Der rüstige Laubenpieper muß sich nun vor Gericht verantworten: Ihm sei es “stets um das Prinzip” gegangen, erfahren wir aus der Presse. Autochthoner geht’s kaum – der Knüppel war bestimmt auch aus deutscher Eiche. Kein Fall also für islam- oder multikultikritische Blogger, eher für die westdeutschen Traditionsmedien um Jens Jessen, Heribert Prantl & Co:
Die Pächter hielten sich nicht an die Vorschriften des deutschen Kleingartengesetzes, eine Laube war zu groß, ein paar Großbäume wurden nicht vorschriftsmäßig entfernt, die Aufteilung zwischen Nutz- und Ziergartenflächen wurden nicht eingehalten, mal hämmerte einer während der Mittagsruhe, mal lagen Zigarettenkippen auf dem Weg. Und schließlich wollte der Nachbar einfach nicht einsehen, dass der Zufahrtsweg zu zwei Dritteln seiner Breite zum Grundstück von Wilfried R. und nur zu einem Drittel zu ihrem Grundstück gehörte. (Süddeutsche Zeitung, 25.3.2009).
Der “Schrebergarten”, ein Ursprung jener heute vom Bundeskleingartengesetz geregelten spießbürgerlichen Idylle, war im 19. Jahrhundert in Leipzig aus einer Initiative sächsischer Pädagogen heraus aufgekommen. Der Dresdner Pädagoge Ernst Hauschild hatte einen reformpädagogischen Schulverein nach dem Leipziger Kollegen Moritz Schreber benannt; ein anderer Lehrer regte an, in Leipzig um den “Schreberplatz”, einen Spielplatz für Kinder, Kleingärten anzulegen, die ersten “Schrebergärten”. Nun gilt Moritz Schreber als notorischer Vertreter der “schwarzen Pädagogik”, der unter anderem bekannt wurde durch seineKallipädie oder Erziehung zur Schönheit durch naturgetreue und gleichmässige Förderung normaler Körperbildung, lebenstüchtiger Gesundheit und geistiger Veredelung und insbesondere durch möglichste Benutzung specieller Erziehungsmittel. (Leipzig: Fleischer, 1858). Passenderweise erlangte Schrebers Sohn Daniel Paul einige Berühmtheit mit seinen autiobiographischen Aufzeichnungen Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (1903), die nicht zuletzt Sigmund Freuds Theorie der Paranoia inspirierten. Hier fällt’s freilich schwer, nicht zu sagen: Aha! Diese koloniale Idylle deutscher Kleingärten führt uns direkt ins Herz der Finsternis! “Disziplin statt Unkraut” (Berliner Zeitung, 19.5.2001) lautet die Devise.
Der Normalismustheoretiker Jürgen Link würde mit Blick auf Schreber und die Folgen von einem idealtypischen “Protonormalismus” sprechen, dessen Normalitätskonzepte eng an Normativität gebunden sind; eine solche Form des Normalismus ist vergleichsweise starr, auf fixe Normal- und Grenzwerte ausgerichtet, und sie kultiviert die Fassade, hinter der sich das Anormale verbirgt. Diesem Normalismus soll der berüchtigte “autoritäre Charakter” besonders jener vormals Deutschen entsprechen, den die Frankfurter Schüler und ihre “Folger” (H. D. Sander) fast für das ganze 20. Jahrhundert in Haftung nehmen wollten.
Unser gewalttätiger Kleingärtner aber zeigt zunächst einmal eines: Auch unter der kleingärtnerischen Normalität, die Teil der von Enzensberger konstatierten positiven Mentalität des Wiederaufbaus war und ist, liegt der Wahnsinn stets auf dem Sprung – ob dieser Wahnsinn Teil des Systems und Folge einer rigiden Normalisierung ist, darüber muß nachgedacht werden.