De profundis …

Der Mensch erscheint so erlösungsbedürftig wie erlösungsunfähig.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Liegt eine Lebens­leis­tung dar­in lie­gen, die­se Ein­sicht ohne Trau­er ertra­gen zu kön­nen – sowohl mit Blick auf sich selbst wie auf die Menschheit?

Kei­ne Fra­ge, daß das Sein fas­zi­nie­rend ist – weil es über­haupt etwas gibt, weil es aus toter Mate­rie her­aus sogar das Leben gibt, und zudem die­sem Leben ein­ge­schrie­ben ein Bewußt­sein, das die Man­nig­fal­tig­keit rund­um und sich selbst wie all die ande­ren Wesen zu spie­geln vermag.

Allein mit die­sem Fas­zi­no­sum wird man nicht fer­tig, wenn man es als sol­ches bemerkt hat. Die meis­ten aller­dings dürf­ten es hin­neh­men wie ihren selbst­tä­tig ablau­fen­den Stoff­wech­sel, der ihnen als redu­ziert bio­lo­gi­sches Dasein Zweck genug ist und über ihren Ego­is­mus die Rich­tung angibt.

Der Mensch, tat­säch­lich das Eben­bild Got­tes? Wel­che Ver­mes­sen­heit, meint man skep­tisch, gera­de dies von sich anzu­neh­men. Läge es doch kraft Erfah­rung weit näher, den homo sapi­ens als eine Art Soll­bruch­stel­le der Schöp­fung auf­zu­fas­sen, wenn man schon von einer Schöp­fung und also von einem Schöp­fer aus­ge­hen möchte.

Der Riß geht ja nicht nur – jedem spür­bar – durch uns selbst, son­dern mit uns mit­ten durch die Welt, ein Riß, von dem man wün­schen möch­te, daß er sich irgend­wann wie­der ver­wächst. Daß dies aller­dings durch mensch­li­ches Wir­ken selbst geschä­he, dürf­te nach allem, was war, nicht zu hof­fen sein.

Wer hof­fen kann, hofft auf Jesus Chris­tus, des­sen Kreuz vor die­sem Riß auf­ge­rich­tet ist, wie um ihn zu ver­schlie­ßen, gefer­tigt aus dem Baum des Para­die­ses, von dem die Erb­sün­de, der Riß, doch ausging.

An unse­rem Wesen jeden­falls genas die Welt bis­lang nicht, im Gegenteil:

All­zu viel von ihr starb bereits für uns weg und aus. So ver­hee­rend, daß es nie gut­zu­ma­chen sein wird. Anders aber ist unser Dasein nicht zu haben als um den Preis des Ver­brauchs der Res­sour­cen. Dies hin­zu­neh­men, dazu bedarf es einer Ein­sicht, die jedem füh­len­den Wesen weh­tun muß.

Oder auch nicht. Denn der Mensch beklagt sich nach wie vor weit mehr über sein eige­nes Leid als über jenes des Pla­ne­ten. Daß es – im erwei­ter­ten Sin­ne – eines glo­ba­len und längst indus­tri­ell arbei­ten­den Schlacht­hau­ses bedarf, um den Men­schen wei­ter durch­zu­brin­gen, ist für ihn eine not­wen­di­ge, mit­hin legi­ti­me Zwangsläufigkeit.

Selbst­ver­ständ­lich sogar, not­ge­drun­gen, daß in die­sem Schlacht­haus nicht nur die Mit­ge­schöp­fe, son­dern die eige­nen Brü­der und Schwes­tern geop­fert wer­den – mitt­ler­wei­le höchst effek­tiv und bere­chen­bar dank der digi­ta­len Mathe­ma­ti­sie­rung und Algo­rith­mi­sie­rung von Welt und Gesell­schaft. Mit­tels Ras­te­rung und Ska­lie­rung kann end­lich voll durch­ge­grif­fen werden.

Aus der öko­lo­gi­schen Kata­stro­phe etwa wird es, nach allem, was wir dazu erken­nen, kei­nen Aus­weg geben. Glück­lich allein jene tum­ben Igno­ran­ten, die mei­nen, es gäbe gar kein öko­lo­gi­sches Problem.

Neben dem Leid immer­hin beklagt der Mensch sei­ne Schuld. Bei­des – glei­cher­ma­ßen? – mag das reli­giö­se Bedürf­nis wecken, min­des­tens die meta­phy­si­sche Sehn­sucht und das inne­re Ver­lan­gen nach Tran­szen­denz. Wäh­rend das Leid natur­ge­mäß nicht los­zu­wer­den ist und nicht erst seit Hiob eines per­ma­nen­ten Sor­gen- und Ver­zweif­lungs­tros­tes bedarf, wird Schuld über beson­de­re Ritua­le vergeben.

Einer­lei, ob für die erfleh­te Ver­ge­bung nun etwas zu leis­ten wäre oder nicht, gehen die­se Ritua­le doch immer von der Ein­sicht aus: Du kannst nicht han­deln, ohne schul­dig zu wer­den, dein „Betriebs­sys­tem“ läßt es nicht zu.

Schö­ner und trost­rei­cher Gedan­ke der Gno­sis, es könn­te in einer ande­ren Welt, also mit ande­rem Bios, auf ande­rem Mother­board, ein bes­se­res Betriebs­sys­tem viel har­mo­ni­scher lau­fen, ohne all die Bugs, die uns die Sache hie­nie­den so schwie­rig gestalten.

Was die Reli­gi­on uns den­noch oder des­we­gen ver­spricht und ver­heißt, das muß man – glauben.

Aber was für eine Leis­tung gera­de das! Man gehe nur das Apos­to­li­sche Glau­bens­be­kennt­nis gründ­lich Zei­le für Zei­le durch, ins­be­son­de­re wenn man mein­te, es bereits beja­hend able­gen zu kön­nen. Es wird dort vie­les bekannt, was, nun ja, so sim­pel doch kaum zu beken­nen ist. Oder anders: Man ließ sich da auf min­des­tens Unwäg­ba­res ein. Glück­lich der­je­ni­ge, der es wie selbst­ver­ständ­lich nach­sprach. Sanc­ta simplicitas?

Was ver­ständ­lich erscheint, inso­fern im Wäg­ba­ren, im Ver­füg­ba­ren eben kei­ne Erlö­sung denk­bar ist. Aber allein die Auf­er­ste­hung: Wel­che Erlö­sung ist, und zwar im Sin­ne eines guten Endes, nun genau davon zu erwarten?

Das Mys­te­ri­um von Gol­ga­tha, als christ­li­ches Zen­tral­ereig­nis, ist, wohl­wol­lend for­mu­liert, selbst durch jene Erwähl­ten, die es in irgend­ei­ner Wei­se als Tat­sa­che beken­nen und also bewun­dern, schwer­lich zu fas­sen. Nicht zuletzt in rela­ti­ver Kon­kur­renz zu aller­lei ande­ren Mys­te­ri­en, die, blas­phe­misch aus­ge­drückt, seit Jahr­tau­sen­den und immer mal neu so im Ange­bot sind.

An der Stel­le darf, ja muß man per­sön­lich werden:

Ich selbst, des­sen aben­teu­er­li­che Lebens­rei­se in ihr letz­tes Drit­tel führt, so sie nicht infol­ge der alles durch­zie­hen­den Kon­tin­genz mor­gen bereits vor­bei ist, ich selbst also habe mich red­lich bemüht, Mys­te­ri­en und Ver­hei­ßun­gen, von denen ich erfuhr, nach­zu­spü­ren und sie nach­denk­lich zu prü­fen, soweit ich’s ver­moch­te. Was im Ver­füg­ba­ren nicht zu erlan­gen ist, dafür bleibt nur das Unverfügbare …

Pfar­rer übri­gens, mit denen ich zu den schwe­ren Glau­bens­ker­nen ins Gespräch zu kom­men ver­such­te, erschie­nen mir, ruhig ange­spro­chen auf die essen­ti­ells­te Reli­gi­ons­be­stän­de, eher ver­druckst bis gera­de­zu pein­lich berührt. Sie waren bereit, sehr beredt über alles mög­li­che zu reden, über die wich­tigs­ten und letz­ten Din­ge eher nicht. Seltsam.

Wo mir allein je eine Art unio mysi­ca wider­fuhr (Und ja, das geschah.), erleb­te ich die­se ohne reli­giö­se Glo­rio­le und gänz­lich bar pas­to­ra­ler Ver­mitt­lung. Mir schwer vor­stell­bar, daß die Kom­mu­ni­on in einem rou­ti­niert durch­lau­fen­den Got­tes­dienst mir je zu einem inne­ren Ereig­nis gewor­den wäre.

Über­haupt ver­lie­fen mei­ne bewußt gründ­li­chen Son­die­run­gen zum Reli­giö­sen und Theo­lo­gi­schen mit gerin­ge­rem Ertrag als das, was, weni­ger mys­te­ri­ös und mira­kel­haft, in Büchern der Phy­sik, der Phi­lo­so­phie und Lite­ra­tur so zu lesen ist.

Es geht dar­in durch­aus um die zu Beginn die­ses Bei­trags auf­ge­wor­fe­nen The­men. Und es sind hier und da bestechen­de Ange­bo­te und sogar Ant­wor­ten zu erle­sen – alle­samt aber um einen Preis, den nach­voll­zieh­bar das reli­giö­se Bewußt­sein min­des­tens so ein­fach nicht zu ent­rich­ten bereit ist, nämlich:

Es gibt dar­in trotz der Arbeit an Erkennt­nis eben kein Ver­spre­chen von Trost. Min­des­tens kei­ne ein­fach zu erlan­gen­de Trös­tung, kei­ne jeden­falls, die erlöst.

Und gera­de das, ehr­lich gesagt, paßt mir. Nein, es beschwert nicht, es befreit, wenn man erst mutig den Schritt geht, der eben nicht auf ein Erlö­sungs­ver­spre­chen hofft, son­dern den Mumm zur fata­len Ein­sicht auf­bringt, uner­löst leben zu müs­sen. Was das Leben, Den­ken, Füh­len und Han­deln gera­de nicht ver­wirft, son­dern ihm erst recht alles abverlangt.

Wie denn soll ich mir und mög­lichst den ande­ren, auch den Mit­ge­schöp­fen gegen­über gut leben, wenn es jen­seits des dra­ma­ti­schen Dies­seits und mit mei­nen gerin­gen Fähig­kei­ten kei­ne ech­te Hoff­nung, schon gar nicht sol­che auf Erlö­sung geben soll­te? Oje. Wenn ich also unterm lee­ren Him­mel selbst dafür ver­ant­wort­lich bin und mir die Zei­chen für den Weg durch den meist naß­kal­ten Daseins­ne­bel selbst ein­schla­gen muß?

Das läßt sich bei Arthur Scho­pen­hau­er, Sören Kier­ke­gaard und mei­net­we­gen Emil Cioran lesen, um nur mal drei zu nen­nen, die ich nicht allein für Phi­lo­so­phen, son­dern für ver­zwei­fel­te Gott­su­cher hal­te, wobei der Erst­ge­nann­te noch die gelas­sens­ten und tiefs­ten Ant­wor­ten zu geben ver­stand. – Lese­pro­be, auf daß es hier nicht zu trost­los werde?

„Um so weni­ger darf es uns in den Sinn kom­men, das Auf­hö­ren des Lebens für die Ver­nich­tung des bele­ben­den Prin­cips, mit­hin den Tod für den gänz­li­chen Unter­gang des Men­schen zu hal­ten. Weil der kräf­ti­ge Arm, der, vor drei­tau­send Jah­ren, den Bogen des Odys­seus spann­te, nicht mehr ist, wird kein nach­den­ken­der oder wohl­ge­re­gel­ter Ver­stand die Kraft, wel­che in dem­sel­ben so ener­gisch wirk­te, für gänz­lich ver­nich­tet hal­ten, aber daher, bei fer­ne­rem Nach­den­ken, auch nicht anneh­men, daß die Kraft, wel­che heu­te den Bogen spannt, erst mit die­sem Arm zu existi­ren ange­fan­gen habe. Viel näher liegt der Gedan­ke, daß die Kraft, wel­che frü­her ein nun­mehr ent­wi­che­nes Leben aktuir­te, die sel­be sei, wel­che in dem jetzt blü­hen­den thä­tig ist: ja, die­ser ist fast unabweisbar.“

Damit ist frei­lich nicht alles gesagt, schon gar nicht über die oben gestreif­ten The­men Schuld und Erlösung. –

Ich beglei­te­te vor einem Jahr das Ster­ben mei­ner Mut­ter, so auch die unmit­tel­bar letz­ten drei Tage ihres Lebens. Ich saß also an einem Bett des Kreis­kran­ken­hau­ses Pri­g­nitz, sprach der Ster­ben­den zu, ach­te­te dar­auf, daß die Kar­tu­sche in der Mor­phin-Pum­pe bloß nicht leer­lie­fe, habe noch nie so kon­zen­triert auf den Atem eines ande­ren Men­schen gehört, bis der am drit­ten Tag zu pras­seln begann wie Regen auf einem Dach.

Was an mei­ner Mut­ter in die­sen Tagen vor­bei­zog, weiß ich nicht. Wenn ihre Augen sich öff­ne­ten, frag­te ich nur: „Hast du Schmer­zen, Mut­ti?“ Sie sah mich klar an, offen­bar froh dar­über, daß ich da war und sag­te ver­blüf­fend leicht: „Nein, hab‘ ich nicht.“ – Ich dar­auf: „Dann schlaf mal noch ein biß­chen, Mut­ti. Schlaf dich ein­fach wei­ter gesund. Kei­ne Sor­ge, ich blei­be bei dir.“

Wobei abzu­se­hen war, daß es kei­nen ande­ren Weg mehr gab, als jenen, den sie gera­de ging, schon gar kei­nen Rück­weg ins Leben. Aber einen Heim­weg viel­leicht? Zum Schluß, bei den so selt­sam leich­ten wie schwa­chen Atem­zü­gen sag­te ich dann erst: „Gute Rei­se, lie­be Mut­ti!“ – Wohin aber?

Tie­fe Weis­heit, die bei Nova­lis durch­zu­klin­gen scheint: „Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause.“

Das immer­hin ist so eine Art Trost für mich. Dafür brau­che ich, viel­leicht all­zu keck, nicht mal ein Sakra­ment. Das Leben mei­ner Mut­ter zog, als sie starb, min­des­tens an mei­nem inne­ren Auge vor­bei, denn ich ken­ne ihr Leben glück­li­cher­wei­se recht genau, selbst des­sen Kapi­tel vor mei­ner Geburt.

Und ich ken­ne mei­nes. Um es mir bewußt zu machen und um wenigs­tens an einer Stel­le, gegen­über qua­si einem gedul­di­gen Zuhö­rer durch­weg ehr­lich und wahr­haf­tig zu sein, min­des­tens es zu ver­su­chen, schrei­be ich Tagebuch.

Es ist mein Ver­such nicht nur eines umfas­sen­den Pro­to­kolls, son­dern mehr noch einer inne­ren Revi­si­on und Rechen­schaft oder gar Ent­gif­tung. Ich las es jedoch nie auch nur eine ein­zi­ge Sei­te zurück. Ich leg­te all die Sei­ten und Hef­te nur ab, gewis­ser­ma­ßen als mei­ne säku­la­re Beichte.

Bis­he­ri­ges Resümee:

Die Hoff­nun­gen meist zu ver­mes­sen, die Schuld durch­aus immens, die Ver­hei­ßun­gen und Erlö­sungs­ver­spre­chen nach bis­he­ri­gem Emp­fin­den so nicht zu geben, obwohl die Men­schen offen­bar ihrer bedürfen.

In einem aller­dings lie­gen Reli­gi­on, Phi­lo­so­phie und All­tags­weis­heit glei­cher­ma­ßen rich­tig: Ein­zi­ge Pflicht­the­ra­pie ist tie­fe Demut, die des kri­tisch geprüf­ten Han­delns eher bedarf als einer Lebens­de­pres­si­on im Gram.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (20)

Mauerbluemchen

29. Dezember 2025 15:05

Verehrter Herr Bosselmann,
Gott segne Sie (auch) für den geduldigen Beistand am Sterbebett Ihrer Mutter, der teuren Verstorbenen aber reqiuem aeternam dona ei Domine et lux perpetua luceat ei, requiescat in pace, Amen.
Vielleicht wird es Ihnen ein kleiner Trost sein, daß es in dieser Welt und bösen Zeit Menschen gibt, die für diejenigen beten, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht beten.

MarkusMagnus

29. Dezember 2025 15:35

Für jemanden, der wie ich an die Wiedergeburt glaubt, ist die Welt natürlich einfacher und besser zu ertragen.
Ihre Mutter ist schon wieder da, unsere Seele unsterblich. Der Körper nur ein Handschuh, den wir ausziehen wie wenn wir im Winter in eine warme Wohnung kommen.
Wer schlecht ist in diesem Leben wird im nächsten Leben bestraft, und andersherum natürlich genau so.
"eher verdruckst bis geradezu peinlich berührt."
Die Pfarrer glauben nicht an das, was sie selbst predigen. Ich hatte genau die gleiche Erfahrung mit einem Pfaffen und bin ein paar Tage später aus der Kirche ausgetreten. Mein Vater, ein gläubiger und humorvoller Mann, sagte immer: "Junge, werde Pfarrer, da kannst du jeden Sonntag die Leute belügen und bekommst auch noch Geld dafür"
Erst viel später habe ich kapiert was er damit gemeint hat. 
 
 

Ernestina

29. Dezember 2025 15:46

Mittlerweile haben mein Mann und ich einen 35-jährigen Glaubensweg hinter uns. Ursprünglich evangelisch-lutherisch, bin ich nach einigen Irrwegen zur charismatischen Erneuerung in der katholischen Kirche gekommen. Als dort "alles nach links kippte" sind wir aus der Kirche ausgetreten. Ostern 2025 fanden wir den Weg in eine katholisch-traditionalistische Gemeinde, wo wir alles gefunden haben, wonach unsere Seele ein Leben lang gedürstet hatte.  
Dass Glaubensthemen zunehmend im rechten Lager thematisiert werden, finde ich höchst spannend. Besonders interessiert mich dabei zu erfahren, warum Menschen Schwierigkeiten haben, zu einem lebendigen Glauben zu finden. 
Sancta simplicitas - diese hat uns problemlos Zugang zu Glauben und Mystik verschafft. 
Unio mystica - unter welchen Umständen sich dies ereignet, bleibt ein Geheimnis. Unserer Erfahrung nach vor allem im stillen inneren Gebet und ganz besonders im Empfang der Sakramente.
Wenn Geistliche nicht in der Lage sind, existentielle Fragen aus der Sicht des christlichen Glaubens zu beantworten, dann ist das ein Armutszeugnis. 
Sie schreiben am Ende "einzige Pflichttherapie ist tiefe Demut". Stimmt. Ohne Demut gibt es keine Gottesbegegnung. Und so habe ich den Eindruck, dass Sie Gott nicht so fern sind, wie es vielleicht manchmal erscheinen mag... 

MarkusMagnus

29. Dezember 2025 15:50

Ein Priester, ein Pastor und ein jüdischer Rabbi spielen zusammen Lotto. Sie gewinnen einen grossen Betrag und wollen dafür etwas für wohltätige Zwecke spenden. Der Priester sagt: Wir machen einen Kreis auf den Boden, werfen das Geld in die Luft und alles Geld, was in dem Kreis landet, das spenden wir.
Der Pastor sagt: Nein, wir machen einen Kreis, werfen das Geld in die Luft, und alles Geld was außerhalb des Kreises liegen bleibt, das spenden wir.
Sagt der Rabbi: Nein, nein. Wir nehmen das Geld, werfen es in die Luft, und was Gott davon haben will, das holt er sich...;) 

Le Chasseur

29. Dezember 2025 16:06

@MarkusMagnus"Wer schlecht ist in diesem Leben wird im nächsten Leben bestraft, und andersherum natürlich genau so."
Woher wissen Sie das?

Rheinlaender

29. Dezember 2025 16:21

Den Begriff "glauben" würde ich im religiösen Kontext nicht als das bloße Fürwahrhalten des nicht Beweisbaren definieren, sondern als den Zustand des Ergriffenseins durch Gott, der unter anderem mit der Akzeptanz der Existenz des Übernatürlichen verbunden ist. 
Man kann Gott erfahungsgemäß auch unbekannterweise in Form direkter Ansprache um Antworten bei der eigenen Gottessuche bitten. Diese Antworten können z.B. in religiösen Erfahrungen bestehen, wie sie etwa Rudolf Otto beschrieben hat.
Geistliche können bei der Suche nach Antworten m.E. nur unterstützen, wenn sie selbst glauben, was auch bei stabilen Kulturchristen nicht immer der Fall sein muss.

Gracchus

29. Dezember 2025 16:23

Sehr schöner Text! Ich würde mich für Ihre Fragen, Herr Bosselmann, zur Verfügung stellen, natürlich habe ich aber nicht alle Antworten. Die Wahrheit wird einem wohl schrittweise enthüllt, alles hat seine Zeit, der christliche Glaube enthält auch das Vertrauen auf den rechten Zeitpunkt, den Kairos.
Leider habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass Pfarrer oder Christen sich für alles Mögliche zu interessieren scheinen, nur nicht für ihren Glauben ... zu viel Theologie, alles ergrübeln zu wollen, erscheint mir wiederum ungesund.
Nach längerer Abstinenz war ich an Weihnachten wieder in der Hl. Messe, in der ausserordentlichen Form. Das kann ich Ihnen, Herr Bosselmann, empfehlen. Meine mystischen "Organe" werden hierdurch geweckt und genährt.

MarkusMagnus

29. Dezember 2025 16:48

@ Ernestina
Ich bin evangelisch getauft, aber seit einiger Zeit aus der Kirche ausgetreten.
Haben Sie schon mal im Gebet Gott tatsächlich um etwas gebeten? Das etwas passieren möge, was extrem unwahrscheinlich ist...und dann passiert es? Was denkt man dann? 
Ich hatte solche Erlebnisse. Das macht aus meiner Sicht den Glauben natürlich sehr lebendig. Es gibt Zeichen und Wunder, wir sehen sie nur nicht mehr.
Hier ein Beispiel: 
https://youtu.be/UGPrHj1nPt0?si=X9Q5LPRFsxrLH7Dz
Das die Rennfahrer hier alle mit ein paar blauen Flecken davon kommen, ist eigentlich! unmöglich. Zuviele Variablen. Hier waren Schutzengel am Werk. Man sieht sie nicht, aber man spürt ihre Anwesenheit, selbst per Video. Einer davon - so scheint es - stupst das Motorrad im letzten Augenblick noch so an, das es genau im richtigen Winkel durch die enge Lücke fliegt. Spektakuläre Szenen ohne Zweifel, aber das war mehr als Glück oder Zufall.

Laurenz

29. Dezember 2025 16:50

@HB ... um diese fast religiöse Debatte zu führen, schreiben Sie, meines Erachtens, auf dem falschen Medium. Gehen Sie auf Tichys, sortieren nach Autoren & gehen auf Achijah Zorn, bis vor ein paar Jahren Evangelischer Pastor, vergleichsweise relativ konservativ, in Nibelungentreue der EKD verhaftet, obwohl Er diese häufig, ja oft kritisiert. Als Protestant (auch die waren einst Katholiken) ist er viel mehr der Schrift verhaftet, als die Katholischen theologischen Schulen mit ihrem künstlichen Jesus & seiner künstlichen Mutter. Herr Zorn gibt hoch kontroverse Debatten frei, auf der SiN so unvorstellbar. Da geht es oft tagelang richtig zur Sache. Da gibt es auch keine Lösungen per se, weil ein großer Teil der Zorn-Leser glaubt. Mit Gläubigen gibt es keine Debatten, auch wenn man diese mit der Schrift widerlegt. Auch Kommunisten sind Gläubige. & bei Gläubigen kann nicht sein, was nicht sein darf. Sie gehen auch aus Sicht der Logik in Ihrem Artikel von falschen Prämissen aus, denke ich. Es sind wesentlich mehr Arten ausgestorben (da reicht alle ca. 70k Jahre ein Supervolcano), bevor der Mensch das Licht der Welt erblickte, als zu seinen Lebzeiten. Auch der Steinzeitmensch vernichtete schon das Großwild seit der letzten Eiszeit. Ein Vulkanausbruch der Stärke 3, 4 oder 5 ballert so viel Dreck in die Atmosphäre, wie alle Autos des Planeten in 3 Jahren. Wir haben aktuell wenig Vulkanaktivität, noch vor 200 Jahren glühte nachts die gesamte Küste Mittelamerikas.

MarkusMagnus

29. Dezember 2025 17:57

@ Le Chasseur
"Woher wissen Sie das?"
Es ist ein Naturgesetz. Oder Karma. 
https://en.wikipedia.org/wiki/Life_Before_Life
Dieses Buch wurde von einem amerikanischen Kinder-Arzt geschrieben, in dem er beweist (!), dass es ein Leben vor dem Leben gibt.
Wissenschaft und Glaube sind nicht gegensätzlich.
"Es ist eine weitverbreitete Meinung, das objektive, materielle Weltbild der Naturwissenschaften und die mystisch-religiöse Welterfahrung würden sich widersprechen. Das Gegenteil ist wahr. Sie ergänzen sich zu einer umfassenden Einsicht in ein und dieselbe geistig-materielle Wirklichkeit.“ 
Albert Hofmann.

Le Chasseur

29. Dezember 2025 18:01

@MarkusMagnus
"Es gibt Zeichen und Wunder, wir sehen sie nur nicht mehr."
Das Problem solcher "Gottesbeweise" ist, dass es genauso viele gegenteilige Ereignisse gibt, wo jemand wahnsinniges Pech hat, und zwar in Alltagssituationen, nicht beim Motorradrennen, wo die Fahrer ihr Glück quasi herausfordern.
 

Dieter Rose

29. Dezember 2025 18:14

@MarkusMagnus
Was ist "schlecht"? Wer bestimmt das? Franz Spirago im Katholischen Glaubensschatz? Ist "gut" schon, wenn man niemandem Schaden zufügt?
@Gracchus
Ging mir kürzlich bei einem Besuch der Tridentinischen Messe ebenso. Eine solche meinten Sie wohl auch.
 

Le Chasseur

29. Dezember 2025 18:17

@MarkusMagnus
"Es ist ein Naturgesetz. Oder Karma."
Wiedergeburt bzw. die Unsterblichkeit der Seele und Karma sind zwei Paar Stiefel. Mich hätte interessiert, woher Sie wissen, dass jemand, der Schlechtes tut, in seinem nächsten Leben dafür bestraft wird. Und ist das dann ein Automatismus oder gibt es eine Wesenheit bzw. Wesenheiten, die als richterliche Instanz fungieren?

Monika

29. Dezember 2025 18:30

Lieber Her Bosselmann, vielen Dank für Ihre intimen religiösen Bekenntnisse. Das ist heutzutage ja fast peinlicher als ein outing seiner sexuellen Vorlieben. Seien Sie versichert, Sie sind nicht alleine. "Wo mir allein je eine Art unio mystica widerfuhr", geschah es ohne pastorale Vermittlung. In den "Buddenbrooks" schildert Thomas Mann (Kapitel 5) ein solches Erlebnis bei Thomas Buddenbrook. Über ihn heißt es: "Der Buchstabenglaube, das schwärmerische Bibelchristentum, war ihm immer fremd gewesen". ...andererseits war "er metaphysisch zu bedürftig, um in der belanglosen Oberflächlichkeit des alten Johann Buddenbrook Genüge zu finden." Er fühlt manchmal eine Neigung zum Katholizismus. Dann liest er Schopenhauer "Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich". In der folgenden Nacht hat Thomas Buddenbrook die Erfahrung einer "unio mystica": "Plötzlich war es, als wenn die Finsternis vor seinen Augen zerriss..."eine ewige Fernsicht von Licht enthüllte sich." Als ich diese Kapitel in den Buddenbrooks las, fühlte ich mich zutiefst verstanden. Als Kind hatte ich eine ähnliche Erfahrung. Und ja, wir gehen immer nach Hause. (Novalis)

Monika

29. Dezember 2025 18:44

@ Laurenz Nein! Die Debatte gehört genau hierher! Arnold Stadler in "Ein hinreißender Schrotthändler " : "Und ich  sehnte mich nach einem Menschen, mit dem ich über Gott reden konnte" ....ohne ausgelacht zu werden. 

Maiordomus

29. Dezember 2025 19:13

@Bosselmann."Sollbruchstelle" der Schöpfung finde ich treffender als "Ebenbildlichkeit", die man eher in den Zusammenhang der Menschwerdung Gottes in Christus zu stellen hätte, eine These, die mit Eckharts "Seelenfunken" in Verbindung zu setzen wäre. Subjektiv habe ich mich bisher noch nie als Ebenbild Gottes erfahren. Mir liegt da das Gottesverständnis Kierkegaards näher, auch das für Rechte bis hin zu Schopenhauerianern  nachvollziehbare Menschenbild von Gehlen, das unweit von Platon, Symposion, den Menschen als Mängelwesen zu erfahren weiss, das scheint mir konkret nachweisbar. Für skeptische Christen liegt es nahe, sich als erlösungsbedürftig zu begreifen. 
@L. Der Begriff "Jesus und seine künstliche Mutter" stammt von meinem Studienkollegen Hermann Burger im gleichnamigen Roman v. 1982, voll von  blasphemischem Zorn, nicht zu vergleichen mit dem vieltausendseitigen Standardwerk "Das Mutterrecht" von Bachofen, dem Freund Nietzsches u. Burckhardts, allgemein religionsgeschichtlicher Lobpreis v. Muttergöttlichkeit. Wohl stärkster Text auf Deutsch über Maria stammt nicht von einem kath. Theologen, sondern aus Zwinglis Predigt v. 14. Sept. 1522 in Einsiedeln, "die ewig reine Magd". Auf biblischer Basis.

RMH

29. Dezember 2025 19:20

Der Artikel von H. Bosslemann - welcher Autor geht auf diesen Seiten eigentlich sonst noch so tief ans "Eingemachte"? Versucht tiefere Schichten freizulegen & unternimmt dabei das Wagnis der radikalen Ehrlichkeit? - hat nicht nur eine reigiöse Ebene. Er hat auch eine klar kulturell-anthropologische Ebene. Wie kommt es, dass sich Menschen "schuldig" fühlen oder irgendwie als Störfaktor auf diesem Planeten empfinden & das bis heute & dass dieses Gefühl auch bei Menschen vorkommt, die nicht religiös sind, Atheisten oder Agnostiker sind? Das hat erst einmal nichts mit Glauben oder zivilreligiöse Nachwirkungen einer einstmals durch & durch mit einer Religion verwachsenen Gesellschaft zu tun. Wenn man der These, dass es schon urzeitliche Hochkulturen vor den bisher bekannten gegeben haben soll, nicht folgt, dann gibt es den Menschen seit ca. 300.000.- Jahren. Der Fundort Göbekli Tepe in der Türkei soll auf 10k vC datieren. >90% der Menschheitsgeschichte ist unbekannt. Seit wann fühlt sich der Mensch als "schuldig"? Es gibt die These, dass der Jäger Mensch erkannte, dass er Tiere tötet, die ihm sehr ähnlich sind & das daraus das Bedürfnis sich entwickelt hat, etwas wieder gut, "heil" zu machen, in dem sich Kulte, Opfergaben etc. ausbildeten.

MarkusMagnus

29. Dezember 2025 19:26

@ Le Chasseur:
Ich gebe zu, es war ein eher schlechtes Beispiel, weil es eben Gegenbeispiele gibt.
Für mich gibt es sowas wie Glück, oder Pech oder Zufall nicht. In ihrem Beispiel ist allerdings nicht klar, wieso der vermeintlich Unfall passierte. Wenn es Absicht war? Bei den Motorradfahren war es einfach Fahren am Limit.
Und die Wege des Herrn...kenne ich ja selbst! Ich habe einen Selbstmordversuch überlebt und mir wurde klar, wieso mir soviel Sch... passiert ist. Es sind die Auswirkungen meines vorherigen Lebens. Und Selbstmord ist keine Option, weil sich die Probleme nur verschieben.
Manchmal gibt es die Auswirkungen zeitnah, oder erst im nächsten Leben.
Was ist "schlecht"?
@ Dieter Rose
Na, wenn sie das nicht selbst wissen was gut und böse ist...
Mörder und Kinderschänder sind mit Sicherheit keine Guten.

Hesperiolus

29. Dezember 2025 19:39

(Sehr, - privat!) Verehrter Bosselmann, Ihre, und die Ihrer, Hoffnungen können nicht vermessen, aber sie sollten immens sein! - Der Sie so nahe an Camus schreiben und verständlich die Gnosis streifen – nun wollte ich aber einen dummen geo- und darüberhinaus- psychischen Kommentar schreiben, zu Ihrer regionalen Verdüsterung. Der erstirbt mir. - Ob/Daß der Riß verwächst oder nicht, eine Frage, die „die Rechte“ trennt, Kluftaufreissung, nicht wahr? - Jesus Christus, dessen Kreuz vor diesem Riß aufgerichtet ist, wie um ihn zu verschließen - ein häresieträchtig zu diskutierendes Theologoumenon wäre das. - Pflicht, Demut, Kritik? Sie sind, was Wagner sich anmaßte, anscheinend der „deutscheste Mensch“? - Sie sollten, Ihre verehrte Frau Mutter im Herzen (was ich nicht konventionell, sondern fühlend schreibe): ausbrechen: Reisen Sie!

MarkusMagnus

29. Dezember 2025 19:48

@ Monika
"Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich". 
Danke für den Tipp. Ich kenne das Buch natürlich, darin geht es ja um Seelenwanderungen. Ich hatte es nur nicht mehr auf dem Schirm. Fast jeder Mensch hat solche Erfahrungen gemacht, besonders als Kinder. Wir erinnern uns nur nicht mehr, haben es verdrängt, fürchten uns mit anderen darüber zu reden.
Albert Hofman nannte es die "visionäre Schau". Glücklich, wer sowas als Erwachsener erleben darf. Manchmal sieht man eine einfache Blume und sieht in ihr sofort die Schönheit und Perfektion der Schöpfung, selbst wenn man nichts von Gott oder dem goldenen Schnitt wüsste.