Stunden unterwegs. Ich legte diese Strecke jüngst zurück, weil ich in Hamburg einen Vortrag halten mußte, Thema: »Was können Konservative heute tun?« In der Bahn las ich Ihr neues Buch: Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit. Warum die Krise uns konservativ macht. Ehrlich gesagt: Ich las Ihr Buch zwischen Bitterfeld und Berlin-Südkreuz, mehr Strecke war nicht nötig, ich war rasch fertig damit. Das lag nicht daran, daß ich alles schon wußte, was Sie auf 160 Seiten ausbreiten; es lag an der Dürftigkeit und der mangelnden Dringlichkeit Ihrer Ausführungen.
Es ist ja nicht so, daß Dringlichkeit grundsätzlich ein Kriterium für ein gutes Buch ist. Aber wer im Untertitel darauf hinweist, daß »die Krise« etwas mit »uns« macht, der legt die Latte ziemlich hoch, und es ist peinlich, wenn er sie dann so deutlich reißt, wie Sie das tun. Es wäre besser gewesen, Sie hätten dieses suggestive »uns« nicht nur im Untertitel, sondern überhaupt aus Ihrem ganzen Buch weggelassen. Man sollte nicht im Gemeinde-Ton schreiben, wenn man so wie Sie in einem immerhin schon 45 Jahre andauernden Leben auf das »Ich« fast alles, auf das »Wir« fast nichts gegeben hat. Ihr Buch bekommt dadurch eine grundsätzlich taktische Note, wenn ich das so sagen darf. Ich nehme Ihnen Ihr »Wir« nicht ab. Ihr Versuch, sich selbst als Prototypen einer 89er-Generation zu verkaufen, ist sogar peinlich. So wie Sie haben vielleicht ein paar tausend freigeschossene PR- und New economy-Typen gelebt.
Wir zogen die Krawatten aus, setzten die Sonnenbrillen auf und schalteten die Handys und Laptops ein. Die Weltwirtschaft schien ein spielerisches Monopoly, bei dem es viele Gewinner gab. Vor allem uns. Wir waren die wohlhabendste Generation, die es je gegeben hatte.
Sie nannten das Arbeit, nicht? Man kann es auch »das Aufgeschäumte« nennen, und dieser Schaum wird nun vom Bier geschlürft. Wie reagiert der Schaum? Für jemanden, der sich selbst als bindungslosen Kosmopoliten bezeichnet, haben Sie Ihr Fähnchen etwas zu rasch umgesteckt. Sie liefen fünfzehn Jahre lang vorneweg, haben jede Mark gemacht, die Sie machen konnten, waren flott unterwegs mit jener Gewinner-Arroganz, die im Bewährten und Hergebrachten bloß den Bremsklotz sieht – und nicht den Boden, auf dem man steht. Mir sind Leute suspekt, die über Jahre hinweg fleißig die Auflösung aller Dinge betrieben haben, und die dann im Moment der Krise plötzlich die Sprache ändern und gleich wieder ganz vorn marschieren, sich selbst erklärend und für unentbehrlich haltend. Ich zitiere:
Die zwanziger Jahre sollen wild gewesen sein. Ein Krisenjahrzehnt voll geistiger und künstlerischer Energie. Wenn wir heute von einer neuen Krisenzeit reden und sie auch herbeireden, dann ist das Gegenteil der Fall. Die intellektuelle Szene der Republik schläft, die künstlerische macht letzte Geschäftchen, die literarische wälzt sich in Introspektion. Nicht einmal die politische Debatte ist flirrend – die Wirtschaftsliberalen tauchen ab, die Konservativen fühlen sich bestätigt und streicheln selbstgefällig ihre alten Werte, die Linke schaut datterig zu, als sei sie für das 20. Jahrhundert zuständig gewesen, nicht mehr aber für dieses. Merkwürdig: Es braut sich ein Gewitter zusammen, und jeder weiß, dass wir zwei, drei richtig schlechte Jahre erdulden müssen, aber alle kauern nur leise da zusammen wie in einer Wetterschutzhütte auf der Angela-Alm.
Das ist flott, »Angela-Alm«, nein so etwas. Aber, lieber Wolfram Weimer, es ist vor allem ziemlich blind, und der flotte Ton sowie Ihre Neigung zur Metapher können die Dürftigkeit nicht übertünchen. Ich will aber fair sein und eine zweite Stelle zitieren, die einzige Stelle, an der so etwas wie Geist aufblitzt. Es geht um die politische Mitte:
Sie ist nicht einmal ein originäres Maß, denn die Mitte wird immer von den Rändern definiert. Wenn es am linken Rand rumort, dann wird die Mitte plötzlich linker. Sollte sich am rechten Rand etwas bewegen, wandert sie nach rechts. Die Mitte suggeriert also Stetigkeit, dabei gibt es sie nur als Variable, sie ist keine Überzeugung, sondern Funktion, keine Position, sondern Treibholz, kein Fels, nicht einmal eine Strömung. Logisch besehen: der reine Opportunismus.
War es nun so ganz und gar unmöglich für Sie, in Ihrem durchaus übersichtlichen Buch das eine Zitat mit dem anderen zu verknüpfen und Schlußfolgerungen zu ziehen? Konsequenzen zu ziehen aus dem, was man selbst zu Papier gebracht hat, ist der Beweis für die Ernsthaftigkeit der Arbeit. Das ist konservativ. Alles im Vagen zu lassen und abzuwarten, welche Seite die Gewinnerseite sein wird: Das ist im schlechten Sinne bürgerlich. Sie, Wolfram Weimer, nehmen sich selbst nicht ernst. Sie kommen in Ihrem Buch und in Ihrem Treiben als verantwortlicher Redakteur des Magazins Cicero nicht zu den Schlüssen, die Sie selbst nahelegen:
1. Die wilde Energie der zwanziger Jahre, die Stimmung des Alles-oder-Nichts kam von den Rändern, Nationalisten und Kommunisten gegeneinander und dann wieder ununterscheidbar gegen die Mitte, ein der politischen Krise angemessener politischer Kampf.
2. Sie verantworten den Cicero, und es gibt – mit Verlaub – kein anderes Heft, das so exakt aus einer aufgedunsenen Mitte kommt wie Ihres. Sie machen es nicht zu einer Plattform für Linke und Rechte, die dann im Gefecht die Mitte definieren (ich zitiere Sie ständig!).
3. Sie wissen sehr wohl, daß es neben einer intellektuellen Linken (bei der es leider stark nach Verwesung riecht) eine des Gedankens und des Wortes mächtige Rechte gibt. Es wäre für Sie aber ungemütlich, das metapolitische Gefecht in Ihrer Arena austragen zu lassen. Nur so kann ich mir Ihre Beschreibung einer geistigen Langeweile erklären, in die nun Ihr Buch hineinplatzen soll.
Aber: Es platzt da gar nichts. Im vorletzten Kapitel kommt der große Weimersche Rat, das »Was tun?« für Gelegenheitskonservative. Ich war kurz vor Berlin-Südkreuz an dieser Stelle angelangt und hielt – ich muß das sagen – selbst aus Ihrer Feder nicht für möglich, was da steht. Sie raten zur Gelassenheit. Gelassenheit? Das ist ja das Gegenteil von dem, was ein Konservativer tut, wenn er in der Krise zu wirken beginnt. Meinen Sie denn im Ernst, daß sich die Dinge von selbst einpendeln, daß es so etwas wie den ehernen Ablauf der Geschichte gibt, und der Konservative ist derjenige, der die Bibliothek seines Großvaters vor der in jeder Generation einmal anstehenden Überschwemmung rettet? Nein, so ist das nicht, das ist nicht die Aufgabe des Konservativen. Er hat gerade nicht gelassen abzuwarten, bis die Krise vorbei ist. Er hat zu handeln, denn nicht jeder hat seine Schäfchen so sehr im trockenen wie Sie. Viele werden viel verlieren, und die Gelassenheit des Landadels (den Sie in Ihrem Buch irgendwie ständig imaginieren, obwohl Sie ja dem Geldadel angehören) hat in solchen Zeiten etwas Ekliges an sich.
Aber Sie nehmen sich ja selbst nicht ernst. Wenn Sie auf Ihren eigenen Vorschlag gehört hätten, hätte Ihr Buch nicht erscheinen dürfen. Gelassenheit fände in Ihrer Situation ihren Ausdruck entweder in einem unbeirrten Weitermachen oder in der Beschäftigung mit einem die Krise geradezu konterkarierenden Thema – einer Erzählung über einen Kalkbrocken vielleicht (im Stile Adalbert Stifters) oder der Beschäftigung mit Lyrik. Hingegen Sie: Es müssen zuletzt »Die acht Grundregeln für den Konservativen« sein, aufgestellt von Ihnen selbst, der Sie sich (ganz fair gerechnet) seit etwa 10 Monaten (also seit dem wahrnehmbaren Beginn der Krise) auf dem konservativen Pfad der Gelassenheit befinden. Diese acht Grundregeln tragen alle Kennzeichen eines Konvertiten-Bekenntnisses: formuliert aus Aufgeschnapptem, ohne geistiges Hinterland, überrascht und sehr zufrieden über sich selbst vorgetragen, eine Fingerübung, eine Anfänger-Etüde. Es lohnt sich kein Zitat daraus, es ist das Manifest des Gelegenheits-Konservatismus (ich benutze dieses Wort zum zweiten Mal), der bei nächster Gelegenheit schon wieder keiner mehr ist. Nicht rechts, nicht links: immer vorn.
Gruß!
Götz Kubitschek
www.sezession.de
P.S.: Kennen Sie eigentlich den »Konservativen Katechismus« von Karlheinz Weißmann? Ich habe ihn angefügt, blättern Sie einfach um.