des Kyffhäuser-Gebirges lebt, gibt es einen Text mit dem Titel: Geheimes Deutschland. Diese Elegie – so die Gattungsbezeichnung, die der Dichter selbst wählte – setzt ganz unvermittelt ein:
Stauffenberg, bevor er standrechtlich erschossen wurde, soll noch etwas gerufen haben – eine Losung, ein Vermächtnis, ein letztes Wort, in das er faßte, was ihm zu sagen verblieben war. Aber hier, noch vor seinem Tode, beginnt die Legende. Manche berichten, er rief: „Es lebe das heilige Deutschland!“, andere überliefern: „Es lebe das geheime Deutschland!“ oder „Es lebe unser heimliches Deutschland!“
Schillings Text verknüpft den Attentäter des 20. Juli 1944, Claus Graf Schenk von Stauffenberg, mit einem der unergründlichen Begriffe, die das geistige Deutschland dem Nihilismus auf der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entgegenstellte. Das Geheime Deutschland sollte den Weg in eine andere Moderne weisen, in Das Neue Reich. So lautet der Titel eines Gedichtbands von Stefan George, in den auch das Gedicht Geheimes Deutschland Aufnahme gefunden hat. Es ist dies ein kryptisches, ein hermetisches Gedicht, eine simple Interpretation ist ausgeschlossen, und es liegt ja nahe, daß die Rede vom Geheimen Deutschland selber auch heimlich sein muß. Heimlich ist auch der berühmte Akt geblieben, in dem eine Gruppe aus dem George-Kreis 1924 am Sarkophag Kaiser Friedrichs II. einen Kranz niederlegte mit der Inschrift: „Seinen Kaisern und Helden. Das Geheime Deutschland“. Und Norbert von Hellingrath, der im Auftrag Georges die Gedichte Hölderlins herausgab, schreibt 1916:
Ich nenne uns „Volk Hölderlins“, weil es zutiefst im deutschen Wesen liegt, daß sein innerster Glutkern unendlich weit unter der Schlackenkruste, die seine Oberfläche ist, nur in einem geheimen Deutschland zutage tritt.
Schon die Romantik hat auf das Geologische, die Berg- und Höhlenhoffnung der Deutschen verwiesen und immer wieder den Kaiser Barbarossa angeführt, der am Kyffhäuser im Berg ruhe, und mit dessen Rückkehr die Erneuerung des Reichs verbunden sei.
Innerhalb dieses Gefüges ist auch die Hauptaussage von Georges Gedicht nicht schwer zu entschlüsseln: In einer untergehenden Welt ruht die Hoffnung auf den Wenigen, die Verantwortung zu übernehmen berufen sind, wobei dieses Handeln keineswegs tagespolitischer Natur ist, sondern den Geist des Geheimen Deutschland auf metaphysischem Feld zu vertreten hat. Georges Gedicht spricht auch von einstigen Trägern dieses Geistes und verknüpft diese Ahnenreihe mit denen, die die Stafette aufnehmen sollen.
Stauffenberg nahm den Auftrag ernst, den er – aus dem George-Kreis stammend – angesichts der Verheerungen Deutschlands durch die nationalsozialistische Ideologie und ihre politische Umsetzung verspürte. Das Attentat vom 20. Juli 1944 war eine Tat im Geiste des Geheimen Deutschland, es war – bei allen verzweifelten Versuchen, tatsächlich zum Erfolg zu gelangen – vor allem eine metaphysische Tat.
Nachdem Stauffenberg und seine Mitverschwörer erschossen waren, ging das Regime daran, Sippe und Nachlaß der Attentäter aus der Erinnerung zu tilgen. Unter den Gegenständen, die in alle Winde zerstreut wurden, war auch der Ehrensäbel, den der Oberfähnrich Stauffenberg als Jahrgangsbester auf dem Offizierslehrgang der Kavallerieschule in Hannover verliehen bekam. Nach der Beschlagnahmung ging der Säbel durch unbekannte Hände und wurde – wahrscheinlich von sowjetischen Offizieren – bald nach dem Krieg an Max Reimann, den Vorsitzenden der DKP übergeben: „antifaschistisches Kulturgut“ sollte den Deutschen erhalten bleiben. Reimann überließ den Säbel seinem Nachfolger Herbert Mies. Allen war er unantastbar. Von Mies erhielt ihn 1999 die Witwe Stauffenbergs zurück.
In diesem Ehrensäbel nun verdichtet sich so vieles, seine Verknüpfung mit dem Auftrag des „Geheimen Deutschland“ ist so zeitlos, daß Begriff und hermetische Stafette in ihm ihr Symbol erhalten haben. Das „Schwert des Geheimen Deutschland“ ist der begreifbare Gegenstand einer unbegreiflichen Tiefe.
Aber trotzdem dauern unsre Reiche
von Rolf Schilling
Alles, was wir sprachen, was wir sannen,
Was uns groß war, was das Herz bedrängt,
Wird ein Flügelschlag ins Nichts verbannen,
Wenn der Gott die schwarze Fackel senkt.
Eiswind weht uns fort durch leere Hallen,
Kaum berührt von sanfterer Beschwer
Goldner Pollen, dem Gesang entfallen,
Da er heimflog ohne Wiederkehr.
Aber trotzdem dauern unsre Reiche,
Traumentrückt im Schoß der Mitternacht,
Bis das ewig neue, ewig gleiche
Morgenrot im Dämmergrau erwacht.
Längst verschollen, dennoch unverloren,
Strahlt, ein Kronjuwel im dunklen All,
Unser Stern, uralt und ungeboren,
Siegreich über Asche und Verfall.
Keine Fessel kann der Schwinge wehren,
Die dich unversehrt durchs Feuer trug,
Leichten Flugs zur Erde heimzukehren,
Wenn die Stunde der Verheißung schlug.
Schau dein Reich: Die goldnen Herden schreiten
Furchtlos hin in deiner sanften Hut,
Hier, im Jenseits deiner Traurigkeiten,
Sollst du walten, wenn die Waage ruht.
Tau der Gräser, Grün der jungen Birke,
Silbern schimmernd überm Wiesenrain,
Noch im fernsten aller Nachtbezirke
Tönt der Lobgesang von Brot und Wein.
Deine Hand, die goldne Ernte segnend,
Rührt im Schlaf leicht an ein Traumgesicht,
Adlerpaare, deinem Blick begegnend,
Grüßen dich im ersten Morgenlicht.
Ihrer Fahrt, in Weiten ungemessen,
Folgend, wenn der Himmel dich berief,
Sollst du doch der Erde nicht vergessen,
Die dich barg, solang der Fittich schlief.
So dein Maß im Irdischen erkennend,
Wirst du wandeln, allem Wandel fern,
Ewig auferstehend, ewig brennend,
Schmetterling und Flamme, Staub und Stern.
aus:
Rolf Schilling: Stunde des Widders,
Gesammelte Werke in Einzelbänden I / 2:
Gedichte 1977 bis 1980.
Alle Bände zu beziehen über antaios.de.