Unter Geächteten – noch ein Nachtrag

Es rief, und alle kamen: von Süden, von Westen, aus dem Herzen Deutschlands und aus seiner lahmen Hauptstadt, und es war, als sei ein geheimer Befehl an die jungen Männer ergangen, der sie wegrief von ihren Studiengängen und Trinkrunden.

Man stieß auf den schnur­ge­ra­den Land­stra­ßen bei­na­he zusam­men, und erkann­te sich am Stil, denn die Sicht war weit und der Blick war klar, und man wuß­te, daß dort, wo es sich dräng­te und kreuz­te, die Gefahr am größ­ten sein wür­de. Aber alles fand sich, und bald gin­gen Rufe hin und her durch den Gast­raum: „Du auch hier?“ – „Ja, auch ich, ich auch wie­der mit dabei!“

Dann ging das Gerücht, daß Jün­ger selbst anwe­send sei, und ein Hur­ra bran­de­te auf, als man ihn auf einem der geteer­ten Feld­we­ge in die wogen­de Wei­te eines Win­ter­ger­s­te­fel­des auf sub­ti­le Jagd aus­ge­hen sah. Halb ver­schwand er in einem Gra­ben, als ein Wagen der Unse­ren in rascher Fahrt zum Treff­punkt eil­te, aber dann sah man ihn wie­der und pros­te­te ihm aus der Fer­ne zu: „Du aben­teu­er­li­ches Herz, das, an unsicht­ba­ren Fäden gezo­gen, den Weg zu uns fand!“

Spä­ter im Saal, als die Macht­fra­ge gestellt wur­de, war die Ent­schei­dung schon gefal­len. Wir waren aus­ge­zo­gen, um an den Bruch­li­ni­en Wacht zu hal­ten, aber der Boden­satz ver­spot­te­te uns, wäh­rend die Bür­ger Gewinn und Ver­lust sin­nen­den Haup­tes erwo­gen. Hat­te uns der Staat auch ver­ra­ten, hat­te uns das Volk auch ver­kannt – Deutsch­land wuß­te um uns, Deutsch­land war da, wo wir waren, leb­te, wo wir leb­ten, glüh­te, wo wir um jedes Wort, jede Deu­tung, jede Stim­mung ran­gen, und was am Ende den Tumult aus­lös­te, war uns einer­lei, als wir uns über die ande­ren war­fen und sie mit Stüh­len ein­keil­ten, um Genug­tu­ung zu fordern.

Selbst Jün­ger, der mit kal­tem Blick die Rin­gen­den wie Käfer stu­dier­te, geriet noch in Bedräng­nis. Dann war es Thors­ten, der uns Ein­halt gebot und in die Stil­le hin­ein die Fra­ge stell­te: „Sind wir nicht alle Geächtete?“

Dem konn­te kei­ner wider­spre­chen, und als sich zag­haft noch eine Stim­me aus der Mit­te ver­neh­men ließ, wur­de sie zum Schwei­gen gebracht.

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Kommentare (7)

Saxnot

5. Juni 2012 09:39

"Mögen wir niemals so alt werden, daß wir das rechte Lachen verlieren über die Taten derer, die plötzlich als Taugenichtse auf und davon gingen, weil ihnen die Bücher den Kopf verdrehten. Mögen wir im Gegenteil immer bei denen sein, die eines Morgens ausziehen, fest in den Steigbügeln und mitten in die Sonne hinein, mit dem festen Glauben an sich und die Schatzkammern der Welt. Von solchen zu hören, von ihrer Begeisterung, ihrem Kampf und Untergang, kann man nicht müde werden. Was ist dagegen der Erfolg, den der Krämer mit der Elle mißt?"

Unke

5. Juni 2012 10:11

Nun, so richtig geht dieser Text nicht an mich ran; vielleicht, weil er zu kurz ist (um was es geht es dort etc.), vielleicht auch weil ich (selbst im betrunkenen Zustand) zu nüchtern für solche Elogen bin.
Letzteres hat einen Grund: ich komme aus Verhältnissen, aus denen früher Schlagetots, Landsknechte oder Auswanderer rekrutiert wurden. Folglich geht es mir persönlich primär um Möglichkeiten zu prosperieren (optimalerweise in einem preussisch-freien Umfeld à la Singapur) und darüber letztlich auch sich zu emanzipieren (was zwar nicht zwingend gegen Stände oder Adel spricht, wohl aber z.B. gegen klerikal dominierte Gesellschaften wie einige islamische Staaten).
Wenn man unsereinem mit "Vaterlandsliebe" oder "Patriotismus" kommt weiss man, dass es wieder mal 5 nach 12 ist: das Land wurde wieder mal heruntergewirtschaftet, und nun "darf" der Untertan wieder einmal Opfer bringen.
Tja.
Euroland ist abgebrannt und ich denke durchaus "global" darüber nach wie es weitergehend. Wir sind hier hoffnungslos verbonzt und die Nichtbonzen streben unweigerlich der Verarmung zu (wenn sie es nicht schon sind); das wird nichts mehr.

Johannes

5. Juni 2012 11:13

Sehr schön geschrieben! Kreuzten Oswald S. und Filipo Tommasso Marinetti auch die Wege des Anarchen auf dem Felde - in der Flur verblassenden Asphalts futuristische Autorennen abhaltend - ganz dem kriegerischen Geiste des Eisernen Zeitalter zugetan?

Martin Höfer

5. Juni 2012 12:46

Großartig! Der Ton ist getroffen, die Bilder sprechend. Mußte lachen, während ich am Schreibtisch sitze und Arbeit verrichte, für die es leider nur Verstand und kein Herz braucht, während meine Gedanken in den "nahen Osten" zu einem sagenumwobenen Rittergut fliegen. Weitermachen!

zentralwerkstatt

5. Juni 2012 13:07

Wer ächtet wen und wer hat Grund dazu?

Die Schäbigen sind leicht auszumachen. Diebstahl ist NIE gut, genauso wie Mord nie gut ist. Es sind Verbrechen. Die das begehen, sind Verbrecher.

Eine politisch organisierte Bande bereichert sich über den Ausverkauf unserer Heimat. Und wir lassen es geschehen, sehen dem Mottenfraß an unserem Land zu und flüchten uns in ein Deutschland im Herzen...

Das wahre Deutschland liegt aber in Mitteleuropa, ein Landstrich, dessen benachbarte Verlierermächte es wieder einmal zum Vorhof der Hölle werden lassen. Und wir lassen geschehen.

RG

5. Juni 2012 15:44

Sommernachtsträume? Gespenstersonaten? Geisterseher?

Oder schöpfen wir unsere Poesie jetzt aus der Vergangenheit? Und jeder borgt sich das Kostüm eines teuren Toten. Mal sehn, dann komme ich ...vielleicht als Gottfried Benn.

erwalf

5. Juni 2012 17:58

Liebe Sezession!
Ernst von Salomon kam in den Knast für mehr als nur Gedanken. Ich dagegen bin nur ein kleiner Amerikanischer-Bürgerkriegs-Leugner. Weißt Du vieleicht, ob man dafür heute in unserem freihesten Staat, den es ja auf deutschem Boden gab, strafrechtlich belangt werden kann. Falls ja, stelle ich natürlich sofort das Leugnen ein und gehe auf des Anarchen Spuren Wald- und Felderwandern. Dir aber wünsche ich für die Zukunft viel Macht zum Wohle des deutschen Volkes!

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