Fundamentalismus ohne Fundament?

von Martin Böcker

Manfred Kleine-Hartlage hat auf meinen Beitrag zur Beschneidungsdebatte mit seinem Artikel über den „Fundamentalismus ohne Fundament“ geantwortet,...

womit eine klei­ne Debat­te ent­stan­den ist, die ich gern fort­ge­setzt hät­te. Mit Mar­tin Licht­mesz’ “Iden­ti­tä­ren Noti­zen zur Beschnei­dungs­fra­ge” ist mei­ne Ant­wort jedoch hin­fäl­lig gewor­den. Sicher, ich kom­me auf ande­rem Wege zum sel­ben Ergeb­nis, was auch inter­es­sant gewe­sen wäre. Aber irgend­wann ist eine Debat­te über ein rela­tiv neben­säch­li­ches The­ma, jeden­falls wenn man weder Jude noch Mos­lem ist, totgetreten.

Ich möch­te aber trotz­dem auf Klei­ne-Hart­la­ges Beschrei­bung mei­nes poli­ti­schen Den­kens reagie­ren. Er meint, ich hät­te einen anti­li­be­ra­len Affekt, ich wür­de eine Dicho­to­mie zwi­schen abs­trak­ter Ver­fas­sung und Gewach­se­nem kon­stru­ie­ren, ja sogar dar­auf her­um­rei­ten, daß uns das Grund­ge­setz von den „Sie­ger­mäch­ten“ auf­ge­zwun­gen wur­de. Ich wür­de schlie­ßen, „daß jeg­li­che Tra­di­ti­on, die nicht aus libe­ral-auf­klä­re­ri­schem Den­ken“ stam­me, und sei es das Ritu­al der Beschnei­dung, „ein geeig­ne­tes Gegen­ge­wicht“ gegen tota­li­tä­re Ten­den­zen dar­stel­le. In letz­ter Kon­se­quenz wür­de ich sogar unter­schied­li­ches Recht für unter­schied­li­che Grup­pen for­dern, den libe­ra­len Rechts­staat nur „unter dem Gesichts­punkt sei­ner auf­klä­re­ri­schen, revo­lu­tio­när-zer­set­zen­den Ten­den­zen“ betrach­ten. Zudem wür­de ich nicht defi­nie­ren, was ich wol­le und mich statt­des­sen dar­auf kon­zen­trie­ren, was ich nicht wol­le. Am Ende wird mir sogar Fun­da­men­tal­op­po­si­ti­on gegen die Ver­fas­sung unter­stellt, Klei­ne-Hart­la­ge schlägt sogar den ganz gro­ßen Bogen bis zur Kon­ser­va­ti­ven Revolution.

Das ist alles unzutreffend.

Ich übe kei­ne Fun­da­men­tal­op­po­si­ti­on gegen die Ver­fas­sung, son­dern wäge die Rech­te auf Reli­gi­ons­frei­heit und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit anders ab. Mir ist klar, daß ein Ergeb­nis sol­cher Abwä­gun­gen immer auch von per­sön­li­chen Ein­stel­lun­gen abhän­gig ist, also nie alle zufrie­den sein wer­den. Dem­entspre­chend bin ich der Mei­nung, daß eine Grenz­zie­hung im Sin­ne von “ganz oder gar nicht”, also ent­we­der jede Kör­per­ver­let­zung im Namen der Reli­gi­on erlau­ben oder über­haupt kei­ne,  nicht der rich­ti­ge Weg ist, um sich einem abs­trak­ten Ide­al von Gerech­tig­keit anzu­nä­hern. Die Pro­ble­me der Umvol­kung, Ent­chris­tia­ni­sie­rung und Entor­tung kön­nen nicht mit dem Ver­bot der Beschnei­dung gelöst wer­den und soll­ten daher nicht als Argu­ment dafür ver­wen­det werden.

Es ist auch nicht so, daß mir das Fun­da­ment feh­len wür­de: Ich bete einen Zim­mer­mann an, der vor knapp 2000 Jah­ren gestor­ben ist. Regel­mä­ßig bit­te ich sei­ne Mut­ter (die ohne Geschlechts­ver­kehr und durch einen Geist schwan­ger wur­de) dar­um, sie möge bei ihm doch bit­te­schön ein gutes Wort für mich und mei­ne Lie­ben ein­le­gen. Ich hän­ge mir eine FSK18-Abbil­dung sei­nes grau­sa­men Fol­ter­to­des gut sicht­bar in die Woh­nung und ver­zeh­re min­des­tens ein­mal pro Woche ein spe­zi­ell zube­rei­te­tes Stück Ess­pa­pier, das ich nach einem ritu­el­len Akt (der aus­schließ­lich von Män­nern durch­ge­führt wer­den darf) für den Kör­per des Zim­mer­manns hal­te. Dazu gehört das Ver­bot von Din­gen, wel­che vie­le Men­schen mit gutem Gewis­sen machen, und die jedem mal pas­sie­ren kön­nen. Und ich wer­de mei­nem Nach­wuchs bei­brin­gen, daß die­se Geschich­te die ein­zi­ge Wahr­heit ist, und daß die Leug­nung die­ser Wahr­heit den Weg in die Höl­le zur Fol­ge haben kann. Die psy­chi­schen Fol­gen die­ser Mischung aus absur­der Geschich­te, schlech­tem Gewis­sen und Höl­len­angst sind nicht vorherzusehen.

In Anbe­tracht die­ser mei­ner Un-Ver­nunft bin ich rela­tiv ver­ständ­nis­voll für die selt­sa­men Ritua­le ande­rer Reli­gio­nen, die zwar nicht der Wahr­heit ent­spre­chen, aber von man­chen Leu­ten doch auf­rich­tig dafür gehal­ten wer­den. Mein Affekt ist weni­ger anti­li­be­ral und mehr klein­bür­ger­lich: Wenn’s die Ange­le­gen­heit mei­nes Nach­barn ist, und ich es auch nicht so schlimm fin­de, dann geht’s mich ein­fach nichts an.

 

 

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