Geschichtspolitik kastriert – Erika Steinbach und das “Zentrum gegen Vertreibungen”

pdf der Druckfassung aus Sezession  21/Dezember 2007

sez_nr_21von Michael Paulwitz

Das „Zentrum gegen Vertreibungen" kommt, die geschichtspolitische Wende bleibt aus. Für das Studium polnischer und deutscher Nationalneurosen bieten die wütenden Attacken von jenseits der Oder auf das Projekt und seine hartnäckigste Protagonistin, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) Erika Steinbach, dennoch instruktive Lektionen.


Dabei ver­wun­dert weni­ger die Aggres­si­vi­tät der pol­ni­schen Ein­wän­de gegen eine deut­sche Doku­men­ta­ti­ons- und Gedenk­stät­te, die sich mit der Jahr­hun­dert­ka­ta­stro­phe der Aus­trei­bung der Deut­schen aus dem ampu­tier­ten öst­li­chen Vier­tel des Rei­ches und den Sied­lungs­ge­bie­ten in Mit­tel- und Ost­eu­ro­pa befaßt, als viel­mehr das Aus­maß, in dem die star­re pol­ni­sche Ver­wei­ge­rung jeg­li­chen Unrechts­be­wußt­seins den innen­po­li­ti­schen Dis­kurs in der Bun­des­re­pu­blik bestimmt.
War­schau wer­de eine deut­sche Gedenk­stät­te gegen Flucht und Ver­trei­bung nur akzep­tie­ren, wenn BdV-Prä­si­den­tin Stein­bach dabei kei­ne Rol­le spie­le, ver­laut­bar­te der desi­gnier­te pol­ni­sche Minis­ter­prä­si­dent Donald Tusk nach sei­nem Wahl­sieg. Auch die neue War­schau­er Regie­rung kann sich auf eine Viel­zahl hilfs­wil­li­ger deut­scher Sekun­dan­ten ver­las­sen. Noch vor Tusk ver­kün­de­te Bun­des­tags­vi­ze­prä­si­dent Wolf­gang Thier­se sofort nach der Eini­gung der Gro­ßen Koali­ti­on auf die Rea­li­sie­rung des Zen­trums auch schon, der BdV oder wenigs­tens Frau Stein­bach selbst sol­le nicht in den Gre­mi­en mit­wir­ken – wegen „mas­si­ver Vor­be­hal­te im Aus­land”. Der zwei­te pro­mi­nen­te Polen-Lob­by­ist der Sozi­al­de­mo­kra­tie, Mar­kus Meckel, sprach dem Bund der Ver­trie­be­nen die Qua­li­fi­ka­ti­on ab, beim The­ma Ver­trei­bung mit­zu­re­den. Für die Grü­nen stieß Ant­je Voll­mer in das­sel­be Horn.
Gro­tesk an die­ser Debat­te ist schon, daß sie über­haupt statt­fin­det. Weni­ger wegen der „Kalt­schnäu­zig­keit”, die eine „sonst in Betrof­fen­heits­ri­tua­len schwel­gen­de Lin­ke gegen­über Leid­tra­gen­den des eige­nen Vol­kes” zeigt, wie die FAZ kom­men­tier­te. Daß Thier­se und Meckel, der Vor­sit­zen­de der deutsch-pol­ni­schen Par­la­men­ta­ri­er­grup­pe, War­schau de fac­to ein Veto­recht für inner­deut­sche Per­so­na­li­en ein­räum­ten, mach­te es Uni­ons­po­li­ti­kern ein­fach, die­se Unge­heu­er­lich­keit zurück­zu­wei­sen und sich so mit einer baren Selbst­ver­ständ­lich­keit als Beschüt­zer der Hei­mat­ver­trie­be­nen aufzuspielen.
Die im ver­gan­ge­nen Jahr­zehnt in Polen gepfleg­te anti­deut­sche Hys­te­rie galt vor allem der Abwehr von im Vor­feld des pol­ni­schen EU-Bei­tritts erho­be­nen Ansprü­chen deut­scher Ver­trie­be­ner auf Rück­ga­be ihres Eigen­tums. Die vom Vor­sit­zen­den der Lands­mann­schaft Schle­si­en Rudi Pawel­ka initi­ier­te „Preu­ßi­sche Treu­hand” traf einen wun­den Punkt: die Rechts­wid­rig­keit kol­lek­ti­ver Ent­eig­nun­gen nach eth­ni­schen Kri­te­ri­en. Solan­ge Deutsch­land sei­ne Ost­ge­bie­te nicht for­mell abtrat – was es eben des­we­gen bis heu­te nicht getan hat -, war Polen der Adres­sat für Ent­schä­di­gungs­for­de­run­gen, die die „Treu­hand” vor euro­päi­schen Gerich­ten erhe­ben woll­te. Pol­ni­sche Scharf­ma­cher kon­ter­ten mit astro­no­mi­schen „Reparations”-Forderungen und der „Pol­ni­schen Treu­hand”; die Kam­pa­gne hat­te eini­gen Anteil am Auf­stieg der Kac­zyn­ski-Brü­der an die Staatsspitze.
Weder die rot-grü­ne Bun­des­re­gie­rung noch die CDU-Oppo­si­ti­on unter­stütz­te den Rechts­stand­punkt der „Treu­hand” und nutz­te die Gele­gen­heit, Polen vor dem EU-Bei­tritt in die his­to­ri­sche und recht­li­che Ver­ant­wor­tung zu neh­men. Die im Dezem­ber 2006 ein­ge­reich­ten Kla­gen wer­den daher abseh­bar erfolg­los blei­ben. Auch Eri­ka Stein­bach distan­zier­te sich von Anfang an von der „Treu­hand” und mach­te sich de fac­to die pol­ni­sche For­de­rung nach einer inner­deut­schen Ent­schä­di­gungs­lö­sung zu eigen. Auch eine „Null-Lösung” sei dabei vor­stell­bar, erklär­te sie im Herbst 2004 und stell­te den Ver­band vor eine Zer­reiß­pro­be; Pawel­ka for­der­te erfolg­los ihren Rück­tritt und wur­de kaltgestellt.

Der Unwil­le zur Oppo­si­ti­on ent­spricht der Tra­di­ti­on des Bun­des der Ver­trie­be­nen, der in die­sem Okto­ber sein fünf­zig­jäh­ri­ges Bestehen fei­er­te. Nach den Brandt­schen Ost­ver­trä­gen hat­te der BdV sich ganz der Uni­on an den Hals gewor­fen. In der Ära Kohl waren die altern­den Hei­mat­ver­trie­be­nen eine fest gebuch­te und mit beschei­de­nen Sub­ven­tio­nen und Sonn­tags­re­den zufrie­de­ne Wählerklientel.
Eri­ka Stein­bach über­nahm den Ver­band par­al­lel zum Regie­rungs­wech­sel zu Rot-Grün. Die in der Oppo­si­ti­on wie üblich inten­si­vier­te rhe­to­ri­sche Wäh­ler­pfle­ge ihrer Par­tei gab ihr Rücken­wind; zugleich umwarb sie die rot-grü­ne Pro­mi­nenz. Sie habe den Ver­band erst „salon­fä­hig” gemacht, über­trieb kürz­lich ihr Stell­ver­tre­ter Albrecht Schlä­ger, und „von rechts­ra­di­ka­len Ele­men­ten befreit”. Gemeint ist da wohl Paul Latus­sek, das letz­te nicht CDU-from­me Präsidiumsmitglied.
Zu kei­nem Zeit­punkt hat Stein­bach eine geschichts­po­li­ti­sche Posi­ti­on bezo­gen, die einen Gegen­pol zum poli­tisch-kor­rek­ten Zeit­geist bil­den könn­te. Auch nicht mit dem von ihr initi­ier­ten „Zen­trum gegen Ver­trei­bun­gen”. Als sie im Sep­tem­ber 2000 die gleich­na­mi­ge Stif­tung ins Leben rief, erfreu­te sich die­ses all­ge­mei­nen Wohlwollens.
Gleich­wohl stell­te der noto­ri­sche Mar­kus Meckel im Juli 2003 einen unter ande­rem von Thier­se, Rita Süss­muth und Gün­ter Grass unter­zeich­ne­ten „Appell der 65″ vor, der das Zen­trum als „vor­wie­gend natio­na­les Pro­jekt” bezeich­ne­te, das die „Gefahr des Auf­rech­nens” ber­ge, und für eine „euro­päi­sche” Geden­k­lö­sung plä­dier­te. Das waren halt­lo­se Vor­wür­fe, denn das Stein­bach-Kon­zept war abso­lut „poli­tisch kor­rekt”: Weder fehl­te der Kon­text ande­rer Ver­trei­bun­gen des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts noch die Ein­be­zie­hung pol­ni­scher und tsche­chi­scher Sicht­wei­sen, und auch das Dog­ma, die Schuld lie­ge allein bei Hit­ler und den Natio­nal­so­zia­lis­ten, wird weder von Stein­bach noch vom Kon­zept ihres Zen­trums in Fra­ge gestellt, das dem zuwi­der­lau­fen­de his­to­ri­sche Lini­en bewußt aus­blen­det. Das Kon­zept habe „kei­ne Defi­zi­te”, erklär­te denn auch Ralph Giord­a­no, der in Stein­bachs Stif­tung mitwirkte.
Jen­seits der Oder wur­de die Vor­la­ge dank­bar auf­ge­nom­men. Man dür­fe die Geschich­te nicht umschrei­ben und „Täter” nicht zu „Opfern” machen, war die archai­sche Kol­lek­tiv­schuld-Logik der von hys­te­ri­schen Bou­le­vard­tö­nen beglei­te­ten Kam­pa­gne. Die Staats­prä­si­den­ten Deutsch­lands und Polens, Rau und Kwas­niew­ski, mach­ten sich die Pole­mik Meckels gegen den Stand­ort Ber­lin in ihrer „Dan­zi­ger Erklä­rung” vom Okto­ber 2003 zu eigen. Meckel woll­te das Zen­trum in Bres­lau ansie­deln, der pol­ni­sche Minis­ter­prä­si­dent Mil­ler in Sara­je­wo, die Bür­ger­platt­form des heu­ti­gen Regie­rungs­chefs Tusk in War­schau unter Auf­sicht des Euro­pa­rats. Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Chris­ti­na Weiss initi­ier­te ein „euro­päi­sches Netz­werk” gegen Ver­trei­bun­gen, das den deut­schen Ver­trie­be­nen die Gedenk­mög­lich­keit auch räum­lich ent­win­den soll­te, sich wegen Des­in­ter­es­ses der Ver­trei­ber­staa­ten aber als Tot­ge­burt erwies. Die Uni­on hat­te ein bil­li­ges Wahl­kampf­the­ma: Es ging letzt­lich nur um den Ort einer Ein­rich­tung, über deren Inhalt es kei­nen ech­ten Dis­sens gab.
Der Ver­such, das Geden­ken an das eige­nen Lands­leu­ten wider­fah­re­ne Unrecht ande­ren zu über­tra­gen, noch dazu den Staa­ten, in deren Namen das Unrecht began­gen wur­de, dürf­te ein ziem­lich ein­ma­li­ger deut­scher Son­der­weg sein. Die Art der Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ver­trei­bung der Deut­schen belegt ein­mal mehr, daß in Deutsch­land nur die poli­ti­sche Lin­ke geschichts­po­li­ti­sche Zie­le ver­folgt: Ihr geht es um die Fest­schrei­bung der NS-Bewäl­ti­gung als archi­me­di­schem Punkt des deut­schen Geschichts­bil­des. Uni­ons­po­li­ti­kern liegt hin­ge­gen vor allem an Wäh­ler­tak­tik und Kli­en­tel­pfle­ge. Frau Stein­bach beug­te sich bereit­wil­lig bei­den Zwän­gen, um ihr Pro­jekt in staat­li­cher Anbin­dung rea­li­sie­ren zu kön­nen. Eine selbst­be­stimm­te Deu­tung der Ver­gan­gen­heit steht nach wie vor aus.

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