Donnerstag kurz vor 17 Uhr dann der Anruf: Der Mietvertrag ist gekündigt, man mache von seinem Hausrecht Gebrauch, die Veranstaltung werde in den Räumen nicht stattfinden. Man habe gegoogelt und dabei herausgefunden, daß wir umstritten seien. Nun ja, das ist Peer Steinbrück auch. Ob denn jemand angerufen und vor uns gewarnt hätte. Nein.
Gut. Oder auch: nicht gut. Denn wir sehen im Internet, daß der blick nach rechts vor Tagen eine Meldung über unsere Veranstaltung veröffentlicht hat und den Vermieter vor Imageschaden warnt, sollte er sich mit uns einlassen. Also: Neue Lage, Leute anrufen, Räume recherchieren, Netzwerke aktivieren.
Schließlich kommen die Korporierten zum Zug. Einer kennt einen, der einen kennt, der einen Veranstaltungssaal betreibt. Anruf, offene Karten, Problem erläutern (uns sind kurzfristig die Räume gekündigt worden, weil andere denken, daß wir böse sind). Der Korporierte versichert, daß uns sein Raum erhalten bleibt: Er selbst habe schon alles erlebt, wisse Bescheid und werde die Sache in jedem Fall durchziehen. Große Erleichterung unsererseits.
Am Freitag machen wir uns gegen halb zwei von Schnellroda aus auf den Weg nach Berlin, und nach einer Stunde Autobahn kommt dann der Anruf von demjenigen, der schon alles erlebt hat: Er müsse den Mietvertrag leider, leider kündigen. Er hätte Anrufe und Faxe von VerDi und fast allen Berliner Parteien bekommen, und selbst die Bezirksbürgermeisterin hätte ihn angerufen. Tenor: Mit uns schade er seinem Ruf, Veranstaltungen würden bei ihm nicht mehr gebucht. Jetzt hat er Angst. Auch ein halbstündiges Telefonat fruchtet nicht. Es wird jetzt ein bißchen ekelhaft: Schließlich hat auch die Selbsterniedrigung um der guten Sache willen ihre Grenzen.
Also alles zurück auf Start (siehe oben). Als wir in Berlin ankommen, ist ein Raum gefunden. Ein Freund hat eine Etage in einem leerstehenden Fabrikgebäude aufgetan. Improvisieren, die einzige erhaltenswerte DDR-Tugend, ist angesagt: Der Rest des Abends geht für die Organisation von Stühlen, Technik und Essen drauf, und die Teilnehmer erfahren den neuen Ort. Der Antaios-Verlagsabend in einer Charlottenburger Kneipe wird zur Nebensache.
Am nächsten Tag klappt alles wie am Schnürchen: Zahlreiche Helfer sorgen für reibungslosen Aufbau, Ablauf und Abbau, fast alle Teilnehmer hat die Nachricht vom neuen Ort erreicht, die anderen werden von den ursprünglichen Veranstaltungsorten umgeleitet. Kein Referent hat abgesagt: Menno Aden trägt über »Deutschen Patriotismus in Europa« vor, Detlef Kühn über die Wandlungen im Wiedervereinigungsstreben der BRD, Steffen Dietzsch über die »Gründe des Untergangs der DDR« und Karlheinz Weißmann über die »deutsche Frage als Frage der anderen«.
Unter dem Strich bleiben drei Schlußfolgerungen.
1. Daß das Vorgehen des Gegners bezüglich der Raumkündigungen erfolgreich ist, liegt in der Natur des Menschen, die auch in der Demokratie nicht hintergehbar ist. Beschämend ist, daß die Instrumente nur noch gezeigt werden müssen.
2. Die verdeckte Vorgehensweise des Gegners soll uns beschäftigen und von ernsthafter, konstruktiver Arbeit abhalten. Das müssen wir bedenken, wenn wir Aufwand und Nutzen solcher Berliner Hürdenläufe gegenüberstellen.
3. Vor dem Hintergrund der gutmenschlichen Selbstgefälligkeit heben sich jene Menschen umso heller ab, die nicht moralisch versackt sindund um die Lage in unserem Land wissen.