Maßlosigkeit und Rechtfertigung sind Themen, die Paul Bermans neuestem Buch Idealisten an der Macht. Die Passion des Joschka Fischer (München: Siedler 2006, 283 S., geb, 19.95 €) eigentlich Beachtung finden müßten. Leider ist Berman kein Denker, sondern einer, der gerne Geschichten erzählt. Und wie viele Amerikaner erzählt er uns eine möglichst einfache Geschichte, die ihre Plausibilität im eigenen Erlebnis ausreichen begründet sieht. Die Geschichte geht so: Es war einmal ein böses Ungeheuer, genannt US-amerikanischer Imperialismus, gegen das eine ganze Generation von ideologisch traumatisierten Jugendlichen, weil Papa Nazi oder Nazi-Opfer war, aufbegehrte. Nachdem das Ungeheuer handzahm gemacht war und die Rebellen, genannt die „Neuen Linken“, mit ihm, zur Freude aller, zusammen regierten, schossen auf einmal lauter kleine Ungeheuer aus dem Dunkel der Zeit, eine Horde von Faschisten, die sich auf die Fahnen geschrieben hatten, die holde Einmütigkeit zwischen Macht und Vernunft zu zerstören. Auf einmal war wieder klar, daß das Böse doch nicht tot war und man die Welt von einigen Finsterlingen zu befreien habe. Die Demokratisierung konnte weitergehen. So in etwa liest sich Bermans pathetisches Resümee einer Generation. Eigentlich will Berman wohl darauf hinaus, daß Idealisten, wenn sie an der Macht sind, auch die Realität wahrnehmen. Das ist einerseits natürlich richtig, wenn es um die eigene Realität, das heißt die nächste Wahl geht. Mit Realpolitik hat das allerdings nichts zu tun, im Gegenteil: Bermans Buch ist eine einzige Rechtfertigung von Moralpolitik, die das Motto „Nie wieder Auschwitz“ immer dann auspackt, wenn keine anderen Gründe angegeben werden können.
Bermann hat den Vorteil, daß er Amerikaner ist und somit auch als Linker ziemlich genau weiß, daß Moralpolitik den eigenen Vorteil nicht aus den Augen verlieren sollte. Norbert Axel Richter verfügt über diese angeborene Gnade nicht. Und so ist sein Buch Grenzen der Ordnung. Bausteine einer Philosophie des politischen Handelns nach Plessner und Foucault (Frankfurt a. M. und New York: Campus 2005, 251 S., kt, 29.90 €) vom Wunschdenken bestimmt. Er entwickelt darin, jedenfalls der eigenen Auffassung nach, ein Konzept des „erfindungsreichen politischen Konflikthandelns“, das irgendetwas mit Ironie zu tun haben soll. Richter will darauf hinaus, daß bei festgefahrenen Konflikten, die nicht lösbar scheinen, sich in beiden Lagern Gruppen (Vertreter der Zivilgesellschaften) versammeln, die unter dem Konflikt leiden. Diese setzen sich dann hin und handeln alles aus: Schöne Idee eines Menschen, der offensichtlich noch nie einen Entscheidungsprozeß, der über Banalitäten hinausgeht, beobachtet hat. Selbst wenn man akzeptiert, daß es in jeder Konfliktpartei verhandlungsbereite Personen gibt, so existieren aber auch immer welche, die ihnen deswegen nach dem Leben trachten. Es ist vielleicht nicht schön, gehört aber zum Menschen, daß er „das eigene Dasein fraglos für das bessere hält“ (Karl Jaspers). Darüber kann man reden, wenn es keinem wehtut. Sobald sich aber die Frage „Freiheit oder Sklaverei?“ stellt, wird der „Wille zur Macht“ doch obsiegen, falls die „Verhausschweinung“ es nicht schon getan hat. Dem Autor muß man zugute halten, daß er es gewagt hat, sein Modell an einem konkreten Fall zu erläutern.
Diesen Weg der konkreten Anwendung philosophischer Überlegungen geht ein anderes Buch nicht. Byung-Chul Han fragt Was ist Macht? (Stuttgart: Reclam 2005, 148 S., kt., 4.60 €) und versucht, systematisch zu antworten. Schön untergliedert wird eine solide Auslegung von verschiedenen Philosophen zu systematischen Einzelaspekten der Macht geboten. Seine Antwort auf die Frage nach der Samantik der Macht lautet abschließend: „Eine absolute Macht wäre die, die nie in Erscheinung träte, die nie auf sich hinwiese, die vielmehr mit der Selbstverständlichkeit ganz verschmölze.“ Damit Macht nicht absolut wird, heißt es an anderer Stelle weniger systematisch, müsse ein Ort der Macht existieren, der über den Nationalstaat hinausgeht. Absolute Macht setze im Gegensatz zur „nackten Gewalt“ eine kommunikative Vermittlung voraus, die schwerlich zu haben ist, wenn die Macht nie in Erscheinung tritt. Politik, so heißt es weiter, sei „eine Praxis der Macht und Entscheidung“. Hintergrund ist dabei, daß Macht strategisches Handeln zur Maximierung der eigenen Freiheit sei, Politik aber vor allem in einen Kommunikationsprozeß bestehe, der auf einen Kompromiß hinauslaufe, einer Entscheidung, die man einem Schiedsrichter überläßt.
Auch dieses Buch ist also von einem Idealismus bestimmt, der durch nichts gedeckt wird. Das hier vorausgesetzte Verständnis von Entscheidung ist bereits eine Schwundstufe, die dem aufgeklärten Westeuropäer gut zu Gesichts steht, aber nicht einmal von seinen nordamerikanischen Brüdern und Schwestern geteilt wird. (Uns allen klingen noch die Worte vom „alten Europa“ im Ohr, die Donald Rumsfeld aus einer mitleidigen Verachtung heraus gebrauchte.) Entscheidung war einmal ein Vorgang, der „die zur Selbsterhaltung nötige Orientierungsfähigkeit“ (Panajotis Kondylis) garantieren sollte. Han sieht richtig, daß die Macht einen Ort haben muß, um nicht in Gewalt umzuschlagen. Doch die zwingende Begrenzung der Macht der einzelnen Staaten durch einen positiven transnationalen Machtort ist nicht einsichtig. Beispiele zeigen, daß gerade der Ort der Macht Verantwortung ermöglicht, die auf Glaube oder Vernunft, einem absoluten ort, gegründet ist.
Daß dieser Zusammenhang vielleicht praktisch kaum noch eine Rolle spielt und dennoch nicht vergessen ist, macht der jüngst von Otfried Höffe herausgegebene Sammelband Vernunft oder Macht? Zum Verhältnis von Philosophie und Politik (Tübingen: Francke 2006, 275 S., kt, 19.90 €) deutlich. Die Entgegensetzung, die im Titel liegt, wird von den besten der Beiträger zurückgewiesen. Vernunft ist das, was den Menschen vom anderen Sein trennt, die Möglichkeit den Anderen zu sehen, seine und die eigene Bedürftigkeit und das gemeinsame Aufeinanderangewiesensein einzurechnen, aus dem Gefängnis der handgreiflichen Realität herauszuschauen, eine „negative Normativität“ (Hans-Joachim Gehrke), die um die Unvollendbarkeit der Welt weiß und dennoch nicht resigniert. Dabei handelt es sich um etwas ganz anderes als naives Gutmenschentum, das gerade nicht mit dem Anderen und seinem Machtwillen rechnet. „Nehmen wir die Reichweite, die Eindringlichkeit, die Beweglichkeit und ihre in der Kritik angelegte Fähigkeit zur Fremd- und Selbstkontrolle, dann ist die Vernunft die größte denkbare Macht des Menschen.“ (Volker Gerhardt) Diese richtige Einsicht ist zwiespältig, weil die Widervernunft häufig ebenfalls sehr mächtig ist. Vernunft ist aber keine schlappe Bedenkträgerei, sondern Einsicht in bestimmte Notwendigkeiten. Vernunft ist eine Stufe menschlicher Möglichkeiten, die, einmal erlangt, nicht mehr durch Romantik hintergangen werden kann.
In Preußen machte man sich über die Verfassung des Menschen keine Illusionen. So liebte Friedrich der Große seine Hunde mehr als den Menschen, weil sie, wie er sagte, niemals undankbar wären und ihren Freunden die Treue hielten. Ziel war das Machbare, nicht das Wünschbare: das Prinzip Wirklichkeit, getragen vom „Traum“ der Vernunft, eine Welt der Nüchternheit zu ermöglichen.