Unsichtbare Gegner (1): Der kommende Aufstand

Ein Gespenst geht um in den deutschen Feuilletons: dort hat man nun ein radikales politisches Pamphlet aus Frankreich...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

mit dem Titel Der kom­men­de Auf­stand als der­nier cri ent­deckt. Letz­te­rer kommt aller­dings mit eini­ger Ver­spä­tung; das von dem anony­men Autoren­kol­lek­tiv “Das unsicht­ba­re Kom­mi­tee” ver­faß­te Mani­fest zir­ku­liert im Ori­gi­nal bereits seit 2007, eine deut­sche Über­set­zung erschien im August die­ses Jahres.

Seit län­ge­rer Zeit ist im Netz auch eine eng­li­sche Aus­ga­be greif­bar, die dem durch­ge­knall­ten ame­ri­ka­ni­schen TV-Mode­ra­tor Glenn Beck, einer Iko­ne der Tea-Par­ty-Bewe­gung, Anlaß bot, tüch­tig mit den links­ra­di­ka­len Buh­mann Dampf zu machen: “Dies ist mög­li­cher­wei­se das Böses­te, was ich jemals gele­sen habe.”

In Deutsch­land haben Nils Mink­mar in der FAZ und Alex Rüh­le in der SZ den Text mit einer kaum ver­hoh­le­nen und etwas merk­wür­di­gen Erre­gung bespro­chen, man ver­nimmt, es han­delt sich um eine “glän­zend geschrie­be­ne” Zeit­dia­gnos­tik, die etwa inzwi­schen “an bri­ti­schen und fran­zö­si­schen Uni­ver­si­tä­ten als kano­ni­scher Text stu­diert und bespro­chen” wird. Mink­mar spe­ku­liert gar:

Und wenn, wie in der ver­gan­ge­nen Woche in Ber­lin, nachts die Autos bren­nen, im Kanz­ler­amt ein Spreng­kör­per grie­chi­scher Anar­chis­ten gefun­den wird und die S‑Bahn aus unge­klär­ten Grün­den aus­fällt und sich in der Stadt das Gefühl einer nahen­den Groß­stö­rung breit­macht, dann passt das der­ma­ßen per­fekt zu der in die­sem Buch ent­wi­ckel­ten Stra­te­gie, dass man an blo­ßen Zufall nicht mehr glau­ben mag.

Der­lei Gerau­ne klingt in mei­nen Ohren eher wie Auf­merk­sam­keits­hei­schen und Wind­ge­blä­se in eige­ner Sache; immer­hin bie­tet sich ein der­ar­ti­ges The­ma dem fad gewor­de­nen Feuil­le­ton als lecke­rer Hap­pen an, zu dem nun jeder was Klu­ges oder Kon­tro­ver­ses sagen kann, und jeder geist­rei­cher und schnei­di­ger als der ande­re sein will.  Nach­ge­zo­gen haben inzwi­schen auch Deutsch­land­ra­dio Kul­tur und der Spie­gel. Von der radi­ka­len und zutiefst pes­si­mis­ti­schen Zeit- und Gesell­schafts­ana­ly­se zeigt man sich ange­tan und bil­ligt ihr Legi­ti­mi­tät und Klar­sicht zu; die eigent­li­che Fas­zi­na­ti­on ergibt sich aber wohl vor allem aus deren Kom­bi­na­ti­on mit einem offe­nen Auf­ruf zu Gewalt, Kri­mi­na­li­tät und Sabo­ta­ge, was selbst­ver­ständ­lich ver­ur­teilt wird.

In den Bann zieht vie­le Leser wohl auch die Unbe­dingt­heit und Här­te des Ton­falls. Hier wird Tache­les gere­det, ohne den huma­nis­tisch-welt­ver­bes­sern­den Zucker­guß und die “Wir mei­nen es ja nur gut”-Attitüde , mit der die Lin­ke ihre Kopf­schüs­se und Bom­ben übli­cher­wei­se legi­ti­miert. Der oder die Autoren spre­chen vom äußers­ten Rand der Ver­zweif­lung aus, “von einem Punkt der extre­men Iso­la­ti­on, der extre­men Ohn­macht”.  Ihre Sen­ti­ments wer­den nie­man­dem fremd sein, der über die Lage unse­rer Zeit wirk­lich gründ­lich nach­ge­dacht hat.

Aus wel­cher Sicht man sie auch betrach­tet, die Gegen­wart ist ohne Aus­weg. Das ist nicht die gerings­te ihrer Tugen­den. Den­je­ni­gen, die unbe­dingt hof­fen möch­ten, raubt sie jeden Halt. Die­je­ni­gen, die vor­ge­ben Lösun­gen zu haben, wer­den sofort ent­kräf­tet. Es ist bekannt, dass alles nur noch schlim­mer wer­den kann. »Die Zukunft hat kei­ne Zukunft mehr« ist die Weis­heit jener Epo­che, die unter dem Anschein einer extre­men Nor­ma­li­tät auf der Bewusst­seins­ebe­ne der ers­ten Punks ange­langt ist.

Dem folgt die Absa­ge an “sech­zig Jah­re der Befrie­dung, aus­ge­setz­ter his­to­ri­scher Umwäl­zun­gen, demo­kra­ti­scher Anäs­the­sie”. Im “lau­fen­den Krieg” darf man kei­ne Hoff­nung mehr set­zen in Par­tei­en, Orga­ni­sa­tio­nen, “Bür­ger­kol­lek­ti­ve”, die in irgend­ei­ner Wei­se etwas ret­ten oder refor­mie­ren oder sta­bi­li­sie­ren wol­len, und am Ende doch nur Teil der stür­zen­den Ord­nung sind. Daß die­se im Unter­gang begrif­fen ist, wird ohne jeden Zwei­fel ange­nom­men. Jetzt gilt nur mehr ein nietz­schea­ni­sches “Was fällt, soll man auch noch stos­sen”, alles was zählt, ist, den unver­meid­li­chen Kol­laps der Zivi­li­sa­ti­on noch zu beschleunigen.

Es gibt kei­nen Grund mehr zu war­ten – auf eine Auf­hei­te­rung, die Revo­lu­ti­on,  die  ato­ma­re Apo­ka­lyp­se  oder  eine  sozia­le  Bewe­gung.  Noch zu war­ten ist Wahn­sinn. Die Kata­stro­phe ist nicht, was kommt, son­dern was da ist. Wir ver­or­ten uns bereits jetzt in der Bewe­gung des Zusam­men­bruchs einer Zivi­li­sa­ti­on. Dort ist es, wo man Par­tei ergrei­fen muss.

Wäh­rend sich nun der bür­ger­li­che Feuil­le­ton mal wie­der ero­tisch gekit­zelt zeigt von der Aus­sicht auf die Ankunft der Bar­ba­ren,  kam der Zei­ge­fin­ger aus­ge­rech­net von der alten Tan­te taz (pun inten­ded), einst “vom Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­te­tes” Flagg­schiff aller Links­al­ter­na­ti­ven. Die­se schwang sich als treu­doof-kon­for­mis­ti­sche Ver­tei­di­ge­rin des Sta­tus Quo in den Sat­tel, und wit­ter­te in der “miß­glück­ten Rezep­ti­on” des Pam­phlets, auch auf der radi­ka­len Lin­ken gar einen Wie­der­gän­ger-haut-gout von “Spät­wei­ma­rer Deka­denz” (eine für das Selbst­ver­ständ­nis des Autors, der einen “Man­gel an his­to­ri­scher Bil­dung” bei den “deut­schen Eli­ten” beklagt, auf­schluß­rei­che Ana­lo­gie). Über­haupt sei das gan­ze Mach­werk alles ande­re als “links”, son­dern eine “rech­te, anti­mo­der­ne Hetzschrift”.

Zwi­schen den Zei­len will man die bösen Geis­ter von Carl Schmitt und Mar­tin Heid­eg­ger (bei­de Ange­hö­ri­ge der Schat­ten­ar­mee Divi­si­on Antai­os), aus­fin­dig gemacht haben, die der Autor im übri­gen als “Nazi­ju­rist” respek­ti­ve als “der Phi­lo­soph des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Denk­diens­tes” vor­stellt – womit man über das intel­lek­tu­el­le Niveau des Arti­kels kein Wort mehr zu ver­lie­ren braucht. ( Und neben­bei:eine Lin­ke, oder über­haupt eine Par­ti­sa­nen­be­we­gung, die nicht von Schmitt ler­nen will, wäre ganz schön dumm.)

Tie­fer blick­te dage­gen Felix Ser­rao in der SZ, der offen­bar ab und zu in den Sei­ten der Sezes­si­on und ihrer diver­sen gehei­men Trans­mis­si­ons­rie­men blät­tert, und dar­um auch weiß, daß der “faschis­ti­sche” Bei­geschmack von Der kom­men­de Auf­stand, den der taz-Autor vage und irri­tiert wahr­ge­nom­men hat, aus einem merk­wür­di­gen Misch­masch à la “ni gau­che, ni droi­te” her­rührt (wobei das gau­che hier deut­lich über­wiegt). Ser­rao sieht aber vor allem Ernst Jün­gers “Wald­gän­ger” im wei­te­ren Unter­grund des Tex­tes wir­ken. Dies ist nicht ganz unbe­rech­tigt, aber nur mit gra­vie­ren­den Einschränkungen.

Ins Schwar­ze trifft Ser­rao aber, wenn er den Geist des Pam­phlets mit dem Neun­zi­ger-Jah­re-Kult­ro­man Fight Club von Chuck Palah­n­i­uk, 1999 kon­ge­ni­al ver­filmt von David Fin­cher, ver­gleicht. Man kann noch wei­ter gehen, und sagen: Der kom­men­de Auf­stand ist ein lite­ra­ri­sches Remake von Fight Club. Des­sen Haupt­fi­gur Tyler Dur­den, war so etwas wie ein Gene­ra­ti­on-X-Sla­cker, der aus Ekel vor den Zwän­gen der Kon­sum­ge­sell­schaft zum zyni­schen Anarcho-Faschis­ten und Ter­ro­ris­ten gewor­den war. Vie­le Sät­ze des “unsicht­ba­ren Komi­tees” hät­ten sinn­ge­mäß auch von ihm stam­men können:

»I AM  WHAT  I AM.«  Das  ist  die  letz­te  Opfer­ga­be  des  Mar­ke­ting  an die Welt, das letz­te Ent­wick­lungs­sta­di­um der Wer­bung, und vor, weit vor all den Mah­nun­gen, anders zu sein, man selbst zu sein, und Pep­si zu trin­ken. Jahr­zehn­te von Kon­zep­ten, um dort anzu­kom­men, bei der rei­nen Tau­to­lo­gie. ICH = ICH. Er rennt auf einem Lauf­band vor dem Spie­gel in sei­nem Fit­ness­cen­ter. Sie fährt am Steu­er ihres Smart von der Arbeit nach Hau­se zurück. Wer­den sie sich treffen?

 

Im “Fight Club” tref­fen sich Män­ner, die einen Aus­weg aus einer de-mas­ku­li­sier­ten Ikea-Welt suchen, indem sie sich in bru­ta­len Zwei­kämp­fen die Fres­se polie­ren. Tyler Dur­den, der Kopf des “Clubs”, ist es, der den namen­lo­sen “Erzäh­ler” der Hand­lung (im Film: Edward Nor­ton) aus sei­ner urba­nen Mise­re ret­tet. “Sie haben so eine kran­ke Ver­zweif­lung in Ihrer Lache”, sagt ihm Tyler, als sich die bei­den im Flug­zeug begeg­nen. End­lich jemand, der es wahr­nimmt, viel­leicht sogar ver­steht. Der Erzäh­ler lei­det an Schlaf­lo­sig­keit, Depres­si­on, Ent­frem­dung, dif­fu­ser Frus­tra­ti­on und Ekel vor sei­nem Ver­si­che­rungs­job. Lust­vol­le Zwangs­vor­stel­lun­gen von befrei­en­den Dis­as­tern tau­chen auf. In einer Sze­ne wünscht er sich den Absturz des Flug­zeu­ges her­bei, in dem er sitzt.

Er fin­det vor­rü­ber­ge­hend Befrie­di­gung in Grup­pen­the­ra­pien, in denen er diver­se Lei­den simu­liert, um teil­neh­men zu kön­nen. Er wird zum The­ra­pie-Jun­kie, aber bald rei­chen die weich­ge­spül­ten Licht-und-Lie­be‑, Ver­ste­hen-und-Ver­zei­hen‑, Dar­über-Reden-und-sich-Aus­heu­len-Stra­te­gien die­ser Sit­zun­gen nicht mehr aus. Här­te­re Sti­mu­la­tio­nen müs­sen her. Wenn sich nach einer Prü­ge­lei mit Tyler das Hemd des Erzäh­lers mit Blut tränkt, weiß er end­lich, daß er das “wirk­li­che Leben” und die Rea­li­tät wie­der­ge­fun­den hat.  So scheint es zumindest.

Im Lau­fe der Hand­lung wei­tet sich der “Fight Club” immer mehr zu einem undurch­sich­ti­gen Netz­werk anar­chi­scher Ban­den in schwar­zen Swea­tern aus, die Unru­he, sozia­le Aggres­si­on und Desta­bi­li­sie­rung anzet­teln, maka­bre Zer­stö­rungs­ak­tio­nen insze­nie­ren und schließ­lich zum hand­fes­ten Ter­ro­ris­mus über­ge­hen. Am Ende des “Pro­ject May­hem” (Cha­os) steht die Spren­gung von wol­ken­krat­z­er­ho­hen Bank­ge­bäu­den, Tem­peln der kapi­ta­lis­ti­schen Welt, die in der Schluß­sze­ne des Films genau­so schau­er­lich-majes­tä­tisch ein­stür­zen wie zwei Jah­re spä­ter die Twin Towers des World Trade Center.

Chuck Palah­n­i­uk und David Fin­cher waren dem “unsicht­ba­ren Komit­tee” aller­dings einen ent­schei­den­den Schritt vor­aus. Tyler Dur­den war fas­zi­nie­rend, gefähr­lich, augen­schein­lich wider­stän­dig und frei, er war aber, wie sich im letz­ten Drit­tel des Films her­aus­stell­te, nichts wei­ter als das patho­lo­gi­sche Phan­ta­sie­pro­dukt des kran­ken Hirns der Erzäh­lers, das abge­spal­te­ne Ich eines para­no­iden Schi­zo­phre­nen, der in der Tat das Kind einer kran­ken, patho­ge­nen Gesell­schaft war. Aber das war auch Tyler Dur­den.  War er wirk­lich eine Gegen­fi­gur zu der so ver­haß­ten Waren­welt, in der sich das Indi­vi­du­um nur mehr durch das defi­niert, was es kon­su­miert, ganz wie es die Wer­bung ihm weis­ma­chen will? Immer­hin wur­de er iro­ni­scher­wei­se von Brad Pitt mit sei­nem Men’s Health-Wasch­brett­bauch gespielt, in einem Film, der den Zuschau­er stän­dig dar­an erin­nert, daß er einen Film sieht. Die Dreh­buch­au­to­ren leg­ten Pitt fol­gen­de Rede in den Mund:

Ich sehe im Fight Club die stärks­ten und klügs­ten Män­ner, die je gelebt haben. Ich sehe das gan­ze Poten­ti­al. Und ich sehe, wie es ver­geu­det wird. (…) Skla­ven im wei­ßen Kra­gen. Die Wer­bung läßt uns hin­ter Klei­dern und Autos her­ja­gen. Wir haben Jobs, die wir has­sen, damit wir uns die Schei­ße kau­fen kön­nen, die wir nicht brau­chen. (…) Wir haben kei­nen Sinn und kei­nen Ort. Wir haben kei­nen gro­ßen Krieg. Kei­ne gro­ße Depres­si­on. Unser gro­ßer Krieg ist ein spi­ri­tu­el­ler Krieg. Unse­re gro­ße Depres­si­on ist unser Leben. Das Fern­se­hen hat uns von klein auf weis­ge­macht, daß wir eines Tages Rock­stars sein wer­den, Film­göt­ter und Mil­lio­nä­re. Aber das wird nicht pas­sie­ren. Lang­sam begrei­fen wir das. Und wir sind dar­über sehr, sehr sauer.

Also war Tyler bloß ein frus­trier­ter Kon­sum-Nar­ziß, der nur des­we­gen so sau­er war, weil er nicht bekam, was er woll­te, der zer­stö­ren woll­te, wor­an er nicht teil­ha­ben konn­te?  In jedem Fall führ­te sein Auf­stand nur tie­fer in den Alp­traum hin­ein, der nun mul­ti­pel wucher­te, zum Alp­traum inner­halb des Alp­traums geriet, beson­ders dann, wenn man dach­te, daß das Erwa­chen end­lich gekom­men sei. Auch Tylers Exis­tenz war eine blo­ße Tau­to­lo­gie, nicht nur des schi­zo­phre­nen Erzäh­lers, der sich am Ende in den Kopf schießt, um Tyler zu ver­nich­ten, son­dern auch der Gesell­schaft, zu derem Tod­feind er sich erklärt hat. Ähn­lich ver­hält sich Der kom­men­de Auf­stand zu der Zivi­li­sa­ti­on, die er zer­stö­ren möch­te. Immer­hin haben die Autoren eine gewis­se Ahnung davon.

Fight Club war ein blu­ti­ger Witz, war tief iro­nisch, wo Der kom­men­de Auf­stand sich bit­ter und tod­ernst gibt, selbst in sei­nem Sar­kas­mus. Palah­n­i­uk und Fin­cher wuß­ten im Gegen­satz zum “unsicht­ba­ren Komi­tee”, daß die Zer­stö­rung kei­ne Befrei­ung bringt, daß der Weg zum Selbst nicht frei­ge­bombt wer­den kann. Dies ist aber nicht die ein­zi­ge gefähr­li­che Nai­vi­tät die­ser all­zu groß­mäu­li­gen Beschwö­rung von Gewalt, Cha­os, Abschaum und Kri­mi­na­li­tät, wie sie so garan­tiert nur ein frus­trier­ter, wei­ßer, mit­tel­stän­di­scher, ver­mut­lich inner­lich infan­til geblie­be­ner Intel­lek­tu­el­ler in den Mund neh­men kann.

An sich ist die Patho­lo­gie noch kein Ein­wand. Man kann die heu­ti­ge Gesell­schaft wohl nicht anders als in patho­lo­gisch-medi­zi­ni­schen Ter­mi­ni beschrei­ben, mit den Augen eines Psy­cho­lo­gen, Psy­cho­ana­ly­ti­kers und Psych­ia­ters. Es gibt eine tie­fer bli­cken­de Weis­heit und ein über­le­ge­nes Wis­sen der Kran­ken, von dem ihre ver­meint­lich gesun­den, ver­mut­lich auf ihre Kos­ten “gesun­den” Zeit­ge­nos­sen nichts ahnen, dar­in haben die Autoren des Kom­men­den Auf­stands recht.

Sie haben aber, um ein Wort von Fried­rich Heb­bel zu benut­zen, die nega­ti­ve Tugend zum Gefrier­punkt ihres aus­ein­an­der­fal­len­den Ichs gemacht. In einer Welt, in der nichts mehr wahr, alles rela­tiv ist, sogar ihre eige­nen Vor­aus­set­zun­gen, und deren Ende abseh­bar und unver­meid­lich, ist die Zer­stö­rung die ein­zi­ge Gewiß­heit, an der sich noch fest­hal­ten läßt, die ein­zi­ge Tat, die voll­kom­men gerecht­fer­tigt ist und kei­nen dop­pel­ten Boden besitzt. Wel­che Erleich­te­rung, wel­che Ver­ein­fa­chung. End­lich deckungs­gleich mit sich selbst sein. End­lich aus­at­men und den roten Knopf drü­cken. An die­sem Punkt schei­nen die Ver­fas­ser ange­kom­men zu sein.

Aber dies ist nicht der Ort, es ist viel­mehr das Gegen­teil des Ortes, von dem aus der Wald­gän­ger spricht und han­delt, das Sys­tem unter­wan­dert und über­lis­tet, das nach sei­ner See­le und sei­nem Sein greift. Sein Zen­trum liegt woan­ders, es gehört nicht einer Welt an, die untergeht.

À sui­v­re.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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