Kritik der Woche (81): Manstein

Erich von Manstein (1887-1973) gilt als das operative Genie des deutschen Heeres im Zweiten Weltkrieg. Er war Stabschef der Heeresgruppe Süd im Polenfeldzug, als kommandierender General nahm er am Westfeldzug teil, wofür er das Ritterkreuz bekam.

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Im Ost­feld­zug wur­de er für die Erobe­rung Sewas­to­pols zum Gene­ral­feld­mar­schall beför­dert, erhielt für den Sieg in der Schlacht von Char­kow das Eichen­laub. Ende März 1944 wur­de er von Hit­ler nach der Befrei­ung der 1. Pan­zer­ar­mee aus dem Kes­sel von Tscher­kas­sy unter Ver­lei­hung der Schwer­ter ent­las­sen, da kei­ne Einig­keit über die wei­te­re Ope­ra­ti­ons­füh­rung erreicht wer­den konn­te. Bei den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen war Man­stein als Zeu­ge gela­den, 1949 ver­ur­teil­ten ihn die Bri­ten als Kriegs­ver­bre­cher zu einer lang­jäh­ri­gen Haft­stra­fe, aus der er 1952 aus gesund­heit­li­chen Grün­den ent­las­sen wurde.

Mit sei­nem über­aus erfolg­rei­chen Erin­ne­rungs­band Ver­lo­re­ne Sie­ge (1955) lie­fer­te Man­stein die Grund­la­ge für die Auf­fas­sung, Hit­ler sei ein mili­tä­ri­scher Narr gewe­sen, aus ers­ter Hand.

Der His­to­ri­ker Roman Töp­pel (*1976), der bereits an der his­to­risch-kri­ti­schen Edi­ti­on von Hit­lers Mein Kampf mit­ge­wirkt hat, legt nun den ers­ten Band einer Edi­ti­on der Tage­bü­cher und Brie­fe Man­steins von Kriegs­be­ginn bis März 1941 vor (ein zwei­ter Band wird die Zeit des Ost­feld­zugs behan­deln), die vie­le neue Erkennt­nis­se brin­gen; nicht zuletzt die, daß Man­stein Hit­ler min­des­tens im Febru­ar 1940 für ein Genie hielt, dem ein ope­ra­tiv geschul­ter Stabs­of­fi­zier an der Sei­te fehle.

Über Man­stein sind in den letz­ten Jah­ren eini­ge Bücher erschie­nen, die sich aber vor­wie­gend mit sei­ner poli­ti­schen Rol­le im NS-Sys­tem befas­sen. Töp­pel beharrt dage­gen darauf:

Man­steins bemer­kens­wer­te Kar­rie­re wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs beruh­te jedoch auf sei­nem ope­ra­ti­ven Kön­nen. Gera­de die­ser Kern von Man­steins Wir­ken ist in der jün­ge­ren For­schung indes stark ver­nach­läs­sigt wor­den; wirk­lich fun­dier­te und tief­grün­dig recher­chier­te Unter­su­chun­gen gibt es dazu bis­lang nicht.

Hin­zu kommt, daß sich die meis­ten Arbei­ten unkri­tisch auf Man­steins Buch stützen.

Töp­pel hat mit sei­ner Edi­ti­on eine Schatz­kis­te geöff­net, deren Wert sich aller­dings erst durch sei­ne umfas­sen­de Kom­men­tie­rung und Ein­lei­tung ermes­sen läßt. Töp­pel hat jedem Abschnitt eine umfas­sen­de Dar­stel­lung des Gesche­hens und des Hin­ter­grunds vor­an­ge­stellt, jeder die­ser Tex­te ist eine ope­ra­ti­ons­ge­schicht­li­che Unter­su­chung auf höchs­tem Niveau, das es Töp­pel ermög­licht, die Fak­ten her­aus­zu­ar­bei­ten und einzuordnen.

Dadurch gelingt ihm die Auf­klä­rung von eini­gen his­to­risch bis­lang umstrit­te­nen Fra­gen, wie die Gene­se des Sichel­schnitt-Plans und der Ver­ur­sa­cher des Hal­te­be­fehls vor Dün­kir­chen. Die Auf­klä­rung beginnt schon mit dem Polen­feld­zug, da der (unfä­hi­ge) Gene­ral­stabs­chef Hal­der nach dem Zwei­ten Welt­krieg Man­steins Bei­trag zum Sieg in Polen bestritt. Töp­pel rekon­stru­iert aus den Quel­len, daß der kriegs­ent­schei­den­de Sieg an der Bzu­ra auf Man­steins Befeh­le zurückging.

Bei der Gene­se des Sichel­schnitt­plans, der dem West­feld­zug zugrun­de lag und im Gegen­satz zum Schlief­fen­plan von 1914 den Haupt­stoß süd­lich der Maas in Rich­tung Kanal­küs­te vor­sah, zeigt Töp­pel, daß Hit­ler unab­hän­gig von Man­stein auf die­se Idee kam, und sich spä­ter nur von die­sem in sei­ner Auf­fas­sung bestä­ti­gen ließ.

Das Ober­kom­man­do des Hee­res hat­te sowohl Hit­lers als auch Man­steins Plan aktiv hin­ter­trie­ben. Schließ­lich kam Hit­lers Plan zur Aus­füh­rung, der aller­dings in eini­gen Punk­ten von Man­steins abwich, was zu Pro­ble­men führte.

Bei der Durch­füh­rung, das zeigt Töp­pel neben­bei, war nicht Gene­ral Gude­ri­an, son­dern Ewald von Kleist die trei­ben­de Kraft. Letz­te­rer ver­starb in sowje­ti­scher Gefan­gen­schaft, wäh­rend Gude­ri­an sei­ne Sicht nach 1945 publi­zis­tisch ver­brei­ten konn­te. Der Hal­te­be­fehl vor Dün­kir­chen ging nicht auf Hit­ler, son­dern auf Gene­ral­oberst von Rund­stedt zurück.

Das sind für eine Ope­ra­ti­on, von der man dach­te, dazu sei alles gesagt, schwer­wie­gen­de Erkennt­nis­se, die vie­le Dar­stel­lun­gen die­ses Feld­zugs mit einem Schlag ver­al­ten las­sen. Wer die Dar­stel­lun­gen Töp­pels in dem Band liest, bekommt damit die gründ­lichs­te ope­ra­ti­ons­ge­schicht­li­che Dar­stel­lung der Vor­gän­ge, die es gibt.

Aller­dings soll­ten dar­über die edier­ten Tage­bü­cher und Brie­fe, die die Grund­la­ge der Dar­stel­lung bil­den, nicht ver­ges­sen wer­den. Aus­weis­lich der Brie­fe, die das Ehe­paar Man­stein gewech­selt hat (wäh­rend des Krie­ges sol­len es ins­ge­samt mehr als 2400 gewe­sen sein), war Man­stein ein empa­thi­scher und zuge­wand­ter Mensch, was man wahr­lich nicht von jedem mili­tä­ri­schen Genie behaup­ten kann.

– – –

Roman Töp­pel (Hrsg.): Man­stein. Kriegs­ta­ge­bü­cher und Brie­fe 1939–1941, 648 Sei­ten, 49.90 € – hier bestel­len

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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Kommentare (10)

Paavo

20. Oktober 2025 17:35

Das hört sich interessant an. Nicht nur für militärhistorisch Interessierte. Manstein war ein brillanter Stratege, dessen innovative Taktiken die Kriegführung prägten. Sein Sichelschnitt-Plan und die Charkow-Offensive zeigen sein taktisches Genie. Gleichzeitig bleibt seine Verstrickung in die Verbrechen des NS-Regimes ein dunkler Schatten. Seine Karriere verkörpert die Ambivalenz eines militärischen Genies im Dienst eines verbrecherischen Systems.

RMH

21. Oktober 2025 10:22

"nicht zuletzt die, daß Manstein Hitler mindestens im Februar 1940 für ein Genie hielt, dem ein operativ geschulter Stabsoffizier an der Seite fehle." Überrascht jetzt nicht, da AH bekanntermaßen den Sichelschnitt auch sah, v.M. also auf einen "Chef" traf, der seine Ansichten, die von der restl. Wehrm.-fü. abgelehnt wurden, teilte. Wer hat nicht gerne einen Vorges., der einen bestätigt? Genauso wenig überrascht es (natürlich aus heutiger Sicht), wenn er dann nach dem Krieg sich nicht mehr daran erinnern wollte bzw. die Dinge anders sah & AH als milit. Dilettanten hingestellt hat (so wie viele andere auch & was wohl auch einen Tatsachenkern hatte). Unabhängig davon war v.M. einer der typ. Militärs, welcher die Bedeutung der ind. Produktion & der Res. nicht erkannt hat, zumindest nicht für Kriege, wie sie seit dem WK1 geführt wurden. Die strat., op. Führung einer Armee konnte zwar den einen oder anderen Haken schlagen, aber letztlich schlägt ökon. Power & Res langfristig jeden Gegner. Daher ist der Titel "verlorene Siege" per se Quatsch. Mit der in Gang gesetzten Eskalationspirale, an deren Ende dann auch der Entritt der USA stand, war die Sache erledigt, auch wenn Millionen dafür ihr Leben gaben. Spekulativ: Wenn v.M. einen der "verlorenen Siege" doch gewonnen hätte, wären u.U. die A-Bomben zuerst auf D & nicht auf J gefallen. 

Jupp Koschinsky

21. Oktober 2025 11:54

Werter Paavo, was ist ein "verbrecherisches System"? Oder anders herum gefragt, welches System wäre oder war nicht verbrecherisch? Ich bin gespannt auf Ihre Aufzählung.

FTS Rhenomontanus

21. Oktober 2025 13:48

Dankeschön für die Rezension. Klingt interessant.
Als ergänzende oder einführende Lektüre sei auf die vor 30 Jahren erschienenen Erinnerungen von Mansteins Adjutanten, Alexander Stahlberg, "Die verdammte Pflicht" hingewiesen. 

Laurenz

22. Oktober 2025 15:28

@RMH ... Die Briten sahen das ganz anders als Sie, RMH. Von Manstein war der einzig namhafte Offizier, der von den Briten gezwungen wurde, zu unterschreiben, daß Er nie mehr als Soldat/Söldner tätig sein wird. Er diente nach der Gefangenschaft nur als Berater der Bundeswehr. In meinen Augen ist von Manstein der größte Offizier der letzten 1.000 Jahre, weltweit. Aus hypothetischer Sicht hätte von Manstein den guten Bonaparte gleich zu Beginn von dessen Karriere "erledigt". Mein jüngster Großonkel fiel bei der 11. Armee kurz vor der Krim-Enge. Das hatte auch damit zu tun, daß die 11. Armee bis zur Kommandierung der Panzerarmee von von Kleists zum Einsatz am Asowschen Meer nur über wenig schweres Gerät verfügte. Sie sollten Sich da einfach mehr kundig machen, RMH. Auf Veranlassung von Mansteins wurde Schnellboote über die Donau ins Schwarze Meer zur Krim verlegt, die dort eine Art Seekrieg & Küstenüberwachung aufzogen. Der Typ war einfach nur der Hammer, wie der Hesse sagen würde.

Argus

22. Oktober 2025 22:58

Die "Jupp Koschinskys"-Einwendungen erhalten meine ganze Zustimmung.
Zu "RMH", dessen Zeilen ich soweit teile, habe ich hinzuzufügen, dass ein viel früheres Angreifen des Achsenpartners Japan, gleichgültig ob gegen die Sowjets -wie vom Deutschen Reich erwartet- oder die Amis einen Unterschied ganz bedeutsam ausgemacht hätte, auch bezüglich des A-Bomben-Themas.
Zu Herrn Töppel im Besonderen, verlegt seit seinem Auftreten mit "Kursk" bei Ferdinand Schöningh, begleitet mich ein gewisses, ja ein besonderes "Geschmäckle". "Sturmfedern" tut der Herr Töppel seit Jahren darüberhinaus im alljährlichen Periodikum des sogen. Bahnhofbuchhandels "Militär & Geschichte". Dieses recht schon lange auf dem Markt sich erhaltende Druckerzeugnis zieht durch seine geschickte und gelungene Aufmachung vorallem eine dem patriotischen Lager des  Deutschen zugeneigten Käuferschaft an. Aber, der Herr Töppel mitsamt dem Hefteherausgeber, vermitteln unentwegt und bewusst, das, was Kommentarschreiber "Paavo" so vornehmlich wichtig erscheint: Die Deutsche Wehrmacht und die Verbundenheit mit dem sogen. "Verbrecherischen Regime" immerfort aufzuzeigen. Der Schöningh-Verlag, noch mehr ein Schulbuchverlag der Westzonen-Geschichtsklitterung, wird den Teufel tun, einen Historiker zu verlegen, der evtl. dem Staatsschutz nicht genehm ist.
Kurzum, seit Töppels "Kursk"-Herausgabe "kenne" ich ihn und lehne ihn ab.
 
 
 
 
 
 
 

Ein Fremder aus Elea

23. Oktober 2025 18:18

Selbstverständlich war der Sichelschnittplan Hitlers Idee, denn er konnte ja nur funktionieren, wenn die Franzosen ihre Artillerie nicht zu den Ardennen abkommandierten, und nur Hitler wußte, daß Pétain mitspielen würde.

Und wer auch immer den Befehl gab, die Truppen vor Dünkirchen stoppen zu lassen, der Grund war, daß sich die Engländer im Gegenzug aus Narvik zurückziehen würden.

Kurativ

27. Oktober 2025 20:25

Adolf Hitler war ein Emporkömmling ohne ausreichende Herkunft, Ausbildung oder Erfahrung. Solche Leute taugen nichts an der Spitze eines Staates. Sie taugen allenfalls anderen Staaten, welche sich am Niedergang Deutschlands erfreuen und diesen Nutzen feiern. Mögliche Parallelen zu aktuellen Emporkömmlingen sind erscheinen rein zufällig. 

Ein Fremder aus Elea

28. Oktober 2025 06:44

Kurativ,
naja, in der Sowjetunion sah es zur der Zeit bestimmt nicht besser aus. Aber es stimmt natürlich, daß Deutschland 1918 seine Elite verlor und ihre Wiederbetätigung als Angriff auf die Demokratie gewertet worden wäre, was Emporkömmlingen mehr Gewicht verlieh, als sie unter normalen Umständen gehabt hätten. Sicherlich gefährlich unter Stabilitätsgesichtspunkten, wenn Eliten auf diese Weise komplettentsorgt werden. Parallelen zur heutigen Zeit sehe ich vor allem in Afrika und dem Nahen Osten.

Ein Fremder aus Elea

28. Oktober 2025 06:49

Kurativ,
nun, in der Sowjetunion sah es zu der Zeit diesbezüglich nicht besser aus, und Deutschlands Elite war halt adelig und stand nach 1918 im Verdacht, die Demokratie abschaffen zu wollen, was Emporkömmlingen ein unnatürliches Gewicht verlieh. Eliten auf diese Weise komplettzuentsorgen ist unter Stabilitätsgesichtspunkten problematisch, Parallelen sehen wir heute vor allem in Afrika und im Mittleren Osten.