mit dem Titel Der kommende Aufstand als dernier cri entdeckt. Letzterer kommt allerdings mit einiger Verspätung; das von dem anonymen Autorenkollektiv “Das unsichtbare Kommitee” verfaßte Manifest zirkuliert im Original bereits seit 2007, eine deutsche Übersetzung erschien im August dieses Jahres.
Seit längerer Zeit ist im Netz auch eine englische Ausgabe greifbar, die dem durchgeknallten amerikanischen TV-Moderator Glenn Beck, einer Ikone der Tea-Party-Bewegung, Anlaß bot, tüchtig mit den linksradikalen Buhmann Dampf zu machen: “Dies ist möglicherweise das Böseste, was ich jemals gelesen habe.”
In Deutschland haben Nils Minkmar in der FAZ und Alex Rühle in der SZ den Text mit einer kaum verhohlenen und etwas merkwürdigen Erregung besprochen, man vernimmt, es handelt sich um eine “glänzend geschriebene” Zeitdiagnostik, die etwa inzwischen “an britischen und französischen Universitäten als kanonischer Text studiert und besprochen” wird. Minkmar spekuliert gar:
Und wenn, wie in der vergangenen Woche in Berlin, nachts die Autos brennen, im Kanzleramt ein Sprengkörper griechischer Anarchisten gefunden wird und die S‑Bahn aus ungeklärten Gründen ausfällt und sich in der Stadt das Gefühl einer nahenden Großstörung breitmacht, dann passt das dermaßen perfekt zu der in diesem Buch entwickelten Strategie, dass man an bloßen Zufall nicht mehr glauben mag.
Derlei Geraune klingt in meinen Ohren eher wie Aufmerksamkeitsheischen und Windgebläse in eigener Sache; immerhin bietet sich ein derartiges Thema dem fad gewordenen Feuilleton als leckerer Happen an, zu dem nun jeder was Kluges oder Kontroverses sagen kann, und jeder geistreicher und schneidiger als der andere sein will. Nachgezogen haben inzwischen auch Deutschlandradio Kultur und der Spiegel. Von der radikalen und zutiefst pessimistischen Zeit- und Gesellschaftsanalyse zeigt man sich angetan und billigt ihr Legitimität und Klarsicht zu; die eigentliche Faszination ergibt sich aber wohl vor allem aus deren Kombination mit einem offenen Aufruf zu Gewalt, Kriminalität und Sabotage, was selbstverständlich verurteilt wird.
In den Bann zieht viele Leser wohl auch die Unbedingtheit und Härte des Tonfalls. Hier wird Tacheles geredet, ohne den humanistisch-weltverbessernden Zuckerguß und die “Wir meinen es ja nur gut”-Attitüde , mit der die Linke ihre Kopfschüsse und Bomben üblicherweise legitimiert. Der oder die Autoren sprechen vom äußersten Rand der Verzweiflung aus, “von einem Punkt der extremen Isolation, der extremen Ohnmacht”. Ihre Sentiments werden niemandem fremd sein, der über die Lage unserer Zeit wirklich gründlich nachgedacht hat.
Aus welcher Sicht man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ohne Ausweg. Das ist nicht die geringste ihrer Tugenden. Denjenigen, die unbedingt hoffen möchten, raubt sie jeden Halt. Diejenigen, die vorgeben Lösungen zu haben, werden sofort entkräftet. Es ist bekannt, dass alles nur noch schlimmer werden kann. »Die Zukunft hat keine Zukunft mehr« ist die Weisheit jener Epoche, die unter dem Anschein einer extremen Normalität auf der Bewusstseinsebene der ersten Punks angelangt ist.
Dem folgt die Absage an “sechzig Jahre der Befriedung, ausgesetzter historischer Umwälzungen, demokratischer Anästhesie”. Im “laufenden Krieg” darf man keine Hoffnung mehr setzen in Parteien, Organisationen, “Bürgerkollektive”, die in irgendeiner Weise etwas retten oder reformieren oder stabilisieren wollen, und am Ende doch nur Teil der stürzenden Ordnung sind. Daß diese im Untergang begriffen ist, wird ohne jeden Zweifel angenommen. Jetzt gilt nur mehr ein nietzscheanisches “Was fällt, soll man auch noch stossen”, alles was zählt, ist, den unvermeidlichen Kollaps der Zivilisation noch zu beschleunigen.
Es gibt keinen Grund mehr zu warten – auf eine Aufheiterung, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern was da ist. Wir verorten uns bereits jetzt in der Bewegung des Zusammenbruchs einer Zivilisation. Dort ist es, wo man Partei ergreifen muss.
Während sich nun der bürgerliche Feuilleton mal wieder erotisch gekitzelt zeigt von der Aussicht auf die Ankunft der Barbaren, kam der Zeigefinger ausgerechnet von der alten Tante taz (pun intended), einst “vom Verfassungsschutz beobachtetes” Flaggschiff aller Linksalternativen. Diese schwang sich als treudoof-konformistische Verteidigerin des Status Quo in den Sattel, und witterte in der “mißglückten Rezeption” des Pamphlets, auch auf der radikalen Linken gar einen Wiedergänger-haut-gout von “Spätweimarer Dekadenz” (eine für das Selbstverständnis des Autors, der einen “Mangel an historischer Bildung” bei den “deutschen Eliten” beklagt, aufschlußreiche Analogie). Überhaupt sei das ganze Machwerk alles andere als “links”, sondern eine “rechte, antimoderne Hetzschrift”.
Zwischen den Zeilen will man die bösen Geister von Carl Schmitt und Martin Heidegger (beide Angehörige der Schattenarmee Division Antaios), ausfindig gemacht haben, die der Autor im übrigen als “Nazijurist” respektive als “der Philosoph des nationalsozialistischen Denkdienstes” vorstellt – womit man über das intellektuelle Niveau des Artikels kein Wort mehr zu verlieren braucht. ( Und nebenbei:eine Linke, oder überhaupt eine Partisanenbewegung, die nicht von Schmitt lernen will, wäre ganz schön dumm.)
Tiefer blickte dagegen Felix Serrao in der SZ, der offenbar ab und zu in den Seiten der Sezession und ihrer diversen geheimen Transmissionsriemen blättert, und darum auch weiß, daß der “faschistische” Beigeschmack von Der kommende Aufstand, den der taz-Autor vage und irritiert wahrgenommen hat, aus einem merkwürdigen Mischmasch à la “ni gauche, ni droite” herrührt (wobei das gauche hier deutlich überwiegt). Serrao sieht aber vor allem Ernst Jüngers “Waldgänger” im weiteren Untergrund des Textes wirken. Dies ist nicht ganz unberechtigt, aber nur mit gravierenden Einschränkungen.
Ins Schwarze trifft Serrao aber, wenn er den Geist des Pamphlets mit dem Neunziger-Jahre-Kultroman Fight Club von Chuck Palahniuk, 1999 kongenial verfilmt von David Fincher, vergleicht. Man kann noch weiter gehen, und sagen: Der kommende Aufstand ist ein literarisches Remake von Fight Club. Dessen Hauptfigur Tyler Durden, war so etwas wie ein Generation-X-Slacker, der aus Ekel vor den Zwängen der Konsumgesellschaft zum zynischen Anarcho-Faschisten und Terroristen geworden war. Viele Sätze des “unsichtbaren Komitees” hätten sinngemäß auch von ihm stammen können:
»I AM WHAT I AM.« Das ist die letzte Opfergabe des Marketing an die Welt, das letzte Entwicklungsstadium der Werbung, und vor, weit vor all den Mahnungen, anders zu sein, man selbst zu sein, und Pepsi zu trinken. Jahrzehnte von Konzepten, um dort anzukommen, bei der reinen Tautologie. ICH = ICH. Er rennt auf einem Laufband vor dem Spiegel in seinem Fitnesscenter. Sie fährt am Steuer ihres Smart von der Arbeit nach Hause zurück. Werden sie sich treffen?
Im “Fight Club” treffen sich Männer, die einen Ausweg aus einer de-maskulisierten Ikea-Welt suchen, indem sie sich in brutalen Zweikämpfen die Fresse polieren. Tyler Durden, der Kopf des “Clubs”, ist es, der den namenlosen “Erzähler” der Handlung (im Film: Edward Norton) aus seiner urbanen Misere rettet. “Sie haben so eine kranke Verzweiflung in Ihrer Lache”, sagt ihm Tyler, als sich die beiden im Flugzeug begegnen. Endlich jemand, der es wahrnimmt, vielleicht sogar versteht. Der Erzähler leidet an Schlaflosigkeit, Depression, Entfremdung, diffuser Frustration und Ekel vor seinem Versicherungsjob. Lustvolle Zwangsvorstellungen von befreienden Disastern tauchen auf. In einer Szene wünscht er sich den Absturz des Flugzeuges herbei, in dem er sitzt.
Er findet vorrübergehend Befriedigung in Gruppentherapien, in denen er diverse Leiden simuliert, um teilnehmen zu können. Er wird zum Therapie-Junkie, aber bald reichen die weichgespülten Licht-und-Liebe‑, Verstehen-und-Verzeihen‑, Darüber-Reden-und-sich-Ausheulen-Strategien dieser Sitzungen nicht mehr aus. Härtere Stimulationen müssen her. Wenn sich nach einer Prügelei mit Tyler das Hemd des Erzählers mit Blut tränkt, weiß er endlich, daß er das “wirkliche Leben” und die Realität wiedergefunden hat. So scheint es zumindest.
Im Laufe der Handlung weitet sich der “Fight Club” immer mehr zu einem undurchsichtigen Netzwerk anarchischer Banden in schwarzen Sweatern aus, die Unruhe, soziale Aggression und Destabilisierung anzetteln, makabre Zerstörungsaktionen inszenieren und schließlich zum handfesten Terrorismus übergehen. Am Ende des “Project Mayhem” (Chaos) steht die Sprengung von wolkenkratzerhohen Bankgebäuden, Tempeln der kapitalistischen Welt, die in der Schlußszene des Films genauso schauerlich-majestätisch einstürzen wie zwei Jahre später die Twin Towers des World Trade Center.
Chuck Palahniuk und David Fincher waren dem “unsichtbaren Komittee” allerdings einen entscheidenden Schritt voraus. Tyler Durden war faszinierend, gefährlich, augenscheinlich widerständig und frei, er war aber, wie sich im letzten Drittel des Films herausstellte, nichts weiter als das pathologische Phantasieprodukt des kranken Hirns der Erzählers, das abgespaltene Ich eines paranoiden Schizophrenen, der in der Tat das Kind einer kranken, pathogenen Gesellschaft war. Aber das war auch Tyler Durden. War er wirklich eine Gegenfigur zu der so verhaßten Warenwelt, in der sich das Individuum nur mehr durch das definiert, was es konsumiert, ganz wie es die Werbung ihm weismachen will? Immerhin wurde er ironischerweise von Brad Pitt mit seinem Men’s Health-Waschbrettbauch gespielt, in einem Film, der den Zuschauer ständig daran erinnert, daß er einen Film sieht. Die Drehbuchautoren legten Pitt folgende Rede in den Mund:
Ich sehe im Fight Club die stärksten und klügsten Männer, die je gelebt haben. Ich sehe das ganze Potential. Und ich sehe, wie es vergeudet wird. (…) Sklaven im weißen Kragen. Die Werbung läßt uns hinter Kleidern und Autos herjagen. Wir haben Jobs, die wir hassen, damit wir uns die Scheiße kaufen können, die wir nicht brauchen. (…) Wir haben keinen Sinn und keinen Ort. Wir haben keinen großen Krieg. Keine große Depression. Unser großer Krieg ist ein spiritueller Krieg. Unsere große Depression ist unser Leben. Das Fernsehen hat uns von klein auf weisgemacht, daß wir eines Tages Rockstars sein werden, Filmgötter und Millionäre. Aber das wird nicht passieren. Langsam begreifen wir das. Und wir sind darüber sehr, sehr sauer.
Also war Tyler bloß ein frustrierter Konsum-Narziß, der nur deswegen so sauer war, weil er nicht bekam, was er wollte, der zerstören wollte, woran er nicht teilhaben konnte? In jedem Fall führte sein Aufstand nur tiefer in den Alptraum hinein, der nun multipel wucherte, zum Alptraum innerhalb des Alptraums geriet, besonders dann, wenn man dachte, daß das Erwachen endlich gekommen sei. Auch Tylers Existenz war eine bloße Tautologie, nicht nur des schizophrenen Erzählers, der sich am Ende in den Kopf schießt, um Tyler zu vernichten, sondern auch der Gesellschaft, zu derem Todfeind er sich erklärt hat. Ähnlich verhält sich Der kommende Aufstand zu der Zivilisation, die er zerstören möchte. Immerhin haben die Autoren eine gewisse Ahnung davon.
Fight Club war ein blutiger Witz, war tief ironisch, wo Der kommende Aufstand sich bitter und todernst gibt, selbst in seinem Sarkasmus. Palahniuk und Fincher wußten im Gegensatz zum “unsichtbaren Komitee”, daß die Zerstörung keine Befreiung bringt, daß der Weg zum Selbst nicht freigebombt werden kann. Dies ist aber nicht die einzige gefährliche Naivität dieser allzu großmäuligen Beschwörung von Gewalt, Chaos, Abschaum und Kriminalität, wie sie so garantiert nur ein frustrierter, weißer, mittelständischer, vermutlich innerlich infantil gebliebener Intellektueller in den Mund nehmen kann.
An sich ist die Pathologie noch kein Einwand. Man kann die heutige Gesellschaft wohl nicht anders als in pathologisch-medizinischen Termini beschreiben, mit den Augen eines Psychologen, Psychoanalytikers und Psychiaters. Es gibt eine tiefer blickende Weisheit und ein überlegenes Wissen der Kranken, von dem ihre vermeintlich gesunden, vermutlich auf ihre Kosten “gesunden” Zeitgenossen nichts ahnen, darin haben die Autoren des Kommenden Aufstands recht.
Sie haben aber, um ein Wort von Friedrich Hebbel zu benutzen, die negative Tugend zum Gefrierpunkt ihres auseinanderfallenden Ichs gemacht. In einer Welt, in der nichts mehr wahr, alles relativ ist, sogar ihre eigenen Voraussetzungen, und deren Ende absehbar und unvermeidlich, ist die Zerstörung die einzige Gewißheit, an der sich noch festhalten läßt, die einzige Tat, die vollkommen gerechtfertigt ist und keinen doppelten Boden besitzt. Welche Erleichterung, welche Vereinfachung. Endlich deckungsgleich mit sich selbst sein. Endlich ausatmen und den roten Knopf drücken. An diesem Punkt scheinen die Verfasser angekommen zu sein.
Aber dies ist nicht der Ort, es ist vielmehr das Gegenteil des Ortes, von dem aus der Waldgänger spricht und handelt, das System unterwandert und überlistet, das nach seiner Seele und seinem Sein greift. Sein Zentrum liegt woanders, es gehört nicht einer Welt an, die untergeht.
À suivre.