Soviel ist den Ausführungen Husemanns immerhin zu entnehmen, daß er homo sapiens und dessen nähere Verwandte nicht für prinzipiell kriegslüstern hält. Vielmehr spricht seiner Meinung nach einiges dafür, daß erst der technische, vor allem der waffentechnische Fortschritt zur Entstehung des Krieges führte. Diese wohlwollende Interpretation führt beispielsweise zu der Annahme, daß das Verschwinden der Neandertaler ehr auf deren „konservativen“ Lebensstil als auf einen frühen Genozid durch den Jetztmenschen zurückzuführen sei. Solchen Befunden stellt Husemann allerdings Ausführungen gegenüber, in denen er auf Schädelkult und rituellen Kannibalismus der Steinzeit abhebt, die zumindest als starker Hinweis auf die Aggressivität des frühen Menschen gelten können; auch die Art, wie die möglichen Ursachen von „Ötzis“ Tod zu deuten sind, sprechen eher gegen eine friedfertige Vor-Geschichte. Zuzustimmen ist dem Autor sicher im Hinblick auf die These, daß die Entstehung eines Kriegeradels in der Bronzezeit, die Organisation eines Staates im Vollsinn auf mesopotamischem Boden sowie die militärischen Neuerungen seit dem 2. vorchristlichen Jahrtausend – vor allem die Erfindung des Streitwagens – dem Konzept „Krieg“ zur Durchsetzung verhalfen. Wie und warum das genau geschah, läßt sich der Arbeit Husemanns allerdings kaum entnehmen, deren Schwerpunktbildung nirgends erläutert wird und die vergeblich versucht, einen Bogen über die frühe Eisenzeit bis zur Epoche des römischen Imperiums zu spannen, ohne dabei den inneren Zusammenhang des Ganzen gewährleisten zu können. Im Grunde werden hier nicht einmal die anspruchsvolleren Theorien eines Martin van Creveld oder John Keegan für eine Breitere Leserschaft übersetzt.
Auf solche Übersetzung darf man auch in dem von Burkhard Meißner, Oliver Schmitt und Michael Sommer herausgegebenen Sammelband (Krieg – Gesellschaft – Institutionen. Beiträge zu einer vergleichenden Kriegsgeschichte, Berlin: Akademie 2005, 448 S., geb, Abb., 69.80 €) mit Beiträgen zur vergleichenden Kriegsgeschichte nicht hoffen. Hier liegt der Sachverhalt aber anders, denn es handelt sich um das Ergebnis einer wissenschaftlichen Tagung, was weiter erklärt, warum zwei Aufsätze in französischer, zwei weitere in englischer Sprache aufgenommen wurden. Den Schwerpunkt bilden Ausführungen zu Kriegsgeschichte der Antike, wobei der Blick über Griechenland und Rom auf das assyrische, das ägyptische und das persische Großreich geweitet wird.
Der assyrische, genauer: neuassyrische, Fall ist sofern aufschlußreich, als man es hier mit einem frühen „Militärstaat“ zu tun hat, das heißt mit einer politischen Ordnung, die ganz wesentlich dem Zweck der Kriegführung diente, die sich mit Hilfe der im Krieg erwirtschafteten Beute entfaltete und regenerierte und über eine ideologische Konzeption verfügte, die dieses Vorgehen rechtfertigte. Den Ergebnissen des Aufsatzes von Andreas Fuchs über das neuassyrische Imperium kann man die des Beitrags von Marcus Fuchs gegenüberstellen, der im Hinblick auf Ägypten nachweist, daß dessen Gesellschaft erst in der Krise des Alten Reiches einer zunehmenden Militarisierung ausgesetzt war, die vor allem die äußere Bedrohung erzwang. Am Einfluß des kriegerischen Elements auf das größere soziale Ganze war auch in der Folgezeit nichts mehr zu ändern, insbesondere für die Beamtenkarriere wurde der Militärdienst zur Voraussetzung oder die administrative Funktion direkt mit einer militärischen verknüpft. Derartige Verschränkungen sind sonst vor allem aus dem antiken Rom bekannt, das in dem vorliegenden Sammelband – wahrscheinlich wegen des Bekanntheitsgrades – nicht detailliert gewürdigt wird. Dagegen spielt die Entwicklung im griechischen Altertum von der archaischen über die homerische bis zur hellenistischen Zeit eine wichtige Rolle. Der Beitrag von Nikos Birgalias über Krieg und Identität in Sparta sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben, weil er die neueren Erkenntnisse zusammenfaßt, denen zu Folge Sparta keineswegs von allem Anfang an ein Militärstaat war, sondern dazu erst im Gefolge zahlreicher Erschütterungen seines sozialen Gefüges wurde. Das zentrale Problem der – wie Birgalias sie nennt – „Oliganthrophie“, also des Bevölkerungsmangels der Herrenschicht, konnte damit auf Dauer allerdings nicht gelöst werden und führte dazu, daß Sparta trotz seiner großen außenpolitischen Erfolge schließlich zu Bedeutungslosigkeit herabsank.
Damit soll der Blick auf ein eher unbekanntes Randgebiet der Militärgeschichte des Altertums gelenkt werden. In einem bemerkenswerten Aufsatz von Stefan R. Hauser geht es um Politik und Kriegführung des Partherreichs. Dessen Bedeutung wird in Europa nach wie vor unterschätzt, nicht zuletzt weil die klägliche Quellenlage immer wieder zu der Annahme geführt hat, daß die im Nordiran angesiedelten Parther bestimmte Sozialstrukturen aus ihrer nomadischen Vergangenheit niemals überwinden konnten und deshalb ein ausgesprochen kriegstüchtiger, aber aufsässiger Adel dem „König der Könige“ gegenüberstand und mehr als einmal seinen Willen aufzwang. An diesem Bild äußert Hauser systematisch Zweifel, die nicht zuletzt dadurch gut begründet erscheinen, daß das Partherreich über einen so langen Zeitraum ein Machtfaktor von außerordentlicher Bedeutung im Vorderen Orient war und sogar den Römern gefährlich werden konnte.
Mit diesen Hinweisen ist die Fülle der Beiträge des Sammelbandes selbstverständlich nicht ausreichend gewürdigt. Es finden sich noch mehr als ein Dutzend weitere Aufsätze, die sich mit allen möglichen Aspekten des antiken Kriegswesens, aber auch mit der eschatologischen Friedenskonzeption im Alten Testament befassen. Daß damit der Horizont bei weitem nicht abgeschritten sein kann, ist auch den Herausgebern bewußt. In ihrer Einleitung weisen sie schon auf das Fehlen neuerer Synthesen zur Kriegsgeschichte nach dem Vorbild von Hans Delbrücks monumentalem Werk zur Geschichte der Kriegskunst hin. Es bleibt bei dieser Bemerkung, obwohl die große Zahl aktualisierender Bezüge in den einzelnen Aufsätzen besonders deutlich werden läßt, wie groß die Lücke ist, die hier klafft. Die Veränderung des politischen Geschehens in der Gegenwart und die Rückkehr des Krieges als Mittel der Politik läßt den Wunsch nach einer umfassenden Gesamtsicht wachsen, die das einzelne zu integrieren vermag und gleichzeitig die Grundlagen für eine Polemologie liefert, die auch Kriterien für die Beurteilung des Krieges in seiner neuen Gestalt an die Hand gibt.