und deshalb ist es notwendig, einen Denker im Kontext zu betrachten. Ausgerechnet gegenüber Carl Schmitt, dem rastlos kontaktfreudigen Anreger, wird diese Einsicht gern ignoriert.
So finden sich in der ozeanischen, längst nicht mehr überschaubaren Sekundärliteratur zwar Aberhunderte von Texten, die man als »Schmitt- und …«-Studien bezeichnen mag: Schmitt und Agamben, Schmitt und Benjamin, Schmitt und Cioran, Schmitt und Derrida, Schmitt und Gütersloh, Schmitt undsoweiter; doch der Nährwert der meisten dieser Abhandlungen ist gering, und sie verdanken sich zu ihrem größeren Teil dem feuilletonistischen Anknüpfungsgewerbe und dem akademischen Permutations-Zirkus – die geisteswissenschaftlichen Fakultäten sind schon lange Fabriken, bei denen es auf den Ausstoß ankommt und nicht auf den Nutzen der Erzeugnisse.
Was fehlt, sind Untersuchungen zu Autoren, die Schmitts Motive teilten und sogar weiterentwickelten, etwa Paul Baradon, Carl Bilfinger, Axel Freiherr v. Mandelsloh, Heinrich Rogge, Gustav Adolf Walz, Ernst Wolgast: Es sind vor allem Völkerrechtler, deren Beziehung zu Schmitt im Dunkel bleibt.
Der Grund dafür wie auch der für die geringe Zahl der Monographien über den Völkerrechtler Schmitt – von rund 430 Büchern über ihn behandeln ganze fünf oder sechs dieses Thema – findet sich wohl in der sonst so gerne beschworenen »Aktualität« des Werkes Schmitts. Der längst in Gang gekommene Weltbürgerkrieg mit seinem gnadenlosen militärischen Humanismus, mit seiner noch zunehmenden Ununterscheidbarkeit von Krieg und Frieden, mit seiner Pervertierung des Gerechten Krieges und seinen verlogenen Moraltrompetereien (währenddessen der Friedensnobelpreisträger den Massenmord per Fernbedienung, sprich Drohnenkrieg, ausüben läßt) – das ist die Realität, die rhetorisch beklagt und analytisch gemieden wird. Diese bösartige Welt des Universalismus hat Schmitt während des Interbellums vorhergesehen. Heute ist sie wahr geworden und findet auch noch ihre Rechtfertiger.
Auch Stefan Breuer meidet in seinem neuen Buch diesen so aktuellen Kontext und befaßt sich nur mit der Zeit von 1918 bis 1933. Er schildert, ohne die in Deutschland fast übliche malice gegenüber Schmitt, dessen Beziehung zu einigen Intellektuellen der Weimarer Zeit. Schmitts Verwurzelung in der Münchener Boheme der Kriegs- und Nachkriegszeit wird, durchaus kundig, beschrieben; besonderes Augenmerk findet dabei Theodor Däubler und dessen Kulturkritik in seinem Opus magnum, Das Nordlicht. Jeder Bewunderer Däublers weiß, daß in diesem ca. 1200 Seiten umfassenden Vers-Werk einige groteske Stilblüten wuchern. Es deshalb »eine monströse Schwarte« zu nennen und seinen großen Dichter als »das männliche Gegenstück zu Friederike Kempner« zu bezeichnen, erheischt Satisfaktion.
Danach befaßt sich Breuer unter anderem mit dem Einfluß von Sieyes auf Schmitt und erörtert die Beziehung zu Max Weber. »Monströs« darf man hier Breuers Repetition des längst Bekannten nennen. Später geht es um den Einfluß Schmitts auf Zeitschriften der »Konservativen Revolution« (die Validität dieses Begriffs bezweifelt Breuer mit großem Recht) wie Der Ring und Deutsches Volkstum, und damit um Schmitts Schüler Ernst Forsthoff, Ernst Rudolf Huber und Karl Lohmann, die seine Gedanken während der Präsidialregierungen in kleiner Münze unters Volk brachten. Erfreulicherweise macht Breuer dabei deutlich, daß es Schmitt zwar kaum um die »Rettung Weimars« ging, immerhin aber um das Fernhalten Hitlers von der Macht. Man muß freilich auch hier feststellen, daß dies alles schon weidlich behandelt wurde (auch von Breuer in früheren Veröffentlichungen), so daß die etwas langweilige Aura von – zuweilen anspruchsvollen – Gedächtnisübungen entsteht. Gewiß, Wiederholung ist die Mutter der Studien, aber »man kann alles üwertriewe«, hätte Schmitt dazu gesagt.
Am ergiebigsten sind da noch Breuers Schilderungen der damaligen »Links-Schmittianer« Otto Kirchheimer, Ernst Fraenkel und Franz Neumann, die doch bis 1933 eifrig und verehrend zu den Füßen des Meisters saßen und so frei waren, dessen Argumente für ihre Intentionen zu nutzen.
Breuers Buch, wegen seiner ziemlich durchgehenden Fairneß gegenüber Schmitt lobenswert, hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Es täuscht, einer Unsitte besonders in romanischen Ländern folgend, Kapitel vor, die letztlich selbständige Aufsätze sind, und fingiert auf diese Weise eine nicht vorhandene Kohärenz. Vor allem aber verschwinden hinter der »Intellektuellenpolitik« die Politik und das Politische.
Weder Genf noch Versailles, weder die Rheinlandbesetzung noch der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung, weder die von den Siegermächten betriebene Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln noch die damals immer neu einsetzende Demütigung Deutschlands auf internationalem Parkett werden wirklich sichtbar – sie sind bei Breuer nur ein bläßlicher Hintergrund. Einige wenige energische Seiten, und Schmitts Ideen wären faßbarer und unfaßbarer geworden und hätten mit den Mängeln des Buches versöhnt.
Stefan Breuer: Carl Schmitt im Kontext. Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik, Berlin: Akademie Verlag 2012. 303 S., 49.80 €