Milieu, sondern an ältere Vertrauensleute aus der eigenen Blase. Sie sind mithin überflüssig. Parteiinterne Kritiker meinen nicht zu Unrecht, hier bewältigen einige Mitstreiter ihr persönliches politisches Scheitern im Rahmen anderer Parteien und Zusammenschlüsse.
Der Einwand, daß die DES skandalöserweise keine staatlichen Gelder erhält, ist einerseits korrekt (man geht leer aus, doch darüber zu jammern, bringt »die Sache« keinen Millimeter weiter), greift aber andererseits zu kurz. Dieser Einwand ist als solitäres Entlastungsargument folglich unzulässig. Denn alleine schon die vorhandenen Seminare einzustreichen, würde umgehend das nötige Kleingeld, oft aus Seminarbeiträgen und/oder Spenden generiert, freisetzen, um ein FBi im kleinen zu projektieren. Außerdem würde der für Freund und Feind wahrnehmbare Beginn einer effizienten, klugen und modernen Ausbildung nachrückender patriotischer Parteikräfte sicherlich neue Geldgeber motivieren, ein wachsendes Vorhaben zu stärken und auf ein sichereres monetäres Fundament zu hieven.
Aber wer sollte im jetzigen Zustand die DES stärker finanzieren? Damit sich geistige und politische Fossile eines überholten und dem Wesen nach apolitischen Liberalkonservatismus larmoyante Stammtische organisieren können? Nein, die Attraktivität der jetzigen DES ist nicht vorhanden. Entweder kippt man das Mehrheitsgefüge unter Beteiligung der Parteispitze grundsätzlich – oder ein AfD-Bundesparteitag muß dieser Stiftung endlich die formale Parteinähe aberkennen und eine eigene neue Stiftung konzipieren, die sich stark am FBi zu orientieren hätte.
Von der FPÖ zu lernen, hieße den einen oder den anderen Schritt konsequent zu gehen.
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2. Beim Griff nach den Zeitschriften am Wiener Hauptbahnhof orientiere ich mich aus Gewohnheit an dem, was ich immer kaufe, wenn ich die Freude habe, in Österreich sein zu dürfen: Zu meinen Stammkäufen zählen u.a. das linksliberale Wochenmagazin Profil (vergleichbar dem Spiegel) und die altfreiheitliche Zur Zeit.
In letzterem Blatt, das zum Andreas Mölzer-Kreis gehört, liest man in der neuen Ausgabe (v. 14.12.) nicht nur Erhellendes über die alt-neue Kumpanei zwischen Israel und den in Syrien siegreichen Islamisten und Dschihadisten, sondern erblickt auch die frohe Kunde, daß die FPÖ landesweit die 35-Prozent-Marke überschritten habe. ÖVP, SPÖ und Neos, die austriakische Antwort auf eine Mischung aus Ampel und GroKo, stehen zusammen nur noch bei 50 Prozent.
Nun sind Österreich und Deutschland in vielerlei Hinsicht verschieden, was die Ausgangsbasis für die altehrwürdige FPÖ zu einer grundlegend anderen macht als jene der erst elf Jahre alten AfD. Und doch: In Zeiten einer verewigten Konvergenz der Krisen, in denen die materiellen Verlustschübe für die Bundesbürger gerade mit Neujahr noch einmal erheblich verschärft werden (Sozialversicherungsbeiträge, Sprit, Kfz-Versicherungen u. dgl. m.) muß man die 20-Prozent-Marke allmählich deutlich überschreiten, um Veränderungspotential abrufen zu können. Irgendwas macht die FPÖ anders, besser, wenn sie überdurchschnittlich zulegt.
Dazu zählt sicherlich die konsequent freiheitlich-patriotische Generallinie der Truppe um Kickl-Hafenecker-Kassegger, die bundespolitisch für Furore sorgt. Dazu zählt aber auch, daß selbst die liberalen Kräfte der Partei sich an Grundmotive der Partei und ihrer Wähler halten und selbstbewußt (!) verteidigen. Wenn man im aktuellen Profil (v. 14.12.) eine Art Homestory über den großen Wortführer der Parteiliberalen, Norbert Hofer, liest, der im Burgenland Spitzenkandidat zur Landtagswahl ist, reibt man sich verwundert die Augen: Selbst er, der moderate Liberalkonservative, spricht gegenüber der Presse souverän und lässig von »Remigration« und ähnlichem: Er fordert im Falle eines Wahlsiegs gar ein »Remigrationszentrum« sowie eine »Öffentklichkeitskampagne zur Remigration«.
Das liegt nicht daran, daß Remigration als Sujet in Österreich weniger Empörung und Entrüstung seitens Verfassungsschutz, Medien und Zivilgesellschaft hervorruft. Das liegt daran, daß auch Norbert Hofer weiß, warum die Wähler FPÖ wählen – sie wollen konsequenten Grenzschutz, Abschiebungen und eine Zeitenwende im Umgang mit Migration. Die FPÖ steht daher zu ihrem Wort, sie weicht nicht zurück, wenn sie – ob Hofer oder Kickl – für die Verwendung von derlei Begriffen angefeindet werden. Wie sieht das bei der AfD aus? Man könnte meinen: anders, mal schwankend, mal zaghaft, dann wieder offensiv, dann wieder kapitulativ. Es fehlen Kohärenz, Entschlossenheit und auch der Mut, dasjenige auszuformulieren, was im Rahmen des bestehenden und des zu gestaltenden Gesetzeskontexts machbar ist und was der Wähler erwartet: Remigration als Versprechen.
Nun bin ich bekanntermaßen absolut kein Remigrations-Maximalist, und auch Norbert Hofer dürfte keiner sein: Aber bei der Verwendung dieses Begriffes geht es ja nicht darum, was politische Gegner in Behörden, Medien und Parteien in diesen Begriff projizieren, und auch nicht darum, ob jeder einzelne Wähler das interne Ringen um diesen Begriff überhaupt mitbekommt; sondern es geht darum, daß man nicht weicht, wenn es einen meta- und realpolitischen Kampf um Geländegewinne in Fragen der Migrationspolitik gegen den linksliberalen Einheitsblock gibt. Zu weichen heißt, ein schlechtes Gewissen zu haben oder zumindest eines vorzutäuschen: Beides machen Sieger nicht, und so sehen wir dieses Verhalten zwar in der BRD dominieren, nicht aber in Österreich, wo man siegen will und siegen wird.
Man verstehe mich nicht falsch: Auch in der FPÖ gibt es parteitypische Negativerscheinungen, Denkblockaden oder andere klassische Unzulänglichkeiten menschlicher, ideologischer oder auch strategischer Art. Aber die grobe Richtung stimmt, und das ist ausschlaggebend. Daß das nicht immer so war, ist ein weiterer Punkt, den die AfD von der FPÖ zu lernen hat: Wieso gibt es keine AfD-Taskforce, die sich mit dem Tun bisheriger FPÖ-Landes- und Bundesregierungen beschäftigt und diese auswertet auf mögliche vergleichbare Konstellationen hierzulande? Muß man wirklich erst ähnliche Fehler begehen, um aus dem möglichen Scheitern zu lernen? Hier wäre es ratsam, präventiv zu arbeiten.
Lothar Höbelt hat ja in seiner Geschichte der FPÖ (– die ich hier ausführlich bespreche –) mit Recht bemerkt, daß bisherige Regierungsbeteiligungen das Problem hatten, daß Teile der Führung nicht so recht gewußt hätten, »was sie eigentlich wollen, abgesehen davon, auch einmal über Einfluss und Prestige zu verfügen«. Das hat sich geändert unter Kickl, Hafenecker und Kassegger, doch wie siehts diesbezüglich in der AfD aus? Hat man für die fanatisch anvisierten Regierungsbeteiligungen ausreichend Köpfe, Ideen, weltanschauliche Stabilität und strategisches Wissen? Oder wäre auch hier viel von der FPÖ und ihrem »Trial and Error« samt anschließender Neuformierung zu lernen? Ich meine, es wäre viel zu lernen.
Ein abschließender Punkt: Die bitterböse Kickl-Biographie linksliberaler Journalisten (– die ich hier ausführlich bespreche –) versucht, zu »entlarven«. Aber sie kommt nicht umhin, Respekt durchscheinen zu lassen für den Mann, der die FPÖ aus dem Tal der Tränen auf den Gipfel (35 Prozent) hob und aktiv dabei ist, den nächsthöheren Gipfel (40 Prozent) zu erreichen. Die Autoren Gernot Bauer und Robert Treichler beschreiben Kickls souveränen, angriffslustigen und ideologisch überzeugten Umgang mit politischen Gegnern, zu denen er auch die Leitmedien zählt. Herbert Kickl verstehe es, so die Autoren zähneknirschend, »blendend, den Spieß umzudrehen und seinerseits die Medien zu attackieren«. Wie sieht es diesbezüglich bei uns aus? Hat man nicht vielmehr das Gefühl, Teile (!) unserer AfD-Spitzenpolitiker lechzen förmlich nach Anerkennung durch CDU, FDP und Hauptstadtjournalisten?
Von der FPÖ zu lernen, hieße daher, auch auf dem politmedialen Feld den Kickl-Weg zu gehen. Der Gegner ist das politische Establishment, nicht die eigene Jugend, nicht das eigene grundsätzliche Lager, nicht die eigenen, vermeintlich zu »rechten« Erwartungen der Wählerschaft. Echte Anerkennung beim Gegner erhalten Typen wie Kickl, weil sie sich nicht verstellen, beugen, kleinmachen. Falsche Anerkennung erhält man derweil, wenn der Gegner spürt, daß man sich von ihm treiben läßt. Dies geschieht, wenn man keinen weltanschaulich und strategisch feinjustierten Kompaß hat. Einen solchen aber erarbeitet u.a. auch eine parteinahe Stiftung – womit sich der Kreis dieser Gedankensplitter schließt. Denn die AfD hat kein FBi, sie hat nur eine entstellte Karikatur.