große Erzählung über das Geschwisterpaar Scholl. Die Frage des Lehrers steht im Raum: »Wäret nicht auch ihr in den Reihen der Weißen Rose mitgezogen?« Billig ist die Antwort: Ja, wir wären – vor allem gegen jenen Hitler, den man uns zuvor serviert hat: diese Mischung aus Monster und Vollidiot, krankem Hirn und lächerlichem Gefuchtel.
So geimpft, hält man es kaum für möglich, daß Millionen Deutsche diesen Mann verehrten und wählten. »Den Grund dieser Verehrung«, sagt der 1967 geborene Autor Timur Vermes in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, »kann Ihnen heute kaum noch jemand erklären. Die Medien zeigen vor allem den Monsterhitler, der alle einschüchtert, und den Kasperhitler. Seine Wähler von damals sehen von diesem Standpunkt aus wie Idioten. Und wir zappen beruhigt weiter: Heute sind wir schlauer, wir würden nie Monstern oder Kaspern hinterherlaufen.« Und dann folgt die Ehrenrettung einer ganzen Generation: »So schlau wie wir waren die damals aber schon auch.«
Man sollte diese paar Sätze als Begründung dafür lesen, daß Timur Vermes einen Roman über Hitler geschrieben hat. Er läßt darin gleich zu Anfang den »Führer« im Jahre 2012 – seit 1945 nicht gealtert – in einem Berliner Hinterhof wiedererwachen. Vermes schrieb – glaubt man seinen Worten – aus Sorge um die heutige Verführbarkeit der Menschen und schickt einen pflichtbewußten, höflichen, gewinnenden, lernbegierigen und vor allem glänzend beredten Hitler in der Ich-Form durch das Berlin von heute, um aus ihm einen Fernsehstar mit politischer Ambition zu machen: »Es wird kein Hitler mehr kommen, aber wir werden anderen Formen der Verführung ausgesetzt sein. Das müssen wir verinnerlichen.«
Soweit. Aber: Ich glaube Timur Vermes kein Wort. Sein Buch ist keine Warnung, und die Beispiele, die Vermes im weiteren Verlauf des Interviews anführt, um zu zeigen, wo dem Leser das Lachen im Halse steckenbleiben sollte, sind ausnahmslos die plumperen, weniger geglückten. Die Stellen hingegen, an denen Vermes zu großer Form aufläuft, sind ebenso hintergründige wie messerscharfe Bloßstellungen des lebenden politischen und medialen Personals unserer Republik.
Da wittern die Macher einer Produktionsfirma einen sehr authentischen Kabarettisten – und nach ein paar erfolglosen Versuchen, hinter die wahre Identität dieses Hitlers zu kommen, machen sie einfach weiter: Für dieses Genie gelten andere Gesetze, und am Ende wollen alle mit diesem Quotensieger gewinnen. Da nimmt Hitler an Putin dasselbe wahr, was ihm schon an Mussolini mißfiel: die Neigung, sich mit freiem Oberkörper und irgendeinem Werkzeug oder einer Waffe ablichten zu lassen. Sobald ein Politiker sein Hemd ablege, sei die Politik am Ende, räsoniert der stets würdig gekleidete Führer. Hitlers Besuch in der NPD-Zentrale endet in einem vernichtenden Urteil über diese stümperhaften Erben. Und außerdem: »Was soll mit Zwickau sein? Was hat das mit Terror zu tun?
Wovor soll man denn da Angst haben? Daß diese mentalen Rohrkrepierer überhaupt existierten, hat man ja erst daran gemerkt, daß sich zwei von diesen Dümmlingen selbst umgebracht haben.« Da ist die Szene in einem Bierzelt auf dem Oktoberfest, jenem Ort, der anscheinend jede Frau verpflichte, »sich in ein Kleid zu pressen, das bemüht dem der Landbevölkerung nachempfunden war«. Es folgen entlarvende, beschämende Dialoge mit dem Geldadel der A- und B‑Prominenz, Lothar Matthäus tritt auf, und am Ende signiert Hitler ein Dirndl: »Sind sie wahnsinnig?« kreischt die Dame. »Ich kann doch nicht mit einem Hakenkreuz auf der Brust über die Wiesn rennen!« – »Aber selbstverständlich können Sie das, wir haben ja nicht mehr 1924. In diesem Land gibt es vielleicht keine vernünftige Regierung, aber auf die Meinungsfreiheit lassen diese parlamentarischen Schwätzer ja nichts kommen.«
Renate Künast kommt naserümpfend ins Studio, sie wird von Hitler regelrecht vorgeführt: Erstaunliche Parallelen zwischen den Grünen von heute und der NSDAP von damals tun sich auf. Über allem steht der wie ein Mantra wiederholte Grundsatz Hitlers, daß jede Regierungsentscheidung einen Verantwortlichen kenne, der zu dem stehen müsse, was er angeordnet habe. Und am Ende des Buches wird die Absättigung der Hartz-IV-Bezieher als der gelungene Versuch beschrieben, jedes Aufbegehren gegen ein Leben als überflüssiger Konsument zu ersticken.
Das soll ein Wehret-den-Anfängen in Form einer Satire sein? Keinesfalls! Timur Vermes hat seinen Überdruß an der Verantwortungslosigkeit und am Polit-Gefasel aufgeschrieben, und zwar auf eine der wenigen in diesem Land möglichen Weisen, die einem vom Betrieb abhängigen Intellektuellen bleiben: in einem Ton, den man für dauerwitzig hält, wenn man nicht mehrschichtig zu lesen versteht.
Timur Vermes: Er ist wieder da, Roman, Köln: Eichborn 2012. 396 S., 19.33 €
Isabel
Und im Vorwort stehen die Sätze:
"Lachen mit Hitler - geht das? Darf man das überhaupt?
Finden Sie's selbst raus. Dies ist schließlich ein freies Land.
Noch."
Weiter muß man eigentlich gar nicht mehr lesen - die Botschaft ist angekommen.