pdf der Druckfassung aus Sezession 31 / August 2009
Die lange, herzliche Abneigung des Literaturbetriebs, die dem im Oktober 2007 verstorbenen Walter Kempowski so zu schaffen machte, ist heute so gut wie vergessen. Von Kempowskis rasant gewachsener öffentlicher Reputation zeugt auch das persönlich gefärbte Buch von Gerhard Henschel (Da mal nachhaken: Näheres über Walter Kempowski. Biographie, München 2009. 238 S., 14.90 €). Der frühere Titanic- und taz-Autor hat sich vom Kempowski- Saulus zum ‑Paulus entwickelt, sein Buch ist eine Mischung aus Werkbeschreibung, Biographie und Sympathieerklärung. So gnadenlos wie bissig zählt er auf, was der deutsche Kulturjournalismus und die Germanistik jahrzehntelang an dem Schriftsteller verbrochen haben. Falsche Gemütlichkeit, Verharmlosung des Faschismus, gefährliches Lob der abgründigen Bürgerlichkeit – so lautete das Standardrepertoire der linksliberalen Kritik.
Der Konflikt zwischen Autor und Kritik, das wird in Henschels Buch schnell klar, war hauptsächlich ein politischer und ideologischer. Die professionellen Leser, im Banne des Adorno-Satzes stehend, im falschen Leben – und das hieß: im Nationalsozialismus – könne es kein richtiges geben, stellten empört fest, daß Kempowski ihre Reflexe partout nicht bedienen wollte. Denn der sah die Literatur nicht als Erziehungsmittel für ein verstocktes Publikum an, sondern war der Überzeugung, ein Schriftsteller habe, statt Anweisungen oder Lehren zu vermitteln, »Sachverhalte jeder Art zu präsentieren und den Leser für mündig genug zu halten, daß er das versteht und seine Schlüsse daraus zieht«.
Damit ist ein grundsätzliches literaturtheoretisches und ‑geschichtliches Problem berührt. Was eine ideologisierte Literaturkritik bei Kempowski vermißte, war die gängige Metasprache, die im Namen der 1945 siegreichen Weltordnung die deutsche Geschichte in – wie man heute sagt – politisch-korrekter Weise kategorisierte und bewertete. Das konnte und wollte Kempowski nicht, wie er übrigens auch das platte Gegenteil: die Verabsolutierung eigenen Leids und die Sentimentalisierung der deutschen Opferrolle, entschieden ablehnte. Für ihn kam es darauf an, die unterschiedlichen geschichtlichen Sachverhalte miteinander zu verknüpfen, ohne moralisch lehrhaft zu wirken. An dieser Aufgabe ist die deutsche Nachkriegsliteratur überwiegend gescheitert.
Das Publikum besitzt durchaus einen Instinkt für die Wahrhaftigkeit von literarischen Werken. Anders als die Bücher von Böll, Hochhuth oder Zwerenz haben Kempowskis Publikationen alle »Bücherherbst-Moden« (G. Henschel) überstanden. Sein mehrbändiges Echolot, weil es die falsche Meta-Sprache dekonstruiert, gehört zu den wichtigsten Prosawerken der deutschen Nachkriegsliteratur. Gut denkbar, daß die Werke von Kempowski ihre eigentliche Rezeptionsgeschichte erst noch vor sich haben.
Diese Aussicht entsetzt Klaus Köhler (Alles in Butter. Wie Kempowski, Schlink und Walser den Zivilisationsbruch unter den Teppich kehren, Würzburg 2009. 473 S., 48 €). Er macht deshalb den Schriftstellern Bernhard Schlink (Die Vorleserin), Martin Walser (Ein springender Brunnen) und vor allem Walter Kempowski regelrecht den Prozeß. Seine Anklage läßt sich auf die Begriffe bringen: Verharmlosung, Relativierung – überall! Der Holocaust ist für Köhler nicht nur ein »Zivilisationsbruch«, sondern ein »singulärer Zivilisationsbruch«. Den Unterschied erklärt er nicht. Er spannt zwei hochaffektive Begriffe zusammen, um eine Betroffenheitssteigerung zu erreichen und sich wichtig zu machen. Weil Kempowski, Schlink und Walser sich der »besonderen Erzählhaltung« verweigern, die der Holocaust laut Köhler erfordert, diese sogar subversiv unterlaufen, hagelt es auf jeder Seite für sie schlechte Noten: Köhlers Ton ist derjenige Schdanows und anderer Einpeitscher des »sozialistischen Realismus«, die in Polen und Ungarn schon in den 1950er, in der DDR ab den 60er Jahren absolut lächerlich waren. Man kann sich nur wundern, woran Leute, die sich für aufgeklärt halten, ihren Verstand und ihre Lebenszeit verschwenden.