Aktuelles zu Fjordman

Ich möchte noch ein paar Anmerkungen zu der von Manfred Kleine-Hartlage und mir besorgten Ausgabe von Essays...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

des “Fjord­man” Peder Jen­sen machen.  Die­ser hat seit Okto­ber 2011 wie­der zu schrei­ben begon­nen, und es in den letz­ten Wochen geschafft, gleich meh­re­re Arti­kel in nor­we­gi­schen Main­stream-Blät­tern wie Ver­dens Gang, Aften­pos­ten und Dag­bla­det zu publi­zie­ren (einen bei­nah kom­plet­ten Index sei­ner Tex­te gibt es hier), die aller­dings zum Teil an ent­schei­den­den Stel­len “gekürzt” wurden.

Zu Hil­fe kamen Jen­sen dabei nor­we­gi­sche Pres­se­ge­set­ze, die ein Recht auf Gegen­dar­stel­lung ein­räu­men. So hat er nun zumin­dest teil­wei­se die Chan­ce erhal­ten, sich gegen schwe­re Anwür­fe zu ver­tei­di­gen. Die­se wer­den aller­dings unver­min­dert erho­ben, und die Pres­se ver­sucht den Autor wei­ter­hin als Schreib­tisch­tä­ter zu brand­mar­ken.

Ins­be­son­de­re Ver­dens Gang, für die Jen­sen in Prä-“Fjordman”-Zeiten gele­gent­lich schrieb, legt sich dabei mäch­tig ins Zeug. Und Anders Brei­viks Anwalt, neben­bei Mit­glied der sozia­lis­ti­schen “Arbeiter”-Partei, ver­sucht zur Zeit, Jen­sen zumin­dest teil­wei­se für den Dop­pel­an­schlag von Oslo und Utoya ver­ant­wort­lich zu machen.

Dazu muß man erneut fest­hal­ten, daß die Phra­se vom “Vor­den­ker” oder (noch abge­dro­sche­ner) “Stich­wort­ge­ber” rein fak­tisch nicht rich­tig ist: Brei­vik hat sich in sei­nem Mani­fest zwar zum “Fan” erklärt, aber nie behaup­tet, von Fjord­man kau­sal beein­flußt zu sein, erst recht nicht, was sei­ne Wahn­sinns­tat betrifft. Wei­ters berich­tet er, daß sowohl sei­ne Welt­sicht als auch sei­ne nach eige­nen Anga­ben seit 2002 geheg­ten Atten­tats­plä­ne bereits voll aus­ge­bil­det waren, ehe er auf die Essays sei­nes etwa gleich­alt­ri­gen Lands­manns stieß, der indes­sen nie­mals zu Gewalt auf­ge­ru­fen hat, und sich über die Taten Brei­viks eben­so ent­setzt zeig­te wie jeder ande­re nor­ma­le Mensch auch. Dar­über­hin­aus hat Brei­vik unzäh­li­ge wei­te­re Autoren und Poli­ti­ker zitiert, unter ihnen auch Win­s­ton Chur­chill, John Stuart Mill und Ange­la Merkel.

Der Druck, der nun auf Jen­sen las­tet, ist unge­heu­er, und im Hin­ter­grund steht frei­lich der Ver­such, die Islam- und Libe­ra­lis­mus­kri­tik über­haupt zu äch­ten.  Dies geschieht wie immer in ers­ter Linie durch blo­ße “ad hominen”-Attacken ohne jeg­li­che Argu­men­te. Wir befin­den uns hier wie­der mit­ten im Schlacht­feld der bewähr­ten Mecha­nis­men und Stra­te­gien, die Mei­nungs­frei­heit zu unterdrücken.

Jen­sen schreibt:

Vom Stand­punkt der Main­stream-Medi­en ist es wich­tig, einen gründ­li­chen Ruf­mord an mir zu bege­hen. Sie wis­sen, daß ein gro­ßer Teil der Bevöl­ke­rung mei­ne Ansich­ten in vie­len Punk­ten teilt, und wir müs­sen zum Schwei­gen gebracht werden.

Seit den ruhm­rei­chen Tagen des Vor­sit­zen­den Mao gibt es eine beson­ders wirk­sa­me Metho­de, abwei­chen­de Mei­nun­gen im Keim zu ersti­cken. Man nimmt ein paar exem­pla­ri­sche Indi­vi­du­en und zer­quetscht sie vor den Augen der Öffent­lich­keit, damit nie­mand wagt, etwas ähn­li­ches zu sagen.

Neben­bei: genau die­ses “scape­goa­ting” geschieht gera­de auch in Eng­land mit der “Tram Lady” Emma West, an der eben­falls ein öffent­li­ches Exem­pel sta­tu­iert wur­de (momen­tan wur­de sie bis zu ihrer Gerichts­ver­hand­lung wie­der auf frei­en Fuß gesetzt).

Jen­sen weiter:

Ich wer­de nicht schwei­gen. Ich wer­de wei­ter schrie­ben und die Wahr­heit sagen über den Islam, die EU, den Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus und die Mas­sen­ein­wan­de­rung in die west­li­che Welt. Die Ein­schüch­te­rungs­kam­pa­gne wird scheitern.

Die­se Ver­pflich­tung zur Wahr­heit ist es auch, die letzt­lich Klei­ne-Hart­la­ge, Kubit­schek und mich bewo­gen hat, die Tex­te trotz aller Beden­ken zu ver­öf­fent­li­chen. Man muß jetzt spre­chen, solan­ge man noch kann. Die­se Din­ge sind zu wich­tig, als daß man schwei­gen dürfe.

Wenn ich mir anse­he, wie die Mecha­nis­men der öffent­li­chen Mei­nungs­ma­che funk­tio­nie­ren, ohne Rück­sicht auf Anstand und das Ethos der Wahr­heits­su­che,  fra­ge ich mich manch­mal, ob die Edi­ti­on nicht ein Feh­ler war. Lese ich Jen­sens Essays wie­der, dann weiß ich, daß wir rich­tig gehan­delt haben. Sie sind wah­re Augen­öff­ner, sach­lich in der Argu­men­ta­ti­on und von einem auf­klä­re­ri­schen Geist getra­gen. Sie ver­lan­gen nach einer ernst­haf­ten Aus­ein­an­der­set­zung und kei­ner leicht­fer­ti­gen Abstem­pe­lung durch Schlag­wor­te. Das von den Medi­en ver­brei­te­te Bild vom “Haß­blog­ger” ist falsch und bewußt irreführend.

Jen­sens Auf­sät­ze schär­fen den Blick, die Spra­che und die Taten der herr­schen­den poli­ti­schen Klas­sen im rich­ti­gen Kon­text zu sehen. Weni­ge Leu­te kapie­ren wahr­schein­lich, was für unge­heu­er­li­che Impli­ka­tio­nen es hat, wenn ein Armin Laschet for­dert, “ange­sichts des demo­gra­phi­schen Wan­dels” müs­se Deutsch­land „offen­siv für mehr Zuwan­de­rung wer­ben“: „Wir brau­chen einen viel grö­ße­ren Wurf.”  “Viel grö­ßer” als was? Um was zu errei­chen? Und was bedeu­tet hier eigent­lich: “ange­sichts”?

Die­sen “grö­ße­ren Wurf”, die­ses “big pic­tu­re” gilt es in sei­nen vol­len Kon­se­quen­zen zu ver­ste­hen. Sie rei­chen wei­ter und tie­fer, als sich die meis­ten Durch­schnitts­me­di­en­kon­su­men­ten momen­tan über­haupt vor­stel­len kön­nen.  In einem sei­ner jün­ge­ren Arti­kel ant­wor­tet Jen­sen auf eine Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus-Ideo­lo­gin, die ihn im Dag­bla­det ange­grif­fen hat:

Mei­ner Mei­nung nach sind die Anhän­ger der Mas­sen­ein­wan­de­rung aus nicht-euro­päi­schen Län­dern die eigent­li­chen Extre­mis­ten – und nicht etwa ihre Geg­ner. Oder ist es etwa nicht extrem, die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung durch eine ande­re zu erset­zen, wie es heu­te in vie­len Tei­len Euro­pas geschieht?

Es gibt kaum eine radi­ka­le­re Ideo­lo­gie als jene, die dar­auf abzielt, über einen gan­zen Kon­ti­nent hin­weg den indi­ge­nen Bevöl­ke­run­gen das Recht auf ihre Hei­mat­län­der zu neh­men, und anschlie­ßend jeg­li­chen Wider­stand gegen eine sol­che Poli­tik zu unterdrücken.

Marie Simon­sen schrieb im Früh­ling 2007, daß für jeden Men­schen auf der Welt das uni­ver­sel­le Recht gel­ten soll­te, hin­zu­zie­hen, wo er will. Wenn wir davon aus­ge­hen, daß die Welt­be­völ­ke­rung in den nächs­ten Jahr­zehn­ten um Mil­li­ar­den anwach­sen wird, und daß das Bevöl­ke­rungs­wachs­tum eines ein­zi­gen Lan­des, Paki­stan, aus­rei­chen wür­de, um ein win­zi­ges Land wie Nor­we­gen in nur weni­gen Jah­ren zu zer­drü­cken, dann muß man anneh­men, daß Simon­sen nicht will, daß die Nor­we­ger eine Zukunft als Volk haben.

Da ihr, soviel ich weiß, damals kaum jemand in den Main­stream-Medi­en wider­spro­chen hat, scheint es, daß die­se Ansicht unter Pres­se­leu­ten weit ver­brei­tet ist. Wenn das der Fall ist, haben wir ein Problem.

Zu die­sem epo­cha­len, “radi­ka­len” Vor­gang fin­det auch ein Spe­zia­list des “Radi­ka­lis­mus”, kein Gerin­ge­rer als Ernst Nol­te, in sei­nem eben erschie­nen Buch “Spä­te Refle­xio­nen” har­te Worte:

… wenn nicht nur Frem­de “aus aller Her­ren Län­der” ohne ernst­haf­te Kon­trol­len ein­wan­dern, son­dern wenn einem selbst­be­wuß­ten und gebur­ten­freund­li­chen Volk das Gebiet eines libe­ris­ti­schen (Nol­tes Begriff für die heu­ti­ge Ent­ar­tungs­form des Libe­ra­lis­mus. – M. L.) Vol­kes zur Ver­fü­gung gestellt wird: dann voll­zieht sich die Selbst­aus­lö­schung in rela­tiv kur­zer Zeit.

An einer ande­ren Stel­le fällt Nol­te ein schwe­res ethi­sches Urteil:

Unter der Flag­ge des schein­hu­ma­nis­ti­schen Kamp­fes gegen “Frem­den­feind­lich­keit” voll­zieht sich mög­li­cher­wei­se eines der gro­ßen Ver­bre­chen der jüngs­ten Zeit, näm­lich die Zulas­sung der unge­re­gel­ten Mas­sen- und Armuts­im­mi­gra­ti­on in dicht­be­völ­ker­te Gebiete.

“Eines der gro­ßen Ver­bre­chen der jüngs­ten Zeit”! Eine sol­che War­nung aus dem Mun­de eines Man­nes, der sein Leben lang über die “gro­ßen Ver­bre­chen” und blu­ti­gen Eska­la­tio­nen des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts nach­ge­dacht hat, soll­te sehr ernst genom­men werden.

Noch ein paar Wor­te zu Brei­vik. Wer nach allen deut­li­chen Wor­ten der Her­aus­ge­ber noch immer nicht ver­ste­hen will, daß die Fjord­man-Aus­ga­be der Edi­ti­on Antai­os trotz und nicht wegen Brei­vik publi­ziert wur­de, hat wohl gute Grün­de für sein absicht­li­ches Miß­ver­ste­hen, die auf ihn zurückfallen.

Ich für mei­nen Teil hat­te vor etwa ein­ein­halb Wochen einen tri­um­phie­ren­den “Ich hab’s von Anfang an gesagt” – Moment, als ver­laut­bart wur­de, daß Brei­vik laut einem offi­zi­el­len Gut­ach­ten für “para­no­id-schi­zo­phren” und “nicht zurech­nungs­fä­hig” erklärt wur­de.  Damit wäre auch end­lich die Dis­kus­si­on been­det, wo die eigent­li­che Wur­zel des Bösen an ihm zu suchen wäre, und dann wäre auch der Über­schät­zung des poli­ti­schen Gehalts der Untat ein Rie­gel vorgeschoben.

Auf den zwei­ten Blick bin ich mir aber nicht mehr so sicher, wie ich dar­über den­ken soll. Die Dia­gno­se über­rasch­te mich nun doch etwas. Daß Brei­vik stark patho­lo­gi­sche Züge hat, ist unver­kenn­bar, aber nach mei­nem beschei­de­nen Lai­en-Urteil schien mir hier eher eine nar­ziß­ti­sche Per­sön­lich­keits­stö­rung als eine hand­fes­te Schi­zo­phre­nie oder gar Psy­cho­se vor­zu­lie­gen: dazu sind nicht nur die auto­bio­gra­phi­schen Tei­le des “Mani­fests” zu kohä­rent, ich kann mir auch schwer vor­stel­len, daß ein Schi­zo­phre­ner imstan­de ist, eine sol­che Akti­on wie das Dop­pel­at­ten­tat mona­te­lang zu pla­nen und im Allein­gang durch­zu­füh­ren. In die­ser Hin­sicht hielt ich ihn stets durch­aus für “zurech­nungs­fä­hig”, also: schuldfähig.

Eine Ver­mu­tung ist, daß die Dia­gno­se dem Zweck die­nen soll, Brei­vik annä­hernd lebens­läng­lich weg­zu­sper­ren, wozu das libe­ra­le nor­we­gi­sche Gesetz momen­tan kei­ne Hand­ha­be bie­tet. Womög­lich wird sie aber auch benutzt wer­den, um die Islam- und Libe­ra­lis­mus­kri­tik an sich zu patho­lo­gi­sie­ren, ganz nach alten Sowjet-Metho­den zur Aus­schal­tung von Dis­si­den­ten, wozu es ja bereits Ten­den­zen gibt.

Es gibt nun lei­der kei­nen Weg mehr um Brei­vik  her­um; er hat als Quis­ling der Lin­ken ein beträcht­li­ches Gelän­de ver­mint und besetzt.  Dar­um habe ich mich ent­schlos­sen, auch wenn es wenig Spaß macht, die­sen durch­aus unge­wöhn­li­chen Fall fron­tal anzu­ge­hen, sei­ne media­le Wir­kung gründ­lich zu ana­ly­sie­ren und sei­ne Patho­lo­gie in einen erwei­ter­ten gesell­schaft­li­chen Kon­text zu stel­len, denn die­sen hat Brei­vik eben­so wie der U‑Bahnschläger, der jugend­li­che Amok­läu­fer und der Sau­er­land­ter­ro­rist, eben­so wie Emma West und Armin Laschet.

Das scheint mir ein legi­ti­mer und gebo­te­ner Ansatz zu sein. Als Vor­bild dien­ten mir dabei Bücher wie Götz Eisen­bergs “Amok – Kin­der der Käl­te” und Gerd Koe­nens exzel­len­tes Ter­ror-Psy­cho­gramm “Ves­per, Ens­slin, Baa­der”.  Hier galt es, den Nagel punkt­ge­nau ein­zu­schla­gen. Ob mir das gelun­gen ist, mögen die Leser des Anhangs zu den Fjord­man-Auf­sät­zen selbst ent­schei­den.  Wo die­je­ni­gen, die heu­te die ratio­na­le Dis­kus­si­on um vita­le Fra­gen ver­wei­gern und ersti­cken wol­len, mit ein­fa­chen Ant­wor­ten um sich schla­gen, sind wir unab­hän­gi­gen Publi­zis­ten die­je­ni­gen, die die kom­ple­xen Fra­gen stel­len. Mehr kön­nen wir heu­te nicht tun.

Lek­tü­re:
Fjord­man: Euro­pa ver­tei­di­gen. Zehn Tex­te, hier ein­se­hen beim Ver­lag und hier beim Internet-Laden.
Man­fred Klei­ne-Hart­la­ge: „Neue Welt­ord­nung“. Zukunfts­plan oder Verschwörungstheorie?
Mar­tin Licht­mesz: Die Ver­tei­di­gung des Eige­nen. Fünf Traktate.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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