Würde man mich nun fragen, welche Zeitschriften auf mich persönlich den größten politischen Einfluß hatten (außer der Sezession natürlich), dann wüßte ich drei Namen zu nennen: Criticón, Staatsbriefe und Junge Freiheit. Ich näherte mich diesen Organen verspätet, im Krebsgang, als Nachzügler und Schatzsucher. Wer sich den Bestand des deutschen Nachkriegskonservativismus aneignen will, muß graben; denn vieles, was zu Tage geförderte war, ist wieder versunken. Viele Fackeln fanden keine Hand, in die sie weitergereicht werden konnten.
Nichts kann bei dieser Aneignung mehr helfen als ein Studium der ersten 25 Jahrgänge von Criticón. Caspar von Schrenck-Notzing (1927–2009) hat diese Zeitschrift herausgegebenen, die erste Nummer erschien im Sommer 1970. Ich begann um 2001 herum, mich im Zuge einer Begeisterung für Armin Mohler in die Literatur der intellektuellen Rechten hineinzufressen. Ein Dutzend dicker Wälzer aus der Preußischen Staatsbibliothek mit den gesammelten Criticón-Jahrgängen eröffnete mir nicht nur die Welt des deutschen Konservativismus, sondern die ganze große Tradition konservativen Denkens überhaupt. Schrenck-Notzing ließ sie alle zu Wort kommen: »von den katholischen Traditionalisten über die Adenauer-Fraktion und die Klassisch-Liberalen bis zu den Nominalisten und Nationalrevolutionären« (Karlheinz Weissmann). Hier stieß ich zum ersten Mal auf Namen wie Erik von Kuehnelt Leddihn und Thomas Molnar, Günther Rohrmoser und Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Robert Hepp und Hans-Dietrich Sander, Alain de Benoist und Günter Maschke, sowie auf die »Stefan Scheils« ihrer Zeit, die Historiker Dietrich Aigner, Hans Werner Neulen und Hannsjoachim W. Koch. Mit gesteigerter Aufmerksamkeit stürzte ich mich natürlich auf die Beiträge Mohlers: pro Heft etwa ein »großer«, und zwei bis drei »kleinere«. Dabei zählte natürlich besonders seine Buchrezensionsseite »Scribifax las für Sie« zu den wegweisenden Glanzlichtern. Ansprechend war auch die elegante Aufmachung mit ihrem Hang zum Angelsächsischen und Romanischen.
Die »Autorenporträts«, deren Tradition die Sezession heute fortführt, würden aneinandergereiht eine Enzyklopädie der konservativen Meisterdenker und Dichter ergeben. Der Reiz von Criticón besteht allerdings auch in der Momentaufnahme einer Zeit, die heute fast nur mehr durch die linke Brille vermittelt wird. Dabei mag pessimistisch stimmen, wie wenig sich die Lage seither grundsätzlich geändert hat: Was die Autoren gegen die Vergangenheitsbewältigung, den linken Kulturkampf, gegen die Masseneinwanderung und über die demographische Katastrophe vorbrachten, liest sich bedrückend aktuell.
Das Ende für Criticón kam, als Schrenck-Notzing sein Magazin an einen nichtswürdigen Nachfolger übergab: Gunnar Sohn fuhr die einstige konservative Institution mit Karacho an die Wand, indem er sie in ein jammervolles »Magazin für Mittelstand und Marktwirtschaft« verwandelte. 2005 starb das Blatt den Gnadentod, ausgezehrt auch durch den Umstand, daß sich eine Neugründung unter dem Namen Sezession »am Markt« durchgesetzt hatte.
Sicherlich haben auch die Staatsbriefe in der einzigen Dekade ihres Bestehens dem Criticón schon gehörig zugesetzt und sein Monopol untergraben. Wer sich heute als Staatsbriefe-Fan bekennt, erntet entweder ein gereiztes Augenverdrehen oder enthusiastische Zustimmung: bei keiner Zeitschrift aus dem rechten Spektrum scheiden sich die Geister so scharf wie hier. Das liegt wohl vor allem an deren streitbarem Herausgeber Hans-Dietrich Sander (1928). Peter Glotz urteilte über das Werk des 1928 geborenen »nationalen Dissidenten«: »Ein Ton, der junge Deutsche in der Geschichte immer wieder beeindruckt hat. Konsequent, hochmütig und rücksichtslos – der Kompromiß wird der Verachtung preisgegeben.« Dies mündete in den geradezu verheißungsvollen Appell: »Was verhütet werden muß, ist, daß diese stilisierte Einsamkeit, diese Kleistsche Radikalität wieder Anhänger findet. Schon ein paar Tausend wäre zu viel für die zivile parlamentarische Bundesrepublik.«
Sanders notorische Intransigenz hatte ihn allmählich vom Feuilleton-Redakteur der Welt zum einsamen Guerillero im Pferch des »rechten Ghettos« gemacht. Pünktlich zur Wende verwirklichte er 1990 das langgehegte Projekt einer eigenen Zeitschrift. Unter dem von T. S. Eliot entlehnten Motto »Style and Order« war der Umschlag in schlichtem Grau gehalten, als Emblem diente der Grundriß des Castel del Monte, entsprechend dem kühnen Programm der Wiederbelebung einer ghibellinischen Reichsidee, an der Sander mit provozierender Unbeirrtheit festhielt. Fixe Einrichtungen bis zum Ende der Staatsbriefe im Jahre 2001 blieben die funkelnd geschliffenen Leitartikel Sanders, die Berichte und Betrachtungen von Wolfgang Strauss über Rußland, der Nachdruck vergessener Texte aus der Konservativen Revolution und die der Kontroverse gewidmeten Seiten unter dem Titel »In arte disputandi«. Sanders Hoffnung, mit der Zeitschrift alle zu versammeln, »die sich der Renaissance des nationalen Denkens« verschrieben hatten, »ob links, ob rechts, ob heidnisch, ob christlich«, zerschlug sich jedoch bald, aus Mangel an Lesern ebenso wie an wirklich guten Autoren. Waren zu Beginn noch viele aus Criticón bekannte Köpfe mit an Bord, wie Mohler, Zehm, Hans-Joachim Arndt, Robert Hepp oder Salcia Landmann, so waren am Ende nur noch wenige wirklich hochkarätige Federn wie Josef Schüsslburner oder Thor von Waldstein übriggeblieben.
Nach Jahren hat der einst mächtige Bann, den die Staatsbriefe auf mich ausgeübt haben, deutlich nachgelassen, vieles sehe ich nun kritischer, vieles geht mir gar massiv gegen den Strich. Aber einmal eingetaucht zu sein in diese Art von unerschrockener Totalopposition und unzeitgemäßer Radikalität, ist ein prägendes Erlebnis. Es macht einen gleichgültig gegen den Zeitgeist, und mutig zur Sezession und zur Avantgarde des Eigensinns. Und nirgendwo anders habe ich besser begriffen, daß Deutschland mehr ist, als seine wechselnden Regierungen, Staaten und Teilstaaten. Es ist ein »Lebewesen, das 2000 Jahre alt ist« (Alexander Kluge). Das Reich ist und bleibt die eigentliche politische Form und Heimat der Deutschen; das wird auch über alle Republiken der Zukunft hinweg Gültigkeit haben.
Der Sprung zur gänzlich anders gewickelten Jungen Freiheit mag nun etwas abrupt erscheinen. Was kann man dazu noch sagen, was nicht schon gesagt worden ist? Wir alle haben schon einmal auf sie geschimpft, waren genervt von dem nicht immer geschmackssicheren populärpatriotischen Tonfall und die zum Teil skurrilen, unter dem Zwang zum Affirmativen kompilierten Fotomontagen auf der Titelseite, waren enttäuscht über die Anpassungen an den Mainstream, trauerten wehmütig den guten alten Zeiten nach, als die Linie – wie wir uns zu erinnern glauben – gepfefferter, provokanter und schneidiger als heute war. Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Junge Freiheit bleibt unser aller Einstiegsdroge und unser aller Mutti, und ohne den beachtlichen Spielraum, den das 1986 als Schülerzeitung gegründete Blatt gegen alle Widerstände und Wahrscheinlichkeiten finanzieller und politischer Art erkämpft hat, hätte die rechte Publizistik in Deutschland heute kaum eine Fußbreite Boden unter den Füßen. Diesen den Nachkommenden zu bestellen, haben die Mohlers, Schrenk-Notzings und Sanders nämlich sträflich versäumt. Da bedurfte es schon eines Besessenen wie Dieter Stein (1967), der dieses Gelände zu besetzen und zu halten wußte.
Man wünscht der Jungen Freiheit für die Zukunft mehr Leser, mehr Breitenwirkung, mehr Geld, mehr wirklich gute Autoren, aber auch, daß sie ihr Profil nicht preisgibt, und sich diesen eigentümlichen, widerständigen Idealismus bewahrt, der für ihre Macher ebenso wie für ihre Leser so charakteristisch ist.