In zwei davon (Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern) könnte möglicherweise sogar die die zuverlässigste AfD-Blockadeformel nicht mehr funktionieren: die einer politischen Gesamtkoalitionen der Mitte gegen die vermeintlichen Ränder.
Absolute Mehrheiten für die AfD sind möglich. Sobald diese arithmetische Gewißheit einer „starken Mitte“ in der BRD-Politmechanik nicht mehr gilt, verschiebt sich logischerweise auch ein substanzielles politisch-kulturelles Paradigma.
Auch die Brandmauer steht in manchen Unionskreisen bereits zur Disposition, da sie ihren Zweck nur dann erfüllen kann, wenn sie den Christdemokraten am Ende auch Regierungsmehrheiten sichert. Die demoskopischen Realitäten zerstören den bisher gültigen politischen Konsens von Union bis Linkspartei, der sich ohnehin in Ritualen der Selbstvergewisserung erschöpft. Die Brandmauer schützt die Identität der Mitteparteien, kann aber die tatsächlichen Repräsentationslücken nicht schließen.
Das CDU-Präsidium kam daher vor einigen Tagen zu einer Klausurtagung über die künftige AfD-Strategie zusammen und ließ sich von Wahlforschern und Sozialpsychologen eine analytische Grundlage erstellen, auf der man die Wegmarken für das große kommende Wahljahr abstecken wollte.
Die Ergebniskommunikation dieser Klausur ist Friedrich Merz gründlich mißlungen. Er sprach von „härteren“ inhaltlichen Auseinandersetzungen und bestätigte die Vermutung, daß dieses Präsidiumstreffen letztlich nur selbstreferentiellen Bestätigungscharakter über die eigene Linie hatte.
Die CDU stand bei ihrer Strategieklausur in Berlin-Grunewald unter Druck. Einerseits wackelt die Brandmauer als identitätssicherndes Ritual, andererseits verlangt die Parteibasis mehr als Abwehrformeln. Merz ließ den Psychologen Stephan Grünewald ein psychologisches Lagebild der AfD-Wählerschaften zeichnen, wonach diese durch ein “Gefühl des Feststeckens” und “aufgestauter Bewegungsenergie” charakterisiert sei.
In der AfD sähen die Menschen eine Art politischen Befreiungsknopf. Die Wahlpräferenz für die AfD sei jedoch vor allem bei neuen Wählern seit 2021 nicht so sehr durch eine enge programmatische Bindung und ideologische Identifikation geprägt, sondern auch von zahlreichen Störgefühlen in Bereichen der Rußland-Politik oder des Frauenbildes. Für die CDU blieb daher nur die strategische Ableitung, daß man diese “Störgefühle” in Zukunft inhaltlich noch stärker zuspitzen möchte.
Die Beliebtheitswerte der schwarz-roten Bundesregierung sind schon jetzt ähnlich schlecht wie die der Ampel in ihrem letzten Regierungsjahr. Von einer eigenen parlamentarischen Mehrheit wäre man laut aktueller Umfragen weit entfernt. Außerdem glaubt rund die Hälfte der Deutschen, daß auch diese Regierung nicht die reguläre Legislaturperiode überstehen wird.
Diese Fakten scheinen in der Union Ratlosigkeit hervorzurufen. Man glaubte, der AfD-Aufstieg der vergangenen drei Jahre sei lediglich Ausdruck kulturkämpferischer Affekte und Polarisierungen, die durch die linksdominierte Ampel-Koalition zugespitzt worden war. Merz versuchte zumindest kommunikativ, die CDU als eine konservativ rehabilitierte „Stimme der Vernunft“ zu positionieren, die sich in Kontrast zur linken Ampel stellen wollte.
Zumindest in der Migrationspolitik bleibt die Bevölkerung bisher von harten Einschlägen wie zu Zeiten der Ampel weitgehend verschont. Die Asylzahlen sind tatsächlich zurückgegangen, der Familiennachzug wurde restriktiver gestaltet und Zurückweisungen an deutschen Grenzen wurden ebenfalls umfangreicher organisiert. Das alles reicht noch längst nicht so weit, wie es nötig wäre, aber ein Signal war es.
Dennoch zeigt sich in der Vorstellung der Union ein Widerspruch zwischen dem demoskopischen Stimmungstrend und der konkreten Umsetzung. Man geht immer noch von einem arg verkürzten Schema aus, nach dem eine politische Maßnahme stets in kausaler Beziehung zur Stimmung in der Bevölkerung stehe. Politik wird bei der Union als eine oberflächliche und technokratische Bilanzlogik betrachtet, deren Erwartungshorizont sich voll und ganz tagesaktuellen Trends der Aufmerksamkeitsökonomie unterwirft.
Ihr strategischer Grundreflex lautet: Verwaltung statt Repräsentation und lebensweltlicher Verankerung. Man rechnet mit einer Rückkehr zur „Normalität“, sobald die politischen Kosten der großen Streitfragen sinken. Der AfD-Aufstieg sei demnach nur ein Systemunfall und der Ausdruck irrationaler Emotionalität, was sich durch „bessere und rationalere Sachpolitik“ korrigieren ließe.
Das Vertrauen in die sogenannte politische Mitte ist jedoch nicht wegen einzelner Fehlentscheidungen erodiert, sondern weil ihre Deutungsmacht gebrochen wurde. Das alte Paradigma „Wir lösen Probleme, also vertraut uns“ funktioniert nicht mehr in einer Gesellschaft, die längst durch substantielle politisch-kulturelle Konfliktfelder geprägt ist.
Die Union interpretiert die AfD weiterhin durch die Linse der Protestparteienforschung der 1990er-Jahre, wonach sich politische Unzufriedenheit über temporäre Ventile kanalisiert. Diese Lesart funktionierte auch noch, solange die ehemaligen großen Volksparteien die Lufthoheit über ihre eigenen Milieus und die öffentliche Themenagenda hatten.
Der gegenwärtige politische Kultur- und Mentalitätswandel folgt jedoch einem anderen disruptiven Muster, das sich bereits tief in die emotionale Struktur der AfD-Anhänger eingeschrieben hat. Die Vertrauenskrise gegenüber dem Establishment äußert sich nicht nur in einzelnen politischen Maßnahmenbündeln, sondern in grundsätzlicher Art. Es gibt keine Differenzierungsebene zwischen „guter Lösung“ und „schlechter Lösung“ mehr, da sich kulturelle Identitätsmuster voneinander abgrenzen und zugleich selbst bestätigen.
Entscheidend für den eigenen politischen Bewertungshorizont ist, ob eine Stimme als Teil des Systems spricht oder als Gegenstimme. Das Politische entkoppelt sich somit von seiner Sach- und Verwaltungslogik und verlagert sich in grundsätzlichere gesellschaftliche Konfliktstrukturen (Stadt vs. Land, Jung vs. Alt, Mann vs. Frau, Arm vs. Reich, Anywheres vs Somewheres usw.).
Die politische Mitte versteht die eigentliche Disruptionsenergie nicht, die mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus freigesetzt worden ist. Disruptionsenergie entsteht dort, wo Menschen mit ihren Erfahrungen und Wertvorstellungen dauerhaft nicht vorkommen. Sie bindet sich nicht an einzelne Politikfelder, sondern an allgemeine Marker, die den kulturellen Konsens völlig neu verhandeln (Ordnung, Sicherheit, Kultur etc.).
Am Ende entscheidet nicht die nächste Maßnahme, sondern die nächste Erzählung. Disruptionsenergie entsteht dort, wo Politik keine Deutungshoheit über Alltagserfahrungen mehr besitzt. Sie ordnet die Verhältnisse zum Politischen, zur Diskurskultur und zu den sozialen Beziehungen politischer Trägermilieus völlig neu.
Die AfD ist längst in eine Phase eingetreten, in der sich innerhalb ihrer Anhängerschaft der Protestcharakter in eine soziale Milieustruktur transformiert. Ausweis dessen sind dabei nicht nur die gestiegenen Umfragewerte, sondern auch die zuletzt deutlich verbesserten Vertrauens- und Lösungskompetenzwerte für die Partei. Ab diesem Punkt beginnt, sich politische Bewegungsenergie zu verfestigen, zu verdichten und identitäre Räume zu schaffen. Diese reagieren nicht auf politische Verwaltungslogik, sondern auf kulturelle Repräsentation, lebensweltliche Anerkennung und Wertschätzung.
Kein Faktenchecker, kein mahnendes Zeitungscover, keine Sachauseinandersetzung, keine selbstreferenzielle Polit-Talkshow werden am Ende das identitäre und kulturelle Zentrum des AfD-Erfolgs richtig adressieren, solange man die dahinterliegenden Strukturen und Motive für die AfD-Wahl (Nativismus, Akademisierung und Elitenüberproduktion, Urbanisierung, Postmaterialismus, Wertewandel, subjektive Abstiegssorgen, Deindustrialisierung, Cultural-Backlash usw.) nicht verstanden hat.
Die CDU wird somit auch im Superwahljahr 2026 auf vermeintlich erfolgreiches Regierungsmanagement setzen und treffsicher an den Emotionsräumen der AfD-Anhängerschaft vorbeizielen.
Karl Otto
Ich halte das für zu hoch gegriffen. Die dänischen Sozialdemokraten fahren eine harte Linie gegen die Migration, und betreiben ansonsten relativ konventionell sozialdemokratische Politik. Und sind erfolgreich damit, dänische "Rechtspopulisten" sind praktisch weg vom Fenster.
Das könnten SPD und CDU auch so machen, aber sie wollen es offenbar nicht (warum auch immer).
Migration ist aktuell die Frahge an der sich alles entscheidet in Europa.