möchte man darin gleich eine Symptomatik erkennen. Endlich Anzeichen für irgend etwas! Vielleicht kommt ja intellektuell oder gar gesellschaftlich doch Bewegung auf. Hofft man. Aber als Augur hat man es derzeit schwer. Zu verschwommen die Zeichen, zu schwierig. Und ein wenig finster…Während ich politische Akzente literarisch offenbar als einziger vermisse, formulierte ich unsicher selbst schon Ahnungen, die jetzt Burkhard Müller in ähnlicher Weise thematisiert, wenn er im Feuilleton der SZ fragt, weshalb sich auffallend viele belletristische Neuerscheinungen mit Tod und Sterben beschäftigen. Gestorben, so Müller, werde zwar immer, darüber gesprochen aber eigentlich doch ungern.
Um so auffallender, wenn die Literatur derzeit gar nicht davon lassen mag. Müller liest es schon den Titeln ab: “Aller Tage Abend” (Jenny Erpenbeck), “Soutines letzte Fahrt” (Ralph Dutli), “Geschichten vom Sterben” (Petra Anwar, John von Düffel), “Außer sich” (Ursula Fricker) und “Nur ein Schritt bis zu den Vögeln” (Christof Hamann). Und diagnostiziert treffend: “Es hat wohl mit dem Begriff zu tun, den sich eine Gesellschaft von der Zukunft macht. (…) Stagnation herrscht, weil kaum einer mehr ernsthaft damit rechnet, es würde für ihn besser werden, was nicht dem Befund widerspricht, daß Veränderungen auf allen Ebenen sich heute so schnell vollziehen wie noch nie; doch lösen sie eher Angst als freudige Erwartung aus. (…) Da steht kein Trost mehr in der Sichtachse, echter oder falscher, der Blick aufs Ende wird beängstigend frei.”
Solche Deutung läßt an den Beginn des letzten Jahrhunderts denken, an die ambivalente Stimmung und expressionistische Spannung zwischen finsterer Ahnung und neuer Hoffnung, an die Janusköpfigkeit von Weltende-Phantasien einerseits und Aufbruch sowie Lebensreform andererseits. Obwohl Deutschland wirtschaftlich prosperierte und politisch Weltgeltung hatte, suchten die Künste auf ihre Weise nach neuen Wege. Die ihnen jetzt, scheint es, weitgehend fehlen.
Dabei übt sich anderseits das Land in einer zwanghaft anmutenden Jugendlichkeit. Dem falschen Jüngling mit seinem übermodisch geschnittenen Sommeranzug, der viel zu roten Krawatte, dem gefärbten Stutzerbärtchen und dem damit kontrastierenden gelben Gebiß meint man tatsächlich häufiger zu begegnen – einer der zahlreichen Todespersonifikationen, die Thomas Manns in “Der Tod in Venedig” leitmotivisch entwickelt, als obszöne Maskierung des Totenschädels.
Aber vielleicht sind der Hedonismus und die neue Jugendlichkeit der “Best-Ager” und die neue Fixiertheit auf den Tod einander ja komplementär. Während in einer Ära der Rauchverbote und Fitneß- bzw. Wellneßprogramme immer gesünder gelebt wird, während dem Intellektuellen als einzige Droge das gerade noch tolerierte Glas Rotwein bleibt und der medizinisch-industrielle Komplex seine zahlenden Patienten pharmazeutisch viel langlebiger einzustellen versteht, greift doch eine Depression und Ästhetisierung des Todes um sich, die auf eine Erschöpfung deutet, die somatisch nicht erklärt werden kann, sondern am ehesten mit diffusen Ängsten und Defiziten in der Sinngebung zusammenhängen dürfte. Obwohl Deutschland doch, wie es wiederholt heißt, “so gut aufgestellt ist”, obwohl man sich – gerade am 1. Mai – neuerlich zu “Festen der Demokratie” trifft und obwohl wir in diesem sicheren Euro-Frieden leben dürfen.
Was bloß fehlt den Menschen? Weshalb schon in den Klassenräumen der Schulen diese bleierne Müdigkeit? Nicht mal mehr Disziplinprobleme, sondern eine zähe Lethargie, die von all den Initiativen, Projekten, Bekenntnissen und Demos nicht erfrischt werden kann?
Rumpelstilzchen
Warum beschäftigen sich so auffallend viele belletristische Bücher mit Tod und Sterben ?
Weil auch Tod und Sterben nicht mehr ritualisiert sind,
sondern der Diktatur des Individualismus und Pluralismus unterworfen sind !
Der Tod ist ein einsames Geschäft geworden.
Früher begleiteten Sterbegebete das christliche Sterben.
Es begann mit der Sterbelitanei, nach dem Verscheiden rief man die Engel und Heiligen an,
der Seele des Verstorbenen entgegen zu eilen.
Man betete für einen gnädigen Tod.
Das alles ist verloren gegangen. Es gibt keine Sterbekultur mehr.
Es geht nicht um ein medizinisch, psychologisch optimales Ende, sondern um Vollendung eines menschlichen Lebens in letzter Hingabe.
Da war Europa schon mal weiter:
Ich geh' ich weiß nicht wohin.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin