Merkels Patriotismus

pdf der Druckfassung aus Sezession 4 / Januar 2004

von Martin Hoschützky

Die Ankündigung der Einleitung einer Grundsatzdebatte löste im untergegangenen sozialistisch-kommunistischen Kosmos innerhalb der Staatsparteien stets große Unruhe aus. Denn derlei „Beratungen“ folgten einem immergleichen Schema: Die Parteispitze legte der Partei ihre neue Sicht der Dinge dar und erklärte anschließend die Debatte für beendet. Daraufhin feierte die Masse der ideologisch indifferenten, aber am persönlichen Aufstieg interessierten Genossen den Parteiführer als größten Theoretiker ihrer Zeit, während sich manche Parteigenossen, die sich bis dahin als Teil der Partei begriffen hatten, aber eigenständig über die Programmatik der Partei nachdachten, – als Linksoder Rechtsabweichler denunziert – auf der Anklagebank wiederfanden, wobei es dem weisen Ratschluß der Parteiführung oblag, welchem Dissidenten nach ausführlicher Selbstkritik und Ablegen des Kotaus die zweite Chance gegeben wurde und an welchem Abweichler ein Exempel zu statuieren war, mit der Folge der Ächtung und Verbannung aus der Partei.

Der­lei Insze­nie­run­gen sind demo­kra­ti­schen Par­tei­en fremd. Ins­be­son­de­re im lin­ken Par­tei­en­spek­trum muni­tio­nie­ren sich im Rah­men von Grund­satz­de­bat­ten die Chef­ideo­lo­gen der jewei­li­gen Par­tei­flü­gel mit Gesell­schafts­ana­ly­sen, Begriffs­be­stim­mun­gen und Dis­kurs­tech­ni­ken auf, um sich dann mit Ver­ve hef­tigs­te Gra­ben­kämp­fe und Schar­müt­zel zu lie­fern, auch wenn die Par­tei­spit­ze sol­cher­lei intel­lek­tu­el­les Trei­ben ins­ge­heim belä­chelt und im Kampf um den Macht­er­werb prag­ma­tisch han­delt. Der Wert der Theo­rie­de­bat­ten zeigt sich erst nach Errin­gen par­la­men­ta­ri­scher Mehr­hei­ten. Dann ist das ideo­lo­gi­sche Rüst­zeug zur Hand, um zu ent­schei­den, in wel­che Rich­tung es eigent­lich gehen soll.
Auf der Sei­te der Rech­ten ste­hen der­lei Theo­rie­ge­bäu­de und Grund­satz­de­bat­ten nicht hoch im Kurs. Wel­che Fol­gen das haben kann, zeig­te die Kohl-Ära; man­gels eigen­stän­di­ger Wer­te­ba­sis erschöpf­te sich der legen­dä­re Auf­ruf zur „geis­tig-mora­li­schen Wen­de“ in der nur leicht gebrems­ten Fort­füh­rung lin­ker Gesell­schafts­ent­wür­fe. Da die­ser Tat­be­stand nach 1998 kaum als Defi­zit wahr­ge­nom­men wur­de, schei­ter­te Fried­rich Merz mit sei­nem Vor­stoß zur Prä­zi­sie­rung einer deut­schen Leit­kul­tur gran­di­os, weil den Christ­de­mo­kra­ten nicht viel mehr als die Beherr­schung der deut­schen Spra­che und die Ein­hal­tung der Geset­ze als Merk­ma­le der Leit­kul­tur ein­fie­len. Ent­spre­chend setz­te die Ankün­di­gung der CDU-Par­tei­vor­sit­zen­den Ange­la Mer­kel, eine Patrio­tis­mus-Debat­te füh­ren zu wol­len, auch kei­ne intel­lek­tu­el­le Ener­gie frei, obgleich eine sol­che Dis­kus­si­on zu Beginn der 21. Jahr­hun­derts ange­bracht wäre und die Uni­on sich die­se Aus­ein­an­der­set­zung ange­sichts einer desas­trö­sen rot-grü­nen Poli­tik leis­ten könn­te. Wie die Iden­ti­fi­ka­ti­on der Indi­vi­du­en mit der Nati­on geför­dert wer­den kann, wel­chen Bei­trag die gefühls­mä­ßi­ge Bin­dung der Bür­ger an Wer­te und Tra­di­tio­nen des eige­nen Vol­kes zur Dämp­fung der här­ter wer­den­den Ver­tei­lungs­kämp­fe in der Gesell­schaft leis­ten kann, ob der Patrio­tis­mus zur Bestim­mung der Maß­stä­be eines sozia­len Mit­ein­an­ders her­an­ge­zo­gen wer­den soll­te, das sind Fra­gen, die die Debat­te loh­nen. Eben­so ver­langt die deut­sche Son­der­fra­ge nach einer Klä­rung, ob die Vater­lands­lie­be nur noch als kul­tu­rel­le Kate­go­rie taugt, wäh­rend sie als poli­ti­sche Kate­go­rie durch einen EU-Patrio­tis­mus zu erset­zen wäre.
Sol­che The­men sto­ßen aber kaum auf Reso­nanz in einer Uni­on, die wenig Wert auf eine theo­re­ti­sche Fun­die­rung ihrer Gesell­schafts­po­li­tik legt. Schon der Zeit­punkt der Anre­gung eines Nach­den­kens über den Inhalt und den Stel­len­wert des Patrio­tis­mus in Deutsch­land ließ auf ein rein tak­ti­sches Motiv schließen.

Deut­li­cher als es die Abstim­mung in der CDU/CSUBundestagsfraktion über den Aus­schluß Mar­tin Hoh­manns zum Aus­druck brach­te, sorg­te die Ver­sto­ßung des kon­ser­va­ti­ven CDU-Abge­ord­ne­ten aus Ful­da für Unmut in der Par­tei. Und als es Fritz Schenk gar gelang, den Groll an der Par­tei­ba­sis zu orga­ni­sie­ren, war es ange­bracht, den ohne­hin weit­ge­hend mar­gi­na­li­sier­ten und zer­streu­ten kon­ser­va­ti­ven Christ­de­mo­kra­ten eine Beru­hi­gungs­pil­le anzu­bie­ten. Dabei zeig­te sich, daß allein schon Mer­kels Ankün­di­gung einer Patrio­tis­mus-Debat­te sowie ihr Ein­tre­ten für ein Ver­trie­be­nen­zen­trum in Ber­lin voll und ganz aus­reich­ten, um die Res­te des rech­ten CDU-Flü­gels zu besänf­ti­gen. Die CDU-Rech­ten haben ohne­hin in die­sen Tagen kein Inter­es­se an eige­nen Bei­trä­gen zu Grund­satz­fra­gen. Die­je­ni­gen, die all­zu deut­lich Sym­pa­thie für Mar­tin Hoh­mann gezeigt hat­ten, leben in der Furcht, vom Par­tei­freund Bos­bach die „har­te Kan­te“ gezeigt zu bekom­men, und schwei­gen; die Rech­ten, die bis­her geschwie­gen haben, schwei­gen wei­ter, um nicht auf die watch-list zu gera­ten, oder sie distan­zie­ren sich vom „Bösen“, um ihre Lini­en­treue unter Beweis zu stel­len. Daher hät­te auch schon vor dem Par­tei­tag man­gels inter­es­sier­ter Dis­ku­tan­ten die Patrio­tis­mus-Debat­te für been­det erklärt wer­den können.
Aber so wie Frau Mer­kel als Macht­po­li­ti­ke­rin unter­schätzt wird, wird ihre Qua­li­tät als Pro­gram­ma­ti­ke­rin unter­be­wer­tet. Sie nutz­te die Gele­gen­heit, um im Schat­ten der Hoh­mann-Affä­re auf dem Leip­zi­ger Par­tei­tag en pas­sant der Uni­on eine Patrio­tis­mus­be­stim­mung zu ver­ord­nen, mit der end­gül­tig der Anschluß an das 68er- Welt­bild voll­zo­gen wur­de. Sie erklär­te „die fort­wir­ken­de Aner­ken­nung des Unaus­söhn­li­chen, die Sin­gu­la­ri­tät des Holo­causts“ zur Grund­la­ge der CDU und ver­stieg sich zu der Fest­stel­lung: „Die Aner­ken­nung der Sin­gu­la­ri­tät des Holo­causts hat uns doch zu dem gemacht, das wir heu­te sind – frei, ver­eint, souverän.“
Daß letz­te­re Aus­sa­ge einer geschichts­wis­sen­schaft­li­chen Ana­ly­se des Wie­der­ver­ei­ni­gungs­pro­zes­ses nicht stand­hält, steht außer Fra­ge; aber für die Errich­tung eines patrio­ti­schen Gebäu­des ist ein­zig von Bedeu­tung, daß „auf sol­chen, küh­nen Bögen“ (Johan­nes Leit­häu­ser in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung vom 2. Dezem­ber 2003) ein natio­na­les Selbst­wert­ge­fühl gezim­mert wird, das sei­ne Iden­ti­tät pri­mär aus dem Holo­caust bezie­hungs­wei­se der deut­schen Schuld saugt. Damit ist die CDU noch nicht voll­stän­dig auf Kurs der deut­schen Lin­ken, – die­se zieht aus Ausch­witz den Schluß: Auf­lö­sung Deutsch­lands in post­na­tio­na­le Iden­ti­tä­ten und Struk­tu­ren, wäh­rend die CDU-Par­tei­vor­sit­zen­de schein­bar das deut­sche Pro­jekt nach 1945 als ewi­gen Ver­such der Abar­bei­tung einer unsühn­ba­ren Schuld ver­steht und dar­aus die deut­sche Iden­ti­tät ablei­tet -, aber die CDU ist nun­mehr so tief in das Fahr­was­ser des Zeit­geis­tes ein­ge­taucht, daß die Lin­ke um ihre Hege­mo­nie auf dem Feld der Geschichts­in­ter­pre­ta­ti­on nicht fürch­ten muß und „natio­na­lis­ti­sche Ent­glei­sun­gen“ der Par­tei aus­ge­schlos­sen sind. Wer den Patrio­tis­mus aus dem Abscheu vor dem Bösen kon­stru­iert, gelangt zwangs­läu­fig zum Bei­spiel zur Monu­men­ta­li­sie­rung der Holo­caust-Gedenk­stät­ten­kul­tur. Und wie ein sol­cher­art geform­tes natio­na­les Bewußt­sein in der Außen­po­li­tik umzu­set­zen ist, ver­deut­lich­te Frau Mer­kel eben­falls. Sie lehnt es schlicht­weg ab, sich „eine unter wel­cher Über­schrift auch immer geführ­te Dis­kus­si­on um angeb­li­che Benach­tei­li­gun­gen Deutsch­lands vor dem Hin­ter­grund unse­rer Geschich­te auf­drän­gen zu lassen“.
Der­lei Ansich­ten könn­ten zu Dis­kus­sio­nen anre­gen oder gar Wider­spruch her­aus­for­dern; aber auf dem Par­tei­tag ent­fal­te­te sich kei­ne inhalt­li­che Debat­te. Und der Raum für eine sol­che Debat­te, also ein Ver­fah­ren, bei dem durch die Erör­te­rung unter­schied­li­cher Auf­fas­sun­gen ein Kon­sens gefun­den wer­den soll, war ohne­hin kaum gege­ben. Indem die Par­tei­vor­sit­zen­de ihre Patrio­tis­mus­über­le­gun­gen in das Ver­dikt über Hoh­mann ein­bet­te­te, erzeug­te sie viel­leicht nicht unge­wollt bei man­chen Dele­gier­ten den Ein­druck, daß ein Abwei­chen von der Linie der Vor­sit­zen­den den Betref­fen­den sehr rasch an den Rand des Ver­dachts der Sym­pa­thi­san­ten­schaft mit anti­se­mi­ti­schen Posi­tio­nen gera­ten läßt, was bekannt­lich zum end­gül­ti­gen Aus­schluß aus dem Kreis der Demo­kra­ten führt. So nick­te denn der Par­tei­tag wider­spruchs­los Mer­kels Aus­füh­run­gen ab, und die CDU hat ihre 68er- Dog­ma­tik ver­paßt bekom­men. Eine wei­te­re Debat­te hat sich damit erüb­rigt, – in Erman­ge­lung unter­schied­li­cher Auf­fas­sun­gen. Auch so kann ein neu­er Kon­sens geschaf­fen werden.

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