Mors certa, hora incerta.

von Heino Bosselmann

Wenn die Literatur über Feuchtgebiete und Mumien, Monster, Mutationen hinaus schon thematische Kulminationspunkte offenbart,...

möch­te man dar­in gleich eine Sym­pto­ma­tik erken­nen. End­lich Anzei­chen für irgend etwas! Viel­leicht kommt ja intel­lek­tu­ell oder gar gesell­schaft­lich doch Bewe­gung auf. Hofft man. Aber als Augur hat man es der­zeit schwer. Zu ver­schwom­men die Zei­chen, zu schwie­rig. Und ein wenig finster…Während ich poli­ti­sche Akzen­te lite­ra­risch offen­bar als ein­zi­ger ver­mis­se, for­mu­lier­te ich unsi­cher selbst schon Ahnun­gen, die jetzt Burk­hard Mül­ler in ähn­li­cher Wei­se the­ma­ti­siert, wenn er im Feuil­le­ton der SZ fragt, wes­halb sich auf­fal­lend vie­le bel­le­tris­ti­sche Neu­erschei­nun­gen mit Tod und Ster­ben beschäf­ti­gen. Gestor­ben, so Mül­ler, wer­de zwar immer, dar­über gespro­chen aber eigent­lich doch ungern.

Um so auf­fal­len­der, wenn die Lite­ra­tur der­zeit gar nicht davon las­sen mag. Mül­ler liest es schon den Titeln ab: “Aller Tage Abend” (Jen­ny Erpen­beck), “Sou­ti­nes letz­te Fahrt” (Ralph Dut­li), “Geschich­ten vom Ster­ben” (Petra Anwar, John von Düf­fel), “Außer sich” (Ursu­la Fri­cker) und “Nur ein Schritt bis zu den Vögeln” (Chris­tof Hamann). Und dia­gnos­ti­ziert tref­fend: “Es hat wohl mit dem Begriff zu tun, den sich eine Gesell­schaft von der Zukunft macht. (…) Sta­gna­ti­on herrscht, weil kaum einer mehr ernst­haft damit rech­net, es wür­de für ihn bes­ser wer­den, was nicht dem Befund wider­spricht, daß Ver­än­de­run­gen auf allen Ebe­nen sich heu­te so schnell voll­zie­hen wie noch nie; doch lösen sie eher Angst als freu­di­ge Erwar­tung aus. (…) Da steht kein Trost mehr in der Sicht­ach­se, ech­ter oder fal­scher, der Blick aufs Ende wird beängs­ti­gend frei.”

Sol­che Deu­tung läßt an den Beginn des letz­ten Jahr­hun­derts den­ken, an die ambi­va­len­te Stim­mung und expres­sio­nis­ti­sche Span­nung zwi­schen fins­te­rer Ahnung und neu­er Hoff­nung, an die Janus­köp­fig­keit von Welt­ende-Phan­ta­sien einer­seits und Auf­bruch sowie Lebens­re­form ande­rer­seits. Obwohl Deutsch­land wirt­schaft­lich pro­spe­rier­te und poli­tisch Welt­gel­tung hat­te, such­ten die Küns­te auf ihre Wei­se nach neu­en Wege. Die ihnen jetzt, scheint es, weit­ge­hend fehlen.

Dabei übt sich ander­seits das Land in einer zwang­haft anmu­ten­den Jugend­lich­keit. Dem fal­schen Jüng­ling mit sei­nem über­mo­disch geschnit­te­nen Som­mer­an­zug, der viel zu roten Kra­wat­te, dem gefärb­ten Stut­zer­bärt­chen und dem damit kon­tras­tie­ren­den gel­ben Gebiß meint man tat­säch­lich häu­fi­ger zu begeg­nen – einer der zahl­rei­chen Todes­per­so­ni­fi­ka­tio­nen, die Tho­mas Manns in “Der Tod in Vene­dig” leit­mo­ti­visch ent­wi­ckelt, als obs­zö­ne Mas­kie­rung des Totenschädels.

Aber viel­leicht sind der Hedo­nis­mus und die neue Jugend­lich­keit der “Best-Ager” und die neue Fixiert­heit auf den Tod ein­an­der ja kom­ple­men­tär. Wäh­rend in einer Ära der Rauch­ver­bo­te und Fit­neß- bzw. Well­neß­pro­gram­me immer gesün­der gelebt wird, wäh­rend dem Intel­lek­tu­el­len als ein­zi­ge Dro­ge das gera­de noch tole­rier­te Glas Rot­wein bleibt und der medi­zi­nisch-indus­tri­el­le Kom­plex sei­ne zah­len­den Pati­en­ten phar­ma­zeu­tisch viel lang­le­bi­ger ein­zu­stel­len ver­steht, greift doch eine Depres­si­on und Ästhe­ti­sie­rung des Todes um sich, die auf eine Erschöp­fung deu­tet, die soma­tisch nicht erklärt wer­den kann, son­dern am ehes­ten mit dif­fu­sen Ängs­ten und Defi­zi­ten in der Sinn­ge­bung zusam­men­hän­gen dürf­te. Obwohl Deutsch­land doch, wie es wie­der­holt heißt, “so gut auf­ge­stellt ist”, obwohl man sich – gera­de am 1. Mai – neu­er­lich zu “Fes­ten der Demo­kra­tie” trifft und obwohl wir in die­sem siche­ren Euro-Frie­den leben dürfen.

Was bloß fehlt den Men­schen? Wes­halb schon in den Klas­sen­räu­men der Schu­len die­se blei­er­ne Müdig­keit? Nicht mal mehr Dis­zi­plin­pro­ble­me, son­dern eine zähe Lethar­gie, die von all den Initia­ti­ven, Pro­jek­ten, Bekennt­nis­sen und Demos nicht erfrischt wer­den kann?

Nichts schreibt sich
von allein!

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Kommentare (35)

Rumpelstilzchen

2. Mai 2013 09:30

Warum beschäftigen sich so auffallend viele belletristische Bücher mit Tod und Sterben ?

Weil auch Tod und Sterben nicht mehr ritualisiert sind,
sondern der Diktatur des Individualismus und Pluralismus unterworfen sind !
Der Tod ist ein einsames Geschäft geworden.
Früher begleiteten Sterbegebete das christliche Sterben.
Es begann mit der Sterbelitanei, nach dem Verscheiden rief man die Engel und Heiligen an,
der Seele des Verstorbenen entgegen zu eilen.
Man betete für einen gnädigen Tod.
Das alles ist verloren gegangen. Es gibt keine Sterbekultur mehr.
Es geht nicht um ein medizinisch, psychologisch optimales Ende, sondern um Vollendung eines menschlichen Lebens in letzter Hingabe.
Da war Europa schon mal weiter:
Ich geh' ich weiß nicht wohin.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin

Nordländer

2. Mai 2013 09:45

„Geschichten vom Sterben“ (Petra Anwar, John von Düffel)

Zur Hülfe, zur Hülfe. Nicht, daß ich in irgendeiner Weise nachtragend bin, jedoch der Versuch des von Düffel, sich mit "Houwelandt" (2004), so einer Art Familienroman, auf dem Literaturmarkt "Deutschland" (?) gut aufzustellen, ist ziemlich das Erste, was mir einfällt, was noch weitaus "gräßlicher" (MRR) ist, als die Ausstrahlung nachmittäglicher Kochanleitungen.

Grausame Abstürze bei dem Bestreben, Meer, Natur, Schwimmen, Landschaft allgemein mit subtilerer Farbgebung gerecht zu werden, dann ganz unvermittelte Sprünge, als läse man plötzlich in einer Skriptvorlage, die ein Pförtner, eine Staubsaugerpilotin oder ähnliches Personal bei einem privaten Unterhaltungsfernsehsender eingereicht hat.

Nein, auch nicht, schlechter Vergleich, denn zu den Alltagswelten, die der Zeitgeistige von Düffel beschreibt, wird so ein Pförtner wohl einen gewissen Zugang haben, den man aber in diesem Roman vergeblich sucht.

Rauchverbote, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Streichen anrüchiger "Neger"-Stellen in älteren Kinderbüchern - wäre es nicht mal eine Überlegung wert, über die Pönalisierung "Erregung öffentlicher Kultur", zumindest in den schlimmsten Fällen, ernsthaft nachzudenken?

S. Pella

2. Mai 2013 10:59

Was bloß fehlt den Menschen? Weshalb schon in den Klassenräumen der Schulen diese bleierne Müdigkeit? Nicht mal mehr Disziplinprobleme, sondern eine zähe Lethargie, die von all den Initiativen, Projekten, Bekenntnissen und Demos nicht erfrischt werden kann?

Geehrter Herr Bosselmann,

angesichts Ihres intellektuellen Niveaus kann dies nur eine rhetorische Frage sein. Oder suchen Sie tatsächlich noch nach den Ursachen hierfür?

Was bloß fehlt den Menschen?

Ein Mythos, eine Idee, eine Schicksalsgemeinschaft - Dinge, für die man durch das Feuer geht und für die es lohnt, sein Leben einzusetzen!

Dies erklärt die Leere und Sinnsuche der Heranwachsenden, vielmehr noch der bereits Herangewachsenen jenseits der 30, in alternativen Subkulturen und fragwürdigen Freizeitaktivitäten.

Im Prinzip müßten gerade die Identitären in diese Lücke vorstoßen, doch in der BRD bieten diese stattdessen einen bieder und konservativ-verstaubt anmutenden Weg. Dieses Herumreiten auf Grundgesetz, Demokratie und Abgrenzerei reißt doch keine jungen Deutschen vom Hocker.
Der "bloc identitaire" in Frankreich lebt es vor, wie man eine Schar von motivierten Anhängern um sich schart: mit dem Regionalismus und der der ethnisch und eben doch ethnisch-kulturellen Betonung des Eigenen der laizistischen Republik den Kampf anzusagen und somit sogar die Front National anzugreifen. Richtig so!
Mit diesem Weg bringt man neue, attraktive Ideen in die Welt, schafft mit Aktionen á la Poitiers einen Mythos und schmiedet eine Schicksalsgemeinschaft nach innen.

Heino Bosselmann

2. Mai 2013 11:12

Verstehe. Möchte mich im übrigen gar nicht "intellektuell" nähern, bin nur wirklich perplex über die Lethargie, wo wir doch Kraft bräuchten und wohl (noch) hätten. Manchmal fühle ich mich, als säße ich mit Wladimir und Estragon wartend unter Godots kahlem Baum. Ich weiß, da hilft nur die TAT. Auch literarisch. Der Vorteil: Jede Provokation, jede Frische, alles Neue – nur ästhetisch, nur textlich, nur in einem kurzen Gedicht – kann m. E. gegenwärtig mit sofortiger Wirkung rechnen. Gerade weil alles so ph- und geschmacksneutral erscheint. Und der Tod – immerhin ein großes, ein letztes Thema – wird eher als ein Ab-Leben beschrieben…

Bocuse

2. Mai 2013 11:16

Dazu passend: man sieht fast nur noch schwarze Kinderwagen.

Mauretanier

2. Mai 2013 11:24

Ich weiß, da hilft nur die TAT.

Ja.

Auch literarisch.

Nein.

Ein Fremder aus Elea

2. Mai 2013 11:50

Bocuse,

das liegt aber wahrscheinlich daran, daß es so schön mit dem Weiß des i-Pods kontrastiert. Hinter diesen Design-Entscheidungen sehe ich keine emotionale Aussage.

Rumpelstilzchen,

nun, das ist doch nichts, worin man weiter ist. Wenn man alles gegeben hat, ist man irgendwann auch ganz froh, wenn es zu einem Ende kommt. Individuelle Angelegenheit, für welche die Gesellschaft höchstens in sofern etwas kann, als sie das Leben mehr oder weniger abverlangend gestaltet - jedenfalls bisher, denn eine Gesellschaft, welche versuchen würde, den Lebensanliegen schlicht Raum zu geben, gab es bisher wohl noch nie.

Also gilt: Erfüllt im Leid, unerfüllt im Glück.

Bosselmann,

nun, ich habe am Tag der Arbeit gearbeitet, an die 4,5 Tonnen Fichten aus dem Wald herangeschafft. Jetzt fällt es mit schwer, mich zu bewegen. Außerdem habe ich die letzten paar Takte einer Melodie ausgesponnen, welche mir am 30. April in den Kopf kam.

Raskolnikow

2. Mai 2013 13:48

Ach Fremder, ach Pella,

wie ich sie müde bin die hiesigen Pfadfindersprüche. Selbst das Zähnefletschen mag der türkischen Putzfrau besser gelingen; wem blaut schon Furcht, wenn deutsche Alternatividentitäre sich in dieser Disziplin üben?

Seid Ihr tatsächlich alle zweimeterlange Kerle, die in Wäldern Bäume rücken, Nietzsche und Jünger auswendig parat haben, überqualifiziert, irgendwo Zettel zu verteilen, wie ich hier kürzlich las? Seid doch mal ehrlich, habt Ihr noch nie ans Aufgeben gedacht, kam Euch nie der Tod in den Sinn? In diesen so leblosen, so sinnentleerten Zeiten?

Wisst Ihr was, mir schon!

Ich verlasse fast nie den Turm, und wenn dann nie ohne irgendein Buch. Dann sitze ich zu Haus oder irgendwo herum und lese so vor mich hin und schreibe kleine Notizbüchlein voll mit dem Quatsch, der sich mir im Kopp festsetzt.

Ich esse große Mengen Kuchen, schlürfe pausenlos Tauringetränke, bin nicht leidend und denke hin und wieder, eigentlich nicht selten, ans Aufgeben. Denn der Tod ist doch die einzig erfolgversprechende Art des "Aussteigens" aus diesem perfekten Netz, gesponnen aus erstickendem Zuckerguss, stummhaltender Angst und Herrschaft der Mittelmäßigen, nein, es gibt gar keine Mittelmäßigen, es gibt nur das Hohe und alles andere, und das ist niederträchtig.

So dumm es klingen mag, aber dieses ausweglose Traurigsein gibt mir Kraft und Sicherheit. Ich halte da draußen die Fresse, brächte ich sie auf, gänge das wohl nicht gut, denn ich kann nicht an mich halten und das "Flunkern" fällt mir schwer. Das Verhehlen der Verachtung, die sich die meisten Menschen wohlverdient eingebrockt haben, mag mir nicht gelingen. Und so entbinde ich den Zeitgenossen nur selten ein Wort, auch wenn ich was zu sagen hätte. Schweigen, auch eine Stufe des Todes!

Versüsst wird mein Dasein vor allem durch allerhand spleens, und der moderne Mensch in mir verdreckt mich innerlich. Ich bin ein eitler Decadent, dem ins Gesicht gespuckt gehört, ein affektierter Tunichtgut, der es tatsächlich fertig bringt, in dunklen Stunden voller Cognac und After Eight sich all den Mist schönzureden.

Herr Bosselmann, Sie wollen mich aus diesem düsteren Wald locken an die sonnigen Gestade? Da wo man Nietzsche liest, Parteien gründet, Bäume hackt und über Weiber redet? Ich will Ihnen zurufen: "Lass lieber sein, Alter, da draußen sind zuviele Kanalratten am Strand! Ich verlauf mich lieber hier drin!"

Ich sorge mich nicht!

Mein Verständnis haben sie jedenfalls, die todtraurigen Leute von heute. Nur der Blöde ist immer fröhlich!

Ein kleines Stück Seele eines Einzelnen ist mehr wert, als Euer fröhlich-aufgekrempelter Pionieraktivismus!

Adieu,

R.

Heino Bosselmann

2. Mai 2013 13:55

Solche Konsequenz verstehe ich!

Georg Mogel

2. Mai 2013 14:03

Der Tod des Individuums ist unmittelbar evolutionsfördernd. Kurzlebigkeit der Einzelwesen ist ein Selektionsvorteil für die Art, denn sie beschleunigt die experimentierende Generationsfolge.
Das Altern der Individuen ist kein zufälliger Vorgang, sozusagen eine genetisch fest eingeplante "Krankheit". Wir verdrängen dieses vom Weltenschöpfer (?) angelegte Faktum durch infantile Vorstellungen, als seien Altern und individueller Tod nur ein (vielleicht gar vermeidbarer) Verschleiß von Substanz.
"Terra tenet corpus, nomen lapis, adeque animam ad aer."
(Der Körper kehrt zur Erde zurück, der Name gehört dem Grabstein und die Seele steigt in den Äther).

KW

2. Mai 2013 14:28

Ich frage mich nicht erst seit heute, ob sich die "Sieger", die 68er Zerstörer, in diesem von ihnen erschaffenen kulturellen, aber nicht nur, sondern alle Bereiche des Lebens betreffenden Niedergang, selbst noch wohlfühlen.

Georg Mogel

2. Mai 2013 14:30

@ Raskolnikow 2.5. 13/ 13.48h:

??

Ein Fremder aus Elea

2. Mai 2013 14:42

Raskolnikow,

Sie haben den Sinn meines Kommentars vielleicht nicht recht erfaßt. Ich hole keine Bäume aus dem Wald, weil es mir Spaß macht, sondern weil es günstiges Brennholz ist. Und weil ich sowas nicht oft tue, habe ich jetzt überall Muskelkater.

Aber um es allgemeiner zu behandeln... ich ziehe diesen Abenteuerspielplatz hier in Estland - und diese Fichtenepisode ist ein gutes Beispiel, ich habe mich durch den Wald geschlagen, bin über ein paar Bäume gestolpert, welche ein Sturm vor ein paar Jahren umgeweht hat, habe beim "Reichswald" angerufen, die haben mir ein Angebot gemacht, und jetzt liegt das Holz hier bei mir - dem Leben in einem Turm vor.

Letztlich eine Frage der Bevölkerungsdichte. Gibt einfach zu wenige Menschen hier, um sich um alles zu kümmern, also bleibt Raum, sich selbst um alles mögliche zu kümmern.

Kann schon sein, daß einen ein solches Leben verschleißt, aber was soll's, irgendwann sterben wir halt, und unsere Angst davor nimmt nicht dadurch ab, daß wir versuchen, uns in einem möglichst guten Zustand zu erhalten.

Im übrigen bin ich kein politischer Aktivist.

Ich schätze, was Ihnen an dieser Stelle begegnet ist ein Beispiel für "normalcy bias", Sie können sich einfach nicht vorstellen, daß jemand aus ökonomischen Gründen selber Holz machen würde. Ist aber so.

Und was türkische Frauen angeht... das ist mir scheißegal. Worauf Sie mit der nämlichen Bemerkung zielen ist etwas gänzlich Irrelevantes, Prozesse sind prozeßhaft, nicht? Das würden Sie gegebenenfalls irgendwann bezeugen, wenn Sie noch so lange leben. Ich selbst hatte nie vor mich an sowas zu beteiligen, und wenn ich mein Alter bedenke, werde ich es auch nicht mehr müssen. Nun ja, und hier sieht die Lage sowieso anders aus.

Man ist halt nur für so und so viel selber verantwortlich. Aber lieber nehme ich für noch so wenig Verantwortung zu meiner Zufriedenheit wahr als für noch so viel ohne sie. Konkret läuft das natürlich darauf hinaus, in wieweit Sie sinnvoll mit anderen zusammenarbeiten können. Ist es möglich, übernehmen Sie für mehr Verantwortung, sonst für weniger.

Jetzt habe ich, in dieser Fichtengeschichte, einen schönen Wanderweg wieder erschlossen, was auch meinem Interesse an Spaziergängen entgegenkommt. Lächerliches Beispiel für Verantwortungsübernahme? Naja, wie auch immer, ich bin zu Frieden damit.

Ansonsten habe ich den burschikosen Ton gemocht, seit ich 19 Jahre alt war und habe auch damit kein Problem. Es ist ja nicht so, als ob ich mich verstellen würde. Oder vorgeben zu sein, was ich nicht bin.

S. Pella

2. Mai 2013 14:48

Herr "Raskolnikow",

tatsächlich findet man mich desöfteren Nietzsche und Jünger lesend in den Wäldern meiner Heimat, da ich mich nebenher in der Forst- und Waldarbeit verdinge und gerade deshalb mit bodenständigen Deutschen zusammentreffe, die mich als Akademiker im besten Sinne des Wortes "erden". Abgesehen davon habe ich keine Probleme mit Flugblättern verteilen und Aufklebern kleben... aber dies sind nur Nebenkriegsschauplätze; so wichtig bin ich dann doch nicht!

Gleichwohl kann ich Ihren isolierten Waldgang (ohne Waldarbeiter und deren derben Gesprächen) durchaus verstehen, hoffe jedoch, Sie ziehen zu gegebener Zeit eben die richtigen Schlüsse!
Falls nicht, dann bitte ein "finale furioso"!

Sara Tempel

2. Mai 2013 15:28

Der Grund für solch auffallende Verarbeitung des Themas „Tod“ in deutscher Literatur kann nicht im Zufall liegen. So komme ich zu der Überzeugung, dass es sich um ein Symptom handelt, ein Zeichen für das Sterben unserer christlich-abendländischen Kultur. Leider scheint selbst das Christentum nicht mehr die Kraft aufzubringen diesen Verfall zu beenden.
Rumpelstilzchen
Sie haben völlig recht, das Sterben ist zum einsamen Geschäft geworden, ohne die rituelle Einbindung in ein größeres Ganzes!
Zu spüren, dass mein Volk sich selbst verleugnet und die Gesellschaft, zu der ich als Individuum gehöre, dem Untergang entgegen taumelt, macht individuelles Sterben doppelt schwer. Nur zu deutlich lässt sich unsere Auslöschung daran erkennen, dass türkisch denkende Politiker uns vertreten und Grünen-Chef Cem Özdemir proklamierte: „Ich denke, dass die Christlich-abendländische Kultur als solche nicht existiert. Vielmehr wird sie konstruiert, um andere Gruppen von ihr auszuschliessen !“ - Einfach entsetzlich, täglich über unsere Medien zu erfahren, wie Deutsche selbst ihr Land und ihre Kultur zu Grabe tragen. Ja, Deutschland schafft sich ab; lieber Herr Bosselmann, soll man dieses Elend auch noch poetisch verarbeiten?
Wie Raskolnikow
in seinen Turm flieht, so kann ich selbst dem nur durch Phantasien über vergangene Zeiten entfliehen, dagegen würde es mich anwidern, über die Gegenwart einen Roman zu schreiben.
Man kann auf Missstände und Gefahren hinweisen, wie ich es z. B. auf meiner Website versuche, aber ich kann die Massen nicht mit neuen politischen Ideen begeistern, wie es Lenin, Mao und Hitler mit so zweifelhaften Erfolg gelang. Selbst die Wahlalternative 2013 bringt mir nur einen schwachen Hoffnungsschimmer! Was tatsächlich fehlt, wurde bereits von
S. Pella gesagt:
„Ein Mythos, eine Idee, eine Schicksalsgemeinschaft – Dinge, für die man durch das Feuer geht und für die es lohnt, sein Leben einzusetzen!“

Flickenarbeiter

2. Mai 2013 16:36

Mein lieber Raskolnikov,

Sie schlagen und treten mit Ihrer düsteren Wortgewalt um sich als gebe es etwas wichtigeres zu verteidigen als Ihre eitle Traurigkeit.
Der dicke Optimiste, https://www.youtube.com/watch?v=h4LqcTBLU7A
das bin ich ! Unheimlich wie Sie mich durchschaut haben.
Ich schäme mich nicht dafür !
„Habt ihr noch nie ans Aufgeben gedacht ?“ diese naive Frage bringt mich nur zu der Erkenntnis, das Sie keine Kinder haben, die Sie lieben und um die Sie sich Sorgen.
Nein, es gibt kein zurück.
Brächten Sie doch nur den Mut auf es mir ins Angesicht zu sagen, ohrfeigen würde ich Sie, bis Sie zur Besinnung kommen. Verständnis bekommen Sie von mir nicht.
„Ein kleines Stück Seele eines Einzelnen ist mehr wert, als Euer fröhlich-aufgekrempelter Pionieraktivismus! “
halten Sie uns den für Selbstdarsteller ?
Ich schätze Ihr Talent sehr und vermute, das Sie es sich in Jahren der Selbstzerpflückung hart erarbeitet haben, aber das reicht nicht !

Rumpelstilzchen

2. Mai 2013 17:42

Ärgerlich, dass immer Raskolnikov die Antworten provoziert.
Wenn er sich mit Süßkuchen und Tauringetränken vollstopft, kann das auch auf eine knallharte Depression hindeuten.
Andererseits: Wer ist nicht lebensmüde in diesem Forum ?
Trotzdem mit Würde und Anstand weitermachen, schon für die Lieben im Umfeld. Jammer gilt nicht.
Manchmal hilft es schon, ein schön bebildertes Kochbuch zu lesen und sich nicht mit dem ollen Nietzsche zu beschäftigen. Der war auch nur ein bevölkerungspolitischer Blindgänger, leidend an progressiver Paralyse. Ein Wirrkopf.
Mein Opa , ein Schwerenöter, ist übrigens recht ordentlich gestorben, an seinem Bett eine erfahrene Nonne sitzend. Als es vorbei war, nickte sie erleichtert und wir haben erst mal was gegessen. Sehr gelöste und feierliche Stimmung.
Meine Oma ist schwieriger gestorben, obwohl oder weil eher fromm. Gab mir zu denken. Also beten wir für eine gute Todesstunde.
Und Raskolnikow zeigt in Mexiko mehr Resilienz, oder war dort sein Doppelgänger ? Ansonsten seid dankbar für jede schöne Stunde !!!
Das Leben ist ein Geschenk.

Heino Bosselmann

2. Mai 2013 18:32

@Raskolnikow: (Auch Oblomow stellt eine Variante des Widerstands dar. Durchaus. Finde ich. :))

Waldgänger aus Schwaben

2. Mai 2013 20:35

@Raskolnikow

Geben Sie Ihren Nietschze in die Altpapiersammlung! Gehen Sie hinaus in den Frühling!

Mögen Sie es dort erfahren, jenes alte feste Schicksalswort, daß eine neue Seligkeit dem Herzen aufgeht, wenn es aushält und die Mitternacht des Grams durchduldet, und daß, wie Nachtigallgesang im Dunkeln, göttlich erst in tiefem Leid das Lebenslied der Welt uns tönt.

...und wenn es schon Bücher sein müssen, die begleiten, dann Romantiker oder Hölderlin. :-)

Nordländer

2. Mai 2013 22:04

@ Rumpelstilzchen

"Der war auch nur ein bevölkerungspolitischer Blindgänger, leidend an progressiver Paralyse. Ein Wirrkopf."

Werte Freudianerin und Expertin der Ergründung der Tiefen des Gemütslebens:
Was ist jetzt eigentlich schlimmer, das polizeiliche Nichteinschreiten bei Tragen von sogenannter "Freizeitbekleidung" in der Moderne, die enorme Libertinage, was die Genehmigung beliebiger Spassveranstaltungen anbelangt oder die Epidemie des Psychologismus?

Du liebe Zeit, gerade wollte ich Feierabend machen, nun sitze ich sicher wieder etliche Stunden an meiner Arbeit über die Moderne, deren Sünden nicht bestraft werden, derweil die Moderne ja bereits selber die Strafe ist, wie es ein Kolumbianer einmal dargelegt hat.

ene

2. Mai 2013 22:19

Mag sein, daß das häufige Auftauchen des Todesthemas in der Literatur mit der Abwesenheit der entsprechenden Erfahrungen im realen Leben einhergeht.
Bei Ariès und bei Norbert Elias (die fallen mir nur gerade ein) gibt es viele Beispiele dafür, wie allgegenwärtig der Tod in früheren Epochen war - im Gegensatz zu heute. Wenn Oma stirbt, werden die Enkel ferngehalten, um sie nicht zu belasten. Dreißig- und Vierzigjährige sind in dieser Hinsicht meist noch unschuldig wie die Kinder. Es bleibt ihnen lange erspart, einen Menschen sterben zu sehen.
Man kann heutzuztage sehr alt werden ohne jemals mit dem Tod anders als in der Literatur, im Kino, oder im "Bekanntenkreis" konfrontiert worden zu sein. Ein Bekannter von mir feierte seinen siebzigsten Geburtstag, kurz zuvor war seine Mutter verstorben - der erste Tod in seinem Leben, der ihn so unmittelbar und unausweichlich anging.

Und mit dieser Distanz zum Tod, der sich ja in medizinischen und sozialen Einrichtungen vollzieht, abseits vom Alltagsleben, hat sich zwangsläufig auch die Wahrnehmung des Lebens selbst verändert. Das Leben "endet " weniger als daß es abbricht. So zumindest klingen bei entsprechenden Gelegenheiten manche Kommentare: "Sie hatte doch noch so viel vor!" Man weiß buchstäblich nicht mehr, "was man sagen soll".

eulenfurz

2. Mai 2013 23:21

Demenz, Demenz, Demenz - das ist doch der neue Schlager aus der worthülsenreichen Mainstreamfabrik. Bei den Trivialliteraten geht es doch auch nur ums Kassenklingeln. Zielgruppe: über 60, wohlsaturiert, Vorruhestand, Impotenz. Die kaufen alles, was ihnen Problemlösung verheißt!

Reitender Urzwerg

2. Mai 2013 23:31

Durch einen Zufall bin ich heute auf eure Seite gestoßen. Mit höchstem Interesse und Faszination folgte ich den Beiträgen. Ganz besonders fielen mir die sehr kritischen, inspirativen, ab und zu auch politisch grenzwertigen Einträge des Users Raskolikow auf. Das ist auch der Grund dafür, warum ich versuche meine geringen Fähigkeiten als Schreiber und Denker umzusetzen. Ihre Worte begeistern mich und geben mit Sicherheit auch anderen Menschen die Möglichkeit sich damit zu bereichern.

-Dann, was muss ich lesen? Was treibt diesen klugen Geist zu solch Aussage? Das Ende wünscht er sich?-

Vergessen Sie es! Nehmen Sie ihren Hintern (Entschuldigung dafür) vom Stuhl und bewegen Sie sich von mir aus ins Altenheim oder in eine Kinderkrebsklinik. Von mir aus bieten Sie Ihre Hilfe auf einer Palliativstation an. Die Menschen dort sind für jede Sekunde auf diesem gar himmlischen Planeten dankbar und könnten durch ihre Worte bestimmt mehr erleben und vielleicht auch Mut erfahren. Und der Verlust Ihres Geistes wäre mit Sicherheit Verschwendung. Das natürliche Ende kommt früh genug! Wenn meine Worte nicht halfen, trete ich Ihnen gerne persönlich in der Allerwertesten. …und nun scheibt weiter!

Georg Mogel

3. Mai 2013 00:47

@ Waldgänger 2.5. 13/ 20.35 h:
Raskolnikow soll seinen Nietzsche nicht entsorgen sondern lesen und die erwachende deutsche Natur, statt "pausenlos Tauringetränke" genießen. Gegen F 32 spricht die bemerkenswerte Mitteilungsaktivität.

"Es ist furchtbar, im Meere vor Durst zu streben. Müßt ihr denn gleich eure Wahrheit so salzen, daß sie nicht einmal mehr – den Durst löscht?"

Friedrich Nietzsche,
Jenseits von Gut und Böse

@ Fremder/ @ Raskolnikow:
"Nie übertreiben. Es sei ein wichtiger Gegenstand unserer Aufmerksamkeit, nicht in Superlativen zu reden; teils um nicht der Wahrheit zu nahe zu treten, teils um nicht unsern Verstand herabzusetzen. Die Übertreibungen sind Verschwendungen der Hochschätzung und zeugen von der Beschränktheit unserer Kenntnisse und unseres Geschmacks..."

B. Gracian,
Handorakel
Art. 41

Schnippedilderich

3. Mai 2013 01:25

Der Tod ist groß
Wir sind die Seinen
Wenn wir uns
Mitten im Leben meinen
Beginnt er plötzlich
In uns zu weinen.

(Rilke )

Sugus

3. Mai 2013 08:37

Die Todesbesessenheit fällt mir seit einigen Jahren auch auf - man denke nur an die vielen Pathologen-Serien (aus den USA), die Vampir- und Zombiefilme, die Filme mit Todesthematik ("The sixth sense") die Dokumentationen über Hospize, Diskussion über Sterbehilfe, etc.
Weil das Sterben und der Tod nicht mehr ritualisiert sind, müssen die Menschen sich in der Konfrontation mit der Sache neu einfinden.
Ich weise aber noch auf einen wichtigen Punkt hin, der gerade für Deutschland gilt, aber wahrscheinlich auch auf die WASPS in den USA zutrifft: in unserer Gesellschaft sterben seit Jahrzehnten mehr Menschen als geboren werden, und das ist historisch einzigartig (der Bevölkerungsausgleich bzw. das Bevölkerungswachstum entsteht allein durch Zuwanderung bzw. höhere Geburtenrate Fremder). Solches mag 1348 (Pest) auch passiert sein, aber einzigartig ist, daß es heute im Frieden und im Wohlstand passiert und bei besserer Gesundheitsversorgung des Einzelnen. Und das ist das Dekadente, Deprimierende daran.

Raskolnikow a.D.

3. Mai 2013 09:44

Mein Herr Palladi,
die Worte sind unvonnöthen.

(Gryphius)

Liebe Freunde!

Raskolnikow soll seinen Nietzsche nicht entsorgen sondern lesen und die erwachende deutsche Natur, ... genießen.

Die "deutsche Natur"? Mit solcherlei völkischem Pathos wollen Sie mir und dem Fritz, der sich in Sils gewißlich allerlei Obscurem aber selten der Natur, geschweige denn der "nationalen", widmete, nahe treten? Leute wie Sie machen mir Angst, Sie vereinnahmen jeden Baum und jeden Wurm für ihre Ansichten ...

Der Tod ist auch hier der Kettensprenger, das große Aufatmen, denn eines ist sicher: Es wird auch noch Würmer geben, wenn der letzte "Deutsche" verschwunden ist.

Brächten Sie doch nur den Mut auf es mir ins Angesicht zu sagen, ohrfeigen würde ich Sie, bis Sie zur Besinnung kommen. Verständnis bekommen Sie von mir nicht.

Ich ahnte bereits, dass es in Ihrem Milieu Gewohnheit ist, sich auf diese Weise Gehör, wofern nicht gar Respekt zu verschaffen, das verrät eine sozusagen innert hausende Unverwüstlichkeit. Jedoch mag ich Ihnen zurufen: "Erwecken Sie mich nicht!" (Ich recke dabei den Zeigefinger bedeutungsvoll in den Himmel!)

Aber da ich mich fürchte, - Sie eignen bestimmt kräftige Hände - lade ich Sie lieber ein, zu mir herauf zu kommen. Kosten Sie von den schweren Weinen, stöbern Sie in meinen Incunabeln, stecken Sie sich die Opiumpfeife an! (Ich kann auch Bier in Dosen kaufen!) Wir singen dann von mir gedichtete Sonette, die vom Tode künden und Sie werden das Leben mit anderen Augen sehen. Ich mag auch gern Romane mit verteilten Rollen lesen, irgendwas von Sacher-Masoch scheint mir passend. Und der Ausblick! Der Ausblick aus meinem seltsamen Turm ist prachtvoll. Also verlassen Sie den Bahnhofsvorplatz und verfügen Sie sich in höhere, weniger "handfeste", Gefilde!

und gerade deshalb mit bodenständigen Deutschen zusammentreffe, die mich als Akademiker im besten Sinne des Wortes „erden“

Bodenständig? Deutsche? Bodenständige Deutsche? Kommen Sie! Macht das Wort "bodenständig" jetzt auch schon eine Metamorphosis durch? Wie das adjectivum "konservativ", das heute bereits auf obszön-kapitalistische, wohlmeritierte Demokraten angewandt wird?

Auch Ihre bodenständigen Waldarbeiter sehen den Harvester als Ihr "Recht" an, hängen in der irrigen Ansicht fest, eine Meinung haben zu dürfen und sind von amerikanischen Filmen konditioniert. Es gibt nur noch Bürger = verhinderte Könige - ohne Ausnahme! Der Stand des Knechtes ist gestorben. Tod überall!

Nehmen Sie ihren Hintern vom Stuhl und bewegen Sie sich von mir aus ins Altenheim oder in eine Kinderkrebsklinik.

Schreite ich durch mein Tor hinaus, befinde ich mich in einem Altenheim, einer Krebsklinik, einem Krankenhaus; mit strengen Regularien - "alles nur zu unserem Besten"! Das haben sie doch aus der Heimat gemacht, einen Operationssaal, eine Intensivstation! Nein, nein, so gut ich kann, werde ich die Seuchenhäuser meiden.

Gehen Sie hinaus in den Frühling!

Wenn Sie vorgehen!

Wenn Oma stirbt, werden die Enkel ferngehalten, um sie nicht zu belasten.

D´accord! Ene taucht den Finger in die Wunde! Wer von Euch hat denn schon Tote gesehen (vorzugsweise nicht im Hospital oder im Bett)? Wer hatte schon mal Angst um sein Leben? Wer ist für einen Menschentod verantwortlich? Das Sterben ist unsichtbar, der Tod ohne Himmel trostlos! Wie kann man da zu einem Todesverhältnis gelangen? Gar nicht!

Dass alles aus den Fugen ist, spürt auch der Neuzeitmensch im Unterbewusstsein - bei aller oberflächlicher Partylaune. Man muss nur genaus hinsehen und die Tragik der Parties wird deutlich. Richtige Feste sind auch schon ausgestorben.

++++

Eines noch zum Abschluss: Ich schrieb nicht, ich zöge den Tod in Betracht, sondern ich dachte über ihn nach, ein feiner Unterschied. Und wenn, das könnt Ihr mir glauben, wäre ich Euch ein prima Ludwig II.! Eine paar Sezessionisten, die für mich den Gudden machen, stehen ja offenbar schon bereit.

Leider, muss ich Euch jetzt "Ahoi!" sagen, denn heutselbst ist mein wöchentlicher Spaziergang dran. Ich befürchte für das Ankleiden, besonders die Wahl der passenden Manschettenknöpfe, benötige ich bei der unklaren Wetterlage extra viel Zeit. Werde wohl mal auf dem Friedhof vorbeischauen ...

Ärgerlich, dass immer Raskolnikov die Antworten provoziert.

Das liegt mir auch etwas quer (auch wenn das "immer" maßlose Übertreibung darstellt!)! Ich werde mich, nicht nur wegen Rumpelstilzchens trefflichem Novellistenkniff, sondern auch weil ich im Grunde gar nichts zu sagen habe, in der nächsten Zeit mit meinem Geschreibsel etwas bescheiden. Eure Reaktionen drängen mich in Bereiche, in denen ich nicht wünsche zu sein. Vielleicht melde ich mich hin und wieder mal zeitgemäß: :-)

Au revoir!

Trotzdem immer bei Euch!

R.

Rumpelstilzchen

3. Mai 2013 10:04

@Nordländer

Man muß kein Freudianer oder Psychologe sein, um es abzulehnen, einen Wahnsinnigen zum Religionsstifter zu machen. Das tun nur Deutsche.
Genauso kurz gegriffen ist es, die Schwermut oder Depression nur psychoanalytisch zu betrachten.
"Die Schwermut ist etwas zu Schmerzliches, und sie reicht zu tief in die Wurzeln unseres menschlichen Daseins hinab, als dass wir sie den Psychiatern überlassen dürfen". , schreibt Romano Guardini.
(Vom Sinn der Schwermut)
Der Schwermütige hat die tiefste Beziehung zur Fülle des Daseins. In ihrem letzten Wesen ist Schwermut die Sehnsucht nach Liebe.
"Nach Liebe in all ihren Formen und in all ihren Stufen, von der elementarsten Sinnlichkeit bis zur höchsten Liebe des Geistes."
Sie ist Sehnsucht nach dem Ewigen.
Nur Liebe ist stärker als der Tod.
Die literarisch tiefste Darstellung des Sterbens ist immer noch und immer wieder Tolstoj s " Der Tod des Iwan Iljitsch".
Mehr ist nicht zu sagen. Und Tolstoij hatte eine Frühe Todeserfahrung. In seinen Kindheitserinnerungen beschreibt er, wie er seine tote Mutter sieht und den ganzen Schrecken des Todes erfasst. Da war er vier. Und das Thema hat ihn sein Leben lang nicht verlassen.

ene

3. Mai 2013 10:08

Immerhin eine gute Nachricht möchte ich Raskolnikov vor den Spaziergang zukommen lassen und somit zu bedenken geben: auf "Tauringetränke" kann er ohne weiteres Verzicht leisten. Denn der menschliche Körper kann Taurin selbst herstellen.
"Eine Zufuhr von Taurin durch Nahrungsmittel ist bei Erwachsenen nicht nötig."
Wohlan, einer erster Schritt der Befreiung - Verzicht auf das Überflüssige!

Rumpelstilzchen

3. Mai 2013 10:22

P.S.
"Dem Schwermütigen wird erst wohl, wenn er allein ist. Keiner bedarf so sehr der Stille wie er." (Guardini)
@ Raskolnikow ja, das "immer" war eine Übertreibung. Da kam wohl etwas Neid auf. Aber Reaktionen drängen einem in Bereiche, in denen man nicht sein will. Verstehe ich gut. Etwas Rückzug tut deshalb gut. Und trotzdem dabei sein. Sehr schön.

Inselbauer

3. Mai 2013 11:15

Diese allgemeine Müdigkeit tritt doch immer dann auf, wenn revolutionäre Veränderungen bevorstehen. Einen krankhaften, modisch ausgefeilten Müdigkeitskult gibt es vor 1917 in Russland; dort verachtete man Kaiser Wilhelm für seinen forsch-optimistischen Schnurrbart, und sein Cousin der Niki bemühte sich um einen möglichst faden und schummerigen Gesichtsausdruck. Karl Kraus etablierte um 1913 in den Wiener Literaten-Kaffees einen Kult des Gähnens und begann, einander zum Gruße anzugähnen, ohne freilich die spitze Feder fallen zu lassen. Weinheber ist Ende 1944 an seinem Holztisch programmatisch eingeschlafen.
Ich meine, es ist ein Symptom dafür, dass die Literatur, also unsere Sprache, ihre eigentliche Zuständigkeit schwinden sieht, weil sich die Kategorien schon vor dem Knall in Luft auflösen. Dass zur Nachmittagsmüdigkeit auch ein wenig Sex gehört, ist nicht weiter erwähnenswert. Bevor ich mit Charlotte Roche schlafe, schicke ich Ihnen einen schönen Sonettenkranz, Herr Bosselmann.

Nordländer

3. Mai 2013 11:29

@ Rumpelstilzchen

"Man muß kein Freudianer oder Psychologe sein, um es abzulehnen, einen Wahnsinnigen zum Religionsstifter zu machen. Das tun nur Deutsche."

Immerhin gibt es dann aber auch noch ein paar Besserdeutsche, denen das nicht passiert?
Dieser "man" sollte vor allem einmal darauf achten, daß er nicht mit vollem Munde spricht, die Rasenfläche nicht betritt.
Von Freud halte ich nichts - wenn überhaupt -,von dem Versuch der Erkundung des Seelenlebens indes ausgesprochen viel, ein großer Psychologe war aus meiner Sicht auch und gerade Friedrich Nietzsche, freilich gibt es daneben andere Kundige, von Viktor E. Frankl bis Thomas Mann, ein weites Feld.
Auch zeitgenössische Seelenergründer im engsten Sinne, wie z.B. den Tiefenpsychologen Bowlby (Bindungstheorie) möchte ich keinewegs in Mißkredit nicht bringen.

Nietzsche war ein Kritiker der Religion wie auch des Idealismus/Universalismus. Er hat weltweite Beachtung erfahren. Ich pflege zur Zeit eine anregende Korrespondenz mit einem Cherokee, der sich wohl immer so sechse, sieben Male auf Nietzsche bezieht, bevor er einem anderen Denker die Referenz erweist.

Ein Wahnsinniger behauptet, daß Merkel die Bundeskanzlerin sei.
Und nun?
X, ein sympathischer Beamter vom Einwohnermeldeamt (A-F) und Y, ein arger Taugenichts und Bruder Leichtfuß, geben so dieses und jenes zum Thema "Gott und die Welt" von sich.
Die Erkenntnisse des Schlendrians aus dessen besonderer Perspektive sollten dann womöglich wertlos sein?

Die Epidemie im Kern sehe ich NICHT darin, daß schmierige, durchtriebene Winkeladvokaten bewußt rabulisieren, sich des Kniffes des Psychologismus bedienen, die Welt ist nun einmal pöhse, sondern ganz genau darin, daß der Psychologismus bei allzu vielen ein Automatismus geworden ist, bereits die ganze Miete ausmacht, was deren Zugang zur Interpretation der Welt angelangt:

Was sollen die Werke des Schriftstellers schon taugen, ist er doch ein arger verantwortungsloser Schürzenjäger und ein stadtbekannter Connaisseur gegorenen Traubensaftes gewesen?

Nietzsche war ein Gegner des Nihilismus, hat die Polaritäten des Lebens erkannt und geehrt. Mann und Weib können einander z.B. nicht verstehen.
Gerade das ist aber die Bedingung, all die kostbaren Rätsel zu erhalten, die das Leben erst lebenswert machen.
Wären diese gelöst, dann kommunizierte man schließlich nur noch miteinander.
Aber wozu eigentlich? Was den Austausch von Informationen anbelangt, sind moderne Rechner dem homo sapiens doch schon lange haushoch überlegen.

Georg Mogel

3. Mai 2013 12:00

@ Raskolnikow:

Ihre vorhergesehene Konditionierung legt eine Selbst-Umbenennung in "Pawlow" nahe ("deutsche" Natur).
Waren Sie gar noch mit Nietzsche ("mir und dem Fritz") auf dem Duzfuß ? Warum tragen Sie nur so dick auf? Wohl doch F 60.

"Nicht aus Besorgnis trivial zu sein, paradox werden. Beide Extreme schaden unserem Ansehen. Jedes Unterfangen, welches der Gesetztheit zuwiderläuft, ist schon der Narrheit verwandt. Das Paradoxon ist gewissermaßen ein Betrug: Indem er anfangs Beifall findet, weil es durch das Neue und Pikante überrascht; allein wenn nachher die Täuschung verschwindet und seine Blößen offenbar werden, nimmt es sich sehr übel aus..."

B. Gracian,
Handorakel
Art. 143

Georg Mogel

3. Mai 2013 12:32

"... Daneben stelze ich weiter durch meine eigenen Gedanken.
Eigentlich ist es die Tätigkeit eines Maulwurfs: man bohrt sich ein, wirft Erde heraus, weiß gar nicht, wohin die fliegt, weiß in keiner Weise, wohin der Gang führt - man buddelt und verschwindet -, nur hat man nicht so ein schönes glänzendes Fell, sondern wird trocken und schäbig, niemand wird sich einen Schulterumhang aus einem machen lassen..."

Gottfried Benn
Brief am 3.4. 1944 an F.W. Oelze

Götz Kubitschek

3. Mai 2013 22:26

diskussion geschlossen.
dank und gruß!
kubitschek

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