Brosius-Gersdorf und der Kern der Debatte

von Uwe Jochum - Über das Verhältnis eines Kindes zur Mutter schreibt Hegel in seiner Enzyklopädie (§405 Anm.) folgendes:

Es ist dies das Ver­hält­nis des Kin­des im Mut­ter­lei­be, ein Ver­hält­nis, das weder bloß leib­lich noch bloß geis­tig, son­dern psy­chisch ist, — ein Ver­hält­nis der See­le. Es sind zwei Indi­vi­du­en, und doch noch in unge­trenn­ter See­len­ein­heit; das eine ist noch kein Selbst, noch nicht undurch­dring­lich, son­dern ein Wider­stands­lo­ses; das ande­re ist des­sen Sub­jekt, das ein­zel­ne Selbst bei­der. — Die Mut­ter ist der Geni­us des Kindes.

Mit die­ser Bemer­kung im Hin­ter­grund wol­len wir auf Frau­ke Bro­si­us-Gers­dorf zu spre­chen kom­men, die als Kan­di­da­tin für das Amt eines Rich­ters am Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt unter ande­rem wegen ihrer Posi­ti­on zur Abtrei­bungs­fra­ge unter Druck gera­ten ist.

Der Druck bau­te sich auf, als publik wur­de, daß sie in die­ser Fra­ge, die im Wort­sin­ne exis­ten­ti­ell ist — näm­lich für das unge­bo­re­ne Kind — einer Posi­ti­on das Wort rede­te, die dar­auf ange­legt ist, Abtrei­bun­gen bis zum Ende der Schwan­ger­schaft straf­frei zu stel­len, und daß sie dies in Kon­tex­ten tat, die von vor­ne­her­ein poli­ti­siert waren.

So sag­te sie wäh­rend einer Anhö­rung des Bun­des­ta­ges, daß es »gute Grün­de« dafür gibt, »dass die Men­schen­wür­de erst ab Geburt gilt« (S.12 des Pro­to­kolls der Sit­zung), wes­halb es juris­tisch mach­bar sei, daß der Gesetz­ge­ber den Schwan­ger­schafts­ab­bruch in den ers­ten zwölf Wochen nach der Emp­fäng­nis gene­rell straf­frei stel­le und es vom Wil­len der Schwan­ge­ren abhän­gig mache, ob die­ser Abbruch statt­fin­de oder nicht.

Und sie bezog sich dabei auf ein Gut­ach­ten der vom Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um ein­ge­setz­ten »Kom­mis­si­on zur repro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mung und Fort­pflan­zungs­me­di­zin«, der sie selbst ange­hör­te und das die ein­stim­mi­ge Emp­feh­lung aus­ge­spro­chen hat­te, den Schwan­ger­schafts­ab­bruch bis zur zwölf­ten Woche als gesetz­lich »recht­mä­ßig« zuzulassen.

Die­se ihre Posi­ti­on hat Bro­si­us-Gers­dorf in einem anläß­lich der Anhö­rung im Rechts­aus­schuß ver­faß­ten Papier aus­führ­lich begrün­det. Daß ihre juris­ti­schen Emp­feh­lun­gen in eklantan­tem Wider­spruch zu zwei Urtei­len des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ste­hen, die betont hat­ten, daß die Men­schen­wür­de­ga­ran­tie des Grund­ge­set­zes sich auch auf den im Mut­ter­leib wer­den­den Men­schen bezieht und der Gesetz­ge­ber daher ver­pflich­tet ist, sich schüt­zend vor den sich ent­wi­ckeln­den Men­schen zu stel­len und eine Abtrei­bung folg­lich als Unrecht zu betrach­ten — wischt Bro­si­us-Gers­dorf mit der Behaup­tung zur Sei­te, die Urtei­le des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts hät­ten für den Gesetz­ge­ber kei­ne Bin­dungs­wir­kung (S. 36 des Pro­to­kolls).

Um die­se Aus­sa­gen ange­mes­sen beur­tei­len zu kön­nen, soll­te man sie in drei Pro­blem­krei­se unter­tei­len: 1. die Fra­ge der straf­frei­en Abtrei­bung bis zur zwölf­ten Woche, 2. die Fra­ge der Abtrei­bung von der zwölf­ten Woche bis zum Ende der Schwan­ger­schaft, 3. die Fra­ge der Bin­dungs­wir­kung frü­he­rer Verfassungsgerichtsurteile.

I. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat in zwei Urtei­len, einem ers­ten aus dem Jahr 1975 zur »Fris­ten­re­ge­lung« und einem zwei­ten aus dem Jahr 1993 zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch, fest­ge­hal­ten, daß das sich im Mut­ter­leib ent­wi­ckeln­de Men­schen­le­ben unter dem Schutz der Ver­fas­sung ste­he und (so das ers­te Urteil in aller Klar­heit) der

Lebens­schutz der Lei­bes­frucht […] grund­sätz­lich für die gesam­te Dau­er der Schwan­ger­schaft Vor­rang vor dem Selbst­be­stim­mungs­recht der Schwan­ge­ren [genießt] und […] nicht für eine bestimm­te Frist in Fra­ge gestellt werden

darf. Daher habe eine Schwan­ger­schafts­be­ra­tung auch kei­ne Abbruchs­be­ra­tung zu sein, son­dern (zwei­tes Urteil):

Die Bera­tung dient dem Schutz des unge­bo­re­nen Lebens. Sie hat sich von dem Bemü­hen lei­ten zu las­sen, die Frau zur Fort­set­zung der Schwan­ger­schaft zu ermu­ti­gen und ihr Per­spek­ti­ven für ein Leben mit dem Kind zu eröff­nen; sie soll ihr hel­fen, eine ver­ant­wort­li­che und gewis­sen­haf­te Ent­schei­dung zu tref­fen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Unge­bo­re­ne in jedem Sta­di­um der Schwan­ger­schaft auch ihr gegen­über ein eige­nes Recht auf Leben hat und daß des­halb nach der Rechts­ord­nung ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch nur in Aus­nah­me­si­tua­tio­nen in Betracht kom­men kann […].

Die Kon­se­quenz bei­der Urtei­le war, daß ein Schwan­ger­schafts­a­bruch inner­halb der ers­ten zwölf Wochen nach Beginn der Schwan­ger­schaft nur dann straf­frei blieb, wenn die Frau einer schwe­ren und außer­ge­wöhn­li­chen Belas­tung aus­ge­setzt ist, die wäh­rend des Bera­tungs­ge­sprächs fest­zu­stel­len war und ist (oder auch nicht). Damit war aber nie­mals impli­ziert, daß die an bestimm­te Bedin­gun­gen geknüpf­te Mög­lich­keit zum Abbruch der Schwan­ger­schaft eine grund­ge­setz­li­che Bil­li­gung erfuhr; viel­mehr war und ist das Umge­kehr­te der Fall: Abtrei­bung war und ist Unrecht.

Die von Bro­si­us-Gers­dorf vor­ge­schla­ge­ne und ver­tei­dig­te Neu­fas­sung der gesetz­li­chen Grund­la­ge der Schwan­ger­schafts­ab­brü­che und der damit ver­bun­de­nen vor­ge­burt­li­chen Kinds­tö­tun­gen ver­ab­schie­det sich von die­sen grund­ge­setz­li­chen und vom Ver­fas­sungs­ge­richt aus­ge­ar­bei­te­ten und bestä­tig­ten Vor­be­hal­ten. Aus dem Unrecht der Abtrei­bung soll nun das Recht der Frau wer­den, ihre Lei­bes­frucht bis zur zwölf­ten Schwan­ger­schafts­wo­che von einem Arzt (oder medi­ka­men­tös) abtrei­ben zu lassen.

Damit kas­siert Bro­si­us-Gers­dorf gleich bei­de Urtei­le des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, und sie tut es, indem sie die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dem Fötus zuge­spro­che­ne Men­schen­wür­de in Abre­de stellt: Sie hält die auch für den Embryo gel­ten­de Men­schen­wür­de­ga­ran­tie des Grund­ge­set­zes für juris­tisch »umstrit­ten« (S. 7 ihrer Stel­lung­nah­me) und meint, sie sei nur für den Zeit­punkt nach der Geburt unum­strit­ten, wor­aus sie ihr Argu­ment gewinnt:

Der im Mut­ter­leib wer­den­de Mensch muß ohne die Men­schen­wür­de­ga­ran­tie aus­kom­men, habe aber ein »Lebens­recht«, das aller­dings am Beginn der Schwan­ger­schaft ein gerin­ge­res Recht sei als das Grund­recht der Mut­ter, wor­aus folgt: der Frau steht in der Früh­pha­se der Schwan­ger­schaft dem Embryo gegen­über, der noch nicht aus eige­ner Kraft lebens­fä­hig sei, »ein Recht auf Schwan­ger­schafts­ab­bruch« zu (S.9).

II. Nun besteht eine Schwan­ge­schaft nicht nur aus zwölf anfäng­li­chen Wochen, son­dern aus neun lan­gen Mona­ten, in denen sich das Kind im Leib der Mut­ter zusam­men mit der Mut­ter entwickelt.

In die­ser Zeit soll es nach Bro­si­us-Gers­dorf fol­gen­de Rege­lun­gen geben:

  1. Für den Fall, daß auf eine Ver­ge­wal­ti­gung eine unge­woll­te Schwan­ger­schaft folgt, soll die Straf­frei­heit von zwölf auf fünf­zehn Wochen ver­län­gert wer­den. Dies wird damit begrün­det, daß die ver­ge­wal­tig­te Frau auf­grund eines Ver­ge­wal­ti­gungs­trau­mas die Schwan­ger­schaft mög­li­cher­wei­se nicht recht­zei­tig bemer­ke, wes­halb es eine län­ge­re Frist brau­che, in der ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch straf­frei bleibe.
  2. In allen ande­ren Fäl­len, also den Fäl­len nicht-kri­mi­no­lo­gi­scher und nicht-medi­zi­ni­scher Indi­ka­ti­on bemerkt Bro­si­us-Gers­dorf in ihrer Stel­lung­nah­me für den Rechts­aus­schuß des Bun­des­ta­ges S. 11, es sei »nicht ein­deu­tig«, ob der Gesetz­ge­ber »in die­ser Spät­pha­se der Schwan­ger­schaft von Straf­be­weh­rung für die Schwan­ge­re abse­hen darf«, und sie ver­weist für die wei­te­re Dis­kus­si­on des The­mas auf den Abschluß­be­richt der »Kom­mis­si­on zur repro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mung und Fort­pflan­zungs­me­di­zin«. Dort geht es um das Recht der Euro­päi­schen Uni­on und u.a. die Fra­ge, ob Schwan­ger­schafts­ab­brü­che, die in einem Land ver­bo­ten sind, von Bür­gern die­ses Lan­des in einem ande­ren EU-Land, in dem sie erlaubt sind, straf­frei vor­ge­nom­men wer­den kön­nen. Und dort lesen wir (S.259): »Die Kri­mi­na­li­sie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs ist bei ent­spre­chen­der Erstre­ckung der straf­recht­li­chen Rege­lungs­ho­heit auch aus­ge­hend von den Grund­frei­hei­ten in grenz­über­schrei­ten­den Kon­stel­la­tio­nen recht­fer­ti­gungs­be­dürf­tig.« Die Gesamt­in­ten­ti­on die­ser Über­le­gun­gen geht dahin, daß es jedem Land über­las­sen bleibt, selbst ent­spre­chen­de gesetz­li­che Rege­lun­gen zu tref­fen, und daß es im Rah­men die­ser Rege­lun­gen aller­dings recht­fer­ti­gungs­be­dürf­tig sei, wenn ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch zu einem Fall fürs Straf­recht wer­de. Dies vor allem des­halb, weil es in der EU und im Euro­pa­recht eine Ten­denz zur »Ent­kri­mi­na­li­sie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs« gebe, so daß sich das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dazu dann auch »neu äußern« müs­se und der deut­sche Gesetz­ge­ber ver­pflich­tet sei, »die Spiel­räu­me, die ihm das Grund­ge­setz eröff­net, im Lich­te der ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­ge­be­nen größt­mög­li­chen Ver­ein­bar­keit von inner­staat­li­chem Recht mit völ­ker­recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen Deutsch­lands aus­zu­fül­len.« (S.279)

Nimmt man das alles zusam­men, ist klar, wohin mit Bro­si­us-Gers­dorf die Rei­se gehen soll: Das Recht der Schwan­ge­ren soll in allen Fäl­len und zu jeder Zeit der Schwan­ger­schaft über dem Recht des Embry­os auf Lebens­schutz ste­hen; die ein­zel­nen Staa­ten »dür­fen« das unge­bo­re­ne Kind zwar schüt­zen — schon das »dür­fen« zeigt: es geht hier um ein Zuge­ständ­nis an die Staa­ten, die das so hand­ha­ben wol­len, aber es ist eben kei­ne Pflicht mehr —, jedoch nur, »so denn die Men­schen­rech­te der Schwan­ge­ren hin­rei­chend geach­tet wer­den.« (S.279)

Sicher­lich wird man nicht über­le­sen dür­fen, daß Bro­si­us-Gers­dorf auch hier dafür votiert, daß es einen Unter­schied mache, ob der Fötus bereits aus sich selbst her­aus lebens­fä­hig sei oder nicht und daß dies bei den gesetzt­li­chen Rege­lun­gen sich aus­wir­ken soll­te. Aber die Tat­sa­che, daß sie das Wachs­tums­kon­ti­nu­um des Fötus in Teil­schrit­te zer­legt, die Hand­lungs­gren­zen mar­kie­ren — bis zu einem bestimm­ten Ent­wick­lungs­punkt ist der Fötus nicht selbst lebens­fä­hig und darf getrost als eine Art Sache betrach­tet wer­den, von der man sich straf­los tren­nen kann —, macht deut­lich, daß sie auf der Suche nach Kri­te­ri­en ist, die den Schwan­ger­schafts­ab­bruch legi­ti­mie­ren.

Dabei ist sie mit dem Pro­blem kon­fron­tiert, daß sie in das Ent­wick­lungs­kon­ti­nu­um qua­li­ta­ti­ve Gren­zen ein­zie­hen muß, die für einen, der Schwan­ger­schafts­ab­brü­che vor Errei­chen einer sol­chen Gren­ze für legi­tim hal­ten mag, eine ent­schei­den­de Bedeu­tung haben, für einen Geg­ner des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs aber schlicht nicht vor­lie­gen; denn für ihn bleibt es ein Kon­ti­numm, inner­halb des­sen es kein Vor und kein Nach gibt, son­dern nur die initia­le Zeu­gung eines Men­schen, der vom Moment der Zeu­gung an ein wer­den­der Mensch ist.

Daß Bro­si­us-Gers­dorf den wich­tigs­ten qua­li­ta­ti­ven Sprung, ab dem der wer­den­de Mensch dann im Voll­sin­ne ein Mensch sei und end­lich der Men­schen­wür­de­ga­ran­tie des Grund­ge­set­zes unter­lie­ge, mit der phy­si­schen Geburt des Men­schen iden­ti­fi­ziert, ist aus ihrer Sicht nach­voll­zieh­bar, aus einer christ­li­chen Sicht aber eine Kata­stro­phe, denn hier wird das Mensch-Sein an äußer­li­che Merk­ma­le gebun­den, die in einer bestimm­ten Pha­se zwar als typi­sche Merk­ma­le auf­tre­ten, für das Lebe­we­sen namens »Mensch« ins­ge­samt aber nichts wei­ter als rein äußer­li­che Ent­wick­lungs­schrit­te auf dem Lebens­weg des Men­schen sind.

Wür­de man Bro­si­us-Gers­dorf fol­gen wol­len, stün­de dem­nächst eine Debat­te an, ab wann im Ver­lauf eines Men­schen­le­bens auf­grund wel­cher Kri­te­ri­en die Men­schen­wür­de eines Men­schen auch wie­der ver­wirkt sei: bei auf­tre­ten­der Inkon­ti­nenz? Rheu­ma? Demenz?

III. Es gibt also sehr gute Grün­de, die das Ver­fas­sungs­ge­richt in der Ver­gan­gen­heit dazu bestimmt haben, die Men­schen­wür­de dem Men­schen auf sei­nem gesam­ten Lebens­weg und also von der Zeu­gung bis zum Tod zuzu­er­ken­nen. Will man hier neue Wege gehen, muß man die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung des obers­ten deut­schen Gerichts kas­sie­ren und davon aus­ge­hen, daß das, was bis­lang als Besin­nung auf die wesent­li­chen Wer­te der Ver­fas­sung, die wie­der­um auf wesent­li­chen christ­li­chen Wer­ten beru­hen, kei­ne wesent­li­che und das heißt: über­zeit­li­che Gel­tung hat, son­dern nichts wei­ter als ein juris­ti­sches Refle­xi­ons­sta­di­um im Ent­wick­lungs­gang unse­res Staa­tes ist.

Und genau so meint es Bro­si­us-Gers­dorf: Eine Bin­dungs­wir­kung der bis­he­ri­gen Urtei­le des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts stellt sie in Abre­de (ich ver­wei­se noch­ein­mal auf S. 36 des Pro­to­kolls der Anhö­rung vor dem Rechts­aus­schuß des Bun­des­tags); und dies tut sie, weil sie der Mei­nung ist (die sie bei Mar­kus Lanz zum bes­ten gibt), daß eine Mehr­heit der Frau­en und über­haupt die Gesell­schaft das ja inzwi­schen ganz anders sehe als zu den längst ver­gan­ge­nen Zei­ten, zu denen das Ver­fas­sungs­ge­richt sei­ne ein­schlä­gi­gen Urtei­le fällte.

Und die SPD-Par­tei­zei­tung »vor­wärts« erwei­tert die­sen Gedan­ken dahin­ge­hend, daß das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt heu­te anders ent­schei­den wür­de (gemeint ist: »soll­te«), weil der Frau­en­an­teil im Gericht heu­te deut­lich höher sei als frü­her. Die Hoff­nung, die sich damit ver­bin­det, lau­tet für den »vor­wärts« folg­lich: »Mög­li­cher­wei­se wür­de Bro­si­us-Gers­dorf mit ihrer Posi­ti­on in Karls­ru­he offe­ne Türen einrennen.«

An die­ser Stel­le zeigt sich der Grund­kon­flikt, um den es geht, in aller Schär­fe: ob man das, was gilt und rich­tig und wahr ist, für ein Epi­phä­no­men eines bestimm­ten Stan­des der gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lung hält, dem kei­ne inne­re Sub­stanz zukommt (lin­ke Welt­sicht); oder ob man davon aus­geht, daß es gül­ti­ge über­zeit­li­che und also sub­stan­ti­el­le Wahr­hei­ten gibt, gegen die man nicht ver­sto­ßen kann, weil man sonst an der Wirk­lich­keit schei­tert und selbst Scha­den nimmt (rech­te Weltsicht).

Bro­si­us-Gers­dorf spricht hier aus einer klar erkenn­ba­ren lin­ken Posi­ti­on. Und sie ver­hed­dert sich folg­lich auch in den Apo­rien die­ser Posi­ti­on. Wenn nichts mehr gilt, son­dern alles eine Fra­ge des Ent­wick­lungs­stan­des von Pro­duk­tiv­kräf­ten und Bewußt­sein ist, die wie­der­um durch gesell­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen in die rich­ti­ge Rich­tung gelenkt wer­den müs­sen, dann ist alles Poli­tik und Aus­ein­an­der­set­zung, denn was gilt, gilt nicht mehr, weil es einen gül­ti­gen Maß­stab fürs Gel­ten gibt, son­dern weil sich bestimm­te Grup­pen durch­set­zen, die in ihrem Sich-Durch­set­zen dann auch set­zen, was gel­ten soll.

Und genau das ist es, was wir bei Bro­si­us-Gers­dorf beob­ach­ten kön­nen: Sie betreibt lin­ke Macht­po­li­tik in der Gestalt der juris­ti­schen Exper­tin. Da ihr und der Lin­ken der­zeit aber noch die Macht­mit­tel feh­len, um im Hin­blick auf die Fra­ge des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs ein­fach durch­re­gie­ren zu kön­nen und Recht par ord­re du mouf­ti set­zen zu kön­nen, muß im Augen­blick noch argu­men­tiert werden.

Und dazu gehört, daß man sich dann doch auf Geset­ze und Geset­zes­for­mu­lie­run­gen beru­fen muß, die die eige­ne Ansicht nach außen hin legi­ti­mie­ren kön­nen. So etwa, wenn Bro­si­us-Gers­dorf vehe­ment dar­auf ver­weist, daß es der neu in Kraft getre­te­ne Arti­kel 94 Absatz 4 des Grund­ge­set­zes sei, der die Bin­dungs­wir­kung der Urtei­le des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts für den Gesetz­ge­ber auf­he­be (S. 12 des ste­no­gra­phi­schen Pro­to­kolls der Anhö­rung vor dem Rechts­aus­schuß), wes­halb der Gesetz­ge­ber die Abtrei­bungs­fra­ge auch ohne Rekurs auf die Men­schen­wür­de und auch außer­halb des Grund­ge­set­zes auf dem Wege eines ein­fa­chen Geset­zes regeln könne.

Für einen Moment also geht sie von etwas aus, was sie sonst in Abre­de stellt, näm­lich daß ein Arti­kel des Grund­ge­set­zes sub­stan­ti­el­le Kraft hat, die in die­sem Fall natür­lich dar­in besteht, ande­re sub­stan­ti­el­le Rege­lun­gen und vor allem Aus­le­gun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts aufzuheben.

Damit sind wir juris­tisch am Ende: Das Recht zeigt sich dank Bro­si­us-Gers­dorf als Ele­ment einer Poli­tik, die Recht aus eige­ner Macht setzt und dabei jeder­zeit die bis­her gül­ti­ge Moral außer Kraft set­zen kann. Denn das ist der lin­ke Antrieb, der hier wirkt: Recht ist Macht ist Poli­tik, die an kei­ne sub­stan­ti­el­len Wer­te und Über­zeu­gun­gen gebun­den sind, son­dern jeder­zeit und immer wie­der neu fest­le­gen dür­fen, was gilt und was nicht. Recht und Macht und Poli­tik schrump­fen hier auf die ein­fa­che For­mel vom »Recht des Stär­ke­ren«. Und in dem hier dis­ku­tier­ten Fall heißt das: Sie schrump­fen auf das Recht der stär­ke­ren Mut­ter, ihr schwa­ches wer­den­des Kind im Mut­ter­leib jeder­zeit los­wer­den zu dürfen.

IV. Hegel hat­te von einem »Ver­hält­nis der See­len« gespro­chen, das in der Schwan­ger­schaft zu beden­ken sei. Und er hat­te bemerkt, daß die­ses Ver­hält­nis ein hier­ar­chi­sches sei: das wer­den­de Kind hat noch kein Selbst, es ist ganz abhän­gig von der Mut­ter, die in ihrem Selbst das ande­re Selbst, das in ihr her­an­wächst, mitrepräsentiert.

In der Tat: Wir sehen äußer­lich immer nur die Mut­ter, die han­delt, wie sie han­delt, und in ihrem Han­deln das Kind mit­nimmt, ohne daß sich das Kind dage­gen weh­ren könn­te. Aber den­noch: Auch das Kind hat eine See­le, und die­se See­le ist von der Zeu­gung an eine Men­schen­see­le. Und daher ist, wie Hegel sagt, die Mut­ter »der Geni­us des Kin­des«: Sie allei­ne ist sein Schutz­geist, der das Kind nach neun Mona­ten in die äuße­re Welt entläßt.

Bro­si­us-Gers­dorf will davon nichts wissen.

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Kommentare (40)

Laurenz

4. August 2025 20:05

@UJ ... Muß Ihnen hier in mehreren Punkten widersprechen, nicht bei der juristischen Winkel-Advokatie der Linken. Indem Sie den Schutz des ungeborenen Lebens christlich, mit dem Link katholisch vereinnahmen, berauben Sie Sich der thematischen Gefolgschaft von Atheisten, Heiden oder sonstigen. Warum agieren Sie so ungeschickt? Auch für jeden liberal Denkenden ist der Schutz der Ungeborenen elementar. @Franz Bettinger hat mir zwar erklärt, daß die Mutter keine Anti-Körper gegen das Ungeborene in der Fruchtblase entwickelt, aber auch ohne Medizin-Studium lernt jeder Schüler, daß das Ungeborene ein eigener Mensch ist, mit einem eigenen unverwechselbaren Gen-Pool, also einen eigenen Körper besitzt, der eben nicht der Mutter gehört, sondern dem ungeborenen Menschen selbst. Mit & nach einem wahrscheinlichen Zusammenbruch des Sozialstaats ist ein Kind, als Nesthocker, auch nach der Geburt auf Eltern & Verwandtschaft angewiesen. Wie leicht kommen Linke dann auf die Idee, daß ein Mensch erst dann Würde besitzt, wenn er sich selbst versorgen kann. Ein Mord an der Verwandtschaft bleibt Mord, auch wenn dieser im Ausland stattfindet, ganz egal, wie das Ausland den Mord definiert.

Laurenz

4. August 2025 20:06

(2) Nachher bringen Linke ihre Eltern im Ausland um die Ecke, um an das Erbe heranzukommen. Deswegen würde ich mich, UJ, moralisch weniger auf die schlecht oder gar nicht definierte Menschenwürde beziehen, sondern vielmehr den Straftatbestand des Mords, den eine Abtreibung darstellt, abstellen. Als Heide mag ich seltene Ausnahmen, wie Vergewaltigung oder schwere Beeinträchtigungen gelten lassen. Das kann man diskutieren, aber eben nicht die Straftat an sich. Wer poppt/beischläft, dessen Kindheit ist vorbei & derjenige kann auch Kinder groß ziehen. Man kann von jedem Erwachsenen erwarten, daß er sich vor dem Akt Gedanken um eine womögliche Zeugung macht. Natürlich trägt auch ein Staat Verantwortung. Wie die meisten Linken, ignoriert Frau Brosius-Gersdorf die seelischen Auswirkungen der Abtreibung auf Eltern & Geschwister, nicht nur der Mutter. Die westliche Wegwerf-Non-Kultur abgetriebener Embryonen ist eine Sauerei. In der ganz andersartigen Japanischen Kultur, in der viel abgetrieben wird, bekommen die abgetriebenen Kinder einen Namen, einen Gedenkstein & bleiben Teil der Familie, wie die lebenden Kinder, um den Seelen die Be-Achtung & Aufmerksamkeit entgegenzubringen, die jede Seele verdient.

Ein gebuertiger Hesse

4. August 2025 21:19

Der letzte Absatz sagt alles. Danke für diesen klärenden Aufsatz!

Waldgaenger aus Schwaben

4. August 2025 21:32

Die Argumentation der Frau Brosius-Gersdorf nach meiner laienhaften Meinung in drei Sätzen zusammengefasst:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Was ein Mensch ist, was Würde ist und was antasten ist, darüber darf diskutiert werden. Natürlich nur von namhaften Wissenschaftlerinnen wie mir.
Allein schon dass die Dame sich in jedem zweiten Satz darauf beruft, dass sie Wissenschaftlerin sei, macht sie mir suspekt. 
 

Laurenz

4. August 2025 21:51

@Waldgänger aus Schwaben ... Juristen sind keine Wissenschaftler, nur Akademiker. Das 1e % der Juristen, die historisch forschen, können wir den Hasen geben. Frau Brosius-Gersdorf gehört, nach meiner expliziten Experten-Gewißheit, nicht dazu.

Le Chasseur

4. August 2025 22:32

"Aber dennoch: Auch das Kind hat eine Seele, und diese Seele ist von der Zeugung an eine Menschenseele."
Ich bin kein Christ, glaube aber auch, dass es eine Seele gibt. Aber wie kann man die Aussage treffen, dass die Seele bereits ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle in der Eizelle wohnt? Vielleicht zieht die Seele erst später in dieses "Haus" ein? Es ist ja wohl auch so, dass sich die meisten Fehlgeburten vor der 6. Schwangerschaftswoche ereignen. Grundsätzlich bin ich gegen die Abtreibung, es ist aber ein ganz schwieriges Thema. 
"In der ganz andersartigen Japanischen Kultur, in der viel abgetrieben wird, bekommen die abgetriebenen Kinder einen Namen, einen Gedenkstein & bleiben Teil der Familie, wie die lebenden Kinder, um den Seelen die Be-Achtung & Aufmerksamkeit entgegenzubringen, die jede Seele verdient."
Das ist aber doch auch irgendwie verlogen, oder nicht?
 

Waldgaenger aus Schwaben

4. August 2025 23:19

Nachtrag: Ich freue mich, dass SIN dieses Thema, wenn auch etwas verspätet, aufgreift. Dafür in gewohnter profunder Weise.
Was diese Frau von sich gibt ist ungeheuerlich. Man lese nur 
https://www.bundestag.de/resource/blob/1049772/Stellungnahme-Brosius-Gersdorf.pdf
Seite 6
Nach der zu Art. 1 Abs. 1 GG entwickelten, nach wie vor breit konsentierten sog. Objektformel ist die Menschenwürdegarantie nur verletzt, wenn der Einzelne zum Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt wird. Mit der Beendigung einer Schwangerschaft durch die Frau ist aber nicht regelhaft ein Unwerturteil über den Embryo/Fetus verbunden. Die Schwangerschaft wird in der Regel nicht beendet, weil der Embryo/Fetus als lebensunwert erachtet wird, sondern weil für die Frau eine Mutterschaft zu dem Zeitpunkt nicht vorstellbar ist. 
 
Solange der Staat nicht tötet und mit der Tötung kein Unwerturteil über den Getöteten verbunden ist, wird die Menschenwürde des Getöteten  durch das Töten nicht verletzt. 
Also muss der Staat das Töten outsourcen, wie es heute heißt, und die Mörder zum "Achtsam morden" (Titel einer Serie von Kriminalroman) anhalten.

Adler und Drache

4. August 2025 23:59

Danke für diesen Artikel. Ich will dennoch Laurenz mal recht geben, was selten vorkommt, aber in diesem Fall halte auch ich die christliche Begründung für eine  kontraproduktive Einengung. Allzuleicht kann sie als Idiosynkrasie abgetan werden, zumal auch viele "aufgeklärte Christen" für ein liberaleres Abtreibungsrecht votieren (eine besonders unangenehme Vertreterin dieses Milieus ist z.B. Antje Schrupp, die schrieb, der Mensch sei erst ein solcher, wenn er atmen könne - sie sollte hoffen, dass sie irgendwann mal nicht beatmet werden muss ...). Die Frage nach dem Lebensrecht der Ungeborenen ist m.E. keine spezifisch christliche, sondern einerseits eine allgemein menschliche und andererseits eine genuin politische, weil es um staatliche Biopolitik und um die Macht über Leben und Tod geht. Das Leben des Ungeborenen ist der Preis für die sexuelle Zügellosigkeit, auf diesen verdrängten Punkt muss immer wieder hingewiesen werden, das ist auch für Nichtchristen relevant.         

Adler und Drache

5. August 2025 00:07

@ Le Chasseur:
Vielleicht zieht die Seele erst später in dieses "Haus" ein?
Vermutlich entwickelt sie sich analog zum Leib. Man denkt sich "Seele" ja immer als etwas Statisches, etwas, das entweder ganz da ist oder gar nicht ist. Erschließt sich mir nicht. Begreiflicher finde ich den Gedanken, dass nach der Verschmelzen von Samen- und Eizelle auch die Seele nur wie ein kleiner Punkt da ist, in dem alles Spätere schon enthalten ist, aber eben noch nicht entfaltet ist.   

Laurenz

5. August 2025 00:46

@Le Chasseur ... "Das ist aber doch auch irgendwie verlogen, oder nicht?" ... Nein, ist es nicht, im Gegenteil. Bedenken Sie, wie alt die Japanische Kultur ist. Menschlich kulturelle Handlungsweisen entwickeln sich, wie die Kultur selbst, aus historischen Erkenntnissen, Erfahrungen, die irgendwann zum Ritual werden. Japanische Frauen nehmen keine Medikamente zur Verhütung. Aber wie wollen Sie in Japan die Miete für so viele Kinder zahlen? Sie beweisen auch wieder Unkenntnis. In Asien ist die Lüge legitim, am schwersten wiegt der Gesichtsverlust. Wie einst auch bei uns, ist im Schintoismus alles beseelt. Wir, hingegen, sind in unseren zivilisatorischen Schritten, spirituell degeneriert, erst zur Vielgötterei, im nächsten Schritt zum Monotheismus, danach, im letzten Schritt, zum seelenlosen Marxismus-Materialismus. Castaneda behauptet, die Bewußtheit des Kindes, wird durch Abgabe, Abzapfen von der Bewußtheit der Eltern beim Zeugungsakt generiert, was bei Eltern Löcher im Bauchbereich des menschlichen Energie-/Traumkörpers hinterläßt. Deswegen sei man nach einem Akt auch immer so ein bißchen dumpf in der Birne, weil man auch ohne erfolgreiche Zeugung die Energie verliert, Frauen mehr als Männer. Michelangelo bestätigte das gegenüber einem Freund über die Jugend der Maria in Seiner Römischen Pieta. Daher kommt wohl bei der Katholischen Kirche auch die heidnische Idee des Zölibats.

Gracchus

5. August 2025 01:40

Ich habe zwar keinen Anlass, Brosius-Gersdorf zu verteidigen. Aber juristisch ist der Kern der Debatte nicht getroffen. 
1. Es geht hier grundrechtlich um Schutzpflichten; hierbei billigt das BVerfG im 2. Urteil zur Abtreibung dem Gesetzgeber ein Ermessen zu, wie er dem Schutz nachkommt.
2. Das BVerfG ist in sich nicht konsistent. Faktisch ist der Schutz des Embryo in den ersten 12 Wochen geringer. Dafür sehe ich keinen hinreichenden Grund. 
3. "Straffrei, aber rechtswidrig" ist auch eine systemwidrige Konstruktion. 
4. 1.-3. bieten Einfallstore für die Argumentation von Brosius-Gersorf. Zur Bindungswirkung sagt sie, der neue Art. 94 Abs. 4 GG ändere gerade nichts (diese ist in Par. 31 BVerfG geregelt). 
 

RMH

5. August 2025 08:03

3. "Straffrei, aber rechtswidrig" ist auch eine systemwidrige Konstruktion. Bin wahrlich kein Strafrechtler oder Staatsrechtler (neudeutsch: Verfassungsrechtler), aber dass auf eine rechtswidr Tat eine Strafe folgen muss, ist keineswegs zwingende Folge, da nach der Rechtsw. im klass. 3-gliedrigen Strafbarkeitsschema erst noch die Schuldfrage kommt & selbst bei Schuldigen darf von der Strafe abgesehen werden oder es darf auch begnadigt werden. Hinter der aktuellen Regelung steht schlicht die Weisheit frührer Richter, Streitigkeiten auch schlichten zu wollen, denn mit der Feststellung der Rechtswidr. ist klar, dass die Krankenkassen nur die Beratung, die medizinische oder kriminolgische Ind. zu bezahlen haben, aber nicht die Abtr, aus anderen Gründen & damit wird keinem Krankenkassenmitglied über Gebühr zugemutet, Kosten für Abtreibungen mit zu bezahlen. Der "Kompromiss" brachte lange Jahre Ruhe in die Debatte & Rechtsfrieden, aber was wäre eine Linke, wenn sie den Rechtsfrieden wahren würde? Nein, es muss gebohrt werden, bis auch das letzte bisschen, vermeintliche "Spießigkeit" fällt & der neue Mensch vollendet wird. Warum können Linke & sog. Feministen nicht auch einfach einmal mit einer Regelung leben? Die Gg der Abtr. haben doch auch faktisch ihren Frieden mit der akt. Regelung gemacht bzw. müssen ihn jetzt auch noch als "letzte Linie" verteidigen. 

Laurenz

5. August 2025 09:05

@Adler & Drache ... Wir hatten die Zügellosigkeit oder nicht ... schon mal bei einem ML-Artikel ausgiebig debattiert. Das brauchen wir hier nicht wiederholen. Hier steht einzig die Frage der Öffentlichkeit im Raum, wie zB beim CSD oder der Kopftuch-Debatte, während es in Rio ganz normal ist, daß Menschen einzig in Badehose/Bikini & Schlappen bekleidet durch die Stadt latschen. Die fiskalische & sozialstaatliche Frage spielen schon eine Rolle, eine politische Gratwanderung. Sehen wohlhabendere Eltern von Fall zu Fall, auch aufgrund der hohen Steuerlast, von einem weiteren Kind ab, müssen sie aber die Kinder der Armen mitfinanzieren. Ist das gerecht, oder auch nur gerechtfertigt? @Gracchus ... bin Ihnen zwar dankbar für Ihre juristischen Informationen, erachte aber den Größenwahn von Juristen, auch denen des BVerfG, als hanebüchen. Gesetze & ihre Sinnhaftigkeit sind kein logischer Selbstzweck, sondern Ausdruck eines politischen Willens, der angeblich von Volke ausgeht & nicht der Feudalherrschaft von Möchtegern-Freislers. Hier macht das kaum veränderte Beamtenrecht uns immer noch zu Untertanen. Die ersten 12 Wochen, die Sie beschreiben, sind der Ausdruck eines politischen Kompromisses, der vermeiden will, Frauen ins Ausland zu treiben, andererseits diese dazu anzuhalten, zu handeln, was sie besser vor der Zeugung getan hätten.

Monika

5. August 2025 09:19

"Gleichzeitig schockiert mich der Gedanke an eine Legalisierung der Abtreibung, denn wie viele andere sehe ich das als eine Legalisierung von Tötung. In meinen Träumen, in meinem alltäglichen Verhalten lebe ich - was allen Menschen gemeinsam ist - etwas von meinem Dasein vor der Geburt, mein seliges Tauchen in mütterlichen Wassern: Ich weiß, daß ich da schon existiert habe. Mehr will ich dazu nicht sagen, denn zur Abtreibung habe ich Dringenderes zu bemerken. Daß das Leben heilig ist, versteht sich von selbst; dieses Prinzip steht über dem Prinzip der Demokratie, und es erübrigt sich, darüber weitere Worte zu verlieren." Dies schrieb der Dichter, Autor, Essayist Pier Paolo Pasolini vor 50 Jahren (1975) in den Freibeuterschriften. Pasolini entzieht sich jeder politischen Einordnung, ebenso seine Kritik der Abtreibung. Insofern habe seine Schriften bis heute revolutionäres Potential ! Und harren einer Rezeption und Würdigung. ( Siehe auch "Stichworte zur geistigen Situation der Zeit", Herausgegeben von Jürgen Habermas

Monika

5. August 2025 09:36

1/2 Pasolinis Kritik an der Abreibung ist eingebettet in seine Kritik an der Konsumgesellschaft, die die "Kultur des Einzelnen zerstört". Pasolini bezeichnet die Konsumgesellschaft als neuen "scheintoleranten Herrschaftstyp", der die "Paarbeziehung zu neuer Blüte brachte und sie mit sämtlichen Privilegien seines Konformismus ausstattete. Dieser Herrschaftstyp jedoch hat kein Interesse an einem Paar, das Nachkommen erzeugt ( die "proletarische" proles, wie sie auf Latein heißt), er braucht das Paar, das konsumiert (kleinbürgerliches Modell). Dieses Paar hat die Idee einer Legalisierung der Abtreibung schon in petto ( ebenso wie die Idee der Ehescheidung)."Das Jammern der "Bürgerlichen", dass man sich Kinder nicht mehr leisten kann, ist aushebelbar. Ich kannte ein Paar, das abtrieb, weil man einen  Urlaub auf Teneriffa machen wollte. 

RMH

5. August 2025 10:24

Leider kann ich den Artikel im "Vorwärts" nicht öffnen, aber das, was hier zitiert wird, zeigt ganz klar, dass es der SPD nicht darum geht, eine unabhänige, dritte Gewalt mit einer Person zu besetzen, die halbwegs unbefangen ist oder die über einen valide Karriere als Laufbahnjurist in der Gerichtsbarkeit verfügt sondern darum, gerade keine unabhängige, 3. Gewalt zu haben, sondern Leute in das Gericht zu bringen, von denen die SPD erwartet, dass diese dann auch entsprechend ihres politischen Willens liefern. Natürlich kann man das allen Parteien unterstellen, weshalb das Problem des BVerfG noch nie war, dass man das BVerfGG früher einfachgesetzlich hätte ändern können sondern schon immer die Besetzung der Richterposten. All die jüngesten Diskusionen, das Gericht "AfD-fest" zu machen, die schließlich in der bekannten Verfassungsänderung mündeten, waren Scheindebatten. Die entscheidende Frage, wer benennt die Richter, haben die etabl. Parteien schön in ihrem Beutegriff behalten. Dabei gäbe es genug Möglichkeiten, die Besetzung anders zu regeln, bspw in dem man festschreibt, dass mindestens die hälfte der Richter aus der Justiz selber zu kommen haben. Prof., die schon lange nicht mehr "unabhängig" lehren, sondern nach Fördertöpfen forschen & lehren, mithin korrumpiert sind, sollten maximal 10% ausmachen dürfen.

Umlautkombinat

5. August 2025 10:54

Ich muss zugeben, ich verstehe den Hegelspruch ab der vorletzten Zeile nach dem Semikolon rein inhaltlich nicht. Das ist buchstaeblich gemeint, ich lese die Worte und sie geben keinen Sinn. Daraufhin habe ich mir den Rest des Artikels gespart, denn besser wird es selten.
 
Die Lancierung dieser SPD-Kandidatin scheint mir von Beginn an eher unwesentlich zu sein. Lauter Widerstand zu aktuellen Themen kommt nur in sofort wahrnehmbare Breite, wenn er zugelassen wird und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass hier wieder einmal ein paar Schwergewichte an Mark durch einen Pfennig zugedeckt werden sollten. Wesentlich ist, worueber 'man' nicht spricht.
 
Inhaltlich gesehen schaetze ich, dass im Kommentariat von verschiedenen Seiten deutlich gemacht wird, dass hier ein allgemeinmenschliches Problem vorliegt, welches keineswegs Traegern von Glaubensrichtungen welcher Art auch immer hoehere Weihen verleiht. Ich hatte Abtreibung in der Familie und Geschwaetz von Zuegellosigkeit trifft noch nicht einmal den Ansatz solcher Situationen. Erstmal selbst mit-, dann erst den Mund aufmachen.
 
 

Waldgaenger aus Schwaben

5. August 2025 11:28

@Laurenz
Ob Juristen Wissenschaftler sind, kommt auf den Wissenschaftsbegriff an. Ich denke schon, dass es juristische Wissenschaft gibt, so wie etwa Volkswirtschaft oder Geschichtswissenschaft.
 
Zum Thema: Die Debatte wurde letzlich von Merz losgetreten. Beatrix von Storch kam ihrer Aufgabe als Politikerin der Opposition nach und fragte ihn, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, jemand wie Frau Brosius-Gersdorf als BVerfG-Richterin zu wählen. Mit einem Minimum an politischem Instinkt hätte Merz mit Rücksicht auf die Lebensschützer in der Union vorgängig betont, dass er zum Schutz des ungeborenen Lebens stehe und es mit der Union kein Zurückweichen in dieser Frage gebe und dann erst erklärt, warum er  trotzdem Brosius-Gersdorf wähle. Stattdessen schleuerte er Beatrix von Storch einfach ein arrogantes "Ja" entgegen. Darauf mussten die Lebensschützer in der Union reagieren, ein Schweigen wäre einer Aufgabe ihrer Position gleichgekommen. Der Vorgang zeigt einmal mehr, dass Merz als Kanzler ungeeignet ist. Es wird wahrscheinlich vor 2029 Neuwahlen geben. 
 

Beta Jas

5. August 2025 12:22

Man muss nicht religiös sein, christlich, um das, was seit 50 Jahren in Deutschland und in anderen Teilen der Welt insbesondere in Europa und Nordamerika stattfindet, zu verurteilen. Was Brosius-Gersdorf artikuliert, das die Menschenwürde mit der Geburt beginnt, ist eine Äußerung die vielleicht eine Revolution anstößt und Bewusstseinsveränderung bewirkt, denn der Mensch ist kein Mensch durch Geburt sondern seit 9 Monaten und das eigentlich in einem geschützten Raum in den zerstörend eingegriffen wird.
Wer rechtskonservativ einen "Bevölkerungsaustausch" beklagt und das ganze auf Einwanderung von Frauen und Männern aus anderen Ländern und Kulturkreisen reduziert, der verschweigt, bewusst oder unbewusst, das man selbst den Austausch verstärkt und Linksextreme ihnen durch eine Einwanderung bewusst verstärken. In den letzten Jahrzehnten wurden in Deutschland Millionen Kinder "abgetrieben", Millionen konsequent "verhütet", so lauten die Begriffe tatsächlich offen und ehrlich. Es ist das vermeintliche Recht von Frauen dies zutun, in die Sexualität und den Sinn von ihr einzugreifen, mit den zusehenden Folgen. Wenn es die technische Möglichkeit wie "Abtreibung" oder die chemische Unfruchtbarmachung "Verhütung" nicht gäbe, was wäre dann? Die linke Ideologie und Soziologie fokussierte sich auf die Sexualität, zielend auf Frauen und propagierte dies, darüber sollte ausführlich geschrieben und aufgeklärt werden. Die Äußerungen einer Linksextremistin und Juristin, ist dabei hoffentlich ein Anstoß.

Gracchus

5. August 2025 12:44

@RMH: Normalerweise ist Schuld bei Rechtswidrigkeit indiziert bzw. wird im Einzelfall geprüft. 
Was mir bei Brosius-Gersdorf auffällt, ist, wie "normtechnisch" sie argumentiert. Das ist wohl symptomatisch für die Dreier-Kelsen-Schule.
Ich halte Abtreibung moralisch für unrecht. Über die individuelle Schuld ist damit noch nicht alles gesagt. Wie man das strafrechtlich normiert, auch nicht. Strafrechtlich bekommt man das wohl nicht in den Griff. Am besten wäre, wenn sich allgemein ein moralisches Bewusstsein und eine Willkommenskultur für Kinder durchsetzte. 
Die Stellungnahme von B.-G. ist ja aus der letzten Legislatur. Warum die Linken das kontroverse Thema wieder hochkochen? Irgendwas werden sie sich davon versprechen. B.-G. hat sich auch damit verteidigt, dass ihre Lösung dem Mehrheitswillen entspreche.

Laurenz

5. August 2025 12:57

@Umlautkombinat ... verstehe Ihren Kommentar nicht. Könnten Sie den bitte auch für 2er oder 3er Abiturienten formulieren? @Monika & Beta Jas ... möchte nicht falsch verstanden werden. Das, was Sie schreiben, kann man debattieren & auch eine andere Meinung dazu gewinnen, auch im Detail. Aber, wie @RMH schreibt, will die Linke gar nicht debattieren. Die Linke will die Debatte an sich töten. Merz ist eben auch ein Linker. Hier sehen wir des Pudels politischen Kern. @Beta Jas ... in der DDR wurden Abtreibungen schlimmer gehandhabt, als in der BRD. Aber man bot eben jungen Eltern Priorität bei Wohnungen an. Macht man heute in der BRD auch, aber eben nur für Fremde. Der Sozialismus, historisch formal oder heute informell, nimmt Frauen ihren natürlichen Wert & gleicht sie an Männer nach unten an. Solange das vom völlig verblödeten linken Weibsvolk nicht verstanden wird, bleiben wir im politischen Konflikt.

Majestyk

5. August 2025 15:03

In den letzten Jahrzehnten wurden in Deutschland Millionen Kinder "abgetrieben", Millionen konsequent "verhütet" schreibt Beta Jas.
So sieht es aus. Darum ging es doch wohl auch bei der Überwindung des Patriarchats. Noch 1982 sang Ina Deter "Neue Männer braucht das Land". Etwas mehr als 30 Jahre später waren sie dann da. 
Ich persönlich glaube aber nicht, daß die Einstellung zu Abtreibung der wirklich interessante Aspekt am Fall Brosius-Gersdorf ist.

Bernd

5. August 2025 15:38

Würde erhält der Mensch, um bei Hegel zu bleiben, dadurch, dass man ihn als mündiges Wesen behandelt und seine Entscheidungen respektiert. Das schließt ein, ihn die Folgen seiner Handlungen tragen zu lassen. Haben sich Mann und Frau zum Geschlechtsverkehr entschieden und damit die Zeugung eines Kindes in Kauf genommen, müssen sie auch die Folgen tragen. Ihnen zu erlauben, sich zu Lasten eines Dritten, in diesem Fall des Kindes, dieser Folgen zu entledigen, ist eine Entwürdigung der Eltern. Sie werden dann eher wie Tiere behandelt, die ihrem unüberwindlichen Geschlechtstrieb zu Opfer gefallen sind. Auf die gleiche Weise entmündigt und entwürdigt man einen Verbrecher, wenn man ihm verminderte Schuldfähigkeit unterstellt und eine Bestrafung unterlässt.

Bernd

5. August 2025 15:39

Im übrigen finden sich unter Freunden der Abtreibung zwei widersprechende Sichtweisen:
 
Entweder ist das ungeborene Kind Bestandteil des Mutterleibes und untersteht deshalb ihrer alleinigen Verfügungsgewalt, wie ich mir ja auch nach Belieben einen Finger abschneiden darf. Das ist biologisch Unsinn, das Kind und der Großteil des Mutterkuchens werden nicht vom Mutterleib gebildet, sondern lediglich mit Nährstoffen versorgt. 
 
Oder aber es ist ein parasitärer Fremdkörper, vor dem sie sich schützen darf. Die Variante kommt der Wahrheit näher, zumindest bei Vergewaltigung. War der Geschlechtsverkehr hingegen einvernehmlich, hat das Kind eher die Rolle eines Fluggastes: die Fluggesellschaft hat ihn eingeladen und an Bord genommen und sollte ihn nicht mitten im Flug von Bord werfen dürfen.
 
So meine liberale Sicht auf die Dinge.

RMH

5. August 2025 16:27

"Was mir bei Brosius-Gersdorf auffällt, ist, wie "normtechnisch" sie argumentiert. Das ist wohl symptomatisch für die Dreier-Kelsen-Schule."
Aber richtig bei Kelsen ist sie nicht, für sie ist Recht am Ende Technik zur Durchsetzung von polit. Zielen, denn ein Kelsen würde sich bspw mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für ein AfD-Verbot einsetzen, da er die Minorität/Oppos. in einer Demokratie für eine begriffliche Voraussetzung einer solchen hielt. Mit der Einordnung von Recht & Jurisprudenz als Technik zur Umsetzung einer Ordnung, gleich welcher, befindet man sich dann wiederum in guter Gesellschaft mit H. S. Chamberlain, siehe dessen entspr. Ausführungen in den Grundlagen des 19. Jhdt ("Die Jurispr. ist eine Technik"). Wenn ich B-G zu Ende denke, ist entgegen der "Ewigkeitsgarantie" des GG durchaus an der "Menschenwürde" etwas gestaltbar (so auch der Artikel), der Auslegung & den Überzeugungen von "Mehrheitsverhältnissen" zugänglich. Konsequenterweise können dann solche Juristen, bei entspr. Mehrheitsverhältnissen, problemlos die aktuell als "verfassungsfeindlich" bez. Remigration vertreten, totalen Grenzschutz etc (warum soll Art 1 GG über den konkreten Geltungsbereich hinaus Anwendung finden? Diese Auffassung lässt sich ändern). etc.

Waldgaenger aus Schwaben

5. August 2025 20:20

@Umlautkombinat
"Ich muss zugeben, ich verstehe den Hegelspruch ab der vorletzten Zeile nach dem Semikolon rein inhaltlich nicht."
Ich will dann mal versuchen, ihn zu erklären (Ergänzungen) in eckigen Klammern)
Es sind zwei Individuen[Mutter und kind], und doch noch in ungetrennter Seeleneinheit; das eine [das Kind] ist noch kein Selbst, noch nicht undurchdringlich, sondern ein Widerstandsloses; das andere [die Mutter] ist dessen Subjekt, das einzelne Selbst beider.
 
Mit dem Ausdruck "nicht undurchdringlich" und "widerstandslos" meint Hegel, dass das Kind noch kein Ich-Bewusstsein hat.  Bemerkenswert, dass er hier das Ich  (Selbst) über die Fähigkeit zum Widerstand definiert.
Hegel bleibt hier, wie die Abtreibungsbefürworter, die Antwort auf die Frage schuldig, was das Neugeborene vom Fötus kurz vor der Geburt unterscheidet. Brosius-Gersdorf versucht den Unterschied an der Lebensfähigkeit ex utero festzumachen, was völlig willkürlich ist. Der Säugling ist lange von externer Hilfe abhängig, ebenso wie viele Kranke oder ein Unfallopfer. Der Unterschied wäre allenfalls daran festzumachen, dass bis zur Geburt 
 
 
 

wolfdieter

5. August 2025 20:22

@Gracchus 5. August 2025 01:40
 
„‚Straffrei, aber rechtswidrig‘ ist auch eine systemwidrige Kostruktion“ – deine Sicht setzt Unrecht mit Strafe gleich, oder Recht mit Straffreiheit. In Widerspruch dazu habe ich im StGB sowohl die Begriffe „straflos“ und „schuldlos“ vorgefunden. Weil unter den Wissenschaften Ius die präziseste Sprache verwendet, folgere ich, die Begriffe sind keineswegs gleichbedeutend.

kikl

5. August 2025 20:50

Ich bin auch über diesen Satz gestolpert: 
"Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt" - S. 7
Denn Frau B-G gibt in der Folge keinen einzigen Grund dafür an. Wieso sollte auch der Ort des Menschen, innerhalb oder außerhalb des Uterus, darüber entscheiden, ob er eine Würde besitzt? Wieso sollte ein Ereignis, das jederzeit künstlich herbeigeführt werden kann, wie die Geburt, darüber entscheiden, ob der Mensch eine Würde besitzt? Es ist einfach nur absurd.
Die Einschränkung des Rechts auf Lebens begründet B-G so:
'Diese existenzielle Abhängigkeit des Ungeborenen vom Körper derSchwangeren legt es nahe, dass das Lebensrecht pränatal mit geringerem Schutz zum Tragen kommt als für den geborenen Menschen.' - S. 6
Dann gilt aber auch, dass die existentielle Abhängigkeit des erkrankten Patienten vom seinem Arzt sein Lebensrecht 'einschränkt'. Es ist klar erkennbar, wohin das führt...
Wer argumentativ derart minderbemittelt ist wie Frau Brosius-Gersdorf, der hat am Bundesverfassungsgericht nichts verloren.

Dr Stoermer

5. August 2025 22:07

Wenn ein Mensch ab der Einnistung als solcher gilt, ist seine Tötung bereits zu diesem Zeitpunkt die Tötung eines Menschen. Kann eine solche Tötung gerechtfertigt sein?
Eine ungewollte Schwangerschaft lässt sich wie folgt beschreiben: Die „Natur“ (A), vertreten durch ihren Agenten, den Erzeuger, schränkt die Freiheit der Mutter (B) durch Schwangerschaft, Mutterpflicht und ggf. sozialen Abstieg ein, um Reproduktion zu ermöglichen. Das ist einer Art Geiselnahme. B erleidet ein potenziell lebenslanges Unrecht, jedoch ohne, dass B Lebensgefahr durch das Kind (C) droht (von medizinischen Komplikationen abgesehen). Der Embryo (C) ist ebenfalls eine Geisel der Natur, ungefragt entstanden, aber mit Existenzrecht ausgestattet.
Bei einer Abtreibung tötet B (die Mutter) C (den Embryo), um ihre Freiheit wiederherzustellen. Nach deutschem Recht ist dies nicht durch Notwehr (§ 32 StGB) oder rechtfertigenden Notstand (§ 35 Abs. 1 StGB) gedeckt, da das Leben von C ein höherwertiges Rechtsgut ist als die Freiheit von B. Ein schuldmindernder Notstand (§ 35 Abs. 2 StGB) ist unwahrscheinlich, da eine bloße Freiheitseinschränkung keine ausweglose Zwangslage rechtfertigt.
Was fehlt? Die Verantwortung des Erzeugers. Wenn Sexualität als „Lifestyle“ und „Fun“ gilt, normalisiert die Gesellschaft den Tod Unschuldiger für das Vergnügen von Erzeugern. Frauen, insbesondere Mütter, verdienen Schutz. Sie sind nicht Objekte, sondern Quelle von Liebe und Leben. DAS wird in der Debatte übersehen.

Waldgaenger aus Schwaben

5. August 2025 22:16

In meinem vorherigenKommentars ging ein Teil verloren (meine Schuld). Der restliche Text sollte lauten: Der Unterschied [zwischen Fötus und Neugeborenem] wäre allenfalls daran festzumachen, dass bis zur Lebensfähigkeit ex utero nur die Mutter das Leben des Kindes erhalten kann. Danach können andere Personen ihre Rolle übernehmen. Daraus kann kein geringeres Recht auf Leben des Kindes bis zu diesem Zeitpunkt konstruiert werden, allenfalls eine geringere Schuld der Mutter. 
Noch was zur 12.SSW ab der eine Abtreibung gegenwärtig nicht mehr straffrei ist. Diese Frist stammt aus der Zeit als die Fristenlösung (Anfang der 1970er Jahre) diskutiert wurde. Eine Schwangerschaft konnte damals erst nach dem zweimaligem Ausbleiben der Periode (8.SSW) in Betracht gezogen werden konnte. Danach sollte die Frau noch 4 Wochen Zeit haben, bis zur 12.SSW, sich zu entscheiden, falls die Periode dann immer noch ausblieb bzw. das Kind nicht auf natürliche Weise abging. Der unterschiedliche Schutzstatus des Ungeborenen ab der 12.SSW ist heutzutage also historisch bedingt und damit willkürlich.
 

Maiordomus

6. August 2025 07:14

Interessanter Artikel und bemerkenswerte Diskussion. Vgl. noch @Monika. @Laurenz hat vordergründig, betr. das für politische Erfolgsmöglichkeiten zusammenzusetzende Lager auch ungleich Gesinnter, so wie ich für die Erhaltung der schweiz. Neutralirät auch Stimmen von Maoisten, Kommunisten oder meinetwegen dem Ku-Klux-Clan notfalls gerne mitzählen würde, um die von mir seit Jahrzehnten gelesene NZZ bzw. den Mainstream zu überstimmen. Es ist aber schon so, nicht zu verwechseln mit Abtreibung und vor allem dem historischen Kindsmord nach Darstellungen bei Lenz, Pestalozzi und Goethes Urfaust, dass die feministische Befürwortung der Abtreibung als Menschenrecht nahe bei der satanistischen Absage an die Schöpfung ist. Selber bin ich als Kathole seit 1967 in der Forschung gegen sex. Missbräuche involviert, mit jeweils Ausschluss v. bischöfl. Archiven. Hätte mich aber meine Mutter abgetrieben, wären solche Forschungen noch stärker beeinträchtigt worden. Lieber wäre ich mal von einem Geistlichen am P. gezupft als von der Mutter abgetrieben worden, letzteres hätte auch zu einer Verengung der hier geführten Debatten beigetragen. Ironie off.  

Maiordomus

6. August 2025 07:26

@Le Chasseur. Die Philosophin Hedwig Conrad-Martius, wohl beste katholische Husserl-Schülerin nebst Edith Stein, hat sogar ein Buch über die "Pflanzenseele" geschrieben, wenngleich in Anführungszeichen. Eine letztere haben schon Aristoteles, Theophrastus und der grösste deutsche christliche Philosoph, Albertus Magnus, angenommen. Thomas von Aquin ging von der Erschaffung der Seele bei Mädchen nach etwa drei Wochen, bei Knaben noch später aus, wenn ich mich richtig an das Studium der Gesamtausgabe erinnere. Für den Begriff der Seele, die durchaus etwas objektiv Reales hat, aber schwer dingfest zu machen, sind in der Tat sorgfältigste auch phänomenlogische Untersuchungen zu machen. Damit hat sich u.a. der französische Neuro-Physiologe Paul Chauchard (1912 - 2003) betr. pränataler Psychologie auseinandergesetzt, ein hochgescheiter Gelehrter, der sich vor Freud, Jung und Michel Foucault nicht hätte verstecken müssen. Die Auffassungen von Brosius Gersdorf über die Menschenwürde als Ausdruck der sog. "Mitte der Gesellschaft" erinnern daran, dass sich auch der Hexenwahn schon mal in der "Mitte der Gesellschaft" befand. Chauchard war auch führender Forscher über Teilhard de Chardin und beriet ohne Berücksichtigung die Kurie bei der Enzyklika "Humanae vitae", in der freilich das Wort "Pille" nicht vorkommt.   

Maiordomus

6. August 2025 07:33

@Laurenz. "In Asien ist die Lüge legitim." Ein Beispiel für Ihre sträflichen Vereinfachungen wenn Sie sich in das Feld kulturhistorischer Hintergründe verirren. Natürlich ist in China die List, wie mein Kollege Harro von Senger in einem ausgezeichneten Buch nachgewiesen hat, "Die List", Suhrkamp, auf dem vielleicht höchsten kulturellen Niveau der Menschheit, aber selbst der berüchtigte Machiavelli ist kein bedingungsloser Verteidiger der Lüge, die er gesinnungsethisch sogar klar ablehnt. Es geht jedoch auch in Europa nicht jeder so weit wie Kant, der auch die Notlüge total zurückweist, sehr schön dargestellt im Roman "Im Trubschachen" von E.Y. Meyer,, vor 50 Jahren ebenfalls bei Suhrkamp erschienen und jetzt in der neuen Gesamtausgabe wieder greifbar.   

Maiordomus

6. August 2025 08:52

@kiki. Ihre Ausführungen sind substanziell und ein Beleg dafür, dass Sezession und Sezession im Netz unbeschadet von Irrtümern und gelegentlich begründeter ideologischer Umstrittenheit im Geistesleben des heutigen Deutschland mehr als nur eine Existenzberechtigung beanspruchen und im Diskurs sicher nicht "extremistischer" ist als die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, sich nun mal im Rahmen eines durch das Grundgesetz garantierten Meinungs-Journalismus bewegt, wobei nun mal "Haltungen" geteilt werden können oder dann eben nicht. Jenseits davon muss man gegen die von Erik Voegelin in seinem Gesamtwerk und zumal seinen Studien über Gnosis, Wissenschaft und Politik angeprangerten Frageverbote der säkularen Ideologien und der von diesen geprägten Mainstream-Medien der Gegenwart angehen. Was die Ideologiekritik betrifft und die geistigen Hintergründe der Gegenwart hat unter den oppositionellen Medien meines Erachtens etwa das gedruckte Heft Sezession mit seiner aufmerksamen Beobachtung des Geisteslebens mehr und anderes zu bieten als zum Beispiel die Schweizer Weltwoche, deren Herausgeber sich noch und noch als publizistischer Sanguiniker präsentiert. Noch beachtlich scheint mir indessen der noch klar katholisch positionierte frühere Junge-Freiheit-Mitarbeiter und jetztiger youtuber Mathias von Gersdorf, dessen "Haltung" man so wenig teilen muss wie eine "deutschnationale", der aber in der Regel treffend und klar argumentiert. Für mich eine andere Nummer als K-H W. als Chefideologe der Jungen Freiheit, einst Weggefährte der hiesigen "Bademeisterei". 

Umlautkombinat

6. August 2025 10:46

@Waldgaenger
 
Die Klammerungen habe ich schon begriffen, sie ergeben sich ja noch aus einfachen Regeln der deutschen Sprache und natuerlich ist klar, worauf sich der Autor des Zitates jeweils bezieht. Der Kern also: Wer ist "dessen"? Kind? Mutter? Beide? Wenn einer der Faelle mit Kind, was zum Teufel bedeutet "die Mutter ist dessen Subjekt"? Zur Undurchdringlichkeit gaebe es auch noch einiges zu sagen, aber nehmen wir das mal als sekundaer an.
 
Genereller aber: Derart verkopfte Formulierungslocken sind sicher einer Diskussion des Themas Abtreibung nicht dienlich. Weswegen ich bei Auswahl einer solchen Pirouette als leitenden Hintergrund eines diesbezueglichen Artikels diesen sofort entsprechend einordne. Das waere dann der erste Teil meines dreiteiligen Kommentars.

RMH

6. August 2025 10:55

Was fehlt? Die Verantwortung des Erzeugers. Wenn Sexualität als „Lifestyle“ und „Fun“ gilt, normalisiert die Gesellschaft den Tod Unschuldiger für das Vergnügen von Erzeugern. Frauen, insbesondere Mütter, verdienen Schutz. Sie sind nicht Objekte, sondern Quelle von Liebe und Leben. DAS wird in der Debatte übersehen.
@Dr Stoermer, da machen Sie aber jetzt ein neues Fass auf. Eine Frau macht außerhalb einer Vergewaltigung freiwillig "die Beine breit", hat normalerweise dabei auch "Vergnügen" (nicht nur der Erzeuger hat "fun"), hat verschiedenste Verhütungsmethoden zur Hand & kann auf die Verwendung eines Kondoms bestehen. Die Verantwortung, wenn beim Sex "ungewollt" ein Kind entsteht, sehe ich mithin bei 50: 50, wobei wir beachten müssen, dass die Willensfreiheit bei empänglichen Tagen biologisch etwas eingeschränkt ist, die Frau ist in der Tat in dieser Zeit "geiler" & der Mann wird es auch, bedingt durch Duftstoffe, Verhalten der Frau bei empfänglichen Zeiten etc. (wenn alles "rational" zugehen würde, gäbe es vermutlich keine "ungewollten" Schwangerschaften, wobei jede Schwangerschaft gewollt ist, nämlich von der "Natur", den Instinkten etc.). Und wenn Sie den "Erzeuger" mit einbinden in die Verantwortung, dann ist zwingend der Umstand anzusprechen, dass er keinerlei Mitentscheidungsrecht über den Abbruch oder das Austragen des Kindes hat, aber in jedem Fall eine Unterhaltspflicht.

MARCEL

6. August 2025 11:07

Diese Personalie ist hoffentlich bald vom Tisch...
Generell: In einer Gesellschaft mit (zumindest ursprünglich) pazifistischen Wurzeln nehmen Gerichte und andere Institutionen die Rolle ein, die früher im Inneren das Militär hatte (vgl. auch sog. pronunciamientos).

ofeliaa

6. August 2025 16:49

Ich denke die Frauen, die abtreiben möchten, werden dies tun, auf welchem Wege auch immer. Somit bleibt entweder die Erlaubnis, dies unter medizinisch korrekten Umständen zu erlauben, oder irgendwann immer mehr blutdurchtränkte Laken in irgendwelchen alten Industriegebäude zu finden. Abtreibungen finden entweder legal statt oder illegal. Als junge Frau plädiere ich heutzutage nicht für Abtreibungen, schreibe den Satz "Your body, your choice" gerne mit fetter schwarzer Farbe in "You body, your responsibility" um, wenn ich daran vorbei komme. Doch das Problem liegt sozusagen nicht bei einer Gersdorf Brosius, sondern eher bei der Bevölkerung. Am Ende des Tages bleibt nur tiefe Trauer darüber, was Menschen aus diesem uns eigtl. wunderschönenen gegebenen Leben machen und wofür sie ihre Freiheit und ihren freien Willen einsetzen. 

FraAimerich

6. August 2025 17:46

Dank an @Monika für den wertvollen Verweis auf Pasolini
 
@Majestyk: "Ich persönlich glaube aber nicht, daß die Einstellung zu Abtreibung der wirklich interessante Aspekt am Fall Brosius-Gersdorf ist."
 
Wäre geneigt, Ihnen da beizupflichten. Fürchte allerdings, daß wir uns ohnehin nur wieder mißverstehen.
Der Umstand, daß Frau B.-G. Schwangerschaft an sich als Verletzung/Beeinträchtigung der Menschenwürde der Frau "verhandelt", ist allerdings vielsagend und lenkt den Blick - an juristischen Behelfskonstruktionen und politischen Machtspielen vorbei - auf den Kern des Problems.
Was nebenbei das vorangegangene Streitthema angeht - hier können Sie in dreieinhalb Minuten sehen, welche Art Kritik man nicht ernsthaft als "Propaganda linker Zersetzer" aus dem Spiel nehmen kann.

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