Für Connoisseure der fortschreitenden gesellschaftlichen Demenz und sonstige Kabarettliebhaber und Fremdschämenthusiasten waren diese Massenwahnexzesse wieder ein besonders dicker Leckerbissen. Besonders peinlich berührt daran vor allem die offensichtliche Spiegelfechterei, die für dergleichen Auftritte so charakteristisch ist.
Im Prinzip geschieht hier dasselbe, wie wenn ein paar hundert Antifantenautonome in Kreuzberg “Genua” spielen gehen,und dabei “polizia assassini” skandieren, in dem Wissen, daß deutsche Polizisten eben keine “Mörder” sind, und ihnen ohnehin nichts Gröberes passieren kann. Ein ähnlich demofolkloristisches Schattenboxen ereignet sich, wenn in Berlin 3500 schlichte Gemüter den US-amerikanischen “Slutwalk” (übrigens eine ausgesprochene Lesbennummer) nachspielen, inklusive vorwiegend englischsprachiger Transparente. Aber an wen etwa sollen die sich nun richten? Wer soll davon beeindruckt sein? Glauben die Betreiber denn allen Ernstes, daß echte Vergewaltiger mit Sprüchen und Demos abzuschrecken sind? Oder auch nur ein schlechtes Gewissen bekommen?
Vor ein paar Jahren hatte ich ein Gespräch mit einer jungen Frau iranisch-französischer Abstammung. Die erzählte mir, daß in England die Männer so zugeknöpft seien, daß es schon wieder frustrierend sei. Ähnlich sei das mit deutschen Männern, die trauen sich im Schnitt eher zuwenig als zuviel. Das krasse Gegenteil habe sie dann aber in Paris erlebt. Das sei unglaublich, wie “die Leute dort” mit Frauen umsprängen, verbal und tätlich. Empörung blitzte in ihrer Stimme auf. Da wurde ich hellhörig, denn im allgemeinen haben Franzosen ja ein eher positives “Image”, was amouröse Dinge angeht. “Was für Leute meinst du?”, fragte ich. Da platzte es aus ihr heraus: “Wenn ich nicht selber Halb-Iranerin wäre, ich würde zur Rassistin werden!! Diese Araber sind so widerlich und herablassend zu Frauen, jede, die nur einen kürzeren Rock anhat, wird als Hure und der letzte Dreck beschimpft oder mies angemacht!”
Anders ist es bekanntlich auch in Deutschland nicht. Jeder Mensch weiß, daß, wie Kositza schreibt, “sexuelle Belästigung zuvörderst ein Phänomen von Einwanderergesellschaften ist”. Daß eine Frau “sexistisch” angemacht oder angetatscht wird, wenn sie sich hautbetont oder sonstwie aufreizend kleidet, ist nicht das zivilisatorische Standardverhalten deutscher Männer, sondern eben eher das von sogenannten “Südländern” aller Schattierungen. Das kann man auch an den Vergewaltigungsstatistiken ablesen, in denen sich bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders emsig hervortun. Das wagen unsere wackeren Demonstranten aber nicht anzusprechen, denn so weit reicht der Mut wohl nicht. Das Schwelgen in der Pose soll ausreichen, nicht anders als bei ihren antifantonomen KollegInnen.
Vor deutschen Polizisten, die ohnehin kaum noch Aktionsspielraum haben, kostet es wenig, den militanten “Widerständler” zu spielen. Analog witzlos ist es, ein paar deutsche Softiemänner per Transparent aufzufordern, Vergewaltigungen doch bitte zu unterlassen. Was werden die schon machen, als kopfnickend zustimmen und brav Dinge sagen wie: “Ja, dein Körper gehört dir, Schatz, niemals würde ich mich an dir ohne deine Zustimmung vergreifen!”. Die besagten “Südländer” aber werden sich kaum von ein paar politisch korrekten Parolen auf den T‑Shirts von säuerlichen Kampflesben von ihrem Tun abhalten lassen.
Die regressive Realitätverweigerung äußert sich auch an dem Anspruch, “sexy” sein zu wollen, ohne dabei ein Risiko einzugehen, und sei es nur der Pfiff von der Baustelle herab (übrigens ein beliebter Schauplatz von unter Frauen recht weit verbreiteten Phantasien). Die “Slutwalker” wollen sich wie “Schlampen” benehmen dürfen, aber nicht wie “Schlampen” behandelt werden. Aus männlicher Sicht ist all das eine grandiose Heuchelei. Jede Frau weiß, daß sie durch geschickte Präsentation ihrer Reize, mal mehr, mal weniger subtil, erhebliche Macht auf Männer ausüben kann. Fast jede Frau genießt diese Aufmerksamkeit, fast jede weiß damit zu spielen. Und “Locken und Blocken” ist eines der allerbeliebtesten Spiele. Wer hier hat, dem wird noch gegeben werden, und wer nicht, dem wird noch genommen. Die Natur hat die Schlüssel der sexuellen Attraktivität ungleich verteilt. Männer können körperliche Mängel mit Geld, Macht, Erfolg und Intelligenz kompensieren und damit ihre Attraktivität steigern. Aber niemand auf der Welt ist in dieser Hinsicht in einer verzweifelteren Lage als eine körperlich unattraktive Frau.
Auch wenn sich die Feministinnen, die Genderbender und die sonstwie Zukurzgekommenen winden, bis sie schwarz werden, führt nichts an der Tatsache vorbei, daß Männern zu gefallen, ein ganz zentrales, vitales Anliegen der meisten Frauen ist, und sie wissen von früh auf, daß der geradeste Weg dorthin der optische ist. Ganze Industriezweige leben davon, daß Frauen Unsummen an Geld und Zeit in Kosmetik, Kleider, Unterwäsche, Abnehmkuren, Schuhe und so weiter investieren. Nun wollen unsere “Slutwalker” also beides haben: sexy sein und kitzelnde Macht über Männer haben, aber diese sollen gleichzeitig alle Verantwortung für die Folgen auf sich nehmen und hübsch an der politisch korrekten Zuchtleine hängen bleiben, die indessen aufgrund der in unserer Kultur üblichen zivilisatorischen Standards ohnehin völlig überflüssig ist. Bei anderen TeilnehmerInnen hat man wiederum eher den Verdacht, daß sie sich im Grunde nichts sehnlicher wünschen, als wenigstens einmal in ihrem Leben “sexistisch” angemacht zu werden, während wieder andere ihre heterophoben Ressentiments Gassi führen, um sie an jedem Eck Pipi machen zu lassen.
Daß das ganze Spektakel bis zu den englischen Transparenten hin eine penetrante Ami-Einfärbung hatte, kommt nicht von ungefähr. Darum zum Schluß noch eine Geschichte, die letztes Monat die Sommerloch-Runde durch die US-Blogosphäre machte: eine bebrillte junge Dame und Bloggerin, die sich als aufgeklärte Feministin sieht, wurde bei einem “Skeptiker”-Treffen von einem Nerd-Kollegen zaghaft zu einem Kaffee in seinem Zimmer eingeladen, um vier Uhr morgens im Fahrstuhl. “Skepchick” gab dem Unglücklichen nicht nur einen Korb, sondern bloggte schnurstracks über das Trauma, nun arg “sexualisiert” und “objektiviert” worden zu sein. In nächsten Akt der Komödie machte sich kein geringerer als Atheistenpapst Richard Dawkins in einer beiläufigen Bemerkung darüber lustig, worauf hin auch er von “Skepchick” und ihrer “Community” als mieser männlicher Chauvinist angegriffen wurde. Die Pointe an der Geschichte war allerdings, daß “Skepchick” überall im Netz Bilder von sich selbst in “sexy” Posen hinterlassen hatte, und sogar einen Kalender veröffentlicht hatte, in dem sie und ihre Mit-“Skeptikerinnen” halbnackt posieren. Offenbar wollten die Damen nicht nur durch ihren (durchaus mäßigen) Intellekt beeindrucken. Hony soit qui mal y pense!