Alex Kurtagic: Mister

Abteilung Entdeckungsreisen: Wer ab und zu auf englischsprachigen rechten Onlinemagazinen wie The Occidental Quarterly, The Occidental Observer oder Takimag surft, ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… wird irgend­wann auf den Namen Alex Kur­ta­gic sto­ßen. Der 1970 gebo­re­ne Kur­ta­gic ist slo­we­nisch-spa­ni­scher Abstam­mung, und lebt zur Zeit in Groß­bri­tan­ni­en, wo er ein Label für “Extre­me Metal Music” betreibt. Alter­na­ti­ven Gen­res der popu­lä­ren Musik wie Black Metal, Neo­folk und Mar­ti­al Indus­tri­al, in denen er eine “heid­ni­sche und neo-roman­ti­sche Sen­si­bi­li­tät” fort­wir­ken sieht, spricht Kur­ta­gic eine immense meta­po­li­ti­sche Bedeu­tung zu.

Kur­ta­gic hat nun sei­nen ers­ten Roman Mis­ter ver­öf­fent­licht, den man gen­re­mä­ßig in den dunk­le­ren Abzwei­gun­gen der Sci­ence-Fic­tion ansie­deln könn­te.  Die dys­to­pi­sche Lite­ra­tur hat­te immer schon einen Drall nach Rechts, aber auch zur Sati­re:  man den­ke an Klas­si­ker wie Sam­ja­tins Wir, Huxley’s Bra­ve New World, Orwells 1984 oder Bur­gess’ A Clock­work Oran­ge, die alle­samt die Ver­skla­vung, tota­le Kon­trol­le und letzt­lich Aus­lö­schung des Indi­vi­du­ums unter dem Ban­ner von Kol­lek­ti­vis­mus, Fort­schritt und Moder­ni­sie­rung anpran­gern.  Zur nähe­ren Ver­wand­schaft von Mis­ter zählt aller­dings auch der 1973 erschie­ne­ne Roman Das Heer­la­ger der Hei­li­gen von Jean Ras­pail, der schil­der­te, wie sich ein geis­tig ent­waff­ne­tes Euro­pa kampf­los einer Flut von Immi­gran­ten ergibt.

“Die Angst des wei­ßen Man­nes” drückt sich schon in dem im Stil von Otto Dix gemal­ten, car­toon­ar­ti­gen Cover des Roma­nes aus:  in den Augen des mor­bid anmu­ten­den, gold­blon­den und hell­blau­äu­gi­gen Man­nes mit der schnee­wei­ßen, blut­lee­ren Haut fla­ckern Ner­vo­si­tät und Para­noia, wäh­rend sich hin­ter sei­nem Rücken eine merk­wür­di­ge mul­ti­kul­tu­rel­le Schar zusam­men­rot­tet, unter ihnen ein bär­ti­ger, turban­tra­gen­der Inder, eine in eine Bur­ka gehüll­te Frau, ein Schwar­zer und ein Ganz­kör­per­tä­to­wier­ter unkla­rer Her­kunft, aber auch ein Mann, der Barack Oba­ma, und ein ande­rer, der David Irving gleicht.

Das Bleich­ge­sicht, dem das Unheil auf die Stirn geschrie­ben steht, ist der namen­lo­se “Mis­ter” des Titels,  der im Madrid des Jah­res 2022 aus der Bahn sei­ner bis­he­ri­gen Ange­paßt­heit gewor­fen wird.  In einem von Ein­wan­de­rern über­schwemm­ten und durch orwell­sche  Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ge­set­ze regle­men­tier­ten Euro­pa gerät der gut­si­tu­ier­te, unpo­li­ti­sche Soft­ware­fach­mann in die Müh­len der Poli­ti­cal Cor­rect­ness, die inzwi­schen in sta­li­nis­ti­schen Dimen­sio­nen orga­ni­siert ist. Durch eine Ver­ket­tung von Umstän­den wird er ver­däch­tigt, mit den oni­mö­sen “Eso­te­ri­schen Hit­le­ris­ten” in Ver­bin­dung zu ste­hen, einer Art “ari­schen Al-Kai­da”, deren Mes­si­as Adolf heißt und die an gehei­me UFO-Sta­tio­nen in der Ant­ark­tis glaubt.  Dabei bleibt offen, ob es die­se Ter­ror­grup­pe tat­säch­lich gibt, oder ob sie nur ein Schreck­ge­spenst der Medi­en ist, ähn­lich Orwells “Imma­nu­el Goldstein”.

Der­lei Ingre­di­en­zen sind aller­dings nur das fan­tas­ti­sche Sah­ne­häub­chen eines Buches, des­sen Stär­ke die prä­zi­se und beklem­men­de Beschrei­bung einer Zivi­li­sa­ti­on kurz vor dem Kol­laps ist. Kur­ta­gic schreibt wie ein Maler, der sei­ne brei­te Lein­wand solan­ge akri­bisch mit zahl­lo­sen tri­via­len, grau­si­gen und ekel­er­re­gen­den Details füllt, bis die klaus­tro­pho­bi­sche Über­fül­le den Betrach­ter zum Schwin­deln und Ersti­cken bringt.  Sein Stil ufert zuwei­len bewußt in eine baro­cke Stak­ka­to-Pro­sa aus, gespickt mit sel­te­nen Adjek­ti­ven, obsku­ren Fremd­wör­tern und wis­sen­schaft­li­chen Fach­aus­drü­cken, die imstan­de sind, noch den sprach­kun­digs­ten Leser in den Wahn­sinn zu trei­ben.  Bald über­trägt sich der céline’sche Ekel und Abscheu des Autors vor dem Cha­os, der Mas­se und den All­zu-Vie­len auch auf ihn.

Bereits zu Beginn gerät das Ein­che­cken in ein Flug­zeug zu einem nicht enden wol­len­den Alp­traum aus Pan­nen, Ver­zö­ge­run­gen, büro­kra­ti­schen Absur­di­tä­ten und mensch­li­cher Inkom­pe­tenz. Ange­kom­men im mul­ti­kul­tu­rel­len Madrid, einem wah­ren Baby­lon an Spra­chen, Ras­sen, Eth­ni­en, Lebens­sti­len, in dem Gewalt, Betrug und Ver­bre­chen omin­prä­sent sind, wer­den jede Taxi­fahrt und jeder Gang auf der Stra­ße zum Spieß­ru­ten­lau­fen. Tele­fo­ne funk­tio­nie­ren eben­so­we­nig wie die Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung, die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den “Diver­sen” ist zum Ding der Unmög­lich­keit gewor­den, wäh­rend die sozia­len Umgangs­for­men kaum mehr vor­han­den sind. Um das Gefühl der Ver­lo­ren­heit in einem frem­den Land noch zu unter­strei­chen, beläßt Kur­ta­gic die spa­ni­schen Dia­lo­ge “unsyn­chro­ni­siert” und ver­sieht sie mit “Unter­ti­teln”, die man in den Fuß­no­ten nach­le­sen muß.

Die “Viel­falt”, die sich die mul­ti­kul­tu­rel­len Ein­falts­pin­sel als eine gro­ße Regen­bo­gen­par­ty vor­stel­len, ist in Mis­ter zum wild­wu­chern­den sozi­al­dar­wi­nis­ti­schen Dschun­gel mutiert, in dem jeder des ande­ren Wolf ist. Dem gegen­über steht eine immer rigi­de­re Ratio­na­li­sie­rung und Regle­men­tie­rung von oben. Die bro­deln­de “diver­si­ty” wird nur mehr durch kaf­ka­es­ke, dick­lei­bi­ge Kon­vo­lu­te von Ver­ord­nun­gen zusam­men­ge­hal­ten, die sich vor­nehm­lich aus radi­ka­li­sier­ter PC, gedan­ken­po­li­zei­li­chen Maß­nah­men und mul­ti­plen Besteue­run­gen spei­sen.  Eine typi­sche deskrip­ti­ve Pas­sa­ge aus Mis­ter liest sich etwa so:

Archi­tek­ten mit abge­ho­be­nen sozia­lis­ti­schen Ideen hat­ten über Jahr­zehn­te hin­weg die Land­schaft zube­to­niert, die Öko­sys­te­me aus­ge­löscht, sel­te­ne Tier- und Pflan­zen­ar­ten aus­ge­rot­tet, Orni­tho­lo­gen arbeits­los gemacht, und die Luft mit Koh­len­was­ser­stoff, Koh­len­mon­oxid, Stick­oxi­den, Die­sel­ruß und Aero­so­len wie Sul­fa­ten, Sili­ka­ten, Asche­par­ti­keln und Metall­ab­rieb ver­pes­tet. Rie­si­ge Wohn­blocks und dicht­ge­pack­te Wol­ken­krat­zer-Kom­ple­xe waren im Namen eines sozia­lis­ti­schen Uto­pia errich­tet wor­den, in dem die Men­schen inner­halb einer mono­li­thi­schen und omni­prä­sen­ten Logik von Äqui­va­lenz und Wie­der­ho­lung exis­tier­ten, als gleich-wer­ti­ge und aus­tausch­ba­re Tei­le der sozia­len Maschi­ne, ohne Anse­hen der Ras­se, des Geschlechts, der Grö­ße, des Glau­bens oder der sexu­el­len Aus­rich­tung. Aber die Uto­pie war geschei­tert. Ein­ge­zwängt in die moder­nis­ti­schen Schup­pen, hat­te ein schnell­wach­sen­des Lum­pen­pro­le­ta­ri­at aus arbeits­un­fä­hi­gem Aus­schuß, vul­gä­ren Schnor­rern, ver­stör­ten Ein­zel­gän­gern, täto­wier­ten Spin­nern, betrun­ke­nen Frau­en­schlä­gern, selbst­ver­stüm­mel­ten Körper-“Künstlern”, defek­ten Schwäch­lin­gen, sedier­ten Dro­gen­süch­ti­gen, ille­gal ein­ge­wan­der­ten Schwarz­ar­bei­tern, affen­ar­ti­gen Pro­sti­tu­ier­ten, kleb­stoff­schnüf­feln­den Schul­schwän­zern, reli­giö­sen Fana­ti­kern und poli­ti­schen Despe­ra­dos  Lebens­be­din­gun­gen ver­ur­sacht, die die dut­zen­den, inein­an­der ver­ket­te­ten Gebäu­de in modern­de Kloa­ken aus gewalt­tä­ti­gem Ver­bre­chen und  mensch­li­cher Dege­ne­ra­ti­on ver­wan­delt hatten.

Gene­rel­len Abrech­nun­gen wie die­ser fol­gen zum Teil gro­tesk-komi­sche Sze­nen, in denen der “Mis­ter” mit den Seg­nun­gen der “diver­si­ty” per­sön­lich in Kon­flikt gerät. Das beun­ru­hi­gen­de und gewalt­tä­ti­ge Bild, das der Autor von einem “mul­ti­kul­tu­ra­li­sier­ten” und “bra­si­lia­ni­sier­ten” Euro­pa der nahen Zukunft zeich­net, ist zum Groß­teil aus eige­ner Anschau­ung gewon­nen.  Auf­grund des Berufs sei­ner Eltern hat Kur­ta­gic gro­ße Tei­le sei­ner Kind­heit und Jugend in Latein­ame­ri­ka ver­bracht; sei­ne dort gemach­ten Erfah­run­gen lie­fer­ten den Roh­stoff sei­nes Romans.

Allein die alp­traum­haf­te, akri­bi­sche Inten­si­tät, mit der Kur­ta­gic die Fra­gi­li­tät unse­res west­li­chen Lebens­stan­dards und die Fol­gen sei­ner Unter­höh­lung durch den Libe­ra­lis­mus zeigt, macht Mis­ter zu einem außer­ge­wöhn­li­chen Lese­er­leb­nis. Wie Jean Ras­pail in Heer­la­ger der Hei­li­gen, läßt es sich Kur­ta­gic jedoch nicht neh­men, die Tra­gö­die in ein schwar­zes Satyr­spiel zu ver­wan­deln und sei­nen Roman mit einem gehö­ri­gen Schuß sar­do­ni­schen Humors zu ver­se­hen. Ange­sichts der jetzt schon absur­den Exzes­se der PC, die die Welt von Mis­ter gar nicht so fern erschei­nen las­sen, gilt wohl das Dif­fi­ci­le est sati­ram non  scri­be­re.

Etwas irri­tie­rend mögen auf Unvor­be­rei­te­te die häu­fi­gen, etwas “inzes­tuö­sen” Insi­der-Anspie­lun­gen des Buches wir­ken.  Neben Pro­mis wie dem schon erwähn­ten David Irving und einem Barack-Oba­ma-Dop­pel­gän­ger läßt Kur­ta­gic via Cameo oder name drop­ping vie­le sei­ner geis­ti­gen Inspi­ra­to­ren und Freun­de auf­tre­ten:  etwa den Evo­lu­ti­ons­psy­cho­lo­gen Kevin Mac­Do­nald, den kroa­tisch-ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­ler Tom Sunic und den “Natio­nal-Anar­chis­ten” und Kopf der Neo­folk-Grup­pe H.E.R.R. Troy South­ga­te, die sich auf dem Buch­rü­cken auch alle­samt mit aner­ken­nen­den bis begeis­ter­ten State­ments zitie­ren lassen.

Gewollt skur­ril ist der Name des Ver­la­ges, der auf eine fin­ni­sche Sci­ence-Fic­tion-Par­odie anspielt: Iron Sky Publi­shing schmückt sich mit einer “Reichs­flug­schei­be” und cha­rak­te­ri­siert sein Ver­lags­pro­gramm fol­gen­der­ma­ßen: “Alter­na­ti­ve histo­ry, dys­to­pian, apo­ca­lyp­tic, and post- apo­ca­lyp­tic fic­tion and sci­ence fic­tion, approa­ched from an anti-Modern, anti-libe­ral per­spec­ti­ve, and with an empha­sis on Euro­pean cul­tu­re and iden­ti­ty.”  Man soll­te sich von etwas kin­di­schen Mar­ke­ting-Gags die­ser Art aber nicht täu­schen las­sen: Mis­ter ist eine glei­cher­ma­ßen beklem­men­de wie unter­halt­sa­me und anre­gen­de Lek­tü­re – vor­erst lei­der nur im Ori­gi­nal greif­bar und nur Lesern zu emp­feh­len, die die Spra­che wirk­lich sehr gut beherrschen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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