Potentiale des Web 2.0

pdf der Druckfassung aus Sezession 20/Oktober 2007

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In einer durch und durch von Medien geprägten Welt, in der die Menschen bis zu zehn Stunden ihres Tages für Medienkonsum opfern, muß jede politische Strömung die ganze mediale Bandbreite für die Kommunikation ihrer Inhalte nutzen. Weil dezidiert Konservativen und Rechten der Weg in die etablierten Medien seit Jahrzehnten verwehrt wird, haben sie eigene klassische Projekte aufgebaut, deren erfolgreichstes die Wochenzeitung Junge Freiheit ist. In Fernsehen und Hörfunk verfügen die Rechten jedoch über keine Stimme.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.


Seit zwei, drei Jah­ren kris­tal­li­siert sich aber eine neue Mög­lich­keit her­aus, wie klei­ne Milieus Ein­fluß auf die Mei­nungs­bil­dung gewin­nen kön­nen. Mit Web 2.0 ist eine kos­ten­güns­ti­ge Alter­na­ti­ve ent­stan­den, ziel­grup­pen­spe­zi­fisch zu kom­mu­ni­zie­ren. Der Sam­mel­be­griff Web 2.0 hat sich für eine Rei­he von Inter­net­an­wen­dun­gen eta­bliert, die das Ver­öf­fent­li­chen von Tex­ten, Tönen, Bil­dern und klei­nen Fil­men unkom­pli­ziert mög­lich machen und die den Lesern, Hörern und Zuschau­ern ver­schie­de­ne Optio­nen der Mit­ge­stal­tung und Inter­ak­ti­on bie­ten. Typi­sche Web‑2.0‑Anwendungen sind Web­logs (Inter­net-Tage­bü­cher), Pod­casts (Inter­net-Radio), Wikis (Inter­net-Enzy­klo­pä­dien) und Com­mu­ni­ties (Inter­net-Inter­es­sen­grup­pen).
Audio- und audio­vi­su­el­le Bei­trä­ge las­sen sich mit ein­fa­chen Mit­teln pro­du­zie­ren und im Inter­net ver­öf­fent­li­chen. Die Hälf­te der Hob­by- Fil­me- und Radio­ma­cher hat sich das Wis­sen dazu auto­di­dak­tisch ange­eig­net. Ihnen kommt ent­ge­gen, daß die Hür­den, um bei­spiels­wei­se einen eige­nen Pod­cast zu erstel­len, weder finan­zi­ell noch tech­nisch son­der­lich hoch sind. Die meis­ten Pod­cas­ter pro­du­zie­ren ihre Audio­bei­trä­ge am eige­nen Rech­ner mit einem bil­li­gen Mikro­phon und einem kos­ten­lo­sen Audio­be­ar­bei­tungs­pro­gramm aus dem Internet.
Die strik­te Tren­nung zwi­schen Medi­en­pro­du­zen­ten und ‑kon­su­men­ten weicht im Zuge der Neu­ent­wick­lun­gen im WWW (World Wide Web) mehr und mehr auf. Die Nut­zer, die bei den neu­en Medi­en in die Gene­rie­rung der Inhal­te ein­ge­bun­den wer­den, blei­ben nicht län­ger pas­si­ve Kon­su­men­ten, son­dern ent­wi­ckeln sich zum Pro­sumen­ten. Das Wort „Pro­sument” ist zusam­men­ge­setzt aus „Pro­du­zent” und „Kon­su­ment” und macht deut­lich, daß die­ser Nut­zer­typ sowohl Medi­en­an­ge­bo­te bei­steu­ert, etwa durch ein eige­nes Web­log oder das Schrei­ben von Bei­trä­gen für Wiki­pe­dia, als auch eif­rig konsumiert.
Laut der ARD/ZDF-Online­stu­die 2006 nut­zen zwölf Pro­zent der Deut­schen (7,5 Mil­lio­nen) Web‑2.0‑Anwendungen ein­mal die Woche oder öfter. Und wäh­rend sich im Jahr 2000 nur drei­ßig Pro­zent der Deut­schen ins WWW ein­wähl­ten, sind es inzwi­schen sech­zig Pro­zent. Die Hälf­te davon tut dies mit einer Dau­er­lei­tung, einer soge­nann­ten Flat­rate. Neben Flat­rates sor­gen mobi­le End­ge­rä­te wie iPods, mul­ti­funk­tio­na­le Han­dys und MP3-Spie­ler sowie WLAN (kabel­lo­se Inter­net­ver­bin­dung) für neue Rezep­ti­ons­mus­ter. Mit dem Medi­en­theo­re­ti­ker Mar­shall McLuhan gespro­chen, wer­den die mobi­len End­ge­rä­te zu „Pro­the­sen des Men­schen”, mit denen er in die Welt ein­greift. Mit dem Mobil­te­le­fon oder dem Lap­top orga­ni­sie­ren moder­ne, jun­ge Men­schen ihren All­tag, kau­fen damit ein oder enga­gie­ren sich poli­tisch. Die Schau­plät­ze des Han­delns ver­la­gern sich zuneh­mend in die Vir­tua­li­tät; Com­mu­ni­ties und Por­ta­le wer­den zu wich­ti­gen „Markt­plät­zen” des sozia­len Lebens. Redak­tio nel­le Inhal­te, Audio‑, Video- und Blog­bei­trä­ge, For­men des Bür­ger­jour­na­lis­mus, klei­ne Online-Ein­kaufs­lä­den und unzäh­li­ge Foren, in denen die Nut­zer dis­ku­tie­ren, flir­ten und strei­ten, befin­den sich auf die­sen neu­en Marktplätzen.

Die Online-Aus­ga­be des Spie­gels bringt nicht mehr nur schrift­li­che Arti­kel, son­dern bie­tet ihren Nut­zern zusätz­lich „Urlaub für die Ohren” (Pod­cast), Kurz­nach­rich­ten in Video­form sowie aller­hand Mög­lich­kei­ten zum Mit­dis­ku­tie­ren. Fern­se­hen, Radio und Zei­tung fin­den sich auf einer gemein­sa­men Platt­form wie­der, von der aus wie­der­um ein­zel­ne Ange­bo­te auf mobi­le End­ge­rä­te über­tra­gen wer­den kön­nen. Die­ses „Zusam­men­wach­sen” von Wis­sen in Tex­ten, (beweg­ten) Bil­dern und Tönen bezeich­net man als Kon­ver­genz der Medi­en. Im Inter­net kon­kur­rie­ren die Platt­for­men einer Zei­tung, eines Fern­seh­sen­ders und der Radio­sen­der im direk­ten Wett­be­werb um die Gunst der Kon­su­men­ten. Mit 2,3 Mil­lio­nen Besu­chen täg­lich hat sich Spie­gel-Online als Markt­füh­rer der Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten im Netz durch­ge­setzt. Pro­Sie­ben. de als bes­ter Online­ab­le­ger eines Fern­seh­sen­ders kommt auf 4,1 Mil­lio­nen Besuche.
Der Hyper­wett­be­werb und das Hyper­an­ge­bot an Print‑, Rund­funk- und Online­me­di­en bedeu­ten aber nicht auto­ma­tisch, daß sich viel­fäl­ti­ge The­men und Inhal­te den Weg in die Öffent­lich­keit ebnen. Wie Gün­ter Zehm in Mas­ke und Mime­sis. Eine klei­ne Phi­lo­so­phie der Medi­en (Edi­ti­on Antai­os 2006) rich­tig fest­stellt, ist ein „Mehr an Kom­mu­ni­ka­ti­on” häu­fig nur eine „Ver­dop­pe­lung und Aus­wei­tung des gewöhn­li­chen All­tags”. Und Botho Strauß hat 1991 in sei­nem Auf­stand gegen die sekun­dä­re Welt deut­lich gemacht, daß selbst der pro­fes­sio­nel­le Jour­na­lis­mus die Din­ge meist nur wie­der­käut oder zer­re­det und des­halb eine „Men­ta­li­tät des Sekun­dä­ren” her­vor­bringt. Wenn schon der pro­fes­sio­nel­le Jour­na­lis­mus nur faselt, was geschieht dann gegen­wär­tig in (poli­ti­schen) Web­logs und Foren, in denen Inhal­te aus eta­blier­ten Medi­en auf­ge­grif­fen und kri­tisch kom­men­tiert wer­den? Das „Sekun­dä­re” und Gequat­sche wird auf die Spit­ze getrie­ben. Intel­lek­tu­ell anre­gen­de und schöp­fe­ri­sche Leis­tun­gen fin­det man in Web­logs kaum.
Und den­noch: Wer kei­ne eige­nen Stän­de auf den vir­tu­el­len (Informations-)Marktplätzen besitzt oder es ver­säumt, eige­ne Markt­plät­ze zu errich­ten, des­sen Inhal­te gehen in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung unter. Ein rech­tes Inter­net­por­tal gibt es noch nicht und die weni­gen pri­va­ten rech­ten Blog­ger und Netz­wer­ker haben die Schwel­le, an der aus Spie­le­rei­en Ernst wird, noch nicht über­schrit­ten. Bei dem Poli­tik­spiel „dol2day” (demo­cra­cy online today) exis­tier­te bis Juni 2003 eine rech­te Samm­lungs­par­tei mit bis zu 500 Mit­glie­dern namens „FUN” (Frei­heit­lich – Unab­hän­gig – Natio­nal), die spä­ter von der Spiel­lei­tung ver­bo­ten wur­de. Seit­dem ist es nicht gelun­gen, das Poten­ti­al der FUN in eine neue Orga­ni­sa­ti­ons­form zu gie­ßen. Aus dem Spiel ent­wi­ckel­te sich kein ernst­haf­tes Pro­jekt, obwohl dies der Wunsch vie­ler Mit­glie­der der FUN war.
Web 2.0 eig­net sich nur dann zur poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on, wenn die neu­en Medi­en kon­zep­tio­nell dazu genutzt wer­den, Struk­tu­ren auf­zu­bau­en. Die selbst­er­nann­te „digi­ta­le Bohè­me” rund um die Inge­borg-Bach­mann-Preis­trä­ge­rin des Jah­res 2006 Kath­rin Pas­sig und den Jour­na­lis­ten Holm Frie­be machen vor, was mit Web 2.0 mög­lich ist. Sie haben die Zen­tra­le Intel­li­genz Agen­tur (ZIA) gegrün­det und nut­zen mit ihrer klei­nen Fir­ma, die Web‑2.0‑Projekte umsetzt, die Vor­tei­le der digi­ta­len Arbeit, die ihrer Ansicht nach ohne Fest­an­stel­lung und ohne ört­lich gebun­de­nen Arbeits­platz aus­kommt. Web 2.0 kann dazu die­nen, mit gerin­gen finan­zi­el­len Mit­teln kom­ple­xe Struk­tu­ren auf­zu­bau­en und poli­ti­sche Inhal­te einer brei­ten Öffent­lich­keit kos­ten­los, zeit- und orts­un­ab­hän­gig zugäng­lich zu machen. Aus unter­schied­li­chen Städ­ten arbei­ten Pro­du­zen­ten und Pro­sumen­ten mit unter­schied­li­chem Zeit­bud­get und unter­schied­li­chen Arbeits­zei­ten gemein­sam an einem Pro­jekt. Das ist es, was Web 2.0 ausmacht.
Daß im Netz mehr Nar­ren­frei­heit herrscht als in der „rea­len” Welt, ist hin­ge­gen nur ein Neben­aspekt. Wer in die­ser Nar­ren­frei­heit bereits eine Demo­kra­ti­sie­rung der Gesell­schaft sieht, ver­gißt, daß sich im Inter­net eine deut­li­che Auf­merk­sam­keits­hier­ar­chie her­aus­bil­det. Pro­fes­sio­nel­le Ange­bo­te zie­hen Auf­merk­sam­keit auf sich und Web­logs und Pod­casts, die kei­ne Sub­stanz besit­zen, wer­den höchs­tens von pri­va­ten Freun­den der Blog­ger gele­sen. Auf­merk­sam­keit hat sich zur „Leit­wäh­rung” des Inter­nets ent­wi­ckelt. Die erfolg­reichs­ten Blog­ger und Pod­cas­ter erhal­ten soviel Auf­merk­sam­keit, daß sie davon leben kön­nen. Laris­sa Vas­si­li­an zum Bei­spiel betreibt seit 2005 unter dem Pseud­onym Annik Rubens mit „Schlaf­los in Mün­chen” einen der popu­lärs­ten Pod­casts in Deutsch­land. Bevor sie mit dem Pod­cas­ten begon­nen hat, absol­vier­te sie meh­re­re Prak­ti­ka bei Radio­sen­dern und arbei­te­te neun Jah­re lang als frei­be­ruf­li­che Jour­na­lis­tin. Mitt­ler­wei­le ist sie beim Bay­ri­schen Rund­funk gelan­det und hat ein Buch über „Pod­cas­ting” geschrie­ben.
Daß einem ein­zel­nen Rech­ten der Durch­bruch mit Web 2.0 gelingt, ist auf­grund der Unpo­pu­la­ri­tät rech­ten Den­kens eher nicht anzu­neh­men. Jedoch wird öffent­li­che Wahr­neh­mung zumin­dest punk­tu­ell an einem rech­ten Por­tal mit redak­tio­nel­lem Inhalt, Web‑2.0‑Elementen und einer klei­nen Bür­ger­be­we­gung im Rücken, deren Mit­glie­der sich als Pro­sumen­ten an der Gestal­tung der Inhal­te betei­li­gen, nicht vorbeikommen.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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