Die Berliner Republik scheint einer politischen Wende unausweichlich entgegenzutreiben.
Um einmal vom irreversiblen Finanzdesaster der Höchstverschuldung abzusehen, ebenso wie von der Prognose, daß der Sozialstaat spätestens in den Dreißigern den Bundeshaushalt sprengen wird, hier drei Aspekte, die eine prinzipielle Änderung ahnen lassen. Mindestens dürfte eine evolutionär verlaufende Reform unwahrscheinlich sein.
1. Ideell – Die Begriffe der offiziellen Sprachregelungen stimmen nicht mehr; eine klare Semantik offener Rede ging verloren. Ebenso wie in der End-DDR sind genau jene Phrasen hohl, die bis zur Penetranz allgegenwärtig wiederholt werden:
„Toleranz“ und „Respekt“, permanent beschworen, gelten abstruserweise nur für jene, zwischen denen ohnehin Konsens besteht, also für die „lauten“ Wir-sind-mehr-Demokraten, die mit dem status quo identifiziert sind und vorzugsweise ihre Privilegien im aufgeblähten öffentlichen Dienst oder in „NGOs“ genießen, bei denen es sich eher um staatlich alimentierte Propaganda-Vereine handelt, die sich euphemistisch zur „Zivilgesellschaft“ zählen.
Zwischen Blockfreunden, Übereinstimmern und Bekennern bedarf es keiner Toleranz, ihrer bedürfen um so mehr jene Kritiker, die allerdings nicht mehr als anregende Opponenten, sondern direkt als Feinde gelten. „Demokratie“ selbst fungiert verkürzt als Titel für kritiklose Anpassung. Wer sich darauf nicht umstandslos zurichten lässt, gilt mittlerweile schnell als Gegner – irrerweise der Demokratie.
„Vielfalt“ indessen kommt in begrifflicher Verengung nurmehr Relevanz im Sinne eines sexuellen Spektrums zu. Geschlechterfragen avancierten – neben Ernährungsthemen – zur Hauptsache eines Rest-Diskurses, bei dem es vor allem um echauffierte Bekenntnisse geht. Mehr als alles andere begreife man sich als „queer“ oder „nonbinär“, mindestens als „vegan“, wenn man als „aufgeklärt“ oder besser noch als „woke“ gelten will.
Jedenfalls versteht sich „Vielfalt“ längst nicht mehr als ein Pluralismus diverser oder gar konträrer Positionen, auf die Menschen kraft Erkenntnis, Erfahrung oder Urteilsvermögen gelangten; erwartet wird stattdessen das möglichst konformistische Gelöbnis, folgsam abgeleitet von den Maßgaben der staatlich bestimmten Deutungsbehörden.
„Bekenntnis zur Demokratie“ versteht sich neuerdings also kurzschlüssig als Treuebekenntnis zur Berliner Republik in ihrer gegenwärtigen Verfaßtheit. Kritik, insbesondere prinzipielle zu bestimmten Bereichen, gilt als mißliebig und macht verdächtig.
„Bildung“, gleichfalls ein dauerbeanspruchter Segensbegriff, meint gegenwärtig alles andere als das Bemühen um Wissen und Befähigung, schon gar nicht die Vertiefung in ein Studium dessen, was aus immer ferner liegenden Quellen unsere europäische Identität speisen mag, nein, „Bildung“ versteht sich reduziert als staatliches Fürsorge- und Serviceprogramm, das nicht mehr über Erkenntnisse, sondern über nebulöse „Kompetenzen“ zur „Teilhabe“ befähigen soll, während es einst wesentlich um die Entwicklung der Persönlichkeit in Ergebnis von Studien und aktivem Erleben ging.
Wer Bildung erwerben wollte, wer überhaupt so weit kam, sich im Sinne der Idee vom eigenen Selbst eine innere Bereicherung davon zu versprechen, der machte nicht zuerst „Bedarfe“ geltend, sondern strengte sich aus eigenen Motiven an und hatte sich aufklärerisch-kantianisch seines „eigenen Verstandes zu bedienen“. Er sensibilisierte sein Sensorium, befähigte sich mathematisch und naturwissenschaftlich und drang lesend in geisteswissenschaftliche und literarische Bestände vor. Das übrigens wird gerade in die KI „outgesourct“.
Das lateinische studere bedeutete ursprünglich, sich zu bemühen und anzustrengen. Mit dem Ziel eben, sich dem Reichtum wie den Fährnissen des Lebens gegenüber positionieren zu können, orientiert zu sein und in Ergebnis autonomen Urteilsvermögens couragiert zu handeln. Selbst „Courage“ wird jetzt widersinnig als „Staatsangepaßtheit“ verstanden.
Bildung bedurfte also der Neugier, des Engagements, der Vertiefung und Verinnerlichung, sowieso des Fleißes, der Gründlichkeit und Ausdauer; sie erschloß eine Weltsicht jenseits bloßen dümmlichen Meinens. Nicht zuletzt bedurfte sie der Muße.
Heute soll „Bildung“ zugereicht werden. Eltern wie Schüler gehen davon aus, der Staat hätte die bloße Anwesenheit im „Ganztag“ und vor die politische Indoktrinierung in seinen Bildungsanstalten positiv zu zertifizieren und immer neue Förderprogramme aufzulegen, eben weil immer weniger selbstverantwortlich zu handeln vermögen und, schlimmer noch, dies im Sinne eines tendenziell vormundschaftlichen Staates offenbar gar nicht mehr sollen. Längst kommt Bekenntnis wieder vor Erkenntnis.
Völlig erledigt hat sich der „Diskurs“. Leidenschaftliche Debattenkultur, der Streit der Meinungen und Argumente ist von der Demokratiesimulation eines weitgehend leerdrehenden parlamentarischen Betriebes ersetzt, dem es gegenwärtig primär um Abwehr der „Gefahr von rechts“ geht, im engeren Sinne also um den Ausschluß der AfD von allen Entscheidungsbefugnissen. Mandatsträger der „demokratischen Parteien“ agieren in der Legislative so artig wie Exekutivbeamte.
Ob man sich nun als rechts versteht oder nicht: Kritik ist fast nur noch, quasi systembedingt, von rechts möglich, insofern die gesamte Staatsräson einem linken Selbstverständnis folgt, was wiederum der – staatstragenden – Linken gar nicht als ihr Problem auffällt. Muß es auch nicht, ist sie doch längst Nutznießerin der Schrumpfform des einst „bürgerlichen Staates“.
2. Ökonomische Potenz ist Geschichte – Exemplarisch nur zu einem Industriezweig: Laut „Chemieagenda 2045“ befindet sich die Produktion auf dem Tiefstniveau seit dreißig Jahren. Die Anlagen sind nur zu siebzig Prozent ausgelastet, arbeiten also unter der Rentabilitätsgrenze. Zwanzig Prozent der Firmen erwägen eine Verlagerung oder gar die Stillegung, zehn Prozent die direkte Schließung.
Diese Stimmung läßt sich auf andere Branchen übertragen, abgesehen davon, daß Deutschland und Europa im Hightech-Bereich der Computer‑, Telekommunikations- und KI-Industrie lediglich noch Konsument, kaum aber Produzent ist. Der Anschluß an Innnovationskraft scheint in der Breite verloren.
Das wiederum korrespondiert damit, daß die „Bildung“ in Deutschland Berufsschulen und Lehrbetrieben sowie den Hochschulen immer weniger Absolventen übergibt, die über ausreichend Befähigung und Haltung verfügen.
3. Gesellschaftliche Kommunikationsstörung – Wesentlichstes Anzeichen einer gesellschaftlichen Krise, ja einer quasi revolutionären Situation ist eine immer unüberwindbarer erscheinende Kommunikationsstörung zwischen maßgeblichen Gruppen, die nicht mehr zu einem Konsens oder wenigstens zu einem Kompromiß finden können, sich gegenüber einander verhärten und die gefährliche Polarisierung innerhalb der Gesellschaft verstärken.
Von Staats wegen wird gegenwärtig vor allem verhindert, daß Anhänger der AfD gleichberechtigt in die gesamtgesellschaftliche Kommunikation einbezogen werden.
Widerwillig erträgt die Exekutive sie zwar in der Legislative, um der Demokratie rein de jure noch Geltung zu sichern, aber ansonsten wird die Opposition derb behindert:
Verunglimpfung, Kriminalisierung, Pathologisierung, mindestens aber Karrierebeschädigung, Berufsverbot, Debanking, weitgehende Isolation – bisher allerdings mit dem Effekt, daß die Widerstandskraft gerade im propagandistisch forcierten Gegenwind auffallend renitent wächst, eine Wende also wahrscheinlicher erscheint, sogar erste Überläufer auszumachen sind und der „wind of change“ spürbarer wird.
Nichts jedoch regt die die Solidarisierung der Ausgeschlossenen untereinander so an wie die Arroganz der sie Ausschließenden. Die Borniertheit des politischen Establishments kränkt die AfD-Anhängerschaft und läßt sie zusammenrücken, selbst wenn sie der privilegierter AfD-Prominenz nicht kritiklos gegenübersteht. Die hohen Zustimmungsraten für die AfD und ihre konfrontative Haltung spiegeln zuerst den Widerwillen gegenüber der Selbstgerechtigkeit der Regierenden wider. Ein deutlich antielitärer Reflex.
Hinzu kommt mal wieder eine ostdeutsche Besonderheit: Die DDRler der fünfziger, sechziger, siebziger Geburtsjahrgänge frustrierte nach der Wiedervereinigung der Vortrag der Besserwessis, sie, die Ossis, wären an sich beruflich nicht qualifiziert genug. Nun hören sie, häufig von altlinken Westlern oder „erfahrenen Demokraten“, in der DDR Aufgewachsene wären per se politisch unterbelichtet bis verkrüppelt und verstünden die Demokratie noch immer nicht. Mindestens wüßten sie die nicht gebührend zu würdigen. Spülte die erste Diskriminierungswelle den Osten der PDS zu, so die jetzige der AfD.
Zurück zum Ausgangspunkt – Die Leute registrieren mit sensibler Genauigkeit, daß die Phrasen, die sie nachsprechen sollen, nicht stimmen. Schon deswegen verweigern sie sich – zunächst in ihrem Denken, dann jedoch gleichfalls im Handeln. Und handeln können sie bislang spätestens im Wahlakt. Und genau davor erstarrt gegenwärtig die Republik.
Artabanus
Der Anteil der mit dem System Unzufriedenen nimmt sicherlich immer weiter zu. Aber wie will man eine Wende bewerkstelligen? Eine absolute Mehrheit für die AFD bei Wahlen ist kaum erreichbar. Und wie bereits im Kommentarbereich zu Herrn Sellner gesagt, die EU und insbesondere die BRD steuert mit immer größerer Wahrscheinlich auf den Ausnahmezustand zu. Die Kriegsvorbereitungen laufen ja ganz offen vor unseren Augen ab.