Der Ursprung des Krieges

pdf der Druckfassung aus Sezession 14 / Juli 2006

von Karlheinz Weißmann

Wenn von „Erfindung“ die Rede ist, wird offenbar vorausgesetzt, daß etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht vorhanden war, dann entdeckt wurde und fortan existierte. Im Hinblick auf den Krieg von „Erfindung“ zu reden, bedeutet also, daß jemand meint, unsere Spezies habe die organisierte Gewaltanwendung nicht von Anfang an gekannt, sondern erst im Laufe der historischen Entwicklung gelernt, sich dieses Mittels zu bedienen. Ob das tatsächlich der Fall ist, wird in dem Band des Wissenschaftsjournalisten Dirk Husemann (Dirk Husemann: Als der Mensch den Krieg erfand. Eine Spurensuche, Sigmaringen: Thorbecke 2005, 176 S., geb, Abb., 22.90 €) leider nicht geklärt. Es hängt das mit einem Mangel an Systematik in dem vorliegenden Buch zusammen, der sich auch an anderen Stellen zeigt und den man wohl darauf zurückführen muß, daß es sich ursprünglich um getrennt publizierte Aufsätze handelte, die erst hier zusammengefaßt wurden.

Soviel ist den Aus­füh­run­gen Huse­manns immer­hin zu ent­neh­men, daß er homo sapi­ens und des­sen nähe­re Ver­wand­te nicht für prin­zi­pi­ell kriegs­lüs­tern hält. Viel­mehr spricht sei­ner Mei­nung nach eini­ges dafür, daß erst der tech­ni­sche, vor allem der waf­fen­tech­ni­sche Fort­schritt zur Ent­ste­hung des Krie­ges führ­te. Die­se wohl­wol­len­de Inter­pre­ta­ti­on führt bei­spiels­wei­se zu der Annah­me, daß das Ver­schwin­den der Nean­der­ta­ler ehr auf deren „kon­ser­va­ti­ven“ Lebens­stil als auf einen frü­hen Geno­zid durch den Jetzt­men­schen zurück­zu­füh­ren sei. Sol­chen Befun­den stellt Huse­mann aller­dings Aus­füh­run­gen gegen­über, in denen er auf Schä­del­kult und ritu­el­len Kan­ni­ba­lis­mus der Stein­zeit abhebt, die zumin­dest als star­ker Hin­weis auf die Aggres­si­vi­tät des frü­hen Men­schen gel­ten kön­nen; auch die Art, wie die mög­li­chen Ursa­chen von „Ötzis“ Tod zu deu­ten sind, spre­chen eher gegen eine fried­fer­ti­ge Vor-Geschich­te. Zuzu­stim­men ist dem Autor sicher im Hin­blick auf die The­se, daß die Ent­ste­hung eines Krie­ge­ra­dels in der Bron­ze­zeit, die Orga­ni­sa­ti­on eines Staa­tes im Voll­sinn auf meso­po­ta­mi­schem Boden sowie die mili­tä­ri­schen Neue­run­gen seit dem 2. vor­christ­li­chen Jahr­tau­send – vor allem die Erfin­dung des Streit­wa­gens – dem Kon­zept „Krieg“ zur Durch­set­zung ver­hal­fen. Wie und war­um das genau geschah, läßt sich der Arbeit Huse­manns aller­dings kaum ent­neh­men, deren Schwer­punkt­bil­dung nir­gends erläu­tert wird und die ver­geb­lich ver­sucht, einen Bogen über die frü­he Eisen­zeit bis zur Epo­che des römi­schen Impe­ri­ums zu span­nen, ohne dabei den inne­ren Zusam­men­hang des Gan­zen gewähr­leis­ten zu kön­nen. Im Grun­de wer­den hier nicht ein­mal die anspruchs­vol­le­ren Theo­rien eines Mar­tin van Cre­veld oder John Kee­gan für eine Brei­te­re Leser­schaft übersetzt.
Auf sol­che Über­set­zung darf man auch in dem von Burk­hard Meiß­ner, Oli­ver Schmitt und Micha­el Som­mer her­aus­ge­ge­be­nen Sam­mel­band (Krieg – Gesell­schaft – Insti­tu­tio­nen. Bei­trä­ge zu einer ver­glei­chen­den Kriegs­ge­schich­te, Ber­lin: Aka­de­mie 2005, 448 S., geb, Abb., 69.80 €) mit Bei­trä­gen zur ver­glei­chen­den Kriegs­ge­schich­te nicht hof­fen. Hier liegt der Sach­ver­halt aber anders, denn es han­delt sich um das Ergeb­nis einer wis­sen­schaft­li­chen Tagung, was wei­ter erklärt, war­um zwei Auf­sät­ze in fran­zö­si­scher, zwei wei­te­re in eng­li­scher Spra­che auf­ge­nom­men wur­den. Den Schwer­punkt bil­den Aus­füh­run­gen zu Kriegs­ge­schich­te der Anti­ke, wobei der Blick über Grie­chen­land und Rom auf das assy­ri­sche, das ägyp­ti­sche und das per­si­sche Groß­reich gewei­tet wird.

Der assy­ri­sche, genau­er: neu­as­sy­ri­sche, Fall ist sofern auf­schluß­reich, als man es hier mit einem frü­hen „Mili­tär­staat“ zu tun hat, das heißt mit einer poli­ti­schen Ord­nung, die ganz wesent­lich dem Zweck der Krieg­füh­rung dien­te, die sich mit Hil­fe der im Krieg erwirt­schaf­te­ten Beu­te ent­fal­te­te und rege­ne­rier­te und über eine ideo­lo­gi­sche Kon­zep­ti­on ver­füg­te, die die­ses Vor­ge­hen recht­fer­tig­te. Den Ergeb­nis­sen des Auf­sat­zes von Andre­as Fuchs über das neu­as­sy­ri­sche Impe­ri­um kann man die des Bei­trags von Mar­cus Fuchs gegen­über­stel­len, der im Hin­blick auf Ägyp­ten nach­weist, daß des­sen Gesell­schaft erst in der Kri­se des Alten Rei­ches einer zuneh­men­den Mili­ta­ri­sie­rung aus­ge­setzt war, die vor allem die äuße­re Bedro­hung erzwang. Am Ein­fluß des krie­ge­ri­schen Ele­ments auf das grö­ße­re sozia­le Gan­ze war auch in der Fol­ge­zeit nichts mehr zu ändern, ins­be­son­de­re für die Beam­ten­kar­rie­re wur­de der Mili­tär­dienst zur Vor­aus­set­zung oder die admi­nis­tra­ti­ve Funk­ti­on direkt mit einer mili­tä­ri­schen ver­knüpft. Der­ar­ti­ge Ver­schrän­kun­gen sind sonst vor allem aus dem anti­ken Rom bekannt, das in dem vor­lie­gen­den Sam­mel­band – wahr­schein­lich wegen des Bekannt­heits­gra­des – nicht detail­liert gewür­digt wird. Dage­gen spielt die Ent­wick­lung im grie­chi­schen Alter­tum von der archai­schen über die home­ri­sche bis zur hel­le­nis­ti­schen Zeit eine wich­ti­ge Rol­le. Der Bei­trag von Nikos Bir­ga­li­as über Krieg und Iden­ti­tät in Spar­ta sei an die­ser Stel­le beson­ders her­vor­ge­ho­ben, weil er die neue­ren Erkennt­nis­se zusam­men­faßt, denen zu Fol­ge Spar­ta kei­nes­wegs von allem Anfang an ein Mili­tär­staat war, son­dern dazu erst im Gefol­ge zahl­rei­cher Erschüt­te­run­gen sei­nes sozia­len Gefü­ges wur­de. Das zen­tra­le Pro­blem der – wie Bir­ga­li­as sie nennt – „Oli­g­an­thro­phie“, also des Bevöl­ke­rungs­man­gels der Her­ren­schicht, konn­te damit auf Dau­er aller­dings nicht gelöst wer­den und führ­te dazu, daß Spar­ta trotz sei­ner gro­ßen außen­po­li­ti­schen Erfol­ge schließ­lich zu Bedeu­tungs­lo­sig­keit herabsank.
Damit soll der Blick auf ein eher unbe­kann­tes Rand­ge­biet der Mili­tär­ge­schich­te des Alter­tums gelenkt wer­den. In einem bemer­kens­wer­ten Auf­satz von Ste­fan R. Hau­ser geht es um Poli­tik und Krieg­füh­rung des Par­ther­reichs. Des­sen Bedeu­tung wird in Euro­pa nach wie vor unter­schätzt, nicht zuletzt weil die kläg­li­che Quel­len­la­ge immer wie­der zu der Annah­me geführt hat, daß die im Nord­iran ange­sie­del­ten Par­ther bestimm­te Sozi­al­struk­tu­ren aus ihrer noma­di­schen Ver­gan­gen­heit nie­mals über­win­den konn­ten und des­halb ein aus­ge­spro­chen kriegs­tüch­ti­ger, aber auf­säs­si­ger Adel dem „König der Köni­ge“ gegen­über­stand und mehr als ein­mal sei­nen Wil­len auf­zwang. An die­sem Bild äußert Hau­ser sys­te­ma­tisch Zwei­fel, die nicht zuletzt dadurch gut begrün­det erschei­nen, daß das Par­ther­reich über einen so lan­gen Zeit­raum ein Macht­fak­tor von außer­or­dent­li­cher Bedeu­tung im Vor­de­ren Ori­ent war und sogar den Römern gefähr­lich wer­den konnte.
Mit die­sen Hin­wei­sen ist die Fül­le der Bei­trä­ge des Sam­mel­ban­des selbst­ver­ständ­lich nicht aus­rei­chend gewür­digt. Es fin­den sich noch mehr als ein Dut­zend wei­te­re Auf­sät­ze, die sich mit allen mög­li­chen Aspek­ten des anti­ken Kriegs­we­sens, aber auch mit der escha­to­lo­gi­schen Frie­dens­kon­zep­ti­on im Alten Tes­ta­ment befas­sen. Daß damit der Hori­zont bei wei­tem nicht abge­schrit­ten sein kann, ist auch den Her­aus­ge­bern bewußt. In ihrer Ein­lei­tung wei­sen sie schon auf das Feh­len neue­rer Syn­the­sen zur Kriegs­ge­schich­te nach dem Vor­bild von Hans Del­brücks monu­men­ta­lem Werk zur Geschich­te der Kriegs­kunst hin. Es bleibt bei die­ser Bemer­kung, obwohl die gro­ße Zahl aktua­li­sie­ren­der Bezü­ge in den ein­zel­nen Auf­sät­zen beson­ders deut­lich wer­den läßt, wie groß die Lücke ist, die hier klafft. Die Ver­än­de­rung des poli­ti­schen Gesche­hens in der Gegen­wart und die Rück­kehr des Krie­ges als Mit­tel der Poli­tik läßt den Wunsch nach einer umfas­sen­den Gesamt­sicht wach­sen, die das ein­zel­ne zu inte­grie­ren ver­mag und gleich­zei­tig die Grund­la­gen für eine Pole­mo­lo­gie lie­fert, die auch Kri­te­ri­en für die Beur­tei­lung des Krie­ges in sei­ner neu­en Gestalt an die Hand gibt.

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