Rainer Mühlhoff, Philosoph und Mathematiker, gehört dazu – einerseits linksdrehender Professor und sich nicht zu fein, seinen sympathisch geraden Stil gendersprachlich zu befrachten, andererseits ein ausnehmend kenntnisreicher und dabei unprätentiöser Autor.
Der Reclam-Verlag war für Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus genau die richtige Adresse, handelt es sich doch um ein Grundsatz-Bändchen, das es in sich hat. Nirgendwo sonst ist eine so kompakte und treffende Analyse zur Organik künstlicher Intelligenz und der von ihrer inneren Struktur ausgehenden Wirkungsweise zu lesen.
Weil der Autor sein Buch als Warnung versteht, leuchtet ein Begriff quasi fluoreszierend im Titel. Mühlhoff fürchtet im Sinne eines „democratic backsliding“ die Wiederkehr des Faschismus über die Möglichkeiten der KI und widmet dieser Sorge am Ende des Bändchens geradezu pastoral anmutende Appelle. Um vorwegnehmend also mit dem Reizwort Faschismus zu beginnen:
Der Autor möchte zeigen,
daß das faschistische Potential von Alt-Right-Politik aus ihrer Synergie mit elitistischen Tech-Ideologien erwächst,
weil die immensen Möglichkeiten von Datenanalyse und KI-Technologie für die Aufhebung der Demokratie genutzt werden könnten, ja geradezu dazu einzuladen scheinen, deren langwierig prozedurale Abläufe
durch ein schlankes, auf Automatisierung und Präemption (also algorithmische Vorwegnahme) basierendes Staatswesen
zu ersetzen. KI erscheint ihm dafür wie prädestiniert.
Daß bereits die Nationalsozialisten für die effiziente Verwaltung des Furchtbaren einst IBM-Lochkartentechnologie und für die Konzentrationslager Tabelliermaschinen nutzten, liegt als Verweis ebenso nahe wie der beeindruckende DOGE-Putsch unter Regie von Elon Musk im Zuge von Trumps Übernahme der Exekutive.
„Zentrale Koordination und Übernahme der Verwaltungsinfrastruktur“ identifiziert Mühlhoff treffend als faschistischen Vorgang. Hinzu kommt, daß sich im Zuge der amerikanischen Wende der die Massen mobilisierende Rechtspopulismus auffallend kompatibel mit den einflußreichsten Eliten des Landes verband, das aufbegehrende Alt-Right-Milieu also unerwartet Anschluß fand an das Milieu der Silicon-Valley-CEOs.
Gegenüber altbackenen Faschismus-Erklärungen erscheint eine wie nebensächlich formulierte Bemerkung besonders treffsicher:
Faschismus bezeichnet (…) zunächst kein bestimmtes politisches System, sondern eine Charakterdisposition und ihre politische Wirkungsweise.
Bevor einen aber das Grausen beim Begriff Faschismus packt, wäre zu fragen: Worauf genau wollte und will ein alter und gegebenenfalls neuer Faschismus reagieren, welchem offenbar dringlichen Korrekturbedürfnis folgt er, welche Problemsituation rief ihn hervor und weshalb folgen ihm die Massen? Woher rührt – trotz aller Greuel – seine düstere Faszination?
Das ist freilich nicht Mühlhoffs Thema, zumal dieser Ansatz bedeutete, nach dem genuin Destruktiven in uns allen zu fragen. Dem linken Menschenbild bleibt Faschismus fremd – vermutlich weil es sich selbst nicht kennt.
Um so erhellender aber wird gezeigt, wie KI-Technologie mit Totalitarismus passig zusammenspielen kann. Der Autor versucht dabei, mit ganz besonderer Vehemenz eine Demokratie zu verteidigen, die ihm selbst in ihrer gegenwärtig so verwachsenen Gestalt überhaupt nicht fragwürdig und daher auch nicht als Ursache für radikale Revisionsbedürfnisse erscheinen will.
Daher bleibt der Autor zunächst beim technischen Aspekt. Aus der digitalen Maschinerie selbst, so argumentiert er, erwachse die besondere Gefahr zunächst dadurch, daß die mittlerweile dominierende subsymbolische KI ihrer Natur nach nicht mit festen Regeln, sondern vielmehr mit statistischen Mustererkennungen arbeitet, „probabilistisch“ also, wie es die Mathematik bezeichnet. Zum Hintergrund belese man sich über Thomas Bayes (1701 – 1761) und seinen Wahrscheinlichkeitsbegriff.
Diese derzeit dominierende Variante der KI kommt nicht zu logisch herleitbaren, also gewissermaßen objektiven Wahrheiten, sondern liefert lediglich Aussagen über Wahrscheinlichkeiten – „gewissermaßen beste Wetten“.
Ein Objekt wird nicht deshalb als solches erkannt, weil es bestimmte definierte Merkmale erfüllt, sondern weil sein Muster statistisch mit ähnlichen Objekten im Trainingsmaterial übereinstimmt.
Ermöglicht wird dieses Abgleichverfahren durch die via Internet und digitale Medien zur Verfügung stehenden gewaltigen Datenmengen, an denen sich KI schult.
Nur wer Trainingsdaten hat, hat KI; Daten sind heute die knappste und strategisch wichtigste Ressource der KI-Industrie.
Wir alle beliefern zwar diese menschengestützte Maschine, um sie dann zu benutzen, werden aber – ein mephistophelischer Effekt – andererseits von ihr eingehegt.
Probabilistische Verfahren, also das Schätzen von Wahrscheinlichkeiten, ausgebildet über das Aufsaugen und Strukturieren riesiger Datenmenge, liefern nun mal andere Ergebnisse als genaue Einzelfallprüfungen, auf deren Basis bisher verantwortungsvolle Entscheidungen, u. a. verwaltungsrechtliche, zu fällen sind. Wahrscheinlichkeitsaussagen via KI sind also keine objektiven Wahrheiten, sie nehmen lediglich eine Zuordnung relativ zu einer hohen Zahl bekannter Fälle vor.
Zudem kommt es nicht nur auf den Informationsstand der KI an, sondern mehr noch auf das jeweilige Interesse, von dem die zu treffenden Entscheidungen ausgehen, also auf den Betreiber des jeweiligen KI-Systems. Die Zielgrößen lassen sich in seinem Sinne festlegen und optimieren. Inwiefern das wie genau geschieht, bleibt in der Black-Box verborgen.
Infolgedessen sind pauschalisierende Stereotypisierungen und Präemptionen, also Vorwegnahmen, zu erwarten, über die etwa Interessen marginalisierter Gruppen und Einzelfälle ignoriert werden könnten. Der Autor befürchtet also
strukturelle Diskriminierung, Verstärkung sozialer Ungleichheit, Ausbau globaler Überwachung, Aushöhlung der Privatsphäre, algorithmische Verzerrung demokratischer Öffentlichkeiten und manipulative Eingriffe in politische Prozesse der Meinungsbildung“ sowie „Verhaltensvorhersage und Kategorisierung von Menschen – etwa in der Polizeiarbeit (Predictive Policing).
Mühlhoff sieht die KI geradezu als Tool der Wahl für eine mögliche, ja bereits heraufdämmernde faschistische Herrschaft an und warnt daher vor einer Verbindung von staatlicher und technologischer Macht, die ihm allerdings beinahe unausweichlich scheint:
Denn es ist einer der Hauptzwecke, für die KI-Technologie heutzutage in der Privatwirtschaft entwickelt und eingesetzt wird, Menschen automatisiert zu sortieren und in Kategorien einzuteilen. Die Büchse der Pandora wird in dem Moment geöffnet, wenn sich die Tech-Eliten und die Alt-Right-Politik wechselseitig annähern und die faschistoiden Potentiale solch einer Technologie zur Anwendung bringen: Ein politisches Regime, dem es auf gezielte Verfolgung und Diskriminierung bestimmter Gruppen ankommt, muß heute gar keine Volksbefragung mehr durchführen, braucht gar keinen detaillierten Zensus als Grundlage für seine Entscheidungen mehr, wenn dieses Regime die modernen IT-Industrie an seiner Seite weiß.
Den teils skurrilen Utopismen der KI-orientierten Tech-Philosophen widmet Mühlhoff im mittleren Teil seiner Darstellung viel Raum, mithin dem, was das Akronym TESCREAL mit Transhumanism, Extropianism, Singularitarism, Cosmism, Rationalism, Effektive Altruism und Lontermism so zu umfassen versucht – Vorstellungen, die über wissenschaftliche und technische Mittel im Sinne einer säkularen Eschatologie transzendente Hoffnungen wiederherzustellen versuchen, die eben gerade Wissenschaft und Technik seit der Moderne ausgelöscht hatte.
Politisch relevanter hingegen sind die vom „Cyberlibertarismus“ ausgehenden selbstbewußten Impulse und mehr noch die neureaktionäre Tech-Bewegung.
John Perry Barlow formulierte schon 1996 in der „Declaration of Independence of Cyberspace“:
Wir haben keine gewählte Regierung und werden wahrscheinlich auch keine haben. Daher wende ich mich mit keiner größeren Autorität an Sie als der, mit der die Freiheit selbst stets spricht. Ich erkläre, dass der globale soziale Raum, den wir aufbauen, von Natur aus unabhängig von den Tyranneien ist, die Sie uns aufzwingen wollen. Sie haben weder ein moralisches Recht, über uns zu herrschen, noch verfügen Sie über Durchsetzungsmethoden, die wir zu befürchten berechtigt sind.
Sie behaupten, es gäbe Probleme unter uns, die Sie lösen müssten. Sie nutzen diese Behauptung als Vorwand, um in unsere Gebiete einzudringen. Viele dieser Probleme existieren nicht. Wo es echte Konflikte gibt, wo Unrecht herrscht, werden wir sie identifizieren und mit unseren Mitteln angehen. Wir schließen unseren eigenen Gesellschaftsvertrag. Diese Regierungsform wird gemäß den Bedingungen unserer Welt entstehen, nicht gemäß Ihren. Unsere Welt ist anders. (…)
Wir schaffen eine Welt, in die alle eintreten können, ohne Privilegien oder Vorurteile aufgrund von Rasse, Wirtschaftsmacht, militärischer Stärke oder Geburtsort.
Wir schaffen eine Welt, in der jeder überall seine Überzeugungen zum Ausdruck bringen kann, egal wie einzigartig sie sind, ohne Angst haben zu müssen, zum Schweigen oder zur Konformität gezwungen zu werden.
Hörbar schwingt eine schmittianische Freund-Feind-Rhetorik in diesem libertären Freiheitsmanifest mit. Gemeint ist die Freiheit jener, die stark und fähig genug sind, Selbstverantwortung wahrzunehmen. Schon dies verursacht den elitären Anklang – zuerst gegenüber jenen, die eben wegen ihrer Schwäche und Unmündigkeit auf den vormundschaftlichen Nanny-Staat hoffen, der die westlichen Demokratien insbesondere Europas über die letzten Jahrzehnte tendenziell sozialistisch prägte.
Phänomenal, daß die Wurzeln der neuen Tech-Rechten in der eher links akzentuierten Counter-Culture der 1960er Jahre liegen. Hippie-Antiautoritarismus und neoliberale Ideen fanden im Silicon-Valley-Optimismus zusammen. Gefragt sind technikaffine „coding skills“, also Programmfähigkeiten und Kryptotechnologie, um staatliche Kontrolle zu unterlaufen, also insgesamt eine intelligente egoistische Cleverness, die sich gegenüber den Langsameren das Recht der Schnelleren und Stärkeren anmaßt. Das klingt mindestens nicht demokratisch.
Für die Neue Rechte dürfte indes mehr noch die Dunkle Aufklärung („Dark Enlightenment“) und die neoreaktionäre Bewegung („NRx“) interessant sein, die ohne den Hype der Computertechnik und ihrer so faszinierenden wie unheimlichen Möglichkeiten so nicht denkbar wären. Dafür stehen maßgeblich Curtis Yarvin und Nick Land. Das aufschlußreiche Buch von Nils Wegner dazu scheint gegenwärtig vergriffen.
Ausgehend von Peter Thiels Annahme „I no longer believe that freedom and democracy are compatible.“ läßt sich der naheliegende Gedanke fassen:
Wenn die linksliberal bis sozialistisch geprägten Staaten des Westens derzeit weder ihre Finanzen geregelt bekommen noch den demokratischen Diskurs realisieren, den sie zwar propagandistisch permanent beschwören, aber nicht führen, dann scheint eine antiliberale Denkweise nicht irrelevant, sondern naheliegend, wie immer man sie bewerten mag. Die zunehmend „freidrehende Polarisierung“ (Nils Kumkar) deutet den Wandel bereits an.
Politische Korrektheit, Wokeness und Gleichmacherei und all die als heuchlerisch empfundenen universalistischen und humanitären Ideale werden als Ausdrucksformen eines neuen Ancien Régimes erlebt. Dem gegenüber mag eine CEO-Monarchie, auf die Curtis Yarvin mit Verweis auf den aufgeklärten Absolutismus und namentlich Friedrich den Großen orientiert, durchaus alternativ anmuten.
Im Extrem soll das hobbesianisch erfolgen: Yarvin stellt sich Mikrostaaten vor, sogenannte „Governement Corporations“ („gov-corps“), deren Bürger sich als Kunden zu verstehen haben, während die eigentliche Macht bei den besitzenden Shareholdern liegt, die über einen Aufsichtsrat den CEO wählen.
Statt politischer Partizipation gilt das Prinzip „No voice, free exit.“ Wer unzufrieden ist, kann gehen und Alternativen bei der Konkurrenz suchen. In den sozialen Medien scheint dieses Prinzip bereits umgesetzt, insofern die Anbieter dort absolut die Regeln vorgeben.
Dazu die Vorliebe fürs Tempo und technische Faszination: Akzelerationismus. Technologischen Fortschritt so forcieren oder mindestens seiner Eigendynamik nichts in den Weg stellen, auf daß das alte System davon zerlegt wird. Bereits Karl Marx brachte dem Faszinosum der ersten technischen Revolution in seinem „Kommunistischen Manifest“ von 1848 eine solche Bewunderung entgegen und darf diesbezüglich ebenso ganz neu von rechts gelesen werden:
Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.
Mag dort, wo sich neuerdings traditioneller Reaktionismus und technischer Futurismus begegnen, ein neuer Faschismus zu befürchten oder gar zu erhoffen sein?
Nick Land dazu:
Wo die progressive Aufklärung politische Ideale sieht, sieht die dunkle Aufklärung Appetit. Sie geht davon aus, dass Regierungen aus Menschen bestehen und daß diese gut essen werden. Sie setzt ihre Erwartungen so niedrig wie möglich und versucht nur, die Zivilisation vor rasenden, ruinösen und gefräßigen Ausschweifungen zu bewahren. Von Thomas Hobbes bis Hans-Hermann Hoppe und darüber hinaus fragt sie: Wie kann die souveräne Macht davon abgehalten – oder zumindest davon abgebracht – werden, die Gesellschaft zu verschlingen? Sie findet demokratische ‚Lösungen‘ für dieses Problem stets bestenfalls lächerlich.
Statt Vernunft und Humanismus also die elementaren Triebkräfte menschlicher Begierden, statt Gemeinwohl Kampf und Ausbeutung als neues Heil und als Bedingungen der Auslese.
Aus Mühlhoffs politischer Perspektive versteht man seine beinahe verzweifelte Eindringlichkeit. Obwohl er die Demokratie geradezu beschwört, sieht er sie angesichts ihrer wiederum selbst verursachten Krise in der Gefahr – aus sich heraus, klar, aber mehr noch durch das Vorhandensein eines effizienten Werkzeugs, das sie abwickeln könnte.
Besonders brisant, daß dieses Werkzeug sich in privaten Händen befindet, in jenen der großen Tech-Konzerne, die gerade zu unermeßlichem Reichtum kommen, angehäuft über die tätige Mithilfe ihrer zahllosen Kunden im Netz:
Wir müssen davon ausgehen, daß es keine KI-basierte Digitalisierung des Staatswesens geben wird, ohne daß Daten in privatwirtschaftliche Hände fließen, wo sie ohne strenge Aufsicht und Regulierung zur systematischen Benachteiligung und Exklusion vulnerabler Bevölkerungsgruppen nicht nur durch den Staat sondern auch durch die Privatwirtschaft eingesetzt werden können.
Also verlangt Mühlhoff nach mehr Regulierung – selbst aber bereits sicher darin, daß das nicht geschehen wird, insofern die Maschinen bereits mehr bestimmen als die Menschen. Er wünscht sich das, was sich Linke immer wünschen: Aufklärung der Leute über die neuen dramatischen Zusammenhänge, also Erziehung jener, denen die billigsten Internetunterhaltungen doch längst mehr bedeuten als etwa Bildung und die Entwicklung kritischer Urteilskraft.
Mühlhoff hat die Zeichen der Zeit richtig verstanden und scheint dennoch mit seinen Kassandra-Rufen auf verlorenem Posten.

Majestyk
Cyberspace ist keine Welt, sondern eine Illusion. Essen und meine Notdurft verrichten muß ich immer noch ganz real. Die erzeugte Matrix dient nur dazu, Menschen immer mehr von der realen Welt zu entfremden und funktioniert ähnlich wie ein Sedativ.
Der Grund, warum westliche Staaten Richtung Sozialismus abdriften, ist einfach, man wiegt die Stimmen nicht. Vielleicht ist das sogar gewollt, siehe meine Hinweise zur demokratischen Sklavenmentalität. Volles Stimmrecht besitzen sollten jene, die Musik auch bezahlen. Beschäftigte des Staates, erst recht jene, die sozial alimentiert werden, sollten bestenfalls sehr eingeschränkt mitbestimmen dürfen oder dafür anderweitig einen Gegenwert leisten. Dann hört das auch auf, daß man sich durch Versprechen von mehr Taschengeld Stimmen faktisch erkaufen kann und konservative Parteien den Hütchenspielern inhaltlich stets hinterherlaufen müssen. Haargenau deswegen plädiere ich für vollumfängliche nationale Souveränität und einen von äußeren Einflüssen befreiten politischen Raum, der im Innern konsequent auf Eigenverantwortung getrimmt ist. Dann gäbe es eine Vielzahl aller angesprochenen Probleme nicht.