Lorenz gleich Kaltenburg

pdf der Druckfassung aus Sezession 28/Februar 2009

Zusammentreffen der Ereignisse: Meine 1. Literaturliste (zum...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

deut­schen Roman des 20. Jahr­hun­derts) wird seit ges­tern flei­ßig ergänzt, und einer frag­te, ob wir nicht auch Neu­erschei­nun­gen regel­mä­ßig bespre­chen könn­ten. Tun wir bereits, und zwar in der Druck­aus­ga­be der Sezes­si­on. Und weil nun heu­te der 20. Todes­tag von Kon­rad Lorenz ist (Autoren­por­trait sie­he hier), stel­le ich im Geden­ken an den gro­ßen Ver­hal­tens­for­scher mei­ne Rezen­si­on des Romans Kal­ten­burg von Mar­cel Bey­er ein: Kal­ten­burg gleich Lorenz (mit allen Ein­schrän­kun­gen eines Ver­gleichs von his­to­ri­scher und fik­ti­ver Person):

Mar­cel Bey­er: Kal­ten­burg, Roman, Frank­furt a.M.: Suhr­kamp 2008. 393 S., 19.80 €

Wer über Ver­gan­ge­nes berich­ten möch­te, muß genau beob­ach­ten, die Beob­ach­tun­gen red­lich deu­ten und die Erkennt­nis­se in Rela­ti­on zu ande­ren Per­spek­ti­ven stel­len. Auch für den lite­ra­ri­schen Erzäh­ler mit his­to­ri­schem Anspruch soll­ten die­se drei Regeln gel­ten. Schließ­lich bean­sprucht er doch zu schrei­ben, wie es hät­te gesche­hen können.

Beob­ach­ten, deu­ten, rela­ti­vie­ren: Mit die­sem auf das Schrei­ben über­tra­ge­nen wis­sen­schaft­li­chen Kodex ist die lite­ra­ri­sche Ver­fah­rens­wei­se Mar­cel Bey­ers mar­kiert. Sein Roman über den berühm­ten Orni­tho­lo­gen Lud­wig Kal­ten­burg kommt ohne das Kli­schee aus. Er bedient die Erwar­tungs­hal­tung sei­ner Leser nach kla­ren Ras­tern nicht und darf als Gegen­stück zu jener sen­sa­ti­ons­hei­schen­den Beschäf­ti­gung mit der Ver­gan­gen­heit gel­ten, die der jun­ge Fran­zo­se Jona­than Lit­tell im ver­gan­ge­nen Jahr zu sei­nem Erfolgs­re­zept mach­te – wie so vie­le vor ihm. An sol­cher­lei pfle­gen sich Feuil­le­to­nis­ten abzuarbeiten.
An Kal­ten­burg kann man sich nicht abar­bei­ten. Die Geschich­te beginnt im Warthe­gau und endet in Dres­den. Dazwi­schen wird ein For­scher­le­ben nach­ge­zeich­net. Der gebür­ti­ge Wie­ner Kal­ten­burg tritt erst­mals in Posen in Erschei­nung, ver­schwin­det dann als Gefan­ge­nen­arzt in sibi­ri­schen Lagern und bleibt nach der Ent­las­sung in Dres­den, um im Vil­len­vier­tel Losch­witz eine For­schungs­an­stalt für Orni­tho­lo­gie aufzubauen.

Kal­ten­burg ist cha­ris­ma­tisch, erfolg­reich, mis­an­throp, rät­sel­haft. Der Leser wird in ihm Kon­rad Lorenz wie­der­erken­nen: Neben den Initia­len tei­len fik­ti­ve und his­to­ri­sche Figur Geburts- und Ster­be­jahr, die Pro­fes­sur in Königs­berg und lan­ge Jah­re sowje­ti­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft. »Kal­ten­burg« stammt wie Lorenz aus Wien und kann nach dem Krieg in Öster­reich auf­grund sei­ner NSVer­gan­gen­heit kei­ne Pro­fes­sur antre­ten. Bei­de grün­den ein Insti­tut und stif­ten die Grund­la­gen der Ver­hal­tens­for­schung, die Roman­fi­gur in der DDR, Lorenz ab 1950 in West­fa­len. Ver­glei­chen­de Ver­hal­tens­for­schung: Bey­ers Roman ist ver­glei­chen­des und abglei­chen­des Schrei­ben, wobei dies vor allem den Ver­zicht auf das Grel­le, den Effekt bedeu­tet. Wer genau beob­ach­tet, deu­tet und ver­gleicht, kann unmög­lich Gut und Böse ver­tei­len, schwarz und weiß malen, rich­ten und frei­spre­chen. Gelebt wer­den muß immer, das ist schon die gan­ze Weisheit.
Und so ver­ber­gen sich hin­ter dem Pro­jekt-Künst­ler Mar­tin Speng­ler und dem Tier­fil­mer Knut Sie­ver­ding zwei Berühmt­hei­ten, die als Deut­sche im Krie­ge und damit – so bil­lig ist das heu­te – auf der fal­schen Sei­te gedient haben: der Bord­schüt­ze Joseph Beuys und sein Aus­bil­der Heinz Siel­mann. Jeder die­ser Män­ner hat viel erlebt, hat han­deln müs­sen, hat leben, kämp­fen, ja über­le­ben müs­sen. Aber das wird nicht klar erzählt, aus­ge­leuch­tet, vor ein Publi­kum gezerrt. Bey­er insis­tiert nicht, son­dern deu­tet an, und wenn sich der Leser sicher wähnt, daß nun die Bewäl­ti­gungs­flut los­bricht, ver­sik­kert der Bericht. Wie es um eine Figur steht, ist dann nur an ihrem Ver­hal­ten ables­bar, und selbst hier nur für den, der ver­glei­chend bli­cken und red­lich deu­ten kann – wie Lorenz, wie Kal­ten­burg, wie Beyer.

Nur ein­mal wird es rich­tig grell. Da berich­tet Kal­ten­burgs Schü­ler Funk, der Erzäh­ler des Romans, daß nach den Angriffs­wel­len der alli­ier­ten Bom­ber­ge­schwa­der auf Dres­den eine Hor­de Affen aus dem bren­nen­den Zoo in den Gro­ßen Gar­ten geflo­hen sei. Vögel fal­len feder­los aus der glü­hen­den Luft, und die Men­schen ste­hen auf den Wie­sen zwi­schen den Lei­chen und wis­sen nichts mehr zu tun. Aber dann sam­meln sie die Toten ein, und Funk berich­tet: »Nichts wis­sen die Schim­pan­sen von der Iden­ti­fi­zie­rung ver­stor­be­ner Ange­hö­ri­ger, nichts von den Toten, die man in eine Rei­he im Gras bet­tet, und nichts davon, wie man einen Leich­nam an Schul­tern und Füßen greift, um ihn zu sei­nes­glei­chen zu tra­gen. Und den­noch schließt sich ein Affe nach dem ande­ren die­ser Arbeit an.«
Ist das so gesche­hen? Wir wis­sen es nicht, jeden­falls: Es hät­te so gewe­sen sein kön­nen. Bey­er läßt Funk im ers­ten Kapi­tel die­se apo­ka­lyp­ti­sche Sze­ne berich­ten, weil in ihr eine grund­sätz­li­che Angst sei­nes Erzäh­lers grün­det: die Auf­lö­sung des Gewohn­ten im Extrem­fall, die Ver­wi­schung der Gren­ze zwi­schen Mensch und Tier, die trau­ma­ti­sche Grun­die­rung eines Lebens. Funk ver­lor im Bom­bar­de­ment sei­ne Eltern. An die­sem Schock des Ver­lusts hat er sein Leben aus­zu­rich­ten. Dort­her rührt sei­ne Urform der Angst, und auch damit ist er wis­sen­schaft­lich bes­tens auf­ge­ho­ben bei Kal­ten­burg: »Urfor­men der Angst« nennt Bey­er das im Roman bei­na­he mythisch auf­ge­la­de­ne Haupt­werk Kaltenburgs.

Ist Angst eine art­erhal­ten­de Kraft? Kon­rad Lorenz schrieb in sei­nem Werk über Das soge­nann­te Böse der Aggres­si­on die­se Eigen­schaft zu. Wie Lorenz über­trägt Kal­ten­burg die aus der Tier­be­ob­ach­tung gewon­ne­nen Erkennt­nis­se auf das mensch­li­che Ver­hal­ten und ver­bin­det sie zu einer Kon­stan­ten des mensch­li­chen Antriebs vor jeder Geschichte.
In solch gro­ßen Deu­tungs­ver­su­chen grün­det der Ernst des Lebens und des Erzäh­lens: Das indi­vi­du­el­le Ver­hal­ten ist nicht mehr lau­nisch oder eine koket­te Mode. Es gibt viel­mehr in Abschat­tie­run­gen immer Aus­kunft dar­über, wel­che Angst (oder bei Lorenz: wel­che Aggres­si­on) den Beob­ach­te­ten treibt.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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