Wer sind die Terroristen?

Abteilung "Unsichtbare Gegner", ein weiteres Mal: Nachdem Götz Kubitschek die wichtigsten Fragezeichen zur angeblichen "Braunen Armee Fraktion" zusammengefaßt hat, möchte ich noch ein paar Bemerkungen anfügen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nach dem Fall Anders Brei­vik, der auf die­ser Sei­te gründ­lich ana­ly­siert wur­de, ist das nun das zwei­te Mal in einem Jahr, daß sich Ter­ro­ris­ten von “rechts” offen­bar ein selt­sa­mes Stil-“Crossover” erlaubt haben, das es in bei­den Fäl­len in die­ser Form noch nicht gab:

Brei­vik kom­bi­nier­te ein klas­si­sches poli­ti­sches Atten­tat mit einem Amok-Mas­sa­ker à la Colum­bi­ne High School, das soge­nann­te “Zwi­ckau­er Trio” Bank­raub und Seri­en­lust­mord, dem pos­tum nun ein obsku­res und offen­bar schwer geis­tes­ge­stör­tes “Beken­ner­vi­deo” nach­ge­scho­ben wird.

Da nun die “Döner-Mor­de” jah­re­lang im Dun­keln blie­ben, von der Poli­zei vor­ran­gig mit der tür­ki­schen Mafia in Ver­bin­dung gebracht und von kei­ner­lei Beken­ner­schrei­ben beglei­tet wur­den, die poli­tisch moti­vier­te Taten erst als sol­che mar­kie­ren, haben die Täter offen­bar nur aus pri­va­tem Spaß an der Freu­de einen tröpf­chen­wei­sen Mini-Geno­zid in Gang gesetzt, so wie ande­re Seri­en­kil­ler eben Pro­sti­tu­ier­te zur eige­nen patho­lo­gi­schen Trieb­be­frie­di­gung umbringen.

Wie auch Mar­tin Böcker in sei­ner JF-Kolum­ne bemerkt hat, geis­tert nun ein Hor­ror­bild durch die Medi­en, das an Fins­ter­nis kaum mehr zu über­bie­ten ist: alles, was den dege­ne­rier­ten, regres­si­ven, häß­li­chen, per­ver­sen, “men­schen­ver­ach­ten­den” Nazi-Haß-Ter­ror-Seri­en­mör­dern aus dem Pre­ka­ri­at noch fehlt, ist die Ver­stri­ckung in einen Kin­der­por­no­ring oder ähnlichem.

Der “Nazi” steht heu­te ohne­hin schon auf der ethi­schen Wer­te­ska­la nur knapp über dem Kin­der­schän­der. Ich habe ein­mal einen Arti­kel dar­über geschrie­ben, wie sich Tei­le der NPD die­sen Umstand zunüt­ze machen wol­len, um sich der Gesell­schaft als eini­ger­ma­ßen  “Gute” zu prä­sen­tie­ren: man tritt sozu­sa­gen auf den­je­ni­gen, der noch einen Ver­ächt­lich­keits­rang tie­fer steht. Das geht frei­lich kläg­lich nach hin­ten los, denn mit ihren “Todesstrafe”-Plakaten wir­ken die Demons­tran­ten auf Durch­schnitts­men­schen eher erst recht wie Pogrom­hel­den und Lynchmobs.

Ich muß dabei immer an die Sze­ne aus Fritz Langs Klas­si­ker  “M” den­ken, in der die Ber­li­ner Unter­welt einen gesuch­ten Kin­der­mör­der (gespielt von Peter Lor­re) ent­führt und ihm einen Pro­zeß auf eige­ne Faust macht.  Die Ankla­ge wird aus­ge­rech­net durch den “Schrän­ker” ver­tre­ten, einen Gangs­ter­boß und mehr­fa­chen Mör­der (gespielt von Gus­taf Gründ­gens), der eine Rede hält, die Goeb­bels alle Ehre gemacht hät­te: “… die­ser Mensch muß aus­ge­löscht wer­den wie ein Scha­den­feu­er… die­ser Mensch muß aus­ge­rot­tet wer­den, die­ser Mensch muß weg!”

An den Schrän­ker muß­te ich wie­der den­ken, als ich eine Glos­se von Franz Josef Wag­ner aus der Bild-Zei­tung las:

Dass Neo-Nazis wider­lich sind, dar­über waren wir uns alle einig. … Ich dach­te, unse­re Gesell­schaft müss­te die­se Irren ertra­gen. Eine dunk­le Min­der­heit. … Wir Bür­ger haben eine gemein­sa­me Pflicht. Wir müs­sen das Böse besie­gen. Wir müs­sen die Nazis aus­rot­ten aus unse­rem Leben. Sie gehö­ren nicht zu uns.

Unge­ach­tet des­sen, daß hier, – so die offi­zi­el­le Sto­ry denn stimmt -, ledig­lich eine win­zi­ge iso­lier­te Grup­pe agier­te, die zum Rest der Sze­ne seit Jah­ren kei­nen Kon­takt hat­te, malt Wag­ner in grel­len Far­ben eine Art Untermenschen‑, Ali­en- und Wer­wolf­sip­pe aus, die mit­ten unter “uns” lebe, vor der man schreck­lich Angst haben müs­se, und die man offen­bar eben­falls “wie ein Scha­den­feu­er aus­lö­schen” müsse.

Wag­ner ist nun nicht nur ein begna­de­ter Het­zer ohne jeg­li­chen Genie­rer, er ist auch, wie sich das für die­sen Typus tra­di­tio­nell gehört, ein ver­läß­li­cher Unter­tan. Denn er beherrscht bekannt­lich nicht nur die Kaker­la­ken- son­dern auch die Syko­phan­ten­spra­che per­fekt. Wer gei­fern kann, kann in der Regel auch schlei­men. Wenn er nicht gera­de in Aus­rot­tungs­phan­ta­sien schwelgt, schreibt er hym­ni­sche Elo­gen an sei­ne heiß­ge­lieb­te Führerin:

Lie­be Ange­la Mer­kel, aus Ihrer Umge­bung höre ich, daß Sie zur­zeit eine 120-Stun­den-Arbeits­wo­che haben und höchs­tens 5 Stun­den schla­fen. […] Kein nor­ma­ler Mensch hält das aus. Brüs­sel hin und her im Jet. Euro ret­ten, Grie­chen­land ret­ten. Sar­ko­zy Tag und Nacht am Tele­fon. See­ho­fer im Nacken. Gad­da­fis Tod bewer­ten. Abends bei der Jun­gen Uni­on, um die Jugend zu begeis­tern. Dann bei der Frau­en­uni­on, um für die Rech­te der Frau­en zu kämp­fen. […] Wis­sen Sie, war­um ich Sie mag, lie­be Kanz­le­rin? Sie haben kei­nen Schnup­fen. Sie haben eine Pfer­de­na­tur. Sie sind kein Hypo­chon­der, Sie wirft kein Luft­zug um. Wenn es zieht, krie­gen Sie kei­ne Schnief­na­se. Ich mag die­se Kanz­le­rin. Man­che mögen sie nicht. Ich mag Angela.

Nun sehe ich schon den Schein­wer­fer­schwenk auf die uner­müd­lich das Wohl des Vol­kes meh­ren­den Licht­ge­stal­ten im Bun­des­tag, allen vor­an natür­lich unse­re gro­ße Bun­des­an­ge­la, die laut Pres­se­mel­dung  über­ra­schen­der­wei­se die Unta­ten “ver­ur­teil­te” und gewiß mit ihren Innen­mi­nis­tern schon einen tol­len Plan aus­heckt, um uns alle vor dem Bösen zu ret­ten. Was sind denn schon ein paar Bun­destro­ja­ner und ande­re Klin­ker­litz­chen gegen unser aller Sicher­heit? Wer nichts zu ver­ber­gen hat, hat ja nichts zu fürchten!

Eben noch fin­gen wir an, uns zu fra­gen, ob die­ser Staat, der gera­de mir nichts dir nichts das Volks­ver­mö­gen ver­äu­ßert hat und dabei schlei­chend die demo­kra­ti­sche Mit­be­stim­mung außer Kraft setzt und den uner­klär­ten per­ma­nen­ten Aus­nah­me­zu­stand als neue Herr­schafts­pra­xis inau­gu­riert, es denn eigent­lich wirk­lich so gut mit uns meint, wie wir bra­ven Unter­ta­nen zu glau­ben geneigt sind. Schön, daß es jetzt wie­der Wich­ti­ge­res gibt. Nun, da der skan­da­lok­ra­ti­sche Thrill land­auf land­ab für bes­tes Schau­er­en­t­er­tain­ment sorgt, kön­nen wir unse­re dif­fu­se Angst end­lich wie­der an einen alt­be­kann­ten Nagel hän­gen, und auf­at­men, daß es unse­re gute Regie­rung gibt, die uns vor den “Irren” da drau­ßen schüt­zen wird.

Und dann kön­nen wir wie­der ein Leben füh­ren, das Wag­ner so skizziert:

Wir müs­sen die Nazis aus­rot­ten aus unse­rem Leben. Sie gehö­ren nicht zu uns. Nicht zu unse­rem Cap­puc­ci­no, zu unse­rem Cof­fee to go, Schau­fens­ter-Bum­meln. Ein schö­nes Hemd kau­fen, zum Ita­lie­ner gehen. Mil­le gra­zie. Das ist unser Leben. Der Nazi-Ter­ror ist nicht unser Leben.

So ist das, Leu­te! Die Nazi­ter­ro­ris­ten­se­ri­en­kil­ler­psy­chos wol­len euch eure hei­le Lat­te-Mac­chiat­to- und Kon­sum­idyl­le zer­stö­ren, und den gan­zen schö­nen berei­chern­den Piz­za- und Döner-Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus! Und nun alle wei­ter­ge­hen, es gibt hier nichts zu sehen, außer ein paar “Nazis” und “Rech­te”, was eh irgend­wie das­sel­be ist, aber um die küm­mern wir uns schon, enga­giert ihr  euch flei­ßig “gegen Rechts”, denkt harm­los an das Harm­lo­se, dann wird euch nichts gesche­hen, und geht wie­der bum­meln, ein­kau­fen und Cap­puc­ci­no schlürfen!

Für den all­ge­mei­nen affek­ti­ven Effekt ist es nicht so wich­tig, daß die “Dönermorde”-Story von hin­ten bis vor­ne kei­nen Sinn ergibt. Die Infor­ma­tio­nen, die uns zur Ver­fü­gung ste­hen, las­sen sich nicht ein­mal zu einer halb­wegs plau­si­blen “Ver­schwö­rungs­theo­rie” zusam­men­bas­teln. Aber daß hier etwas der­art ober­faul ist, daß wir uns es zur Zeit kaum vor­stel­len kön­nen, scheint nahe­zu­lie­gen.  Daß gera­de die neo­na­zis­ti­sche Sze­ne Thü­rin­gens ein Nest aus VS-Män­nern war, ist hin­läng­lich bekannt, und sicher eben­so­we­nig ein Zufall wie die rät­sel­haf­ten mas­si­ven VS-Ver­stri­ckun­gen im Fall des “Tri­os”.

Habe ich übri­gens schon erwähnt, daß in Nor­we­gen unmit­tel­bar vor und bis in den Tag des Dop­pel­at­te­nats von Oslo und Utøya hin­ein eine Ter­rorübung statt­fand, die mit einem sehr ähn­li­chen Sze­na­rio befaßt war, wie es sich dann zufäl­li­ger­wei­se tat­säch­lich ereig­ne­te? Das behaup­ten nicht nur irgend­wel­che Bil­der­ber­ger-Blogs, so stand es in der ange­se­he­nen nor­we­gi­schen Aften­pos­ten.  Die “Stra­te­gie der Span­nung” ist nichts Neu­es. In den Sieb­zi­ger Jah­ren hat die NATO/CIA-Orga­ni­sa­ti­on “Gla­dio” in Ita­li­en neo­fa­schis­ti­sche Grup­pen ein­ge­setzt, um einen roten Ter­ror zu insze­nie­ren. Wie immer in einem sol­chen Spiel sind die extre­mis­ti­schen Grup­pen ledig­lich Schach­fi­gu­ren einer Par­tie auf höhe­rer Ebe­ne, oft ohne ihre eige­ne Rol­le zu begreifen.

Das alles muß erst­mal Spe­ku­la­ti­on blei­ben.  Die Rol­le der Mas­sen­me­di­en ist momen­tan eini­ger­ma­ßen wirr und unklar. Die Devi­se scheint erst­mal zu sein: Dampf machen! Die Unge­reimt­hei­ten der Sto­ry und die VS-Ver­bin­dun­gen wer­den inzwi­schen auch per Bild-Zei­tung mit dicken und laut krä­hen­den Schlag­zei­len in die Mane­ge geschleu­dert. Auch dies trägt zur all­ge­mei­nen Ver­un­si­che­rung bei. Indes­sen über­wiegt die flä­chen­de­cken­de Angst- und Panik­ma­che, ein­her­ge­hend mit einer Stig­ma­ti­sie­rung, Dämo­ni­sie­rung und Ver­un­glimp­fung all des­sen, was “rechts” ist oder sein soll.

Der Ter­ro­ris­mus kann nur als sol­cher bezeich­net wer­den, wenn er auch wirk­lich Ter­ror, also “Schre­cken” ver­brei­tet. Er ist auf die mul­ti­pli­zie­ren­den Kanä­le der Mas­sen­me­di­en gera­de­zu ange­wie­sen. Was auch immer das bizar­re “Zwi­ckau­er Trio” und sei­ne Kom­pli­zen ver­bro­chen haben: sie haben es eben nicht genutzt, um Ter­ror und Angst zu ver­brei­ten. Das tun jetzt ande­re für sie, mit allen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln. Und es funk­tio­niert. Ange­sichts der Rol­le, die nun die Mas­sen­me­di­en und ihre poli­ti­schen Wel­len­rei­ter spie­len, fra­ge ich: wer ist denn nun der eigent­li­che Terrorist?

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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