Schöne Literatur

pdf der Druckfassung aus Sezession 30 / Juni 2009

Wir Deutschen beziehen unsere Identität aus der Auffassung, daß...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

wir den Zwei­ten Welt­krieg gewollt, begon­nen und zu einem Flä­chen­brand aus­ge­wei­tet haben. Zwar wird die­se ein­di­men­sio­na­le Geschichts­er­zäh­lung von His­to­ri­kern wie Ste­fan Scheil, Gerd Schult­ze-Rhon­hof, Ernst Nol­te, Karl­heinz Weiß­mann und ande­ren kapi­tel­wei­se kor­ri­giert oder ganz umge­schrie­ben, aber bevor sich so etwas in die Schul­bü­cher und wei­ter in das kol­lek­ti­ve Selbst­ver­ständ­nis sen­ken könn­te, müß­ten Denk- und Medi­en­netz­wer­ke ent­mach­tet und durch ande­re ersetzt werden.

Der anti­deut­sche lan­ge Marsch durch die Insti­tu­tio­nen ist auch dadurch an sein Ziel gekom­men, daß Weiß­mann und Scheil eben nicht in Publi­kums­ver­la­gen, son­dern Schnell­ro­daer Bas­tel­stu­ben erschei­nen. An weit pro­mi­nen­te­rer Stel­le konn­te nun der ame­ri­ka­ni­sche Roman­cier Nichol­son Bak­er sei­nen Men­schen­rauch in Deutsch­land pla­zie­ren. Rowohlt druck­te die Über­set­zung von Human Smo­ke, das eine Zusam­men­stel­lung von Arti­keln, Zita­ten, Anek­do­ten und amt­li­chen Doku­men­ten ist und for­mal an Wal­ter Kem­pow­skis Echo­lot erin­nert. Im Leser bewirkt die Lek­tü­re die­ser Schnip­sel nichts weni­ger als die Auf­lö­sung des her­ge­brach­ten Schwarz­weiß­bil­des von der Vor­ge­schich­te des 2. Welt­kriegs: Chur­chill und Roo­se­velt trie­ben den Krieg vor­an. Und zwar nicht erst, als er aus­ge­bro­chen war, son­dern bereits bevor der ers­te Schuß fiel. Etli­che Pas­sa­gen ver­wei­sen auf die Ver­wei­ge­rungs­hal­tung Eng­lands und der USA den um Visa bet­teln­den Juden gegen­über. Hät­te die »End­lö­sung der Juden­fra­ge« auch das Gesicht einer uner­bitt­li­chen, aber kei­nes­falls mas­sen­haft töd­li­chen Ver­trei­bung haben kön­nen? Man muß unvor­ein­ge­nom­men lesen. Und Bak­er ist wahr­lich kein Autor, dem man vor­ver­ur­tei­lend ent­ge­gen­trä­te. Er ist Pazi­fist und Grün­der des »Ame­ri­can News­pa­per Repo­si­to­ry «, das Zei­tun­gen des 19. und 20. Jahr­hun­derts sam­melt. Mate­ri­al aus die­sem Archiv hat er nun also absichts­voll ein­ge­setzt, um auf einen Punkt zu gelan­gen, der jen­seits der Kriegs­schuld­fra­ge liegt: Das ist der Mensch, und es ist nur zufäl­lig der deut­sche Mensch, der als Ver­lie­rer des Kriegs para­dig­ma­tisch als »Abgrund« für alle ande­ren frei­ge­legt und her­ge­zeigt wird – zur Leh­re? Nein, eher zur Ver­tu­schung des eng­li­schen oder ame­ri­ka­ni­schen Abgrunds, wie Bak­ers Schnip­sel zei­gen. Das ist doch auch Scheils Ansatz, nicht? Viel­leicht auch er dem­nächst bei Rowohlt?

(Nichol­son Bak­er: Men­schen­rauch. Wie der Zwei­te Welt­krieg begann und die Zivi­li­sa­ti­on ende­te über­setzt von Sabi­ne Hedin­ger und Chris­tia­ne Berg­feld, Rein­bek: Rowohlt 2009. 638 S., 24.90 €)

Wer das Kapi­tel »D‑Day« aus der Lebens­er­zäh­lung von Rudolf Kreis gele­sen hat, begreift, war­um die­ser Mann sein Ent­kom­men als Auf­trag für eine breit ange­leg­te Selbst­prü­fung ansah. Er lan­de­te in der SS-Divi­si­on »Hit­ler­ju­gend«, fand sich als 17jähriger in den Tagen von Caen der mate­ri­el­len Über­le­gen­heit der alli­ier­ten Lan­dungs­trup­pen aus­ge­setzt, töte­te, sah Gleich­alt­ri­ge kre­pie­ren und über­leb­te das Gefan­ge­nen­la­ger bei Bad Kreuz­nach. Am 8. Juli ’45 wur­de er ent­las­sen. Was danach kommt, ist aus der Sicht des heu­te 83jährigen völ­lig unspek­ta­ku­lär, ist Epi­log. Ich wech­sel­te mit Kreis eini­ge Brie­fe. Im vor­läu­fig letz­ten schreibt er: »Es war aber die im tiefs­ten ergrei­fen­de Seins­er­fah­rung unse­rer Gene­ra­ti­on, daß wir Men­schen alle, in bestimm­te Situa­tio­nen gebracht, zu jedem Ver­bre­chen fähig sind.« Aus die­ser Erfah­rung her­aus will er also sei­nen Bei­trag zu einer sach­ge­rech­ten Geschichts­schrei­bung leis­ten, »die nicht län­ger rech­tet und rich­tet, die ohne das Gelän­der des Sys­tem­den­kens aus­kommt, die kei­ne poli­ti­sche Dienst­leis­tung erbringt und deren Medi­um das Erzäh­len zu sein hat.« Es greift also zum fal­schen Buch, wer erwar­tet, daß Kreis irgend­wie über Her­kunft, Kind­heit, Jugend huscht, um das Leben erst mit der Rekru­tie­rung und dem ers­ten »Schliff« begin­nen zu las­sen. Ganz im Gegen­teil: Goe­thes Dich­tung und Wahr­heit ste­hen Pate. Kreis erzählt gut und episch und unver­blümt, Rhein und Mosel sind die Schau­plät­ze, und für Ken­ner des kon­ser­va­ti­ven Per­so­nals dürf­te das Kapi­tel über »Dr. Feu­er­was­ser« ein Anknüp­fungs­punkt sein: So nann­ten die Schü­ler ihren Leh­rer Ger­hard Nebel, der dann nach dem Krieg neben Armin Moh­ler einer der wich­ti­gen Für­spre­cher Ernst Jün­gers wur­de. Kreis zeigt also an sei­nem eige­nen Bei­spiel, wie mul­tik­au­sal und unlo­gisch der Lebens­weg aus dem Jahr­gang 1926 in eine der gro­ßen Kno­chen­müh­len des Kriegs füh­ren konn­te. Sei­ne Beschrei­bun­gen sind dabei weni­ger arti­fi­zi­ell als etwa die Mar­tin Walsers, der in Ein sprin­gen­der Brun­nen sei­ne Kind­heit und Jugend in Was­ser­burg am Boden­see in einem lite­ra­ri­schen Ich ver­ar­bei­te­te und dort auf­hört, wo für ihn als jun­ger Sol­dat (Jg. 1927) der Krieg vor­bei ist. Kreis scheut das zu sehr Gedich­te­te, es wür­de die sach­ge­rech­te Geschichtserzäh­lung doch stö­ren. Ange­sichts die­ser Über­zeu­gung ist es kon­se­quent, daß Kreis das Gespräch mit Ernst Nol­te, dem sys­te­ma­ti­schen Geschichtsden­ker, sucht: Ein Abschnitt des letz­ten Kapi­tels zeugt davon. Es ist eine schö­ne Wen­dung, daß zum Früh­jahrs­pro­gramm des Landt­ver­lags neben Kreis auch das neue Buch von Nol­te gehört.

(Rudolf Kreis: Die Toten sind immer die ande­ren. Eine Jugend zwi­schen den
Krie­gen
, Ber­lin: Landt­ver­lag 2009. 560 S., 39.90 €)

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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