Sie emanzipierte sich von der theologischen metaphysischen Tradition und fragt seitdem nach dem Wesen des Menschen jenseits von Metaphysik und experimenteller Naturwissenschaft. Vor diesem Hintergrund läßt sich bei jedem bedeutenden Philosophen, egal welcher Zeit und welchem Ort er entstammt, so etwas wie eine »philosophische Anthropologie« ausmachen, als eine genuin philosophische Frage nach dem Menschen, seinem Wesen, seinem Maß und seiner Natur.
Im Gegensatz dazu gibt es das rein deutsche Phänomen der »Philosophischen Anthropologie «. Die Studie von Joachim Fischer Philosophische Anthropologie. Eine Denkrichtung des 20. Jahrhunderts (Freiburg/München: Alber 2008. 684 S., geb, 48 €), bereits 1997 in Göttingen als Dissertation angenommen, behandelt die »Philosophische Anthropologie« als einen Denkansatz des 20. Jahrhunderts, der von der »philosophischen Anthropologie« als einer Subdisziplin der Philosophie zu unterscheiden sei. 1928 erscheinen die beiden Werke, die den »Durchbruch« für die Denkrichtung bedeuten: Die Stellung des Menschen im Kosmos von Max Scheler und Die Stufen des Organischen und der Mensch von Helmuth Plessner. Fischer entwickelt davon ausgehend die Realgeschichte dieses Ansatzes auf eine gleichzeitig verständliche und spannende Art und Weise. Zunächst konnte sich dieser Denkansatz nicht konsolidieren, sondern blieb randständig. Vor allem die Existenzphilosophie und die Spätausläufer der Lebensphilosophie bestimmten die philosophischen Debatten der nächsten Jahre. Scheler war da bereits tot, doch für Plessner war diese Nichtbeachtung bitter, zumal ihm noch unterstellt wurde, von Scheler abhängig zu sein, was er nicht war, wie Fischer zeigen kann.
Die Entscheidung über die Tragfähigkeit des Ansatzes fällt in den Jahren zwischen 1934 und 1944, als neue Autoren mit eigenen Ansätzen hinzutreten: Neben Erich Rothacker und Adolf Portmann ist es vor allem Arnold Gehlen, der mit seinem Buch Der Mensch den Denkansatz rettet und ausbaut.
Nach 1945 gab es sowohl für den Remigranten Plessner als auch den »Belasteten« Gehlen Probleme, was die Lehrstuhlbesetzungen anging. Beide landeten schließlich auf soziologischen Lehrstühlen, was die Ausbildung einer philosophischen Schule behinderte, dafür bekam die Philosophische Anthropologie nach und nach ein anderes Gesicht. In der Philosophie gab es zwar noch Denker, die sich von diesem Ansatz inspirieren ließen, wie Hans Blumenberg und Odo Marquard, viel eher herrschte jedoch ein Bemühen vor, ihn zu destruieren, sei es aus Richtung der Frankfurter Schule oder der Sprachphilosophie und Systemtheorie. Hinzu kam erschwerend, daß sich die beiden Hauptprotagonisten bis zum Schluß (Gehlen starb 1976, Plessner 1985) ablehnend gegenüberstanden und das auch öffentlich äußerten.
Fischer, langjähriger Vorsitzender der Plessnergesellschaft und am Lehrstuhl von Karl-Siegbert Rehberg, dem Herausgeber der Gehlen-Gesamtausgabe, beschäftigt, versucht dagegen, die Gemeinsamkeiten zu zeigen. Das muß er auch, da sonst seine These vom Denkansatz hinfällig wäre. Er macht einen Identitätskern aus, der in einer typischen Denkbewegung besteht, die die Selbstgewißheit des Geistes voraussetzt, jedoch dort nicht einsetzt, sondern beim Objekt (dem Leben) und sich dann durch dessen Stufen hinauf zum Menschen bewegt, bei dem sie einen Bruch mit dem allgemeinen Lebenskreis konstatiert. Der Bruch kann sich dann als »Handlung« (Gehlen), »Weltoffenheit« (Scheler) oder »exzentrische Positionalität« (Plessner) zeigen. Soweit überzeugt Fischers Argumentation, weil sie denkansatzimmanent vorgeht. Was so nicht ausreichend deutlich wird, sind die Gründe für das Scheitern des Ansatzes, warum er sich gegen die Konkurrenten nicht behaupten konnte. Immerhin war Gehlen einer der wirkmächtigsten Denker der Bundesrepublik und die Überzeugungskraft seiner Thesen nimmt zu.