Seit zwei, drei Jahren kristallisiert sich aber eine neue Möglichkeit heraus, wie kleine Milieus Einfluß auf die Meinungsbildung gewinnen können. Mit Web 2.0 ist eine kostengünstige Alternative entstanden, zielgruppenspezifisch zu kommunizieren. Der Sammelbegriff Web 2.0 hat sich für eine Reihe von Internetanwendungen etabliert, die das Veröffentlichen von Texten, Tönen, Bildern und kleinen Filmen unkompliziert möglich machen und die den Lesern, Hörern und Zuschauern verschiedene Optionen der Mitgestaltung und Interaktion bieten. Typische Web‑2.0‑Anwendungen sind Weblogs (Internet-Tagebücher), Podcasts (Internet-Radio), Wikis (Internet-Enzyklopädien) und Communities (Internet-Interessengruppen).
Audio- und audiovisuelle Beiträge lassen sich mit einfachen Mitteln produzieren und im Internet veröffentlichen. Die Hälfte der Hobby- Filme- und Radiomacher hat sich das Wissen dazu autodidaktisch angeeignet. Ihnen kommt entgegen, daß die Hürden, um beispielsweise einen eigenen Podcast zu erstellen, weder finanziell noch technisch sonderlich hoch sind. Die meisten Podcaster produzieren ihre Audiobeiträge am eigenen Rechner mit einem billigen Mikrophon und einem kostenlosen Audiobearbeitungsprogramm aus dem Internet.
Die strikte Trennung zwischen Medienproduzenten und ‑konsumenten weicht im Zuge der Neuentwicklungen im WWW (World Wide Web) mehr und mehr auf. Die Nutzer, die bei den neuen Medien in die Generierung der Inhalte eingebunden werden, bleiben nicht länger passive Konsumenten, sondern entwickeln sich zum Prosumenten. Das Wort „Prosument” ist zusammengesetzt aus „Produzent” und „Konsument” und macht deutlich, daß dieser Nutzertyp sowohl Medienangebote beisteuert, etwa durch ein eigenes Weblog oder das Schreiben von Beiträgen für Wikipedia, als auch eifrig konsumiert.
Laut der ARD/ZDF-Onlinestudie 2006 nutzen zwölf Prozent der Deutschen (7,5 Millionen) Web‑2.0‑Anwendungen einmal die Woche oder öfter. Und während sich im Jahr 2000 nur dreißig Prozent der Deutschen ins WWW einwählten, sind es inzwischen sechzig Prozent. Die Hälfte davon tut dies mit einer Dauerleitung, einer sogenannten Flatrate. Neben Flatrates sorgen mobile Endgeräte wie iPods, multifunktionale Handys und MP3-Spieler sowie WLAN (kabellose Internetverbindung) für neue Rezeptionsmuster. Mit dem Medientheoretiker Marshall McLuhan gesprochen, werden die mobilen Endgeräte zu „Prothesen des Menschen”, mit denen er in die Welt eingreift. Mit dem Mobiltelefon oder dem Laptop organisieren moderne, junge Menschen ihren Alltag, kaufen damit ein oder engagieren sich politisch. Die Schauplätze des Handelns verlagern sich zunehmend in die Virtualität; Communities und Portale werden zu wichtigen „Marktplätzen” des sozialen Lebens. Redaktio nelle Inhalte, Audio‑, Video- und Blogbeiträge, Formen des Bürgerjournalismus, kleine Online-Einkaufsläden und unzählige Foren, in denen die Nutzer diskutieren, flirten und streiten, befinden sich auf diesen neuen Marktplätzen.
Die Online-Ausgabe des Spiegels bringt nicht mehr nur schriftliche Artikel, sondern bietet ihren Nutzern zusätzlich „Urlaub für die Ohren” (Podcast), Kurznachrichten in Videoform sowie allerhand Möglichkeiten zum Mitdiskutieren. Fernsehen, Radio und Zeitung finden sich auf einer gemeinsamen Plattform wieder, von der aus wiederum einzelne Angebote auf mobile Endgeräte übertragen werden können. Dieses „Zusammenwachsen” von Wissen in Texten, (bewegten) Bildern und Tönen bezeichnet man als Konvergenz der Medien. Im Internet konkurrieren die Plattformen einer Zeitung, eines Fernsehsenders und der Radiosender im direkten Wettbewerb um die Gunst der Konsumenten. Mit 2,3 Millionen Besuchen täglich hat sich Spiegel-Online als Marktführer der Zeitungen und Zeitschriften im Netz durchgesetzt. ProSieben. de als bester Onlineableger eines Fernsehsenders kommt auf 4,1 Millionen Besuche.
Der Hyperwettbewerb und das Hyperangebot an Print‑, Rundfunk- und Onlinemedien bedeuten aber nicht automatisch, daß sich vielfältige Themen und Inhalte den Weg in die Öffentlichkeit ebnen. Wie Günter Zehm in Maske und Mimesis. Eine kleine Philosophie der Medien (Edition Antaios 2006) richtig feststellt, ist ein „Mehr an Kommunikation” häufig nur eine „Verdoppelung und Ausweitung des gewöhnlichen Alltags”. Und Botho Strauß hat 1991 in seinem Aufstand gegen die sekundäre Welt deutlich gemacht, daß selbst der professionelle Journalismus die Dinge meist nur wiederkäut oder zerredet und deshalb eine „Mentalität des Sekundären” hervorbringt. Wenn schon der professionelle Journalismus nur faselt, was geschieht dann gegenwärtig in (politischen) Weblogs und Foren, in denen Inhalte aus etablierten Medien aufgegriffen und kritisch kommentiert werden? Das „Sekundäre” und Gequatsche wird auf die Spitze getrieben. Intellektuell anregende und schöpferische Leistungen findet man in Weblogs kaum.
Und dennoch: Wer keine eigenen Stände auf den virtuellen (Informations-)Marktplätzen besitzt oder es versäumt, eigene Marktplätze zu errichten, dessen Inhalte gehen in der öffentlichen Wahrnehmung unter. Ein rechtes Internetportal gibt es noch nicht und die wenigen privaten rechten Blogger und Netzwerker haben die Schwelle, an der aus Spielereien Ernst wird, noch nicht überschritten. Bei dem Politikspiel „dol2day” (democracy online today) existierte bis Juni 2003 eine rechte Sammlungspartei mit bis zu 500 Mitgliedern namens „FUN” (Freiheitlich – Unabhängig – National), die später von der Spielleitung verboten wurde. Seitdem ist es nicht gelungen, das Potential der FUN in eine neue Organisationsform zu gießen. Aus dem Spiel entwickelte sich kein ernsthaftes Projekt, obwohl dies der Wunsch vieler Mitglieder der FUN war.
Web 2.0 eignet sich nur dann zur politischen Kommunikation, wenn die neuen Medien konzeptionell dazu genutzt werden, Strukturen aufzubauen. Die selbsternannte „digitale Bohème” rund um die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin des Jahres 2006 Kathrin Passig und den Journalisten Holm Friebe machen vor, was mit Web 2.0 möglich ist. Sie haben die Zentrale Intelligenz Agentur (ZIA) gegründet und nutzen mit ihrer kleinen Firma, die Web‑2.0‑Projekte umsetzt, die Vorteile der digitalen Arbeit, die ihrer Ansicht nach ohne Festanstellung und ohne örtlich gebundenen Arbeitsplatz auskommt. Web 2.0 kann dazu dienen, mit geringen finanziellen Mitteln komplexe Strukturen aufzubauen und politische Inhalte einer breiten Öffentlichkeit kostenlos, zeit- und ortsunabhängig zugänglich zu machen. Aus unterschiedlichen Städten arbeiten Produzenten und Prosumenten mit unterschiedlichem Zeitbudget und unterschiedlichen Arbeitszeiten gemeinsam an einem Projekt. Das ist es, was Web 2.0 ausmacht.
Daß im Netz mehr Narrenfreiheit herrscht als in der „realen” Welt, ist hingegen nur ein Nebenaspekt. Wer in dieser Narrenfreiheit bereits eine Demokratisierung der Gesellschaft sieht, vergißt, daß sich im Internet eine deutliche Aufmerksamkeitshierarchie herausbildet. Professionelle Angebote ziehen Aufmerksamkeit auf sich und Weblogs und Podcasts, die keine Substanz besitzen, werden höchstens von privaten Freunden der Blogger gelesen. Aufmerksamkeit hat sich zur „Leitwährung” des Internets entwickelt. Die erfolgreichsten Blogger und Podcaster erhalten soviel Aufmerksamkeit, daß sie davon leben können. Larissa Vassilian zum Beispiel betreibt seit 2005 unter dem Pseudonym Annik Rubens mit „Schlaflos in München” einen der populärsten Podcasts in Deutschland. Bevor sie mit dem Podcasten begonnen hat, absolvierte sie mehrere Praktika bei Radiosendern und arbeitete neun Jahre lang als freiberufliche Journalistin. Mittlerweile ist sie beim Bayrischen Rundfunk gelandet und hat ein Buch über „Podcasting” geschrieben.
Daß einem einzelnen Rechten der Durchbruch mit Web 2.0 gelingt, ist aufgrund der Unpopularität rechten Denkens eher nicht anzunehmen. Jedoch wird öffentliche Wahrnehmung zumindest punktuell an einem rechten Portal mit redaktionellem Inhalt, Web‑2.0‑Elementen und einer kleinen Bürgerbewegung im Rücken, deren Mitglieder sich als Prosumenten an der Gestaltung der Inhalte beteiligen, nicht vorbeikommen.