Ein Beispiel ist Matthias Jung, der im Zäsurjahr 2015 Kanzlerin Angela Merkel einen „Modernisierungskurs“, also eine Subordination unter die linksliberale Hegemonie, anempfohlen haben soll – „Refugees welcome“ inklusive. Friedrich Merz hingegen läßt sich Impulse bevorzugt von Renate Köcher verabreichen; die Allensbach-Chefin hat ihren Beitrag dazu geleistet, daß Merz im Wahlkampf 2025 stärker wirtschaftliche Fragen adressierte, bevor er – reichlich spät, zu spät – die Migrationsproblematik ins Visier nahm.
Und auch Hermann Binkert ist Neutralität nicht nachzusagen: Der Markt- und Meinungsforscher wird mit seinem Institut INSA fest von Bild und Bild am Sonntag sowie insbesondere von eher liberalkonservativ positionierten Auftraggebern wie der AfD bemüht. Diese kleine anzunehmende politische Schlagseite schmälert nicht den Erfolg seiner Arbeit: Bei der Bundestagswahl vom 23. Februar war INSA beispielsweise mit den wöchentlichen Sonntagsfragen näher am dann tatsächlich festgestellten amtlichen Wahlergebnis als die Konkurrenz von Forsa bis Allenstein, von der Forschungsgruppe Wahlen bis zu Infratest dipmap.
Jetzt berichtet Binkert in Buchform von seinen Tätigkeiten, seinem Berufsethos, aber auch davon, was seine Mitarbeiter über die Denkweise der Deutschen über die Jahre hinweg analysiert haben: Wie Deutschland tickt. Ein Meinungsforscher packt aus.
Wer bei dem reißerischen Untertitel Enthüllungsprosa befürchtet, kann beruhigt werden: Die vorliegende Schrift ist klug, pointiert und nüchtern zugleich abgefaßt.
Binkert positioniert sich dabei selbst „außerhalb der politischen Arena“ – man müsse sich als Wahl- und Meinungsforscher „zurücknehmen“, „nicht selbst Politik sein“, nicht versuchen, „Meinung zu machen“. Das klingt über den Dingen schwebend und nobel, hält aber dem Realitätscheck bei kaum einem Institut stand. Das ist nicht schlimm: Es gibt nun mal keine Neutralität, weder in den Institutionen des Staates noch in den Instituten der Wahlforschung. Überall, wo Menschen mit Politik zu schaffen haben, fließen bewußte und unbewußte Standpunkte und Prägungen mit ein.
Auch bei Binkert selbst wird das schlagend, spätestens dann, wenn er die nach Ansicht einer relativen Mehrheit der Deutschen bedrohte Meinungsfreiheit mit dem unvermeidlichen Ignazio Silone abhandelt: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus.‘ Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus.‘“

Dabei handelt es sich um Inhaltliches, aber auch um Zahlen. Binkert vermißt das gesamte Gelände der Meinungsforschung und stellt – auch visuell ansprechend und einleuchtend dargestellt – dar, was die Deutschen bewegt: Themen, Ängste, Sorgen und Prognosen werden analysiert und nach Altersgruppen, Ost vs. West, Geschlechtern und Parteipräferenzen entsprechend aufgeschlüsselt. Die Durchdringungstiefe ist ebenso beachtlich wie die hier wohltuende Zurückhaltung Binkerts: Jeder Leser kann, je nach subjektivem Standpunkt, die entsprechenden Zahlen, die Binkerts Institut erhob, für sich gewichten und einordnen.
Binkert, und das darf man ihm nach der Lektüre seines Werkes abnehmen, will wirklich informieren, nicht belehren. Er zeigt, wie die Deutschen ticken: „unterschiedlich“. Diese banal klingende Schlußfolgerung des Autors enthält Sprengkraft insofern, als daß Binkert anhand des Datenmateriales zeigen kann, wie die fehlende Akzeptanz dieser deutschen Vielstimmigkeit Unzufriedenheit und „Spaltung“ forciert. In Zeiten wie diesen verläßt man freilich schon mit derlei Erkenntnissen den selbst behaupteten Weg der „Neutralität“.
– –
Hermann Binkert: Wie Deutschland tickt. Ein Meinungsforscher packt aus, Basel 2025. 248 S., 24.90 € – hier bestellen
– –
Kaiser hat auf der Sommerakademie in Schnellroda, Thema “Arbeit”, einen Vortrag über das Thema “Arbeit, Wohlstand, AfD” gehalten. Hier ist der Mitschnitt.

Simplicius Teutsch
@ Benedikt Kaiser: „Er zeigt, wie die Deutschen ticken.“
Ich weiß es auch so. Schnarchende Schlafschafe oder billige Opportunisten. Und am rechten Rand wir, am linken Rand die Deutschlandabschaffer. Die Macht liegt bei den Linken.