Jüngst hatte ein Habilitand die steile Behauptung aufgestellt, daß „der Aufstieg des ‘Führers’“ ohne solche Interviews „in den Massenmediengesellschaften des 20. Jahrhunderts schwer vorstellbar“ gewesen wäre. Dies ist eine These, die Autor Lutz Hachmeister (1959) allerdings – und wohl zurecht – zurückweist.
In neun Kapiteln zeichnet Hachmeister nach, mit wem Hitler wann über was redete und welche Begleitumstände und Resonanzen es gab. Wir lesen etliches Interessantes, worunter auch Klatsch fällt, wir finden zudem eine recht hübsche Bebilderung vor.
Nehmen wir den deutsch-amerikanischen Starjournalisten George Sylvester Viereck, eine wahrhaft schillernde Gestalt! Viereck hatte engen, beratenden Draht sowohl zum Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld als auch zu Henry Ford und Kaiser Wilhelm II. Sein 1923 (vor dem Putsch) geführtes Gespräch mit Hitler wollte ihm aber kein US-Blatt abkaufen, erst 1932 erschien es reichweitenstark in der Liberty.
Oder nehmen wir den ähnlich enigmatischen Franzosen Bertrand de Jouvenel, dessen Hitler-Interview im Februar 1936 publiziert wurde:
Seine rosige Haut ist die eines Mannes, der Sport treibt. (…) Die Wangen sind voll, der Eindruck ist der eines glücklichen Menschen. Ich muss alle Vorstellungen, die ich mir über den Diktator gemacht habe, revidieren.
Oder den italienischen Juden Giulio De Benedetti (Was für ein Photo! Daß man das darf-!), der nach seinem Hitler-Interview anno 1923 schmunzelnd bescheinigte, daß Hitler als Gernegroß „kein allzu gefährlicher Diktator“ sein werde.
Alle frühen Gespräche mit dem „Führer“ sind als „Stories“ aufgemacht. Stets werden lang, breit und blumig die Atmosphäre, „sein“ Händedruck, „sein“ Minenspiel, Auftreten und „seine“ Rhetorik ausgemalt. Mal spöttisch, mal beeindruckt.
Daß eine Dorothy Thompson und ein Dr. Karl Börner („Beispiel eines intelligenten Nationalsozialisten“) durch Suffgeschichten mit Hitlerbezug ihre Karrieren vergeigten, mag zu den Trivialia zählen, ebenso, wie Hitler den US-Korrespondenten Pierre Huss 1935 auf dem Obersalzberg aufforderte, einen Schneeball in die Luft zu werfen – und dann mit seiner Automatikwaffe Schneeball um Schneeball „gewaltsam in der Luft zerfetzt.“
Es wäre schön, wenn man dies alles geordnet und systematisch aufbereitet vorgefunden hätte. Aber nein: Wir haben es hier mit einem schier undurchdringlichen Konglomerat zu tun. Hachmeister stolpert blind durch seine Materie. Er, der im Frühjahr 2024 noch aus „Köln/Antibes“ grüßte, ist im Sommer unerwartet verstorben. Seinen „Dank“ hatte er da bereits verfaßt. Der richtete sich unter vielen anderen auch an einen „Dieter Anschlag (Köln/Frankfurt a.M.), der „die einzelnen Kapitel vorab mit großer Sorgfalt redigiert“ habe.
Das („vorab redigiert“, bitte was?) gibt aus der Rückschau den Ton vor – denn hier wurde rein gar nichts in Ordnung gebracht! Wir haben ein völlig unsortiertes Konvolut in den Händen. Aber offenkundig verkaufen sich Bücher mit „Hitler“ im Titel immer noch zuverlässig. Anders ist nicht zu erklären, weshalb ein großer Publikumsverlag einen solch sinistren Wust auf dem Markt wirft.
Hachmeister springt durchgehend vom Ästchen auf´s Stöckchen. Relevantes und komplett Irrelevantes (Wieviele Ehen hatte der Interviewer hinter sich, und wie hieß die Nichte seines Ex-Chefs?) gehen hier munter durcheinander. Aus den Auslandsinterviews zitiert er nur auszugsweise und nur auf Deutsch, das ist ganz schwach. Hitler trug „ziemlich merkwürdige Pumps“, hatte „schöne, fette Hände“, bitte? Das würde man gern mit dem Originaltext abgleichen.
Je nun, Hachmeister ist kein gelernter Historiker, Quellenarbeit mag nicht seins gewesen sein. Umgekehrt schwelgt er in Anglizismen. Es geht um „big shots“, „messages“, „boost“,„practical jokes“, „muckrakers“ und „most actionlike“, „busybody“- und dies sind allesamt keine Zitate, sondern bloß der Bescheidwisser-Jargon eines Hachmeisters.
Niemand aus dem Verlag hat sich zudem bemüßigt gefühlt, diese vielen elliptischen Sätze aufzulösen, die im Sensationsjournalismus womöglich ihren Platz haben, aber nicht in einem ernsthaften Buch. Niemand hat verhindert, daß einige Personen kursiv eingeführt werden, die meisten aber nicht.
Niemand hat geschaut auf Hanfstaengel, also den einstigen Auslands-Presse-Chef der NSDAP Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengel. Er erscheint hier erst als „Putzi“, dann als Putzi, erst ab Seite 200 seriös als Hanfstaengel. Niemand im Lektorat hat geschaut auf tendenziöse, unwissenschaftliche Sprache („Topnazis“, „der listige Goebbels“, „Rabauke Max Amann“, „der völkische Faselant Hitler“), peinliche Metaphern:( „… dann begann die rhetorische Quelle in seinem Hirn zu sprudeln.“) und andere Stilblüten („eine schon kurz nach dem Erscheinen herausragende Studie“; „Hitlers suchte Mannerheim anlässlich von dessen 75. Geburtstag heim“).
Daß dann noch eifrig Aktualitätsbezug ins Thema hineingeflochten wird (Höcke, Trump) macht die Sache nicht erfreulicher. Ein äußerst peinliches letztes Zeugnis. Welche Mühe, darin ein Goldkörnchen zu finden..
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Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews. Der Diktator und die Journalisten, Köln 2024, 328 S., 28 € — hier bestellen.
RMH
Man findet etwas und bläst es irgendwie auf. Sex und Hitler gehen immer. Wie in der Rezension bereits angeklungen: Schade, eine seriöse Abhandlung, am besten mit einem Quellenband (das Erstellen eines solchen alleine wäre schon eine anerkennenswerte Leistung), in dem sich viele Interviews ungekürzt wiederfinden lassen, wäre für Historiker sicher zu einem Standardwerk geworden. So aber ....
PS: Mit einer Pistole Schneebälle in der Luft zu treffen wäre eine Leistung, mit der man als Kunstschütze auftreten könnte. Aus eigener Erfahrung beim Trap- und Skeetschießen: Dabei werden nicht ohne Grund Schrotflinten verwendet.